„Herr Doktor, ich habe Rücken!“ Was der Komiker Hape Kerkeling so herrlich auf den Punkt gebracht hat, ist für viele bittere Wahrheit. Allerdings ist „Rücken“ keine Krankheit. Die Schmerzen rund um Hüfte, Wirbelsäule, Hals und Schultern sind lediglich ein Symptom. Volkswirtschaftlich betrachtet sind Rückenbeschwerden jedoch eine echte Katastrophe: Sie sind der Grund für etwa jede zehnte Krankschreibung.
Zumeist sind es einseitige Belastungen und Bewegungsmangel, die rund um Wirbelsäule und Bandscheibe für Probleme sorgen. Während Schnupfen und Erkältung der häufigste Grund sind, zum Arzt zu gehen, rangieren Rückenschmerzen immerhin auf Platz 2 der Hitliste.
„Wenn es im Rücken schmerzt, sind nur in den seltensten Fällen die Bandscheiben dafür verantwortlich“, sagt Professor Dr. Dietrich Grönemeyer, bekannter Rückenexperte und Bestsellerautor (u.a. „Dein Rücken“, „Grönemeyer neues Hausbuch der Gesundheit“). Im Grönemeyer-Institut in Bochum wird Schmerzen gezielt auf den Grund gegangen. Wo kommen die Beschwerden her: Stecken womöglich eine Hüft- fehlstellung oder ein falsches Gangmuster dahinter? Dazu Prof. Grönemeyer: „In den meisten Fällen sind es mangelnde Bewegung und Übergewicht, die Rückenbeschwerden verursachen. Sind Rücken- und Bauchmuskeln zu wenig trainiert und deshalb zu schwach – sind ernsthafte Rückenprobleme vorprogrammiert.“
Die einzig beruhigende Nachricht in diesem Zusammenhang: In etwa 85 Prozent aller Fälle sind Rückenschmerzen harmloser Natur. Sie können zwar sehr schmerzhaft sein und die Beweglichkeit für längere Zeit massiv einschränken – aber wirklich folgenreiche Diagnosen müssen nur sehr selten gestellt werden.
Woher die Schmerzen kommen
Sogar Kinder „haben es heute schon im Rücken“. Ein Phänomen, das sogar Grundschüler kennen. Verspannungen und Überbeanspruchung der Muskulatur durch langes Sitzen ist der Grund dafür. Ebenso können einseitige Belastungen und verkrampfte Körperhaltungen den Rücken über Gebühr strapazieren. „Wenn Jugendliche stundenlang am Computer sitzen – oder auf dem Bett liegend mit ihren Freunden chatten, kann das durchaus den Rücken reizen“, erklärt Prof. Grönemeyer.
Auch wenn es zunächst nur harmlose Verspannungen waren – nach einer gewissen Zeit entsteht ein Teufelskreis von Schmerzen. Und zwar dann, wenn eine erhöhte Grundspannung der Muskeln die gesunde Durchblutung des Muskelgewebes stört. Verhärtetes Muskelgewebe, das weniger geschmeidig ist, strapaziert schließlich auch die umliegenden Sehnen. Um dem Schmerz auszuweichen, nimmt der Mensch nun eine Schonhaltung ein. „Bloß nicht das rechte Bein heben, sonst zieht es ja so im Kreuz!“ Dadurch wiederum werden andere Muskelgruppen in den Teufelskreis eingebunden – und die Beschwerden nehmen immer bedrohlichere Formen an.
Halb so schlimm
Eine ungewohnte Bewegung, Überdehnungen, Zerrungen, Verschleiß an der Wirbelsäule, Nervenreizungen – das sind in den meisten Fällen die Auslöser für Beschwerden im Kreuz. Das ist gut zu wissen. Nur in den allerwenigsten Fällen liegen ernsthafte körperliche Erkrankungen zugrunde. Schmerz-Attacken gehen auch wieder vorüber. Womöglich müssen Sie nur ein wenig geduldig mit sich und Ihrem Körper sein. Aber eines ist Ihnen unbenommen: Ab heute könnte doch vielleicht schon ein (erstes) kleines Zipperlein im Kreuz Anlass dafür sein, mehr Bewegung ins Leben zu bringen.
Auch die Psyche spielt mit
Stress und psychische Belastungen wirken sich immer auch auf die körperliche Konstitution aus. Wir sind müde, gereizt und angespannt – wenn uns der Alltag über den Kopf wächst. Sorgen wir in Phasen von Anstrengung und großer Belastung – chronischem, negativem Stress – nicht für Ausgleich (z.B. Entspannung und Bewegung), riskieren wir gesundheitliche Schäden. Rückenschmerzen sind also häufig nur eine Reaktion auf Dauerstress, der uns verspannen lässt. Schmerzen rund um Hals, Nacken und Schultern sind hierfür ein Indiz.
Aua – meine Bandscheiben
24 Wirbel im Hals‑, Brust- und Lendenbereich bilden unsere Wirbelsäule. Das gesamte „Konstrukt“ stabilisiert unseren Oberkörper. Niemals ist die Wirbelsäule kerzengerade. Sie ist vielmehr in sich gekrümmt – in der Form von einem doppelten S. Diese natürlichen Krümmungen sorgen für besondere Stabilität, und federn Stauchungen gut ab.
Zusätzliche Puffer sind unsere Bandscheiben, die jeweils zwischen den Wirbeln liegen. Insgesamt 23 Bandscheiben hat der Mensch. Tagsüber federn die mit Flüssigkeit gefüllten Bandscheiben erfolgreich jeden Stoß beim Gehen und Bewegen ab. Da bei hoher Belastung die Bandscheiben regelrecht „ausgepresst“ werden, schrumpft der Mensch im Laufe eines Tages. Prüfen Sie doch mal nach, wie groß Sie abends noch sind! Wenn Sie Ihre Größe dann am Morgen mit einem Zollstock nachmessen, werden Sie feststellen, dass sich womöglich zwei Zentimeter Differenz ergeben.
Alles Gute für die Bandscheiben
Während unser Körpergewebe über Blutgefäße versorgt wird, sind die Bandscheiben auf eine besondere Art von Flüssigkeitsaustausch angewiesen. Bei jeder Belastung/Bewegung wird der Gallertkern zusammengepresst und immer auch etwas Flüssigkeit herausgedrückt. Sobald die Bandscheiben nicht belastet sind, erholen sie sich und nehmen aus dem umliegenden Gewebe „frische“ nährstoffreiche Flüssigkeit auf.
Dieser Kreislauf von Nährstoffaufnahme und Verbrauch funktioniert so lange gut, wie ein stetiger Wechsel von Be- und Entlastung stattfindet. Sich ausgiebig zu bewegen ist also auch aus diesem Grund lebensnotwendig!
Wenn wirklich ein Bandscheibenvorfall vorliegt, ist folgender „Ernstfall“ eingetreten: Eine der faserknorpeligen Bandscheiben ist herausgesprungen und drückt nun direkt auf die umliegenden Nerven. Der Ring um den Bandscheibenkern kann auch aufreißen, so dass die Flüssigkeit auslaufen kann. Schmerzhafte Nerven-Entzündungen können dann die Folge sein. Eine Operation ist nicht immer vermeidbar, vor allem bei Massenvorfällen oder Lähmungserscheinungen – aber sollte auf jeden Fall gut überlegt sein. Holen Sie unbedingt eine Zweitmeinung ein – und besprechen Sie eine geplante OP noch einmal mit einem zweiten Arzt. Bei drastischer Schmerz-Zunahme und Reflexverlust bitte sofort den Arzt aufsuchen!
Laut Statistik sind die Erfolgsaussichten einer Bandscheiben-OP eher ernüchternd. Mehr als 40 Prozent aller Patienten haben auch nach einer OP weiterhin Rückenbeschwerden. Bewährt haben sich in vielen Fällen die mikro-invasiven Verfahren der Mikrotherapie, die ambulant und unter Bildsichtkontrolle an spezialisierten Zentren durchgeführt werden wie dem interdisziplinär ausgerichteten Grönemeyer Institut für Mikrotherapie in Bochum.
Bewegen, nicht schonen
Das Erfolgsrezept lautet: Nichts hilft besser gegen Rückenprobleme als regelmäßige und möglichst vielfältige Bewegung! Ein präventives Krafttraining bzw. eine Kräftigungstherapie sind besonders effektiv. Mit einem speziellen Training, das nur 10 Minuten Zeit in Anspruch nimmt, lässt sich – so Professor Grönemeyer – der Rücken und die Bauchmuskulatur schon sehr effektiv stärken. Das Programm ist abrufbar auf www.tk.de, dort einfach das Suchwort „Das 10-Minuten Programm“ eingeben.
Hexenschuss
Ein plötzlich einschießender Schmerz – und es geht gar nichts mehr! Geschichten vom Hexenschuss werden viele erzählt: Da kennt man den Bauer, der stundenlang auf seinem Trecker sitzen blieb, weil kein Hauch Bewegung mehr möglich war. Oder die junge Mutter, die in unbequemer Haltung auf dem Sofa ausharren musste, weil kein Telefon greifbar war. Die Schmerzen, die ein Hexenschuss verursacht, können ziemlich grausam sein.
Wenn – nach dem ersten Veratmen des Schmerzes – überhaupt wieder Bewegung möglich ist, tut es gut, die Beine hoch zu lagern. Diese Stufenlagerung (der Rücken liegt flach, die Unterschenkel werden im rechten Winkel zu den Oberschenkeln abgelegt) entlastet die Muskulatur. Die gesamte Wirbelsäule und alle Gelenke sind frei von jedem Druck. Die Anwendung von Wärme kann zusätzlich die schmerzhaften Muskelverspannungen lösen.
Tipp: Wärme lockert die Muskulatur und verbessert spürbar die Durchblutung. Eine Wärmflasche oder ein Heizkissen gehören deshalb in jeden Haushalt. Den Rücken schön warm zu halten, ist ohnehin ratsam. Echte Wolle wärmt am besten. Ein wollenes Tuch um Taille und Hüften gewickelt ist nicht nur präventiv, sondern auch im Ernstfall hilfreich!
Was Bandscheiben leisten müssen
Es ist unglaublich, wie belastbar unsere Bandscheiben sind. Denn egal, welche Körperhaltung wir einnehmen, die kleinen Puffer des Rückgrats werden enormer Kompression ausgesetzt.
Diese Kräfte wirken auf unsere Bandscheiben:
- Im entspannten Sitzen: 50 kg
- Beim Stehen: 100 kg
- Beim Vorbeugen: 200 kg
- Im Liegen: 20 kg
Weil schon leichtes Vorbeugen für erhöhten Druck auf die Bandscheiben sorgt, sollte unbedingt immer auf die richtige Haltung geachtet werden. Sind in der Küche die Arbeitsflächen nicht hoch genug oder die Schreibtischplatte zu niedrig, kann das durchaus zu Rückenproblemen führen. Wichtig zu wissen: Das Heben einer Last (etwa einer Getränkekiste) können Sie so gestalten, dass es möglichst wenig Kompression verursacht. Dazu geht man mit geradem Rücken in die Knie – nähert sich somit dem zu hebenden Gegenstand. Dann greift man mit gerade ausgestreckten Armen nach der Last. Wer diese Regel beherzigt, kann den Druck auf die Bandscheiben von 500 kg auf etwa 340 kg reduzieren.
Behandlung
Wenn Sie von Schmerzen heimgesucht werden, ist natürlich Hilfe gefragt. Bettruhe und Schonung können zwar im ersten Moment richtig sein – aber am besten ist es, recht bald wieder in Bewegung zu kommen.
Schmerzmittel, die frei verkäuflich in der Apotheke erhältlich sind – mit Wirkstoffen wie Ibuprofen, Paracetamol oder Acetylsalicylsäure (ASS) – halten akute Schmerzen recht gut in Schach. Und bei starken Schmerzen ist es auch durchaus ratsam, ein Medikament zu nehmen. Denn so durchbricht man den Teufelskreis aus „Noch mehr Schmerzen durch noch mehr Verspannungen“. Sobald Sie merken, dass der Schmerz nachlässt, ist ja meist auch wieder Bewegung möglich. Und die sorgt dann von ganz allein für Linderung der Schmerzen. Aber Achtung: Länger als drei Tage sollten Sie nicht selbst mit Medikamenten „herumdoktern“. Wenn die Schmerzen danach nicht zurückgegangen sind, sollten Sie zum Arzt gehen.
Eine Spritze, die Schmerzlinderung und Entspannung verschafft, ist hauptsächlich dann angezeigt, wenn der Rückenpatient sich „gar nicht mehr regen“ kann.
Physiotherapie oder Osteopathie können die richtigen Maßnahmen sein, um unter fachkundiger Anleitung rückengesundes Bewegen zu erlernen. Die Therapeuten können Fehlhaltungen korrigieren und versteifte/blockierte Gelenke wieder „gängig“ machen.
Richtig sitzen
Im Durchschnitt sitzen die Deutschen 322 Minuten pro Tag. Das haben Ärzte vom Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln herausgefunden. Das sind umgerechnet fünf Stunden und 22 Minuten, die der Mensch demnach im Sitzen verbringt. Ganz schön viel.
Daher ist es wichtig, diese Haltung soweit wie möglich rückenschonend zu gestalten. Sitzen Sie nie mit nach vorne gebeugtem, krummem Rücken. Rücken Sie mit Po und Rücken möglichst dicht an die Rückenlehne, um so den Rücken zu stützen.
Ein guter Bürostuhl ist mit der Sitzfläche leicht nach vorn geneigt, weil somit automatisch eine aufrechtere Haltung eingenommen wird. Der Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel sollte etwas mehr als 90 Grad betragen. In dieser Haltung ist immer auch ein bequemes Nach-hinten-Lehnen möglich.
Während früher gern vom Zappelphilipp die Rede war, wenn Kinder nicht ruhig auf ihrem Stuhl sitzen konnten, ist heute das Zappeln geradezu erwünscht! Je dynamischer und bewegter Sie Ihren Bürotag verbringen, desto besser für Ihren Rücken.
Wann zum Arzt?
Plötzlich auftauchende Rückenschmerzen sind – wie schon beschrieben – meistens kein Grund zu großer Sorge. Mit Selbsthilfemaßnahmen (Wärme/Kälte/ein muskelentspannendes Medikament) lassen sie sich meist gut in den Griff bekommen. Beginnende Lähmungen und stark zunehmender Schmerz sind aber ein Warnsignal! Dann sollte man sofort zum Arzt gehen. Auch wenn sich über drei Tage lang keine Besserung einstellt, Lähmungserscheinungen oder Probleme mit der Blase auftreten und zudem ein schlechter Allgemeinzustand zu beobachten ist, sollte unbedingt sofort ein Arzt zu Rate gezogen werden!
Weitere Infos stehen unter:
www.gimt.de (Grönemeyer Institut, Bochum);
www.tk.de (bitte den Webcode 020738 eingeben) für Hinweise/Anleitungen zu rückenschonendem Verhalten
Britta Surholt
Tricks zum Heben und Tragen
Beim Tragen schwerer Gegenstände darauf achten, dass beide Körperseiten gleichmäßig belastet sind. Also lieber zwei leichte Taschen als eine schwere tragen. Womöglich kann auch ein Rucksack mit bequemer, rückenfreundlicher Ausstattung eine gute Investition sein. Oder Sie gönnen sich einen „Hackenporsche“: Mit solch einem Gefährt – einer großen Einkaufstasche auf Rollen – lassen sich Einkäufe bequem und sehr gesund nach Hause transportieren!
Unsere Webinar-Empfehlung
15.06.23 | 10:00 Uhr | Maßnahmenableitung, Wirksamkeitsüberprüfung und Fortschreibung – drei elementare Bausteine in jeder Gefährdungsbeurteilung, die mit Blick auf psychische Belastung bislang weniger Beachtung finden.
Teilen: