Berlin, 1. August 1927. Bis zum vorherigen Tag hatte die Stadt eine „Ständige Ausstellung“, heute nun besitzt sie ein neues Museum, das Deutsche Arbeitsschutzmuseum. Als „Ständige Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt“ war das Haus bereits 1903 eröffnet worden. Der neue Name ist eine Klarstellung. Der Reicharbeitsminister fand, dass der alte Name dem „Zweck des Instituts nicht genügend gerecht wurde.“
Das neue „alte“ Arbeitsschutzmuseum ist als Informationsdrehscheibe zu allen Fragen der „Unfallverhütung und des Gesundheitsschutzes“ konzipiert. Zu den Zielen des Hauses sagte Staatssekretär Dr. Seib anlässlich der Eröffnung: „Das Museum soll der neutrale Boden werden, auf dem sich Gewerbeaufsicht, Berufsgenossenschaften, Arbeitgeber und Arbeiter zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden.“ Mit renovierten Räumen, neuen Abteilungen und sogar einem „Lehrbergwerk“ im ehemaligen Heizungskeller präsentierte man sich nun dem interessierten Publikum.
Vorgeschichte(n)
Die Historie des Deutschen Arbeitsschutzmuseums beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit der Industrialisierung veränderte sich die Arbeitswelt grundsätzlich. Neue Technik und neue Verfahren hielten Einzug in die entstehenden Fabriken, die immer mehr Menschen Arbeit und Lohn gaben. Doch die moderne Technik wurde nur zum Teil beherrscht und war risikobehaftet. Jede neue Maschine barg neue Gefahren, denen man häufig rat- und hilflos gegenüberstand. Was sollte man tun, um Wissen zur sicher(er)en Technik zu generieren und auch zu verbreiten?
Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Ausstellungen. Vor der Erfindung und Verbreitung visueller Medien informierte man sich auf Gewerbe- und Weltausstellungen über technische Neuerungen. Was lag also näher, als auch den „Unfallschutz“, die „Gewerbehygiene“ und die „Volksgesundheit“ zu Ausstellungsthemen zu machen? Bereits die Pariser Weltausstellung von 1867 hatte eine Abteilung „Sozialökonomie“ eingerichtet. 1883 fand in Berlin mit der Hygieneausstellung eine große Leistungsschau zur „Volksgesundheit“ statt. Von Kaiser Wilhelm I und Reichskanzler Bismarck besucht, zählte die Ausstellung rund 870.000 Besucher – und war damit ein großer Publikumserfolg. Sie bildete danach den Grundstock für das Berliner Hygienemuseum, das 1886 eröffnete und sich zunächst ausgiebig mit dem Schutz vor Dampfkesselexplosionen, Transmissionsunfällen und Schlagwetterunglücken in Bergwerken beschäftigte. Auch die Gewerbehygiene, also z. B. der Schutz vor Staub, war Thema dieser Ausstellung. Allerdings entwickelte sich das Hygienemuseum unter dem Dach der Universität in den folgenden Jahren „nach der volkshygienischen und medizinischen Seite hin“, wie ein Zeitgenosse schrieb. Vor allem aber veraltete die Sammlung schnell, so dass sich der Stand der Technik mit den vorhandenen Exponaten nicht mehr darstellen ließ.
Anders sah es dagegen im neu gegründeten Reichsversicherungsamt aus. Dort trafen beinahe täglich Modelle, ganze Apparate und Vorrichtungen aus dem Bereich Sicherheitstechnik von Erfindern und Firmen zwecks Prüfung ein. Solche Prüfungen auf Wirksamkeit der Sicherheitsvorrichtungen waren mit der Gründung der Berufsgenossenschaften und der Verabschiedung von Unfallverhütungsvorschriften verbindlich eingeführt worden. Die stattliche Sammlung wurde 1887 zunächst in Pferdeställen des Reichsschatzamtes untergebracht – wo sie einstweilen verblieb.
1889 machte indes eine andere Ausstellung in Berlin Furore. Die „Deutsche Allgemeine Ausstellung für Unfallverhütung“ war für einen Sommer geöffnet und zog über eine Million Besucher an. Veranstalter war die eher kleine Mälzer- und Brauerei-Berufsgenossenschaft. Nach Durchsicht ihrer ersten Unfallstatistiken waren die Verantwortlichen zu der Überzeugung gelangt, dass eine Ausstellung dringend notwendig sei, um Arbeitgeber und Arbeiter über die Gefahren der Arbeitswelt aufzuklären und Lösungen zu präsentieren.
Große Besucherzahlen, allerhöchster Zuspruch (siehe Kasten) – nach dem Erfolg dieser Ausstellung konnte der Schritt von einer vorübergehenden zu einer ständigen Einrichtung eigentlich nicht mehr allzu groß sein. Und tatsächlich erhielt Regierungsrat Reichel vom Reichsversicherungsamt (Zur Erinnerung: Hier lagerten die Modelle im Pferdestall!) vom preußischen Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten den Auftrag, eine „Denkschrift“ zu verfassen. Reichel ließ sich das nicht zweimal sagen und verfasste ein umfangreiches Konzept: Dokumentationszentrum und Bibliothek, Versuchsanstalt und Mustersammlung, Auskunftsstelle und Fortbildungsstätte – und obendrein eine Ausstellung, in der natürlich alle Maschinen im Betrieb gezeigt werden sollten. Inhaltlich strebte Reichel ebenfalls das gesamte Spektrum an: Unfälle und Schutzmaßnahmen, Gesundheitsgefahren bei der Arbeit, Anforderungen an Arbeitsstätten, Arbeitszeit und Arbeitszeitgesetze, Beschäftigung von Frauen, Jugendlichen und Kindern und schließlich betriebliche Wohlfahrtseinrichtungen. Eine faszinierende Vision – die dem Minister allerdings eine Nummer zu groß erschien: Er legte die Sache zunächst auf Eis.
Es geht voran
Erst 1899 fand sich im Reichstag eine Mehrheit für das Projekt „Ständige Ausstellung“, die nötigen Mittel wurden verabschiedet: 1903 öffnete die „Ständige Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt“ in Berlin ihre Pforten. In drei Abteilungen konnten sich die Besucher über „Unfallverhütung“, „Gewerbehygiene“ und „Wohlfahrtsverhältnisse sonstiger Art“ informieren. Von der Dampfmaschine über Transmissionen bis hin zur persönlichen Schutzausrüstung reichten die Themen der Ausstellung. Aber auch Arbeitsverfahren, Arbeitsstoffe und die Einrichtung der Arbeitsstätte waren vertreten, ebenso Ernährung, Wohnungswesen, Kinderhorte und das „Arbeitersparen“.
Die Eröffnungsrede des Geheimen Oberregierungsrates Werner liest sich wie die Konzeption eines gegenwärtigen Technikmuseums:
„Nicht ein Museum toter Gegenstände sollte geschaffen werden, sondern eine Ausstellung voll Leben und Bewegung. Wo immer die Möglichkeit bestand, Maschinen in natürlicher Größe und im Betrieb vorzuführen, war von der Ersetzung durch Modelle abzusehen, die doch niemals – auch nicht für die Anschauung – einen vollen Ersatz bieten können.“
Auch im Medieneinsatz zeigte man sich modern. Filme wurden bereits ab 1911 gesammelt, 1913 entstand dann der erste eigene Film über Unfallverhütung, Gewerbehygiene und Erste Hilfe. Mitnahmeblätter, Sammelmappen und Kataloge rundeten das Informationsangebot ab. Aber trotz aller Bemühungen: Die Resonanz der großen Ausstellungen von 1884 und 1889 blieb der Ständigen Ausstellung versagt. Ganze 6032 Besucher wurden im Eröffnungsjahr gezählt. Mit Kriegsbeginn 1914 wurde die Ausstellung geschlossen. Viele der über hundert Maschinen wanderten in die Fabriken, um Kriegsgüter zu produzieren. Erst 1922 konnte die Ausstellung mit Unterstützung durch die Bestände des AEG-Hygienemuseums wieder öffnen. Bis 1927, dem Jahr der Umbenennung in „Deutsches Arbeitsschutzmuseum“, wuchs die Ausstellungsfläche sogar auf 4000 Quadratmeter.
Eine neue Ausstellung
1939 noch zur „Reichsstelle für Arbeitsschutz“ umbenannt, hat das Deutsche Arbeitsschutzmuseum zwar die NS-Jahre bis zum 2. Weltkrieg überstanden, nicht aber die alliierten Bombenangriffe auf Berlin. Ende November 1943 war das Gebäude fast vollständig zerstört.
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren standen Arbeitsschutz und Unfallverhütung zunächst nicht ganz oben auf der Agenda. Doch mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 keimte bereits Neues. Unter dem Namen „Zentralinstitut für Arbeitsschutz“ wurde die Arbeit in Soest fortgesetzt, 1951 erfolgte die Umbenennung in „Bundesinstitut für Arbeitsschutz (Bifa)“. Dem Institut standen allerdings nur eine Wanderausstellung und einige Dia-Reihen zur Verfügung, die an Interessierte verliehen werden konnten. 1957 wurde das Bifa nach Koblenz verlegt und kam erst 1972 zurück nach Westfalen. Seitdem hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz (heute Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) als Forschungseinrichtung ihren Sitz in Dortmund.
Die Idee, Arbeitsschutz durch eine Ausstellung plastisch zu vermitteln, kam erst einige Jahre später wieder auf. 1980 erging der „Einrichtungserlass“ des Bundesarbeitsministers Herbert Ehrenberg (SPD):
„Die Arbeitsschutzausstellung soll über die Arbeitswelt, ihren Stellenwert in der Gesellschaft und ihre menschengerechte Gestaltung sowie über Sicherheit in Heim und Freizeit und Schule informieren.“
Damit war aber zunächst nur der Startschuss gefallen. Jahre der Planung vergingen jedoch, bis die Deutsche Arbeitsschutzausstellung (DASA) ihre Tore öffnete. 1993 konnten die ersten Besucher das neue Ausstellungsgebäude und die ersten Ausstellungseinheiten in Dortmund besichtigen. Die endgültige Fertigstellung und Eröffnung erfolgte im Rahmen der Expo 2000. Die DASA steht heute in der langen Tradition deutscher Ausstellungen zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz.
Kommentar von höchster Stelle…
„Das Unternehmen hat meine volle Teilnahme, weil ich in ihm ein Mittel sehe, die Fürsorge für die Arbeiter zu fördern und denselben durch Augenschein darzutun, daß ihr Wohl den Arbeitgebern am Herzen liegt.“
Reichskanzler Bismarck zur „Deutschen Allgemeinen Ausstellung für Unfallverhütung“
Autor: Michael Fiedler
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