Seit 15. Februar 2008 gelten auch für Musiker niedrigere Grenzwerte für Lärm am Arbeitsplatz. An diesem Datum endete die in der Lärmverordnung vorgesehene zweijährige Ausnahmeregelung für diese Berufsgruppe. Darauf weist die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hin.
Die Verordnung sieht vor, dass die tägliche Schallbelastung den Grenzwert von 85 Dezibel A (85 dB(A)) nicht überschreiten darf. Keine einfach zu erfüllende Forderung, wenn man bedenkt, dass der Dauerschallpegel in einem Symphonieorchester für alle Musiker höher liegt, bei bis zu 90 dB(A) und mehr. Hilfe bieten die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und ihr Institut für Arbeitsschutz BGIA.
Musik ist heilsam für die Seele, aber oft ungesund für die Ohren. So erreicht die mittlere tägliche Schallbelastung eines Posaunisten in etwa den Lärmpegel, den eine Holzfräsmaschine bei ununterbrochenem Betrieb am Ohr des Benutzers erzeugen würde; die Belastung am Ohr des Geigers entspricht immerhin noch dem Geräuschpegel einer permanent betriebenen Heckenschere. Mit hörbaren Folgen: „Im Schnitt erkrankt innerhalb von zehn Jahren einer von 100 Orchestermusikern an einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit“, berichtet Dr. Martin Liedtke, Lärmexperte im BGIA.
Abhilfe ist nötig und möglich. Liedtke: „Im ersten Schritt muss versucht werden, den Lärm nah an der Quelle zu verringern. Dies erreicht man beispielsweise durch bauliche Maßnahmen, die den Orchestergraben vor die Bühne verlegen. Oder man gestaltet das Umfeld der Musiker schalldämpfend; das geht allerdings oft zu Lasten des akustischen Eindrucks im Publikum.“ Auch organisatorische Ansätze helfen, zum Beispiel indem die Orchesterbesetzung bei Aufführungen wechselt oder das Probenensemble auf die jeweils erforderlichen Instrumente begrenzt wird. Ist das nicht möglich oder ausreichend, muss der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen ergreifen. Hierzu zählen insbesondere durchsichtige Schallschutzschirme zwischen den Instrumentengruppen eines Orchesters.
Gehörschutz passend zum Instrument
Letztes, aber oft notwendiges Mittel ist schließlich ein persönlicher Gehörschutz. Hier erleichtert das BGIA die Auswahl mit einem einfachen Programm, das im Internet unter
kostenlos zur Verfügung steht.
Es ist auf die besonderen Bedürfnisse von Orchestermusikern zugeschnitten. Mit wenigen Mausklicks erhält der Musiker Informationen darüber, welcher Gehörschutz für sein Instrument und Tätigkeitsprofil geeignet ist. Auf Wunsch bietet das Programm zwei verschiedene Gehörschutztypen an, zum Beispiel Bügelstöpsel für die Probe und eine Otoplastik für die Aufführung. Gleichzeitig erhält der Nutzer Angaben zur wöchentlichen Schallbelastung mit und ohne Gehörschutz.
„Ein gesundes Gehör ist das Kapital jedes Berufsmusikers“, weiß Arbeitsschützer Liedtke. „Die Unfallversicherungsträger helfen, dieses Kapital zu erhalten.“
Hoher Schalldruck in kleinen Räumen
Interview
Die Lärmbelastung von Orchestermusikern ist in hohem Maß von den Räumlichkeiten abhängig. Dies zeigt das Beispiel des sanierungsbedürftigen Heidelberger Theaters, das in naher Zukunft umgebaut werden soll. Die Situation erläutert im Interview Ivica Fulir, Technischer Direktor des Theaters und Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg.
Wie ist die Situation zur Zeit für die Orchestermusiker im Heidelberger Theater?
Fulir: Ein Grund für gesundheitsgefährdende Lautstärken sind zu kleine Räume, in denen sich zwangsläufig hoher Schalldruck aufbaut. In der Städtischen Bühne Heidelberg trifft dies im Bestand für praktisch alle Arbeitsräume im musikalischen Betrieb zu. Der Orchestergraben zum Beispiel wurde immer weiter überbaut, beziehungsweise unter die Bühne gezogen. So wurde zwar etwas Fläche für die Musiker geschaffen, aber der Klang kann so kaum noch nach oben entweichen (der überbaute Anteil liegt in Heidelberg bei circa 50 Prozent der Orchestergrabenfläche).
Der Orchesterprobenraum ist ebenfalls zu klein, insbesondere was das Volumen betrifft. Bei der Bemessung von Orchesterprobenräumen wird übrigens gerne vergessen, dass eine regelmäßige Zusammenarbeit mit Chören stattfindet und dafür dann der Raum entsprechend größer ausfallen muss! Der Chorprobenraum ist in Heidelberg auch viel zu klein …
Ist es überhaupt möglich, in den derzeitigen Räumlichkeiten die Lärmverordnung in der Praxis umzusetzen?
Fulir: Eigentlich nicht. An anderen Theatern versucht man zum Beispiel, mit anderen Orchesteraufstellungen Verbesserungen zu erreichen. In manchen Orchestern werden auch kleine Wände zum Beispiel vor Blechbläser aufgestellt, um zumindest den Direktschall auf die davor sitzenden Musiker zu verringern. In Heidelberg findet beides mangels zu geringer Flächen derzeit aber nicht statt. Die Orchesteraufstellung wird praktisch immer über die zu geringe Fläche bestimmt, die im baulichen Bestand des Heidelberger Theaters das alles andere überlagernde Problem ist.
Wie sieht es mit persönlichen Schutzmitteln aus? Wenden die Musiker sie an?
Fulir: Ein Teil der Musiker trägt persönliche Schutzmittel, in der Regel Otoplastiken. Dies geht aber nicht bei allen. Bläser klagen zum Beispiel über Probleme mit dem Druckausgleich. Allgemein wird die verringerte Möglichkeit sich selbst und die Mitspieler in vollem Tonumfang zu hören (um sich im Gesamtklang orientieren zu können) beklagt. Bei sehr leisen Passagen wirken die Schutzmittel absolut – also werden sie dann nicht genutzt. Wenn nun leise und laute musikalische Anteile dauernd wechseln, bleibt das Gehör mangels Zeit sich entsprechend einzurichten dann auch in den lauten Passagen ungeschützt. Das heißt, eine volle Einhaltung der Grenzwerte ist derzeit in der Praxis nicht umsetzbar.
Gibt es noch keinen geeigneten Schutz?
Fulir: Vielleicht hilft zukünftig ja die Elektronik weiter. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass moderne InEar Hörgeräte bei entsprechender Ausführung und Software auch umgekehrt zu ihrem ursprünglichen Zweck genutzt werden könnten und dann so geregelt werden, dass sie in Echtzeit abhängig von der Eingangslautstärke dämpfen – oder eben nicht. Da die Lärmbelastung ja auch abhängig ist von Ruhezeiten des Gehörs könnte auch versucht werden, die Dienstplangestaltung daran zu orientieren, dass nach einer bekannt lauten Aufführung oder Probe entsprechende Erholungszeiten unabhängig von tariflichen Regelungen vorgesehen werden.
Wie wird der Lärmschutz bei der anstehenden Theatersanierung berücksichtigt?
Fulir: Die räumlichen Vorgaben an die Architekturbüros, die sich am Wettbewerb zur Theatersanierung in Heidelberg beteiligen, orientieren sich an den aktuellsten Untersuchungen zu Flächen- und Volumenbedürfnissen von Musikern. Alle künftigen Räume werden im Vergleich zum Bestand viel größer bemessen. Zum Beispiel wird der Orchestergraben (maximal 1/3 der Fläche als überdachte Fläche), der derzeit 76 qm groß ist, in einer Größe von 102 qm geplant. Der Orchesterprobenraum ist jetzt 150 qm groß, geplant wird er auf 260 qm. Der Chorprobenraum, derzeit 52 qm, ist geplant auf 120 qm.
Aber nicht nur die Flächen sind erweitert, die Räume sind auch höher, so dass ihre Volumina entsprechend größer ausfallen. Insofern kann ich mit großer Sicherheit sagen, dass dem Lärmschutz als bauliche Voraussetzung Rechnung getragen wird. Alle an der Planung Beteiligten waren sich auch bewusst, dass eine umfangreiche Sanierung Baulichkeiten setzt, die voraussichtlich für Jahrzehnte Bestand haben müssen und im Nachhinein nicht erweiterbar sein werden. Es wurde daher sehr viel Wert darauf gelegt diese Baulichkeiten entsprechend der realen Notwendigkeiten zu bemessen.
„Tinnitus während des fliegenden Holländers“
Interview
Wie sieht es in der Praxis aus? Welchen Belastungen sind Musiker ausgesetzt, empfinden sie ihre Musik überhaupt als „Lärm“? Und wie schützen sie sich? Sicherheitsbeauftragter sprach mit dem Klarinettisten und Vorstand des Phil-harmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg, Detlev Mitscher.
Herr Mitscher, wie sind Sie im Philharmonischen Orchester der Stadt Heidelberg von Lärm betroffen?
Mitscher: Jeder von unseren Orchesterkollegen ist auf sehr unterschiedliche Weise betroffen von der Lautstärke unserer eigenen Musik. (Es fällt mir schwer hier von Lärm zu sprechen). Abhängig von Raum, Sitzordnung und natürlich der jeweiligen gerade gespielten Werke treten unterschiedliche Probleme auf.
Welche Probleme sind das?
Mitscher: In unserem Probenraum im Theater sind in erster Linie (bei Werken von Bruckner, Strauß oder auch zeitgenössischen Komponisten) die tiefen Streicher (Kontrabässe, Celli sowie Bratschen, besonders die hinteren Pulte) durch die Blechbläser betroffen. Die wiederum ereilt gemeinsam mit der hinteren Holzbläserreihe (Klarinetten, Fagotte und Hörner) das gleiche Schicksal durch die dahinter stehenden Schlagzeuger. Natürlich sind alle Kollegen betroffen, wenn man den hohen Schalldruck bedenkt, der durch den relativ zur Orchestergröße kleinen Raum und die zu niedrige Decke entsteht. Auch kann eine sehr hoch komponierte Piccoloflöte den Kollegen der zweiten Violine zum Verhängnis werden. Wie bereits geschehen bei Wagners „Fliegender Holländer“, wo sich eine Kollegin wegen eines Tinnitus in sofortige Behandlung begeben musste. In meiner 14-jährigen Dienstzeit sind bereits drei Kollegen mit schweren Hörschäden teils früher in Pension gegangen.
Wie schützen Sie sich?
Mitscher: Die einzige Möglichkeit, sich dieser Lautstärke zu entziehen, ist sich die Ohren zuzuhalten. Dass das nicht während des Spiels möglich ist, ist einleuchtend. Heute kann man das Problem mit persönlich angepassten Ohrstöpseln lösen, die aber den Nachteil haben, wiederum durch das Instrument bedingt, dass man sich selbst sehr schlecht wahrnimmt und somit keine Kontrolle mehr über das eigene Spiel hat. Deswegen sind diese Hilfsmittel nur für sehr laute tutti-Stellen zu gebrauchen, aber nicht für heikle Solostellen.
Die Interviews führte
Verena Manek
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