Kein anderes Objekt symbolisiert die Erste Hilfe so sehr wie der Verbandkasten. Jedem ist er bekannt, doch längst nicht alle wissen mit ihm umzugehen. Die Erfahrungen in der Aus- und Weiterbildung zeigen, dass Ersthelfer Umfang, Funktion und Bezeichnung der Verbandmittel oftmals nicht kennen – obwohl Erfolg und Güte der Erstversorgung vom Einsatz der richtigen Verbandstoffe abhängen.
Aufgrund der herausragenden Bedeutung des Betriebsverbandkastens einerseits und seiner mangelhaften Handhabung andererseits, werden im Folgenden neben organisatorischen Grundlagen (z.B. Aufbewahrung und erforderliche Anzahl der Verbandkästen) ausgewählte beziehungsweise häufig hinterfragte Verbandmaterialien sowie deren Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten vorgestellt.
Kennzeichnung und Aufbewahrung
Der Aufbewahrungsort von Erste Hilfe-Material wie dem Verbandkasten ist nach der Unfallverhütungsvorschrift „Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung am Arbeitsplatz“ (BGV A8) durch ein weißes Kreuz auf quadratischem oder rechteckigem grünen Feld mit weißer Umrandung (Rettungszeichen „Erste Hilfe“) zu kennzeichnen. Besonders in Fluren empfiehlt es sich, in den Raum hineinragende Rettungszeichen, die auf Erste Hilfe-Einrichtungen aufmerksam machen, zu verwenden. Die Beschäftigten sind über die Bedeutung dieser Kennzeichnung zu unterrichten. Auf den nächstgelegenen Aufbewahrungsort ist durch einen weißen Pfeil auf rechteckigem grünem Feld mit weißer Umwandung zusammen mit dem Rettungszeichen „Erste Hilfe“ hinzuweisen.
Nach § 25 Abs. 2 Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention (BGV A1) hat der Unternehmer für folgende Voraussetzungen zu sorgen: Die Verbandkästen müssen jederzeit schnell erreichbar sein. Sie sollten leicht zugänglich in geeigneten Behältnissen (Verbandkästen oder Verbandschränken) geschützt gegen schädigende Einflüsse wie Temperatur, Feuchtigkeit und Schmutz aufbewahrt werden. Wo die Verbandkästen verstaut werden, richtet sich insbesondere nach dem Unfallschwerpunkt und der Struktur (Ausdehnung, Mitarbeiterverteilung, Betriebsart) des Unternehmens. Beide Kriterien müssen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden. Die Verbandkästen sollten so verteilt sein, dass sie von ständigen Arbeitsplätzen höchstens 100 Meter Wegstrecke oder höchstens eine Geschosshöhe entfernt sind. Das Verbandmaterial ist in ausreichender Menge bereitzuhalten.
Verfallsdatum
Seit Inkrafttreten des Medizinproduktegesetzes (MPG) sind Verbandstoffe keine Arzneimittel mehr, sondern Medizinprodukte, für welche die Anforderungen des MPG volle Gültigkeit haben. Nach dem MPG ist die Angabe eines Verfallsdatum auf dem Verbandmittel nicht vorgeschrieben, da sterile Verbandstoffe bei sachgerechter Lagerung und unbeschädigter Verpackung ihre Sterilität nicht verlieren. Nach dem MPG muss Verbandmaterial eine CE-Kennzeichnung sowie das Herstellungsdatum tragen. Es ist den Herstellern frei gestellt, ob sie dem Verbandmaterial ein Verfallsdatum aufdrucken. Trägt Verbandmaterial aber ein Verfallsdatum so ist dieses verbindlich. Das MPG verbietet dementsprechend, dass ein Verbandstoff mit aufgedrucktem Verfallsdatum verwendet wird. Bei Missachtung des MPG droht eine Ordnungsstrafe. Kommt es nachweislich zu Infektionen aufgrund nicht mehr sterilen Materials, ist der Hersteller nur innerhalb der angegebenen Frist regresspflichtig. Um Kosten zu sparen, empfiehlt es sich, nur solche Verbandstoffe zu kaufen, die zwar eine CE-Kennzeichnung, aber kein Verfallsdatum besitzen.
Verbrauchtes, beschädigtes oder verschmutztes Verbandmaterial muss aber auf jeden Fall entsorgt und ersetzt werden. Ebenso muss auch unverbrauchtes Mate-rial regelmäßig überprüft werden. Einige Materialien werden mit der Zeit unbrauchbar, da z. B. der Klebstoff durch Alterung, begünstigt durch hohe Temperaturen, seine Klebekraft verliert. Darüber hinaus können die Einmalhandschuhe unter Umständen mit der Zeit porös werden. Unbrauchbar gewordenes Material muss daher ersetzt werden.
Wer für die regelmäßige Überprüfung des Verbandkastens zuständig ist, regelt das Unternehmen eigenständig. Sinnvollerweise sollte diese Aufgabe dennoch von einem Ersthelfer, dem Betriebsarzt oder dem Sicherheitsbeauftragten übernommen werden. Entnimmt jemand Verbandmaterial, sollte er dies dem Verantwortlichen mitteilen, damit die verbrauchten Verbandstoffe zeitnah ersetzt werden können. Nur so wird gewährleistet, dass beim nächsten Notfall genügend Verbandmittel bereitstehen. Jedem Verbandkasten liegt ein Inhaltsverzeichnis bei, anhand dessen man die fehlenden Materialien leicht auffüllen kann.
Inhalt der Verbandkästen
Ausstattung und Umfang der Verbandkästen sind in Normen definiert:
- kleiner Verbandkasten nach DIN 13157
- großer Verbandkasten nach DIN 13169
Der große und der kleine Verbandkasten unterscheiden sich nicht in der Art des Verbandmaterials, lediglich in der Menge des Inhalts. Sie sind nach Erkenntnissen der Notfallmedizin für den betrieblichen Bereich konzipiert worden. Zwei kleine Verbandkästen ersetzen einen großen. Die betrieblichen Verbandkästen nach DIN 13169 und DIN 13157 entsprechen nicht dem im öffentlichen Verkehr in den Kraftfahrzeugen mitzuführenden Kraftwagenverbandkästen nach DIN 13164. Sie können deshalb den Kraftwagenverbandkasten nicht ersetzen bzw. umgekehrt nicht von einem Kraftwagenverbandkasten ersetzt werden. Für Außendienstmitarbeiter und Monteure besteht eine Ausnahme. Sie können auch den Kraftwagenverbandkasten nutzen.
Die Standardausstattung der betrieblich nutzbaren Verbandkästen wurde 2009 auf der Basis des aktuellen Unfallgeschehens überarbeitet. Neueste Untersuchungen haben ergeben, dass die häufigsten Unfallursachen in Betrieben Prellungen sind. Die bedeutendste Veränderung spiegelt sich daher in der Aufnahme einer Kälte-Sofort-Kompresse, die ohne Vorkühlung – einfach durch knicken oder drücken – bei Prellungen, Verstauchungen und geschlossenen Knochenbrüchen verwendet werden kann, wider. Denn jede Minute, die bei diesen Verletzungen bis zum Beginn der Kälteanwendung verloren geht, verlängert die Regeneration. Die Kälte-Sofort-Kompresse ist nur für den einmaligen Verbrauch bestimmt. Die weiteren Änderungen beziehen sich lediglich auf Größe bzw. Anzahl der Materialien. Es ist nicht erforderlich einen komplett neuen Verbandkasten zu beschaffen. Verschiedene Auffüll-Sets sind im Handel erhältlich. Eine Auflistung aller Verbandmaterialien incl. der Veränderungen ist auf der Internetseite der Qualitätssicherungsstelle Erste Hilfe ( www.bg-qseh.de) unter der Rubrik Aktuelles abrufbar. Bei besonderen betriebsspezifischen Gefahren müssen Verbandmaterialien über den normierten Inhalt hinaus ergänzt werden.
Arzneimittel, die nicht für die Erste Hilfe-Leistung notwendig sind, z. B. Schmerzmittel, gehören nicht in den Verbandkasten. Denn nur ein Arzt kann evtl. auftretende Nebenwirkungen oder Komplikationen beurteilen. Wenn es sich um rezeptpflichtige Medikamente handelt, läuft man Gefahr, gegen das Arzneimittelgesetz zu verstoßen, sobald man sie einem Kollegen verabreicht.
Das Vorhandensein von ausreichend Verbandmittel reicht für die Erste Hilfe aber nicht aus. Es müssen auch genügend Ersthelfer im Betrieb sein, die mit den Materialien sachgerecht umgehen können.
Anzahl der Verbandkästen
Die Arbeitsstätten-Richtlinie ASR 39/1,3 „Mittel und Einrichtungen zur Ersten Hilfe“ beschreibt, wie Unternehmen nach Art der Tätigkeit und Anzahl der Beschäftigten mit Verbandkästen ausgestattet sein müssen. In Betrieben müssen mindestens diejenigen Verbandmittel vorrätig sein, die in einem großen Verbandkasten nach DIN 13169 oder in einem kleinen Verbandkasten nach DIN 13157 enthalten sind. Die Zahl der Verbandkästen hängt von der Art und der Größe des Betriebes ab.
Ein großer Verbandkasten kann durch zwei kleine Verbandkästen ersetzt werden. Für Außendiensttätigkeiten (z. B. Werkstattfahrzeug, Einsatzfahrzeug) kann auch der Kraftfahrtverbandkasten nach DIN 13164 als kleiner Verbandkasten genutzt werden. Zur Aufbewahrung des KFZ-Verbandkastens – der seit Anfang der 70-er Jahre aufgrund der zunehmenden Unfallzahlen mit Personenschäden gesetzlich vorgeschrieben ist – ist der Platz im Wageninneren (z. B. unter einem Vordersitz) besonders geeignet, wenn nicht anderweitig ein anderer Unterbringungsort vorgeschrieben ist. Die Hutablage ist nicht empfehlenswert, da der Verbandkasten dort extremer Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist und bei scharfen Bremsmanövern zum Verletzungsrisiko werden kann. Die Unterbringung im Kofferraum birgt häufig die Gefahr, dass der Verbandkasten unter der Zuladung nicht schnell zur Verfügung steht.
Verbandmittel
Unter dem Oberbegriff Verbandstoffe werden Erzeugnisse auf Fasergrundlage zusammengefasst, die dazu dienen, Wunden zu versorgen bzw. Blutungen zu stillen. Sind auf dem Verbandstoff auch Wirkstoffe aufgetragen, handelt es sich um ein Arzneimittel. Deswegen sind derartige Stoffe kein Bestandteil der Verbandkästen.
Für das Anlegen von Verbänden in der Ersten Hilfe stehen unterschiedliche Verbandmittel zur Verfügung, die je nach Art und Umfang der Verletzung einzeln oder in Kombination Anwendung finden. Grundsätzlich gilt für die Wahl des Verbandstoffes, dass er zweckmäßig sein muss und für die vorliegende Wunde sinnvoll ist. Bei Verbänden gibt es nicht immer einen „Königsweg“. Häufig sind mehrere Verbandarten möglich. Kriterien für die Wahl eines Verbandes sind folgende Punkte:
Je nach Wunde verfolgen Verbände unterschiedliche Aufgaben: Sie stillen Blutungen, schützen vor mechanischer Beanspruchung (z. B. Reibung), stellen den Wundbereich ruhig, saugen Sekrete auf oder verhindern eine weitere Verunreinigung. Beim Umgang mit Verbandmitteln muss stets darauf geachtet werden, dass mit Einmalschutzhandschuhen gearbeitet wird, um eine weitere Verunreinigung der Wunde, aber auch eine Ansteckung mit HIV, Hepatitis etc. zu verhindern. Jeder Verband setzt sich aus einer sterilen Wundauflage, Polstermaterial und einer Fixierung zusammen.
Heftpflaster und Wundschnellverband
Ersthelfer kennen häufig nicht den Unterschied zwischen Heftpflaster und Wundschnellverband. Heftpflaster ist ein textiles Klebeband, das nur eine Klebefläche besitzt. Die meisten Heftpflaster werden aus gering reißfestem Material hergestellt, damit man sie im Notfall schnell, d. h. ohne Schere, von der Rolle abtrennen kann. Heftpflaster werden niemals direkt auf die Wunde geklebt. Es dient allein der Befestigung des eigentlichen Verbandmaterials (z. B. Kompresse). Wundschnellverbände stellen im Prinzip nichts anderes als Heftpflaster mit einer bereits aufgebrachten Wundauflage dar. Sie werden hauptsächlich bei kleineren Verletzungen eingesetzt. Die im Mittelstreifen aufgebrachte Wundauflage ist steril. Sie darf deshalb nicht vom Ersthelfer berührt werden.
Kompresse und Verbandtuch
Die sich in den Verbandkästen befindende Kompresse wird im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Wundauflage bezeichnet. Damit wird der Verwendungszweck bereits eindeutig benannt. Die Kompresse ist steril, weshalb man sie beim Herausnehmen bzw. Auflegen nur mit den Fingerspitzen an einer Ecke anfassen darf. Wundauflagen können mit Heftpflasterstreifen, Mullbinden oder Dreiecktüchern auf der Verletzung befestigt werden. Bei sehr großflächigen Wunden verwendet man anstatt einer Kompresse ein Verbandtuch, welches ebenfalls steril verpackt ist.
Fixierbinde
Die Fixierbinde, die umgangssprachlich Mullbinde genannt wird, ist das klassische Medium, um mit einer zuvor aufgelegten Kompresse eine stärkere Blutung zu stillen. Bei der Wahl der Fixierbinde muss die Größe der Wunde berücksichtigt werden. Grundsätzlich wird eine Binde so gehalten, dass der sogenannte Bindenkopf, d. h. der aufgerollte Teil der Binde, nach außen zeigt und so immer in die Hand hinein abrollen kann. Umgekehrt wäre die Gefahr groß, dass die Binde aus der Hand auf den Boden fällt und dort verschmutzt. Die Mullbinde ist unsteril und dient daher lediglich der Befestigung einer sterilen Wundauflage.
Verbandpäckchen
Die Bezeichnung Verbandpäckchen führt regelmäßig bei den Ersthelfern zu Irritationen. Es handelt sich dabei um eine Mullbinde, bei der bereits eine Wundauflage fest eingearbeitet ist. Das Verbandpäckchen erleichtert die Handhabung. Sie sind steril verpackt.
Dreiecktuch
Neben dem Verbandpäckchen ist das Dreiecktuch eine weitere Erfindung des deutschen Arztes Johann Friedrich August von Esmarch. Das Dreiecktuch ist – nicht zuletzt durch unterschiedliche Falttechniken – sehr vielseitig und flexibel einsetzbar. Es eignet sich besonders gut, um Kompressen zu befestigen sowie Körperteile ruhig zu stellen. Das Dreiecktuch ist nicht steril.
Folienbeutel
Der Folienbeutel dient nicht unmittelbar der Wundversorgung. Er wird in den Verbandkästen als Medium zur Aufbewahrung abgetrennter Körperteile (Amputate) bereitgehalten. Ohne das Amputat zu säubern, wird es in den Folienbeutel gelegt. Das Amputat kann zuvor noch zusätzlich in eine sterile Kompresse gewickelt werden. Da mindestens zwei Folienbeutel vorhanden sind, kann der andere mit Eiswasser (kein pures Eis!) gefüllt und der Beutel mit dem Amputat dort eingelassen werden.
Rettungsfolie
Ebenso wie der Folienbeutel steht auch die Rettungsfolie in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Wundversorgung. Ihre Verwendung findet sie vornehmlich im Wärmeerhalt und dem Schutz vor Nässe und Wind des Verletzten. Sie hat zumeist eine silber- und einer goldfarbene Seite. Grundsätzlich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Rettungsfolie – aufgrund ihrer Materialbeschaffenheit – nicht zum Löschen von Bränden jeglicher Art (z. B. Personenbrand) geeignet ist; es besteht absolute Selbstverletzungsgefahr.
Verbandbuch
Das Verbandbuch ist kein Bestandteil des Verbandkastens. Es ist vertraulich zu behandeln und gegen den Zugriff Unbefugter zu sichern. Dazu sind nach § 9 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) geeignete Maßnahmen zu treffen, z. B. Aufbewahrung unter Verschluss beim Ersthelfer, Betriebssanitäter oder Betriebsarzt. Wird die Dokumentation in elektronischer Form geführt, ist durch technische Maßnahmen zu gewährleisten, dass nur Berechtigte darauf Zugriff haben. Nach fünf Jahren Aufbewahrungszeit müssen die Dokumente datenschutzgerecht entsorgt werden. Einzeldokumente ebenso die Einzelfälle der elektronischen Dokumentation werden jeweils nach fünf Jahren vernichtet.
Literatur:
- 1. Blume, H.-C./ Karten, H.: Arbeitsschutzmanagement. Augsburg 2002.
- 2. Gerber, R.: Alles im Kasten – FAQ Erste Hilfe. In: Arbeit und Gesundheit. 12/ 2007.
- 3. Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft (Hrsg.): Verbandzeug für die erste Hilfe. In: Information zur Arbeitssicherheit.
- 4. Luxem, J. et al.: Rettungsdienst RS/ RH, 2. Aufl. München 2010.
- 5. Morgenbrod, L.: Das Medizin-Produkte-Gesetz und die praktischen Auswirkungen – Austausch von Verbandmitteln in Erste-Hilfe-Kästen notwendig? In: Unfallversicherung aktuell, 1/ 2002.
- 6. Stoya, E.-M.: Verbandstoffe: Binden, Kompressen & Co. In: Die PTA in der Apotheke. 2/ 2007.
- 7. o. V.: Ein Muss: Verbandkästen in Feuerwehrhäusern und in Feuerwehrfahrzeugen. In: Feuerwehr. 12/ 2004.
Autor
Steffen Pluntke S.Pluntke@gmx.de
Unsere Webinar-Empfehlung
Es gibt viele Fälle, in denen die Fallhöhe für eine herkömmliche Absturzsicherung nicht ausreicht. Beispiele für Arbeiten in geringer Höhe sind z.B. der Auf- und Abbau von Gerüsten, die Wartung von Industrieanlagen und Arbeiten in Verladehallen sowie Anwendungen in der Bahn und…
Teilen: