Ob Busfahrer, Arzt oder Fließbandarbeiter – mehr als acht Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten nachts – vor allem jüngere Männer. Für lukrative Zuschläge nehmen sie eine höhere Belastung in Kauf – bei der Arbeit, aber auch im Privatleben.
Es gibt zahlreiche Berufszweige, in denen rund um die Uhr gearbeitet wird. Am stärksten verbreitet ist Nachtarbeit im produzierenden Gewerbe, im Gesundheitswesen, im Gastgewerbe und im Bereich Verkehr. Vor allem in Großstädten hat der Arbeitstag oft 24 Stunden, neuerdings auch in Kindertagesstätten, Autowerkstätten oder Fitness-Centern.
Service und Dienstleistungen kennen keinen Feierabend mehr und die Sicherheit erfordert ebenfalls Einsätze weit nach Mitternacht. Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten im vergangenen Jahr in Deutschland 8,3 Prozent der Erwerbstätigen ständig oder regelmäßig nachts, weitere 6,2 Prozent gelegentlich oder teilweise.
Kurz vor Mitternacht geht’s los
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt Schichtarbeit. Die Nachtschicht beginnt um 23 Uhr und endet morgens um sechs. Wer wenigstens zwei Stunden innerhalb dieses Zeitfensters tätig ist, gilt als Nachtarbeiter. Generell darf jede und jeder erwachsene Erwerbstätige nachts arbeiten. Schwerbehinderte sind von Schichtarbeit befreit. Jugendliche zwischen dem 15. und bis zu Beginn des 18. Lebensjahres dürfen zwischen 20 und 6 Uhr nicht arbeiten. Aber es gibt Ausnahmen, etwa für das Bäckerhandwerk.
Manche empfinden die nächtliche Arbeitszeit als ideal: Im Arbeitsumfeld ist es meist ruhiger als am Tage. Da weniger Arbeitskräfte im Einsatz sind, kann und muss der Einzelne selbständiger arbeiten. Das bedeutet mehr Entscheidungsfreiheiten und mehr Verantwortung, zum Beispiel wenn es darum geht, sich die Arbeit einzuteilen. Nicht zuletzt bieten Nacht- oder Zeitzuschläge, die als Freizeit „ausbezahlt“ werden, einen zusätzlichen Anreiz. Doch wer dauernd in der Nacht arbeitet, sollte auf sich aufpassen. Die Gesundheit leidet fast immer darunter.
Menschen sind tagaktive Wesen
Das Gesetz schreibt eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit vor. Nachtarbeit widerspricht der menschlichen Natur und dem gesetzlichen Grundsatz. Von Natur aus ist der Menschen tagaktiv und muss sich nachts erholen. Organe und Stoffwechsel reagieren auf Tag und Nacht beziehungsweise auf hell und dunkel.
Der Körper wird nachts gedrosselt:
- Am Abend wird das Hormon Melatonin im Körper ausgeschüttet und lässt uns müde werden.
- Die Luftzufuhr reduziert sich um bis zu 60 Prozent. Asthma-Anfälle treten deshalb häufiger in der Nacht auf.
- Der Übergang zwischen Magen und Speiseröhre lockert sich. Das kann dazu führen, dass mehr saurer Magensaft aufstößt.
- Die Darmtätigkeit geht zurück.
- Zwischen 3 und 5 Uhr senkt auch das Gehirn seine Leistung.
- Schläft man zu wenig, ändern sich die hormonellen Verhältnisse. Der Körper verlangt kohlenhydratreiche Nahrung.
Wer regelmäßig in der Nacht arbeitet, verschiebt seinen biologischen Rhythmus. Das hat gesundheitliche Folgen. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Belastungen und die Zunahme bestimmter Krankheiten zusammenhängen. So wurde unter anderem belegt, dass sich Nachtarbeit negativ auf die Schlafqualität auswirkt. Vor allem Dauernachtschichtler leiden an Schlafproblemen, aber auch bei Schichtarbeitern liegen die Werte deutlich über dem Bevölkerungsschnitt. Nachgewiesen wurden auch Magen-Darm-Beschwerden und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zu den weiteren Beschwerden zählen Appetitstörungen, innere Unruhe oder Depressionen sowie ein erhöhtes Krebsrisiko.
Aber auch psychische Belastungen erhöhen das Risiko, seelisch oder körperlich zu erkranken. Viele empfinden zum Beispiel den wenigen Kontakt zu Freunden und Bekannten als Stress. Wer nachts arbeitet, fühlt sich oft ausgeschlossen. Nachtarbeiter können weniger am sozialen Leben teilnehmen. Aber auch unbewältigte Probleme zu Hause oder am Arbeitsplatz sind typisch für Schicht- und Nachtdienstler.
Verhaltensregeln für Nachtarbeiter
- Finden Sie Ihren eigenen Rhythmus und halten Sie ihn konsequent ein.
- Machen Sie gegen Morgen öfter Pause oder schalten Sie in einem Ruheraum ab.
- Tragen Sie auf dem Heimweg aus der Nachtschicht eine Sonnenbrille, um zur Ruhe zu kommen.
- Gehen Sie bald in einem abgedunkelten Raum schlafen.
- Achten Sie auf die Temperatur im Schlafzimmer, sie sollte nur 16 bis 18 Grad betragen.
- Das Schlafzimmer sollte in einem ruhigen Teil Ihrer Wohnung liegen.
- Stöpseln Sie das Telefon aus, stellen Sie das Handy auf stumm, tragen Sie eventuell Ohrstöpsel.
- Schlafen Sie mindestens sieben Stunden, auf höchstens zwei Etappen verteilt.
- Treffen Sie sich an freien Tagen mit Freunden und Bekannten.
- Wenn Sie älter als 50 Jahre sind, sollten Sie besser in die Tagschicht wechseln.
Fit durch richtige Ernährung
Wer nachts arbeitet, sollte regelmäßig sechs Mahlzeiten pro Tag zu sich nehmen, eine davon gemeinsam mit der Familie. Zu Hause sollten vor allem frische Lebensmittel wie Salate, Gemüse und Fisch auf den Tisch kommen. Für das Abendessen empfiehlt sich leichte Kost, die am besten noch zu Hause gegessen wird. Während der Nacht gibt es dann zwei kleine, leicht verdauliche Portionen, da der Magen-Darm-Trakt im Ruhezustand ist. Um Mitternacht tut eine warme Mahlzeit gut – mindestens aber ein heißer Tee oder eine Brühe. Die Flüssigkeit pro Tag – ideal sind Mineralwasser, Saftschorle, ungesüßter Kräutertee – sollte mindestens zwei Liter betragen.
- Da nur wenig Magensäure produziert wird, sollte nachts auf fettiges oder scharfes Essen verzichtet werden.
- Süßigkeiten machen nur kurzfristig wach. Danach fällt der Blutzuckerspiegel rapide. Von den Kalorien hat man jedoch sehr lange etwas in Form von überschüssigen Pfunden.
- Zwei bis drei Tassen Kaffee während der Schicht sind genug.
Gegen morgen halten Brot mit Quark oder Müsli fit. Zu Hause gibt es dann ein kleines Frühstück, bevor es ins Bett geht.
Betriebe sorgen für Nachtarbeiter
- Wer nachts arbeitet, braucht es hell.
- Künstliches Licht mit einem hohen Blauanteil hilft, weniger müde zu werden.
- Der Nachtarbeiter muss essen können und Gelegenheit haben, sich auszuruhen.
- Für Dauernachtarbeiter sollte der Arbeitgeber für den Transport vom und zum Arbeitsplatz sorgen.
Nachtarbeitnehmer können sich vor Beginn der Beschäftigung und danach in regelmäßigen Abständen von drei Jahren auf Kosten des Arbeitgebers arbeitsmedizinisch untersuchen lassen. Ab dem 50. Lebensjahr findet die Untersuchung jährlich statt.
Nachtarbeit verändert die Arbeitsbelastung und wirkt sich auch auf das Privatleben aus. Damit die Beschäftigten gesund bleiben, sollten die Arbeitszeitmodelle im Betrieb nach gesetzlichen und tariflichen Rahmenbedingungen gestaltet sein. Um langfristig gesund zu bleiben, sollten nur zwei bis drei Nächte pro Schicht in Folge gearbeitet werden. Danach braucht es mindestens zwei normale Nächte, um sich wieder auf den Tagrhythmus umzustellen und das Schlafdefizit abzubauen. Vorwärts rotierende Schichten werden dabei besser vertragen. Entwickeln Unternehmer ihre Arbeitszeitmodelle gesundheitsverträglich, berücksichtigen sie sowohl die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse als auch die Bedürfnisse und Wünsche der Beschäftigten hinsichtlich der Lage und Dauer der Arbeitszeit.
Ohne Nachtarbeiter geht es schon lange nicht mehr. Doch es gibt auch Gründe, sich in den Tagdienst versetzen zu lassen. Wenn keine dringenden betrieblichen Erfordernisse dagegen sprechen, kann dies in Anspruch nehmen, wer
-
- laut arbeitsmedizinischer Untersuchung seine Gesundheit gefährdet,
- ein Kind unter zwölf Jahren im Haushalt oder
- einen schwerpflegebedürftigen Angehörigen hat, dessen Betreuung nicht gesichert ist.
Erhöhte Unfallgefahr während der Friedhofsschicht
In der Stunde der Wölfe, zwischen drei und vier Uhr nachts, leben Schichtarbeiter gefährlich, weil der menschliche Organismus dann seinen absoluten Tiefpunkt erreicht, erklärt Prof. Dr. Jürgen Zulley vom Schlafmedizinischen Zentrum in Regensburg. SB-Redakteurin Nadine Röser sprach mit ihm über die Ursachen des erhöhten Krankenstandes bei Nachtdienstlern.
Warum erkranken Nachtarbeiter wesentlich häufiger als Tagarbeiter?
Prof. Zulley: Nachtarbeiter leben und arbeiten im biologischen Dunkel, ihr Biorhythmus stellt sich nicht um. Die innere Uhr steuert den biologischen Rhythmus. Helles Tageslicht von 2000 bis 3000 Lux synchronisiert den Biorhythmus mit unserem 24 Stunden Tag-Nacht-Wechsel. Ein Bürolicht von 500 bis 600 Lux kann dies nicht leisten. Das Problem bei der Nachtarbeit ist die Desynchronisation des Biorhythmus – mit anderen Worten, der Schichtarbeiter versucht tagsüber zu schlafen, während sein Organismus auf Aktivität geschaltet hat und arbeitet in der Nacht, während der Organismus schläft. Hinzu kommt, dass der Schlaf am Tag weniger erholsam ist als in der Nacht. Des weiteren scheint das Hormon Melatonin für den erhöhten Krankenstand bei Schichtarbeitern mitverantwortlich zu sein. Im Dunkel der Nacht stellt es den Körper auf Ruhe um, wohingegen helles Licht seine Ausschüttung verhindert. Melatonin soll unter anderem das Wachstum bestimmter Tumore fördern.
Zu welcher Uhrzeit erreicht der Organismus seinen absoluten Tiefpunkt?
Prof. Zulley: Zwischen drei und vier Uhr in der Nacht, dann ist auch das Unfallrisiko am Arbeitsplatz am höchsten. Zu dieser Zeit herrscht die biologische Geisterstunde. Im Englischen sagt man „grave-yard shift“, zu Deutsch „Friedhofsschicht“. Hierzulande nennt man diese Phase „Stunde des Wolfs“, Seeleute schimpfen sie „Hundewache“.
Oftmals gibt es keine Alternative zur Nachtarbeit. Lässt sich das Schichtsystem denn humanisieren?
Prof. Zulley: Ich sehe da im Wesentlichen zwei Ansatzpunkte. Zum einen sollte eine Selektion der Beschäftigten stattfinden, denn nicht jeder Mensch eignet sich für die Schichtarbeit. Personen über 50 Jahre kommen nicht in Frage, weil sie für bestimmte Krankheiten anfälliger sind als ihre jüngeren Kollegen. Zudem scheiden Menschen mit psychiatrischen oder Magen-Darm-Erkrankungen aus. Dasselbe gilt für chronisch Kranke wie Diabetiker, weil Nachtarbeit das Immunsystem negativ beeinflusst. Bei der Auswahl der Nachtarbeiter sollten auch die Chronotypen ins Gewicht fallen. So gibt es beispielsweise Abend- und Morgentypen. Junge, gesunde Menschen können am ehesten die Nacht zum Tag machen. Allerdings sollten sie nicht länger als fünf bis sechs Jahre im Schichtdienst tätig sein.
Die Realität sieht aber anders aus …
Prof. Zulley: In der Tat. Dauernachtschichten werden im Übrigen besser vertragen als Wechselschichten. Aber wenn sich der Wechsel nicht vermeiden lässt, sind kurz rotierende Schichten am empfehlenswertesten, da sich unser Biorhythmus sowieso nicht umstellt. Zudem lässt sich der Übergang Früh-Spät-Nacht am leichtesten bewältigen, weil sich der biologische Rhythmus eher verlängern als verkürzen lässt. Kurze Rotationen werden allerdings von der Belegschaft weniger akzeptiert als lange. Wechselt die Schicht im Wochenrhythmus, kann der Beschäftigte seine Freizeit besser planen. Bei einer großen Anzahl von Nachtdienstlern schlagen ohnehin die monetären Aspekte die gesundheitlichen. Sie schieben Nachtdienst aus finanziellen Gründen und schlagen Präventionsmaßnahmen in den Wind.
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