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Arbeits- und Gesundheitsschutz genießen bei vielen Führungskräften noch immer keinen ausreichend hohen Stellenwert. Zwar werden die Vorschriften zum Schutz der Beschäftigten vor Unfallgefahren und Gesundheitsbelastungen befolgt, sobald die prekäre Sicherheitslage auch für Arbeitsschutzlaien erkennbar ist. Weniger spektakuläre Gefahren oder gesundheitliche Belastungen gelten hingegen als hinnehmbar, solange ihre Beseitigung keine nennenswerte Kosten verursacht. Mitarbeiter, die wegen dieser Belastungen bzw. ihrer Folgen ihren Arbeitsplatz aufgeben mussten oder früh berentet wurden, konnten ja meist leicht ersetzt werden – das Angebot an geeigneten Kräften war groß.
Unfallkasse Hessen Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Sabine Longerich Leonardo-da-Vinci-Allee 20 60486 Frankfurt am Main Unfallkasse Hessen Leitung Prävention Dr. Torsten Kunz Leonardo-da-Vinci-Allee 20 60486 Frankfurt am Main
Dieser Weg scheidet aber aufgrund des demografischen Wandels zukünftig aus, so dass insbesondere der öffentliche Dienst versuchen muss, die Beschäftigten möglichst lange und möglichst gesund im Betrieb zu halten.
Der demografische Wandel
Seit dem Jahr 2006 scheiden zunehmend die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegsgeneration aus dem Erwerbsleben aus. An ihre Stelle rücken die zahlenmäßig deutlich schwächeren Jahrgänge der 80er und 90er Jahre. Vergleicht man z. B. die Jahrgangsstärken der 60-jährigen mit denen der 20-jährigen, so klaffte 2006 erstmals eine Lücke von rund 73.000 Personen. Diese Lücke steigt Jahr für Jahr an und erreicht 2025 eine Zahl von über 640.000 Personen. Addiert man die fehlenden Personen auf, so kommt man bis zum Jahr 2021 auf rund 4,4 Millionen, bis zum Jahr 2025 sogar auf rund 6,7 Millionen Personen, die dem Arbeitsmarkt potentiell weniger zur Verfügung stehen (Quelle: Statistisches Bundesamt 2007). Sicher wird ein Teil der Lücke durch die Einstellung bisher Arbeitsloser oder durch eine höhere Erwerbsquote von Frauen geschlossen werden können. Es liegt aber auf der Hand, dass ein Wettbewerb der Unternehmen insbesondere um qualifizierte Arbeitskräfte entstehen wird. Dieser existiert bereits in einigen Branchen (z. B. IT-Spezialisten oder Ingenieure), wird sich aber noch deutlich ausweiten.
Situation im öffentlichen Dienst
Galten Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst in Krisenzeiten wegen ihres er-
höhten Kündigungsschutzes als attraktiv, werden in Zeiten, in denen qualifizierte Bewerber unter mehreren Angeboten wählen können, auch die Schattenseiten des öffentlichen Dienstes deutlich. So fielen die Gehaltssteigerungen in den letzten Jahren deutlich geringer aus als in der Privatwirtschaft. Zudem liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit höher. Durch den massiven Stellenabbau in den Einrichtungen des öffentlichen Dienstes (im kommunalen Bereich rund 20 % in den letzten zehn Jahren; Quelle: FR vom 10.1.2008) fand zudem eine Arbeitsverdichtung statt. Zudem nahm durch die vielen Ausgliederungen das Gefühl der Sicherheit für viele Beschäftigte ab.
Es verwundert daher nicht, dass es bereits jetzt in einigen technischen Berufen schwer bis unmöglich ist, Stellen in kommunalen Betrieben oder Landeseinrichtungen mit besonders qualifiziertem Personal neu zu besetzen.
Der öffentliche Dienst verfügt bereits heute über motivierte Beschäftigte mit hohem Ausbildungsniveau. Er ist somit gut beraten, den Beschäftigten Arbeitsbedingungen zu bieten, die es ihnen ermöglichen, ihre Berufe bis zum Rentenalter (selbst mit 67) gesund auszuüben. Hierbei spielt der Arbeits- und Gesundheitsschutz eine Schlüsselrolle.
Arbeits- und Gesundheitsschutz als Mittel der Wahl
Arbeits- und Gesundheitsschutz galt auch im öffentlichen Dienst lange Zeit als Kostenfaktor ohne sofort erkennbaren Nutzen für die Arbeitgeber. Konnten Beschäftigte ihren Beruf nicht mehr ausüben, machten Altersteilzeitmodelle den Wechsel in den Ruhestand für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen attraktiv. Die Stellen blieben nicht lange unbesetzt, da eine Vielzahl qualifizierter Bewerber – auch aus der Privatwirtschaft – als Ersatz bereit stand. Dieser Weg ist zukünftig verbaut, da neues Personal zu den jetzigen Konditionen insbesondere in den prosperierenden Ballungsräumen nur schwer zu gewinnen sein wird. Daher wird der Arbeits- und Gesundheitsschutz das Mittel der Wahl sein, die Beschäftigtenzahl und damit die verbundene Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu sichern.
Arbeits- und Gesundheitsschutz beinhaltet dabei nicht nur die Beseitigung oder Minimierung von Unfallrisiken. Er ist im Gegenteil umfassend zu verstehen. Dazu gehört auch die Minimierung gesundheitlicher Belastungen aus dem Arbeitsleben und sogar eine Verbesserung von Faktoren wie Betriebsklima oder soziale Unterstützung. Gesundheit wird (im Sinne der Definition der Weltgesundheitsorganisa-tion WHO) hierbei nicht als Abwesenheit von Krankheit betrachtet, sondern als Zustand eines unfassenden körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens.
Was können Arbeitgeber tun, um ihre Beschäftigten gesund zu erhalten?
Zur Erhaltung der Gesundheit gibt es keinen „Königsweg“. Es gibt aber einige Faktoren, die dazu beitragen:
• Gut organisiertes Unternehmen
Zwischen Sicherheit, Gesundheit und Qualität gibt es einen deutlichen Zusammenhang. Je besser ein Unternehmen organisiert ist, desto geringer sind üb- licherweise die Unfallbelastung und die Arbeitsunfähigkeits-Quote und desto höher die Arbeitsqualität und Kundenzufriedenheit. Daher müssen in allen innerbetrieblichen Abläufen (z. B. Beschaffung von Möbeln, Änderung von Arbeitsverfahren) Überlegungen auch zu den Auswirkungen auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz angestellt werden. Arbeitgeber, denen es gelingt, eine gut durchdachte Aufbau- und Ablauforganisation einzu-führen und den Arbeits- und Gesundheitsschutz hierbei zu berücksichtigen, haben schon einen ersten Schritt zum Ziel „Gesundheit der Mitarbeiter“ gemacht.
• Gefährdungsbeurteilung mit Leben erfüllen
Gefährdungen und Belastungen können sich aus sehr unterschiedlichen Faktoren ergeben, z.B. aus der Qualität der Baulichkeiten, Arbeitsverfahren, Arbeitsmittel oder aus Umgebungsfaktoren wie Lärm und Klima. Daher fordert das Arbeitsschutzgesetz, für jeden Arbeitsplatz die Gefährdungen und Belastungen indivi-duell zu ermitteln und Maßnahmen zur Beseitigung von Mängeln einzuleiten. Eine umfassende und stets aktualisierte Beurteilung der Gefährdungen und Belastungen ist damit der beste Garant, keinen Belastungsfaktor übersehen zu haben.
Daher sind Unternehmen, die die Gefährdungsbeurteilung wirklich „leben“ lassen, im Vorteil gegenüber solchen, die nur „pro forma“ über eine Gefährdungsbeurteilung verfügen.
• Schaffung von Freiräumen
In der Arbeitsschutzforschung ist vielfach belegt, dass Menschen an Arbeitsplätzen mit viel persönlichem Freiraum selbst hohe Arbeitsbelastungen ohne Probleme bewältigen, da ihnen ihre Arbeit Spaß macht. Sie gehen auch Probleme aktiv an und sind bei deren Lösung sehr kreativ. Sind die Freiräume bei der Arbeit hingegen gering, leidet meist die Qualität der Arbeit und auch das Engagement der Beschäftigten. An solchen Arbeitsplätzen ist die Abwesenheitsquote meist hoch.
Daher sind alle Instrumente, die die Freiräume der Beschäftigten bei der Arbeit inhaltlich oder formell erhöhen, auch im Interesse der Arbeitgeber. Beispiele hierfür sind z. B. individuelle Arbeitszeitmodelle, die Möglichkeit von Telearbeit, eine Zuständigkeit für eine Arbeitsaufgabe oder weitgehende Autonomie bei Entscheidungen.
• Minimierung von Stressoren
Es ist weder notwendig noch sinnvoll und möglich, alle Stressoren an Arbeitsplätzen zu eliminieren. Zu geringe Anforderungen (Abwesenheit aller Stressoren) sind nicht gesundheitsförderlich, sondern machen die Betroffenen unzufrieden.
Sinnvoll und möglich ist es aber, gezielt die Stressoren zu minimieren, die von den Beschäftigten als besonders belastend angesehen werden. Neben den bereits erwähnten geringen Freiräumen und einer schlechten internen Arbeitsorganisation sind dies vor allem unklare Arbeits- aufträge, permanenter Zeitdruck sowie zwischenmenschliche Konflikte, die sich teilweise in Form von Mobbing manifestieren. Hier sind die jeweiligen Führungskräfte gefragt: Gelingt es ihnen, die Arbeit gut zu strukturieren und Freiräume gemäß der individuellen Voraussetzungen zuzulassen, gleichzeitig aber zwischenmenschliche Konflikte im Team zu entschärfen und ein echtes Interesse an ihren Mitarbeitern zu zeigen, bestehen gute Voraussetzungen, die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten.
• Soziale Unterstützung
Die Forschung zeigt: Insbesondere bei hohen psychischen Belastungen (zum Beispiel durch Mobbing oder durch Traumatisierungen am Arbeitsplatz) ist die soziale Unterstützung von Vorgesetzten und Kollegen ein probates Mittel, die Situation der Betroffenen deutlich zu verbessern. Soziale Unterstützung kann man nicht verordnen. Es ist aber möglich, Stellen im Betrieb einzurichten, an die sich Betroffene vertrauensvoll wenden können. Ansonsten lässt sich der Zusammenhalt von Teams durch gemeinsame Aktivitäten, beispielsweise Betriebliche Gesundheitsförderung, verbessern.
• Betriebliche Gesundheitsförderung
Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung vereinen mehrere Vorteile in sich: Der physische Gesundheitszustand wird bei den Teilnehmern verbessert und möglichen Krankheiten – insbesondere den Herz-Kreislauf und Muskel-Skeletterkrankungen – vorgebeugt. Hierbei ist es wichtig, differenzierte Angebote (Anfänger/Fortgeschrittene, Mannschaftssport/Individualsport) zu machen, um den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmer gerecht zu werden. Ähnlich wichtig wie die Wirkung auf den Körper ist aber die Wirkung auf das Gemeinschaftsgefühl und die bereits beschriebene soziale Unterstützung: Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung beinhalten immer Kontakte zu anderen Beschäftigten – oft über die Grenzen der eigenen Abteilung hinaus. Diese informellen Kontakte und Informationen sind auch für den Arbeitgeber positiv, da in großen Institutionen der Informationsfluss zwischen Abteilungen häufig nicht optimal ist.
• Ältere Beschäftigte
Hat man das Ziel, Beschäftigte bis zur Rente gesund im Betrieb zu halten, müssen die Arbeitsplätze auch an die besonderen Bedürfnisse älterer Beschäftigter angepasst sein. Ältere Beschäftigte sind im Endergebnis ebenso leistungsfähig wie jüngere. Beide Gruppen haben aber spezifische Stärken und Schwächen, die man berücksichtigen muss. So können ältere Beschäftigte meist auf große Erfahrung zurückgreifen, die es ihnen ermöglicht, Aufgaben gut zu lösen. Sie haben im Laufe ihres Arbeitslebens auch die Arbeit im Team gelernt. Auf der anderen Seite lassen in der Regel die Sinne (Hören und Sehen) nach; auch die Reaktionsgeschwindigkeit, Körperkraft und Stressresistenz sind geringer als bei Jüngeren. Gerade die Einschränkung der Wahrnehmung und der Kraft lässt sich durch eine ergonomische Ausstattung von Arbeitsplätzen gut ausgleichen. Auch ist die Kompensation anderer Schwächen durch eine entsprechende Organisation der Arbeit gut möglich.
• Arbeitgeber müssen rechtzeitig handeln
An der Neuentdeckung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes als besonders wichtiger Faktor der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes führt kein Weg vorbei. Da die Auswirkungen des demografischen Wandels nicht auf einen Schlag einsetzen, sondern sich Jahr für Jahr steigern, ist es jetzt noch möglich, sich vorzubereiten. Der Aufbau eines wirksamen Systems des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes benötigt Zeit. Es besteht daher sofortiger Handlungsbedarf, wenn das Thema „Gesundheit“ im Betrieb bisher keine wichtige Rolle spielte.
Im Bezug auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz decken sich die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Somit kann der demografische Wandel durchaus als Chance betrachtet werden, gemeinsam den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz neu zu beleben. Die Unfallkasse Hessen berät ihre Mitglieder gerne zu den angesprochenen Problemen und schlägt im Einzelfall auch wirksame Maßnahmen vor.
Dr. Torsten Kunz
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