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Vom DÜV zum TÜV …

Private Helfer im staatlichen Arbeitsschutz
Vom DÜV zum TÜV …

Mannheim.1866. Zwanzig Kesselbe­sitzer schließen sich zu einem Dampfkesselüberwachungsvere­in (DÜV) zusam­men. Man will gemein­sam sachver­ständi­ge Inge­nieure mit der regelmäßi­gen Über­prü­fung der Dampfkessel beauf­tra­gen und so größeren Schä­den vor­beu­gen. Vere­in­szweck ist ein wirtschaftlich­er und vor allem sicher­er Betrieb der Dampfkessel. Der Vere­ins­grün­dung voraus­ge­gan­gen waren langjährige Erfahrun­gen mit ein­er risikobe­hafteten Tech­nik. So hat­ten seit etwa 1840 immer mehr Dampf­maschi­nen ihren nicht immer unge­fährlichen Dienst in den deutschen Lan­den ver­richtet. Par­al­lel dazu war die Zahl der Dampfkesse­l­ex­plo­sio­nen drama­tisch angestiegen.

Dampf­maschi­nen waren im 19. Jahrhun­dert eine prak­tis­che und fortschrit­tliche Tech­nik – sie macht­en Antrieb­sen­ergie über­all ver­füg­bar. Damit waren die Fab­rikher­ren nicht länger auf Wass­er oder Wind als Antrieb­skraft für ihre Maschi­nen angewiesen. Jet­zt kon­nte über­all pro­duziert wer­den, unab­hängig davon, ob die Flüsse zuviel oder zuwenig Wass­er für die Wasser­räder führten, ob sie im Win­ter zufroren oder im Som­mer aus­trock­neten, ob der Wind blies oder eine Flaute die Win­dräder ruhen ließ. Dampf­maschi­nen liefen rund um die Uhr, wenn nötig Tag und Nacht, das ganze Jahr über. Einzige Voraus­set­zung: Es musste genü­gend Kohle her­beigeschafft werden.
Allerd­ings hat­te auch die Dampf­mas­chine bei allen Vorteilen einen gewichti­gen Nachteil: Der Kessel kon­nte explodieren. Und das mit ein­er solchen Wucht, dass von der betrof­fe­nen Fab­rik nur wenig übrig blieb. Von den Kessel­wärtern und Mas­chin­is­ten ganz zu schweigen. Dass diese Tück­en der neuen Tech­nik keineswegs nur the­o­retisch bestanden, zeigt der Bericht des Amt­manns aus Neuenkirchen-Wet­trin­gen an die königliche Regierung in Mün­ster über ein Dampfkesselunglück des Jahres 1862:
  • „Der königlichen Regierung beehre ich mich gehor­samst anzuzeigen, daß am 23. dieses Monats in der mech­a­nis­chen Dampf-Weberei Fab­rik des hiesi­gen Fab­rikbe­sitzers Jus­tus Heck­ig der Dampfkessel an bei­den Enden explodiert ist, wodurch 19 Fab­rikar­beit­er beschädigt, davon augen­blick­lich 3 getödet, bis jet­zt über­haupt 11 gestor­ben und sich noch 8 in ärztlich­er Behand­lung befinden.“
Wirk­lich in den Griff bekom­men hat man dieses Prob­lem zunächst nicht. Als einzige „Schutz­maß­nahme“ ver­fiel man auf die Idee, das Kessel­haus ein wenig Abseits der eigentlichen Fab­rik zu bauen, damit diese im Fall des Fall­es ver­schont blieb.

Kontrolle tut Not

Der preußis­che Staat ver­suchte bere­its 1845 mit ein­er „Genehmi­gungspflicht für Dampfkessel“ sowie dem Gesetz von 1856 „den Betrieb der Dampfkessel betr­e­f­fend“ eine gewisse Kon­trolle über den Bau und auch den Betrieb der Dampfkessel zu gewin­nen. Aber die mit der Begutach­tung, Abnahme und Revi­sion der Dampfkesse­lan­la­gen betraut­en königlichen Baubeamten waren mit dieser anspruchsvollen tech­nis­chen Auf­gabe ganz ein­fach über­fordert. Das meinte jeden­falls der „Vere­in Deutsch­er Inge­nieure“ (VDI), der sich schon kurz nach sein­er Grün­dung 1856 zu diesem Prob­lem äußerte:
  • „Es geht dem­jeni­gen, der den wirk­lichen Betrieb von Dampfkessel-Anla­gen nicht unter seine Leitung gehabt hat, dem also manche Unregelmäßigkeit­en, die während des Betriebes aus ver­schiede­nen Ursachen vorkom­men kön­nen, unbekan­nt sind, die Revi­sio­nen die hierzu nötige Umsicht ab, weil der Man­gel an Erfahrun­gen ihm auf keine Weise erset­zt wer­den kann.“
Und selb­stver­ständlich präsen­tierte der VDI auch einen Lösungsvorschlag: Die Kon­trolle über Bau, Betrieb und Wartung der Dampfkessel sollte an eine frei­willige Vere­ini­gung der Kesselbe­sitzer überge­hen. Schließlich – so die Über­legun­gen des VDI – musste der sichere Betrieb der Dampfkessel auch im Inter­esse der Fab­rikbe­sitzer liegen, war es doch ihr Kap­i­tal, was sich nicht sel­ten in „Schall und Rauch“ auflöste…

Dank Dampfkesselüberwachungsvereinen mehr Sicherheit

1866 kam es dann in Mannheim zum Zusam­men­schluss von 20 Kesselbe­sitzern in einem Dampfkesselüberwachungsvere­in (DÜV). Absicht war, gemein­sam sachver­ständi­ge Inge­nieure mit regelmäßig wiederkehren­den Über­prü­fun­gen der eige­nen Dampfkessel zu beauf­tra­gen, um so größeren men­schlichen und materiellen Schä­den vorzubeu­gen. Als Vere­in­szweck wurde der wirtschaftliche und vor allem sichere Betrieb von Dampfkesseln genan­nt. Daneben bot der DÜV auch eine Ver­sicherung gegen Schä­den, die aus Dampfkesse­l­ex­plo­sio­nen resultierten.
Der Staat bedi­ente sich gern der in den Dampfkesselüberwachungsvere­inen vorhan­de­nen Sachken­nt­nis, ent­lasteten ihn doch die DÜV von Auf­gaben, die er andern­falls selb­st hätte wahrnehmen müssen. 1872 wurde dann das Dampfkesselge­setz neu gefasst. Kern­punkt war die Befreiung solch­er Dampfkesselbe­sitzer von der amtlichen Überwachungspflicht, die sich entwed­er zu Dampfkesselüberwachungsvere­inen mit angestell­ten, amtlich anerkan­nten Überwachungsin­ge­nieuren zusam­mengeschlossen hat­ten oder die bei Erfül­lung beson­der­er Voraus­set­zun­gen für eine Überwachung mit eige­nen Inge­nieuren sor­gen kon­nten. Kaum erlassen, löste das Gesetz eine Grün­dungswelle von Dampfkesselüberwachungsvere­inen aus. Um die Jahrhun­der­twende sorgten im Deutschen Reich dann schon über 30 DÜV für den sicheren Betrieb der gut 80 000 sta­tionären Dampf­maschi­nen in Deutschland.
Die Über­tra­gung von eigentlich staatlichen Auf­gaben an pri­vate Vere­ine funk­tion­ierte so rei­bungs­los, dass sich der Staat in den fol­gen­den Jahren auch auf anderen Feldern der tech­nis­chen Sicher­heit der Überwachungsvere­ine bedi­ente. So übertrug er den Vere­inen unter anderem:
  • ab 1888 die Überwachung von Dampffässern,
  • ab 1906 die Ermäch­ti­gung zur Abnahme und Überwachung aller Gefäße für verdichtete und ver­flüs­sigte Gase sowie aller Aufzüge,
  • ab 1911 die tech­nis­che Überwachung von Kraftfahrzeugen,
  • ab 1925 die Überwachung von Tankan­la­gen für brennbare Stoffe.
Um eine Kon­trolle der Dampfkessel nach ein­heitlichen Maßstäben zu gewährleis­ten, schlossen sich die einzel­nen Überwachungsvere­ine 1884 zum „Zen­tralver­band der Preußis­chen Dampfkessel-Überwachungs-Vere­ine“, dem Vor­läufer der heuti­gen „Vere­ini­gung der Tech­nis­chen Überwachungs-Vere­ine“ (VdTÜV), zusammen.

TÜV heute

Nach wie vor gehören die „Abnahme“ von Kraft­fahrzeu­gen sowie die Kon­trolle von überwachungs­bedürfti­gen Anla­gen nach §24 der Gewer­be­ord­nung zu den Tätigkeits­feldern der Tech­nis­chen Überwachungsvere­ine (TÜV). Geprüft wer­den unter anderem:
  • Dampfkesse­lan­la­gen
  • Druck­be­häl­ter­an­la­gen
  • Druck­gasan­la­gen
  • Rohrfern­leitun­gen
  • Aufzugsan­la­gen
  • elek­trische Anlagen
  • Tankan­la­gen
  • medi­zinisch-tech­nis­che Geräte.
Damit nicht genug ver­fü­gen die Tech­nis­chen Überwachungsvere­ine heute über eine bre­ite Ange­botspalette von Dien­stleis­tun­gen, die von der Indus­trie und den Behör­den, aber auch von ganz „nor­malen“ Bürg­ern genutzt wer­den kann. Dazu gehören unter anderem:
  • die Bere­it­stel­lung über­be­trieblich­er arbeitsmedi­zinis­ch­er und sicher­heit­stech­nis­ch­er Dienste,
  • die Prü­fung tech­nis­ch­er Arbeitsmittel,
  • die Begutach­tung, Prü­fung und Überwachung in der Lärm­bekämp­fung, bei der Rein­hal­tung der Luft, zum Schutz der Gewäss­er, in der Abfall­wirtschaft und bei Gefahrstoffen;
  • Begutach­tung von kern­tech­nis­chen Anlagen,
  • Prü­fung von Lüf­tungs- und Klimaanlage
  • Prü­fung von Kra­nen und Hebezeugen.
Insofern ergänzen TÜV und andere pri­vate Vere­ine die bei­den his­torisch gewach­se­nen Säulen im deutschen Arbeits- und Gesund­heitss­chutz. Eine Säule dieses „dualen Arbeitss­chutzsys­tems“ sind die staatlichen Arbeitss­chutzbe­hör­den, die andere bilden die 1884 im Rah­men des Unfal­lver­sicherungs­ge­set­zes ent­stande­nen Beruf­sgenossen­schaften. Unter­stützt wer­den sie dabei von den Tech­nis­chen Überwachungsvere­inen wie auch vom „Deutschen Kraft­fahrzeugs-Überwachungsvere­in“ (Dekra), der sich bere­its 1925 in Berlin gegrün­det hat. Sie und viele andere ste­hen als einge­tra­gene Vere­ine mit amtlich anerkan­nten Sachver­ständi­gen der Indus­trie bei vie­len Auf­gaben im Bere­ich der Arbeitssicher­heit hil­fre­ich zur Seite.
Autor: Michael Fiedler

Hier finden Sie die weiteren Beiträge aus der Serie „Historie des Arbeitsschutzes“:

Das erste Arbeitss­chutzge­setz von 1839 — Arbeitss­chutz fängt bei den Kindern an!
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/arbeitsschutz-faengt-bei-den-kindern-an/

Von der Fab­rikin­spek­tion zur Gewer­beauf­sicht – Ver­trauen ist gut …
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/vertrauen-ist-gut/

Pri­vate Helfer im staatlichen Arbeitss­chutz – Vom DÜV zum TÜV
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/vom-duev-zum-tuev/

Das Unfal­lver­sicherungs­ge­setz 1884 — Rente statt Revolution …
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/rente-statt-revolution/

Der große Bergar­beit­er­streik 1889 — Ohne mehr „Kohle“ keine Kohle mehr …
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/ohne-mehr-kohle-keine-kohle-mehr/

Das Deutsche Arbeitsmu­se­um – DASA
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/voll-leben-und-bewegung/

His­torisches zum The­ma Berufskrankheiten
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/arbeit-und-krankheit/

Arbeit bis zur Ver­nich­tung, das Beispiel Mit­tel­bau Dora
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/arbeit-bis-zur-vernichtung-das-beispiel-mittelbau-dora/

Arbeitss­chutz in der DDR
https://www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/archiv-sb/zwischen-weltniveau-und-mangelwirtschaft/

 

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