Büroarbeitsplätze bergen kaum Gefahren, die nicht zu kalkulieren sind. Anders im Hochgebirge. Dort stehen Steinschlag und Lawinen auf der Tagesordnung. Insbesondere für Leute, die einen risikoarmen Job haben, ist das Bergsteigen ein Kick. Viele unterschätzen allerdings die Tücken des alpinen Abenteuers.
Im vergangenen Jahr wurden fast 6200 Personen vom Österreichischen Bergrettungsdienst (ÖBRD) geborgen. Davon waren 4727 verletzt, 1332 unversehrt und 134 tot. Auch wenn die Zahl der Verkehrstoten in der Alpenrepublik 2009 mit 633 Personen deutlich höher liegt, lässt sich die traurige Statistik nicht schön reden. „Die meisten Leute kommen in den Bergen wegen Herz-Kreislauf-Problemen ums Leben“, weiß Hans Kresse vom Deutschen Alpenverein (DAV). Der 48-Jährige besitzt die Fachübungsleiterlizenz für Hochtouren. „Erleiden die Wanderer Herzinfarkte oder Kreislaufzusammenbrüche, erhöht sich die Gefahr von Stürzen“, ergänzt er. Abstürze rangieren in der Unfallstatistik auf Platz zwei. Größtenteils passieren sie auf dem Rückweg, weil das Bergabgehen technisch anspruchsvoller ist. Hinzu kommt die einsetzende Ermüdung am Ende eines anstrengenden Tages. „Viele besitzen einfach nicht die notwendige Kondition“, sagt Kresse, „sie sitzen das ganze Jahr über am Schreibtisch, werden älter, wollen aber im Bergurlaub alles erzwingen.“
Der ÖBRD birgt Verletzte hauptsächlich im leichten Gelände. Rettungen an Eis- und Steilwänden sind selten. Mit anderen Worten, Extremsportler, die 3000 Höhenmeter und mehr bewältigen, schätzen ihre körperliche Leistungsfähigkeit realistischer ein. Vor der Höhenkrankheit sei jedoch niemand gefeit, betont der DAV-Tourenführer. Bei zehn bis 20 Prozent aller Leute mache sich eine Höhe ab 2800 Metern offensichtlich bemerkbar. Spürt man beim Aufstieg Symptome wie Atemnot oder Schwindel, sollte man schleunigst absteigen, um schlimmeres zu verhindern. Der Mensch verfügt über ein Höhengedächtnis, erklärt Kresse: „Wenn man oft im Hochgebirge unterwegs ist, gewöhnt sich der Organismus an die Höhe.“
Im Vergleich zur Höhenkrankheit kommen Steinschläge plötzlich. Sie gelten als dritthäufigste Unfallursache im Gebirge. Im hochalpinen Gelände müsse man mit den Risiken leben lernen, sagt Kresse. Als Molekularbiologe in der Qualitätskontrolle ist er im Umgang mit Gefahren geschult. Aber im Unterschied zum Bergsteigen ließen sich die Risken im Bereich Pharma-Biotech kontrollieren, so der Naturwissenschaftler. Seit 1994 führt er Hochtouren für den DAV. „Die Disziplin ist vom Aussterben bedroht“, erzählt er. Schuld sei die Klimaveränderung, die das Schmelzen der Gletscher bedingt. Zurück bleibt ein steiles, unattraktives Gelände. Ferner bilden sich Muren. Das sind Ströme aus Schlamm und Gesteinsmaterial, die schnell talwärts fließen und Verwüstungen anrichten. Für Bergsteiger sind sie lebensgefährlich.
Unheilvoll sind ebenfalls Lawinen, die etliche Skifahrer pro Saison mit dem Leben bezahlen. In der Statistik nehmen Lawinenunglücke den vierten Platz ein, gefolgt von Spaltenstürzen. Ein einziger Gletscher besteht mitunter aus 100 Gletscherspalten, die in den Karten nicht eingezeichnet sind. Darin werden lediglich Spaltengebiete vermerkt. „Besteht Spaltengefahr, gibt es immer eine verbindende Seilschaft“, erläutert Kresse. Eine kleine Seilschaft besteht aus drei, besser jedoch aus vier Personen, weil sonst die Gefahr des „Mitreißens“ zu hoch ist. Der Abstand der Kletterer muss ausreichend groß sein, wobei sich der schwerste Mann am Ende des Seils befindet.
Gefahren ließen sich durch eine intensive Vorbereitung minimieren, weiß der erfahrene Bergsteiger. Neben dem Konditionstraining spielt die Tourenplanung mittels Karten und Internet eine große Rolle. Vor Ort können zusätzlich Hüttenwirte oder aktive Alpinisten Auskunft erteilen. Zudem gilt der Wettervorhersage ein besonderes Augenmerk. „Man muss sich auch während der Tour über aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden halten. Der Rechner zwischen den Ohren sollte ständig arbeiten“, macht Kresse klar.
GPS und Handy sowie eine effiziente Ausrüstung haben das Wandern zwar bedingt sicherer gemacht. „Mit diesen Hilfsmitteln lassen sich jedoch unzureichende Erfahrungen nicht ausgleichen“, betont der Tourenleiter. Vor allem jungen Bergsteigern fehle zunehmend der alpine Werdegang. Sie empfinden das Bergsteigen nicht mehr als ganzheitliches Erlebnis. „Frisch von der Kletterhalle machen sie sich sofort in anspruchsvolles alpines Gelände auf“, schildert Kresse die Praxis. Eine realistische Selbsteinschätzung bleibt dann zum Teil auf der Strecke. „Im Umkehren liegt aber die eigentliche Leistung “, ist sich der Ausbilder sicher.
Bergsteiger müssen über hohe intellektuelle Fähigkeiten verfügen, so Kresse. Ansonsten könnten sie den Sport nicht ausüben. Gerald Lehner, Fachreferent für Öffentlichkeitsarbeit bei der Bergrettung Tirol, sieht hingegen in einem gut ausgestatteten finanziellen Polster die wesentliche Voraussetzung für den Bergsport: „Wandern und Klettern ist hauptsächlich bei den betuchten Schichten verbreitet.“ Anreise, Unterkunft und Ausrüstung können sich nur die gehobene Mittelschicht leisten. „Oder aber die Managerkaste, die durch Bergsteigen ihr Image aufpoliert“, fügt Lehner hinzu. Der Österreicher lässt sich den Spaß an den Bergen aber nicht nehmen. Er ist ausgebildeter, zurzeit inaktiver, Bergretter. „Die Bergrettung läuft nicht nebenbei. Sie ist ein Lebensstil, der sehr viel Zeit fordert“, erläutert er.
„In den Bergen kann das Risiko nie auf Null minimiert werden“, begründet der aktive Kletterer unter anderem die Existenz der Bergrettung. Die Schuld an Unfällen trage nie der Berg, sondern immer der Mensch. Zur übersteigerten Risikobereitschaft des Einzelnen geselle sich zuweilen eine ungute Gruppendynamik. „Da werden Schwächere zu riskantem Verhalten überredet beziehungsweise Männer versuchen sich im Rahmen ihres Balzverhaltens gegenseitig auszustechen“, berichtet Lehner. Das Naturerlebnis sei für die alpinen Kletterer zweitrangig, ist er der Ansicht. Im Vordergrund stehe vielmehr die extreme körperliche Erfahrung.
In den Bergen auftanken
Das sieht Jürgen Moock, Sport- und Geographielehrer sowie passionierter Bergsteiger, anders. Er geht in die Berge, um aufzutanken. „In den Alpen kann man herrlich aus dem Alltag ausbrechen und sich auf die kleinen mentalen Fähigkeiten reduzieren“, schwärmt er. Seine Leidenschaft für den Bergsport hat der heute 42-Jährige mit 18 Jahren entdeckt. „Damals hat uns der Vater eines Freundes mit in die Berge genommen“, erinnert er sich. Im Laufe der Jahre hat der Sportfreak heikle Situationen erlebt. So musste er zum Beispiel einen teilverschütteten Kollegen aus einer Lawine bergen oder eine Freundin retten, die am Klettersteig abgestürzt war. Auch wenn solche Situationen lehrreich seien, ist der 42-Jährige auf eine Wiederholung nicht erpicht.
Je älter man werde, desto vorsichtiger werde man, meint Moock. „Das heißt allerdings nicht, dass ich zurückhaltender bin. Ich plane die Touren bewusster, passe die Route dem Wetter an und nicht umgekehrt“, gibt er zu Verstehen. Ein Handy ist immer im Gepäck, ebenso das Erste-Hilfe-Paket, Wechselwäsche und Kabelbinder, mit dem man alles reparieren kann. Bei anspruchsvollen Touren ist zudem ein Biwacksack Pflicht. Zur Planung gehört auch, dass er die Leistungsfähigkeit der einzelnen Teilnehmer unter die Lupe nimmt. „Am liebsten bin ich mit Frauen unterwegs“, sagt er, „denn Frauen melden sich direkt und ohne Umschweife, sobald sie ihre persönliche Leistungsgrenze erreicht haben. Männer leiden oftmals unter einem Vergleichsdrang und gehen bis zum Umfallen.“ Nadine Röser
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