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Asbest - Eine tödliche Gefahr wurde über Jahrzehnte ignoriert - Wie kam es dazu, wer waren die Schuldigen und Verheimlicher?

Versagen und Versäumnisse, Lügen und Verheimlichen
Asbest — Eine tödliche Gefahr wurde über Jahrzehnte ignoriert

Asbest - Eine tödliche Gefahr wurde über Jahrzehnte ignoriert
Foto: © Anyka – Fotolia.com
Als Parade­beispiel ver­häng­nisvoller Ver­säum­nisse und des generellen Ver­sagens muss der Umgang von Unternehmensver­ant­wortlichen der Asbestin­dus­trie und ver­ant­wortlichen Poli­tik­ern mit dem „Killer“-Staub Asbest in den ver­gan­genen Jahrzehn­ten ange­se­hen wer­den. Wie kon­nte es dazu kom­men, und wer waren die Hauptakteure?

Min­is­te­rialdiri­gent a.D. Gerd Albracht

Bere­its in den 20er Jahren ent­deck­ten amerikanis­che Medi­zin­er, dass Asbest zu der nar­bigen Umwand­lung des Lun­gengewebes bei Arbeit­nehmern, der soge­nan­nte Asbestose führt. Die erste Beruf­skrankheit der Asbestar­beit­er wurde in der umfan­gre­ichen Mono­gra­phie von Hoff­man beschrieben (Hoff­man 1918). Doch nicht die Ver­ant­wortlichen aus Unternehmen und Poli­tik, son­dern Ver­sicherungs­ge­sellschaften zogen daraus ihre Kon­se­quen­zen. Die Pru­den­tial Insur­ance Com­pa­ny in den Vere­inigten Staat­en weigerte sich 1918 bere­its, mit Asbestar­beit­ern Lebensver­sicherun­gen abzuschließen (Albracht 1991).
 
In Deutsch­land dauerte es noch bis 1936, erst dann wurde die Asbestose als Beruf­skrankheit anerkan­nt. Anfang der 40er Jahre kam die Gewis­sheit eines erhöht­en Lun­genkreb­srisikos hinzu. In den 60er Jahren wurde schließlich der Zusam­men­hang zwis­chen Asbest und der Entste­hung von Brust- und Bauch­fell-Mesothe­liomen nachgewiesen. Das Bronchialka­rzi­nom in Verbindung mit ein­er Lun­ge­nas­bestose ist seit 1943 und das asbest­be­d­ingte Mesothe­liom seit 1976 anerkan­nte Beruf­skrankheit in Deutschland.

Der Verbrauch stieg weiter an

Trotz Bekan­nt­sein dieser tödlichen Gefahr ver­dop­pelte sich aber zwis­chen 1960 und 1970 der Asbestver­brauch in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land. Bis 1990 wur­den 18 Mio. Ton­nen Baustoffe mit einem Anteil von rund 6% hochas­besthalti­gen Bau­ma­te­ri­als hergestellt und einge­set­zt (IG-BSE 1991). Nie­mand der damals Ver­ant­wortlichen kann behaupten, er habe von den Gesund­heit­srisiken nichts gewusst. Jed­er kon­nte in der deutsch- und englis­chsprachi­gen Fach­presse frühzeit­ig erfahren, welche Zeit­bombe in den Fab­riken und Handw­erks­be­trieben tick­te (Selikoff 1976). Der frühere Hes­sis­che Sozialmin­is­ter Clauss stellte auf dem ersten „Sym­po­sium über Asbest­spätschä­den“ 1985 fest, „dass der Arbeitss­chutz in der Bun­desre­pub­lik in diesem Bere­ich bis weit in die 60er Jahre nahezu völ­lig ver­sagt hat. Diese Kri­tik richtet sich an die Betriebe, die Beruf­sgenossen­schaften und die staatliche Gewer­beauf­sicht gle­icher­maßen“ (Albracht 1985).
 
Völ­lig unverbindliche erste Empfehlun­gen zur Reduzierung der Asbestein­wirkun­gen wur­den von den Beruf­sgenossen­schaften Anfang der 60er Jahre an die Betriebe gegeben. Die erste Tech­nis­che Richtkonzen­tra­tion (TRK-Wert) für Asbest wurde 1973 veröf­fentlicht. Durch ver­stärk­te Anstren­gun­gen der Staatlichen Gewer­beauf­sicht und der Beruf­sgenossen­schaften in den 70er Jahren kon­nte dann eine wesentliche Reduzierung der Asbest­staubex­po­si­tion in den Betrieben erre­icht wer­den. Staatliche Stellen und Beruf­sgenossen­schaften haben erst 40 bis 50 Jahre nach Bekan­ntwer­den der Gesund­heits­ge­fahren in nen­nenswertem Maße reagiert. Dabei hat­ten Gew­erkschaften und einige Wis­senschaftler bere­its frühzeit­ig gewarnt und Maß­nah­men gefordert. Aber auch inner­halb der Gew­erkschaften gab es Wider­sprüche in den 70er Jahren. So haben noch 1979 mehrere Betrieb­sräte aus dem Bere­ich der Asbest- zementin­dus­trie erfol­gre­ich bei der Bun­desregierung gegen ein Asbestver­bot und die Ein­stu­fung in die höch­ste Gefährdungsklasse inter­ve­niert (Pütz 1991). Haup­tar­gu­ment war die Sorge um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.

Für ein Asbestverbot

Ins­beson­dere Gew­erkschaften und unab­hängige Wis­senschaftler der Deutschen Forschungs­ge­mein­schaft (DFG), die Anfang der 70er Jahre eine beson­dere Arbeits­gruppe Staub unter der Ver­ant­wor­tung von Prof. Hen­schler und der Leitung von Prof. Woitowitz grün­dete, zeigten immer wieder die tödlichen Gefahren von Asbest bei der Her­stel­lung und beim Umgang auf (Par­tikel 1980). Die Medi­en rück­ten in dieser Zeit das The­ma Asbest mehr und mehr in den Vorder­grund. Die IG Met­all berichtete 1976 bere­its inten­siv über die Asbest­ge­fahren und die Ergeb­nisse eines Vor­trages von Prof. Selikoff, der auf der IMB-Kon­ferenz in Oslo über die Asbesterkrankun­gen in den Vere­inigten Staat­en von 1918 bis 1975 berichtete. Die zunehmend heftigeren Attack­en gegen den gefährlichen Werk­stoff Asbest wollte die Asbestin­dus­trie mit einem von ihr finanzierten Forschungsin­sti­tut abwehren. Ziel war es, das Image von Asbest zu verbessern und „durch Koor­di­na­tion geeigneter Maß­nah­men eine Gesund­heits­ge­fährdung beim Umgang mit Asbest zu ver­mei­den.“ Beim Start gaben die Unternehmen dem „Asbest-Insti­tut für Arbeits-und Umweltschutz e.V.“ mit Sitz in Neuss ein Jahres­bud­get von 2,5 Mil­lio­nen DM.
 
Führende Arbeitss­chützer und Gew­erkschafter ver­weigerten dem Insti­tut, das in Wahrheit den Umgang mit Asbest sicher­er machen wollte, die Unter­stützung. Die Entwick­lung beim Umwelt­bun­de­samt (UBA) und den Gew­erkschaften in den Fol­ge­jahren stoppten die gewollte indus­triefre­undliche Wirkung des Insti­tuts umfassend.
 
Noch 1980 machte der Schweiz­er Indus­trielle Schmid­heiny, Führer des größten europäis­chen Asbest-Kartells, immer noch 90 Prozent seines Prof­its mit Asbest. Deshalb schlug der Ende 1980 erschienene Bericht des Umwelt­bun­de­samtes über die tödlichen Gefahren des Asbests wie eine Bombe in der Asbest­lob­by-Zen­trale der Eter­nit AG in Berlin ein (UBA 1980). Am 19. Jan­u­ar 1981 ver­langte der für die Umwelt zuständi­ge Min­is­ter Baum (FDP) den Gebrauch von Asbest einzuschränken und „in bes­timmten Bere­ichen ganz zu ver­bi­eten“. Inner­halb weniger Wochen sank der Umsatz von Eter­nit nach diesen Warn­rufen in zweis­tel­liger Größenord­nung. Der Konz­ern entließ zu Beginn der 80er Jahre über 1000 Mitar­beit­er. Es war aus der Sicht des Unternehmens wie ein Erd­beben, so Lehmann, der dama­lige Vor­standsvor­sitzende der Eter­nit AG. Deshalb ver­suchte Schmid­heiny mit aller Macht ein dro­hen­des Asbestver­bot zu ver­hin­dern: ins­beson­dere mit dem Ausspie­len der Arbeit­splatzar­gu­mente gegen Umwelt und Gesund­heit und der Unwahrheit, dass Ersatzstoffe nicht zur Ver­fü­gung stünden.
 
Die Arbeit der Asbest­lob­by zeigte Wirkung. Bun­desumwelt­min­is­ter Baum wollte ein paar Monate später von einem Ver­botsvorschlag für Asbestze­ment-Pro­duk­te für die näch­sten 5 bis 10 Jahre erst ein­mal abse­hen. Bis dahin soll­ten strenge Kennze­ich­nungspflicht­en die Bun­des­bürg­er vor dem Asbestkrebs schützen.

Eternit kaufte Wissenschaftler

Schon vor der Veröf­fentlichung hat der UBA-Bericht wahre Sturm­läufe der Asbest­lob­by unter der Fed­er­führung von Eter­nit her­vorgerufen. Wütende Briefe an die staatlichen Stellen und die Gew­erkschaften waren die Folge. Der Asbest­branchen­führer Eter­nit fand damals einen wichti­gen Part­ner für seine Verzögerungspoli­tik. Aus­gerech­net das in Berlin ansäs­sige Bun­des­ge­sund­heit­samt (BGA) votierte nicht für den Schutz der Gesund­heit, son­dern für die wirtschaftlichen Inter­essen der Asbestin­dus­trie. Es lieferte sich einen harten Expertenkrieg mit fortschrit­tlichen Leuten der Gew­erkschaften, des Umwelt­bun­de­samtes und einiger unab­hängiger Wis­senschaftler der Deutschen Forschungs­ge­mein­schaft wie Prof. Woitowitz, Prof. Hen­schler, Prof. Pott oder Prof. Nor­poth. Das Umwel­trisiko durch Asbest entspreche dem von „zehn Zigaret­ten pro Jahr“, so die unglaubliche Behaup­tung der ober­sten bun­des­deutschen Gesundheitshüter.
 
Wie die Asbestze­mentin­dus­trie ihre Inter­essen zu wahren wusste wird deut­lich, wenn man den Vor­bericht des Bun­desrech­nung­shofes von 1989 liest. Danach hat­te die Indus­trie, beson­ders Eter­nit, dem für Unter­suchun­gen von Asbest im Trinkwass­er zuständi­gen Insti­tut des BGA über Jahre hin­weg hohe Spenden zukom­men lassen (DER SPIEGEL, 37/1989). Der Rech­nung­shof stellte fest, dass in fast jedem Asbest­forschung­spro­jekt des BGA Geld von Eter­nit geflossen ist und Beweise vor­liegen, dass die Asbestin­dus­trie auch andere hochrangige Wis­senschaftler gekauft hat, die mit solchen Unter­suchun­gen beauf­tragt wur­den (Bun­desrech­nung­shof 1989).
 
Die Asbestin­dus­trie mit dem Branchen­führer Eter­nit hat die tödliche Gefahr Asbest jahrzehn­te­lang ignori­ert, ver­schwiegen und verniedlicht. Ihre poli­tis­che Macht erk­lärt sich aus der inter­na­tionalen Ver­flech­tung der Asbestin­dus­trie. Zur Durch­set­zung ihrer Inter­essen hat­te sie in den 70er Jahren eine schlagkräftige Organ­i­sa­tion, die Asbestos Inter­na­tion­al Asso­ci­a­tion (A.I.A.) gegrün­det. Darin waren Förder­er, Her­steller und die ver­ar­bei­t­ende Indus­trie gle­icher­maßen vertreten. Sie koor­dinierte in mehr als 35 Län­dern ihre Inter­essen. Hauptziel der A.I.A. war es, die weit­ere Asbest­pro­duk­tion zu sich­ern. Bere­its 1971 fand eine Geheimkon­ferenz mit A.I.A.-Mitgliedern aus fast allen europäis­chen Staat­en in Lon­don statt (AIA 1971). Aus dem ver­traulichen Pro­tokoll (mit Teil­nehmern von Eter­nit und dem Asbestver­band) ist zu ent­nehmen, dass es nicht um Erken­nt­nis­gewin­nung ging, son­dern lediglich darum, wie man dro­hende spätere Ver­wen­dungs­beschränkun­gen oder Ver­bote ver­hin­dern kann, vom Schutz der betrof­fe­nen Arbeit­er oder der Bevölkerung war keine Rede. Eine zen­trale Rolle spielte das Asbestin­sti­tut im kanadis­chen Mon­tre­al. Ker­nauf­gabe war es, die Lüge des Slo­gans vom sicheren Umgang mit Asbest weltweit zu fördern und zu vertei­di­gen. Angesichts hun­dert­tausender Asbest­tot­er weltweit klingt es ger­adezu men­schen­ver­ach­t­end, wenn George McCam­mon, der frühere Präsi­dent des Insti­tuts sagt: „Mit Asbest schützen wir die Armen, es wäre unmoralisch, es ihnen zu verweigern.“
 
Ziel der Lob­b­yarbeit in Deutsch­land war es, bei den ver­ant­wortlichen Min­is­tern, Behör­den und Wis­senschaftler ein für den weit­eren Umgang mit Asbest gün­stiges Kli­ma zu schaf­fen und die Ver­bre­itung kri­tis­ch­er Posi­tio­nen zu ver­hin­dern (Albracht 1991). Dazu zählte 1972 auch die Errich­tung eines „Unab­hängi­gen wis­senschaftlichen Beirats der Asbestin­dus­trie“, zu dessen Vor­sitzen­den der indus­trien­ahe Arbeitsmedi­zin­er Valentin von der Uni­ver­sität Erlan­gen berufen wurde. So heißt es fol­gerichtig in ein­er ver­traulichen Pro­tokoll­no­tiz des Wirtschaftsver­ban­des Asbest aus dem Jahre 1972: „Wir kön­nen mit Sicher­heit davon aus­ge­hen, dass die Gruppe der Asbestoseärzte sich nicht im Gegen­satz zu den fünf inter­na­tionalen Autoritäten stellen wird, und das von nun an aus diesem Kreis alle emo­tionalen, eigen­süchti­gen, über­spitzten und wirk­lichkeits­frem­den Aktiv­itäten auf dem Gebi­et der Gesund­heits- und Umwelt­ge­fährdung durch Asbest nicht mehr zum Zuge kom­men können.“
 
Wie die Asbest­lob­by ihre Pro­pa­gan­da von einem sicheren Umgang mit Asbest ein­set­zte, geht aus dem Geschäfts­bericht 1979 des Wirtschaftsver­ban­des Asbest e.V her­vor: „Seit­dem sind die bei­den Asbestver­bände mit ihren Vorstän­den und für die Arbeits- und Umweltschutz ver­ant­wortlichen Experten fast pausen­los im Ein­satz, um die jew­eils zuständi­gen Min­is­te­rien, Gewer­beauf­sicht­en oder Beruf­sgenossen­schaften davon zu überzeu­gen, dass Ver­bote oder kat­e­gorische Sub­sti­tu­tion­s­ge­bote nach den in Deutsch­land vor­liegen­den epi­demi­ol­o­gis­chen Erfahrun­gen bei Ein­hal­tung der TRK-Werte nicht erforder­lich, für unsere Volk­swirtschaft schädlich und für die Asbestin­dus­trie exis­tenzbedro­hend sind.“ Weit­er rühmt man sich im Entwurf des dama­li­gen Chemikalienge­set­zes die Ver­pack­ungs- und Kennze­ich­nungsregeln auf den Rohstoff Asbest begren­zt zu haben und Gefahren­sym­bole zu ver­mei­den. Beson­ders her­vorge­hoben wird die dama­lige Ver­hin­derung der Ein­stu­fung von Asbest in die Risiko­gruppe I (sehr stark gefährdend) der Arbeitsstof­fverord­nung sowie die Kennze­ich­nung asbesthaltiger Pro­duk­te mit dem neg­a­tiv­en Hin­weis „kreb­serzeu­gend“.
 
Über die EU sagt die AIA 1980: „Die Geset­zge­bungsmeth­ode der EU ist sehr real­is­tisch und lang­wierig … die EG-Beamten sind prag­ma­tisch … und ich bin sich­er, dass die Indus­trie mit den Ergeb­nis­sen leben kann.“ (AIA 1980) Diese Bee­in­flus­sung war mit ein entschei­den­der Grund, warum die EU zu lange an dem schein­bar sicheren Umgang mit Asbest fes­thielt und erst 2005 ein generelles Asbestver­bot in der EU in Kraft trat, aber auch der Wider­stand einiger damals noch as-best­fördern­der EU Län­der wie Griechen­land und Italien.

Gewerkschaften leiteten den Asbestausstieg ein

Doch die Gew­erkschaften kon­terten die Lob­by-Attack­en der Asbestin­dus­trie mit konkreten Ver­bots­forderun­gen und ein­er engen Zusam­me­nar­beit der IG Chemie, der IG Met­all, der IG Bau-Steine-Erden, der ÖTV, des DGB, des EGB, der Inter­na­tionalen Gew­erkschaft­sor­gan­i­sa­tio­nen, der Bun­deslän­der und des Umweltbundesamtes.
 
Zu diesem Zeit­punkt waren über 25.000 Arbeit­nehmer aus dem Bere­ich der IG Chemie-Papi­er-Keramik im Bere­ich der Asbest­pro­duk­tion beschäftigt und nach Schätzun­gen des DGB waren bis zu 1 Mil­lion Arbeit­nehmer dauernd oder zeitweise mit Asbest­staub exponiert.
 
Die Asbest­ge­fahren, Skan­dale mit Pen­tachlor­phe­nol oder Diox­in führten beim Hauptvor­stand der IG Chemie 1977 zu der Entschei­dung, eine neue Abteilung „Arbeit­sumwelt“ zu grün­den und diese fach­lich, pro­fes­sionell zu beset­zen. Das The­ma Asbest wurde dann ein zen­trales The­ma der IG Chemie und es gab ein wissenschaftlich/technisches Net­zw­erk von poli­tisch Ver­ant­wortlichen und unab­hängi­gen Experten aus allen rel­e­van­ten Bere­ichen. So wurde es möglich, allen Entschei­dungsträgern und Ver­ant­wortlichen der Gew­erkschaft auf allen Ebe­nen unab­hängige Wis­senschaft­serken­nt­nisse darzule­gen und eine „Asbestver­botsstrate­gie“ zu entwick­eln. Bis dahin wur­den nahezu alle Ebe­nen der Gew­erkschaften – ins­beson­dere die Indus­triegrup­pensekretäre – per­ma­nent mit ange­blich neuesten Erken­nt­nis­sen wis­senschaftlich­er Stu­di­en kon­fron­tiert, die fast immer von nicht unab­hängi­gen und meis­tens durch die Indus­trie bezahlte Wis­senschaftler stammten.
 
Den Durch­bruch zu ein­er klaren Anti-Asbest­strate­gie brachte 1981 eine Kon­ferenz der IG Chemie mit allen Betrieb­sräten der asbesther­stel­len­den und ‑ver­ar­bei­t­en­den Betriebe sowie der IG Met­all, der ÖTV, der IG Bau-Steine-Erden und anderen. Bis dahin hat­ten die Betrieb­sratsvor­sitzen­den von Eter­nit, Ful­go­rit, Wan­nit und anderen sich mehr als „Botschafter“ der Unternehmen und weniger als die für den Schutz der Arbeit­nehmer Ver­ant­wortlichen gefühlt. Sie waren oft mas­sive Für­sprech­er für einen „sicheren Umgang mit Asbest“. Aber der Leitgedanke der Kon­ferenz war: Wir alle, in der Her­stel­lung wie im Bere­ich der 100.000 Arbeit­nehmerIn­nen, die im Betrieb und im Handw­erk ständig Umgang mit Asbest haben, sind vor dem Kreb­s­gift Nr. 1 in der Arbeitswelt zu schützen.
 
Der dama­lige IG Chemie-Vor­sitzende Hauen­schild stellte am 12.2.1981 klar, dass eine Verbesserung des Gesund­heitss­chutzes nicht durch moralis­che Appelle an die Indus­trie zu real­isieren sei, son­dern nur durch geset­zliche Maß­nah­men, Tar­ifverträge und deren tägliche Umset­zung vor Ort. Seine Kern­botschaft lautete: Kreb­serzeu­gende Arbeit­splätze sind auch für Gew­erkschaften nicht vertei­di­gungswürdig! (Hauen­child 1981) Er forderte die Asbest­ge­fahren ver­stärkt zu bekämpfen und Asbest durch unge­fährliche Stoffe zu erset­zen (IG Chemie 1981).
 
 
Eine Rei­he IG Chemie-Gew­erkschaftler schmis­sen wütend ihre Mit­glieds­büch­er hin. DIE ZEIT titelte damals: Es ist das erste mal, dass eine Gew­erkschaft sich im Kampf um Arbeit­splätze oder Ökolo­gie ein­deutig für „Ökolo­gie und Gesund­heitss­chutz“ entschei­det. Eter­nit ver­suchte in der Folge zwis­chen der Fachebene und der Ebene der Hauptvorstände der Gew­erkschaften einen Keil zu treiben. Dem für Asbest zuständi­gen Hauptvor­standsmit­glied Liesel Winkel­sträter und dem Leit­er der IG Chemie Umweltabteilung Albracht bot Eter­nit eine Stu­di­en­reise nach Kana­da an. Ziel sei es, den exzel­len­ten Gesund­heitss­chutz bei der Asbest­förderung ken­nen zu ler­nen und neue Erken­nt­nisse über die Unge­fährlichkeit des Chrysotil-Asbests mit dem kanadis­chen Asbest-Insti­tut auszu­tauschen. Die Reise sollte dann ausklin­gen mit außergewöhn­lichen Natur­erleb­nis­sen in Alas­ka. Natür­lich alles kosten­los: Flug, Verpfle­gung und Hotel. Die IG Chemie erwiderte klar und deut­lich, dass sie selb­st bes­timme, woher die Gew­erkschaft ihre Infor­ma­tio­nen gewinne und die dazu notwendi­gen Reisen auch selb­st bezahle. Danach unterblieben unmoralis­che Offer­ten dieser Art.

Forderungen nach schrittweisem Asbestverbot und ‑ersatz

Zum sel­ben Zeit­punkt hat der DGB mit dem „17 Punk­te-Pro­gramm gegen Asbestkrebs“ die Poli­tik aller Gew­erkschaften zum völ­li­gen Asbestver­bot beschlossen. Haupt­forderung war dabei die Ein­stu­fung von Asbest in die Gruppe I der sehr stark gefährden­den kreb­serzeu­gen­den Stoffe der dama­li­gen Arbeitsstof­fverord­nung sowie eine Absenkung des Gren­zw­ertes auf ein Zehn­tel des damals beste­hen­den Wertes. Weit­ere Forderun­gen waren ein schrit­tweis­es Ver­bot sowie der zwin­gende Ersatz von Asbest.
 
Von entschei­den­der Bedeu­tung für die Umset­zung der gemein­samen Gew­erkschaft­spos­tion „schrit­tweis­es Asbestver­bot“ war ein Gespräch am 23.7.1981 in München mit dem DGB-Bun­desvor­stand, dem IG Chemie Hauptvor­stand, dem Bun­desvor­stand IG Bau-Steine-Erden, dem Wirtschaftsver­band Asbestze­ment e.V., Vor­standsmit­gliedern der Eter­nit AG, dem Arbeit­sring Chemie, der Bun­desvere­ini­gung der Deutschen Arbeit­ge­berver­bände und der Bay­erischen Bau-Beruf­sgenossen­schaft zum The­ma Asbester­satz-Umstel­lung der Indus­trie auf asbest­freie Pro­duk­te. Die Gew­erkschaftsvertreter macht­en der Asbestze­mentin­dus­trie dabei mas­sive Vor­würfe, in den ver­gan­genen Jahren nicht mit genü­gen­der Schärfe und Inten­sität, trotz der steigen­den Anzahl von Asbestopfern die Sub­sti­tu­tion von Asbest vor­angetrieben zu haben. Sie ver­trat­en dabei gemein­sam die Posi­tion für ein umfassendes, schrit­tweis­es Asbestver­bot (DGB 1981). Sie set­zten damals die Bun­desregierung mit ihrer Forderung nach einem Asbestver­bot unter Druck. Denn Ger­hart Baum (FDP), damals Innen­min­is­ter und für den Umweltschutz ver­ant­wortlich, wech­selte seine ursprüngliche Posi­tion und pfiff seine nach­ge­ord­nete Behörde zurück. Aber auch dem für den Arbeitss­chutz zuständi­gen Min­is­ter Ehren­berg (SPD) war die Beschäf­ti­gung wichtiger als die Gesund­heit der Arbeit­nehmer. Er hat­te Post vom Eter­nit-Betrieb­srat bekom­men, der um den Ver­lust Tausender Arbeit­splätze fürchtete. Der Min­is­ter antwortete: „Ich halte ein generelles Ver­bot von Asbest wegen der damit ver­bun­de­nen Gefährdung von Arbeit­splätzen nicht für vertretbar.“
 
Die Posi­tion der Bun­desregierung gab der Asbest­lob­by und beson­ders dem Branchen­führer Eter­nit neuen Mut, Gew­erkschaftsvorstände und Gew­erkschafts­funk­tionäre auf allen regionalen und bezirk­lichen Ebe­nen Woche für Woche mit neuen Stu­di­energeb­nis­sen indus­triehöriger oder nahe­heste­hen­der Wis­senschaftler und Insti­tute zu kon­fron­tieren. Ihr Ziel war es, die Ver­bots­forderung der Gew­erkschaften, ins­beson­dere der IG Chemie, wieder rück­gängig zu machen oder aufzuwe­ichen. Alle Behaup­tun­gen, Verniedlichun­gen, Pos­tu­late, Fest­stel­lun­gen, The­sen und Parolen der Asbestin­dus­trie und ihrer soge­nan­nten Wis­senschaftler wur­den sys­tem­a­tisch von der IG Chemie zusam­mengestellt, um die „all­ge­mein anerkan­nten arbeitsmedi­zinisch-toxikol­o­gis­che Erken­nt­nisse bezüglich Asbest“ zu klären (Woitowitz 1983).
 
Der Hauptvor­stand forderte den Bun­de­sar­beitsmin­is­ter und den Auss­chuss für gefährliche Arbeitsstoffe auf, eine konkrete Stel­lung­nahme abzugeben. Die Fra­gen waren so umfassend, dass sich eine Arbeits­gruppe unter Leitung von Prof. Woitowitz inten­siv mit der Beant­wor­tung aller Fra­gen beschäftigte. Nach Ver­ab­schiedung dieser Erken­nt­nisse durch den Auss­chuss wur­den alle noch einge­hen­den Briefe auf der Basis dieser Erken­nt­nisse durch den Vor­sitzen­den beant­wortet und die gesamte Organ­i­sa­tion mit allen Ver­wal­tungsstellen in Ken­nt­nis geset­zt. Ergeb­nis war nach ein paar Wochen: Es kamen keine Alarm­schreiben der Asbestin­dus­trie mehr und es gab aus Sicht der Gew­erkschaften und der Betrieb­sräte kein Zurück mehr aus dem Asbestausstieg.
 
Die Antwort des Bun­de­sar­beitsmin­is­ters zeigt die zöger­liche Hal­tung der dama­li­gen Bun­desregierung. Er teilt mit: „Bei ein­er Ref­er­entenbe­sprechung im Bun­deskan­zler­amt stimmten die Vertreter sämtlich­er Min­is­ter mit Aus­nahme des Beauf­tragten des Bun­desin­nen­min­is­teri­ums und des Präsi­den­ten des Umwelt­bun­de­samtes gegen ein Ver­bot oder eine gravierende Ein­schränkung der indus­triellen Anwen­dung von Asbest.“ (Woitowitz 1983)

Kernpfeiler des späteren Asbestverbots

Die ein­heitliche Posi­tion des DGB, der IG Chemie, der IG Met­all, der ÖTV und der IG Bau-Steine-Erden zu einem schrit­tweisen Asbestver­bot, die schnelle Vor­lage eines 10-bändi­gen Asbester­satzstof­fkat­a­logs, der von Albracht als Vor­sitzen­der des Ersatzstof­fauss­chuss­es im Auss­chuss für gefährliche Stoffe vorgelegt und vom Umwelt­bun­de­samt veröf­fentlicht wurde, sowie die Dro­hung der Banken, Eter­nit keine Unter­stützung mehr zu geben, haben auf Eter­nit und die Asbestze­ment­branche wie ein Damok­les-Schw­ert gewirkt.
 
Anfang 1982 erk­lärte sich die Asbestze­mentin­dus­trie, die ca. 80 Prozent des Asbestver­brauchs damals inne hat­te, frei­willig bere­it, stufen­weise den Asbestver­brauch zu min­dern. Gefeiert als gelun­ge­nes umwelt­poli­tis­ches Koop­er­a­tionsprinzip war das soge­nan­nte Inno­va­tion­spro­gramm keine reine Selb­stverpflich­tung, son­dern eine Reak­tion auf die Asbest-Ausstiegspoli­tik der Gew­erkschaften und den UBA-Bericht sowie die asbestkri­tis­che Berichter­stat­tung in den Medi­en. Zulange hat­te Eter­nit die Strate­gie gefahren, ein Asbestver­bot zu ver­hin­dern. Dies unter­stre­icht auch eine ver­trauliche, vom Vor­stand der Eter­nit AG bei der Hayek Engi­neer­ing AG Zürich im Juni 1981 in Auf­trag gegebene Studie (Hayek Engi­neer­ing 1981). Die Studie kommt im wesentlichen zu den Ergeb­nis­sen, dass der Forschungs- und Entwick­lungse­tat von 1,1% des Umsatzes im Jahr 1980 (6,1 Mio. DM) in keinem Falle aus­re­ichend sei und Eter­nit zu lange von der Ver­hin­derung des Ver­bots aus­ge­gan­gen sei, ohne Alter­na­tiv­en zu ver­fol­gen. Die Studie weist den Vor­stand klar und deut­lich darauf hin, dass von einem Ver­bot auszuge­hen sei. So wun­dert es auch nicht, dass in dieser Zeit auf Inter­ven­tion der IG Chemie und durchge­set­zt von Schmid­heiny der dama­lige Vor­standsvor­sitze der Eter­nit AG in Berlin gehen musste, weil er in den Ost­block weit­er­hin asbesthaltige und nach Wes­teu­ropa asbest­freie Pro­duk­te liefern wollte.
 
Die ein­deutige Hal­tung der Gew­erkschaften zum Asbestausstieg und die aktive Unter­stützung tausender Betrieb­sräte, die sich für einen besseren Gesund­heitss­chutz engagierten und Asbest­sub­sti­tute forderten, haben einen immensen Druck aufge­baut. Dieser führte let­z­tendlich dazu, dass Eter­nit in Deutsch­land früher als geplant ihre gesamte Pro­duk­t­palette asbest­frei herstellte.
 
Beispiel­haft sei der Kampf der Betrieb­sratskol­le­gen des Bre­mer Vulka­ns zu nen­nen. Seit 1974 war Asbest durch die IG Met­all hier ein Schw­er­punkt-The­ma. Schon 1968 hat­te die dor­tige Gewer­beauf­sicht die Unternehmensleitung über die Asbest­ge­fahren informiert. Über die gesamte Werft (Schiff­bau, Instand­hal­tung , Reparatur etc.) durch­forstete der Betrieb­srat die Ver­fahren und Pro­duk­te dahinge­hend, ob sie asbesthaltig waren. In Arbeit­skreisen, in der Betrieb­szeitung Echolot und auf Betriebs- und Ver­trauensleutev­er­samm­lun­gen wurde Asbest the­ma­tisiert und Lösungsvorschläge erar­beit­et. Trotz der Werftenkrise hat daraufhin die Belegschaft 1983 den Umbau der asbest­verseucht­en „Unit­ed States“ abgelehnt. „Wir gehen lieber zum Arbeit­samt als in den Tod!“, so die Aus­sagen der Kol­le­gen damals. Der Betrieb­sratsvor­sitzende sollte dann gekündigt wer­den, mit Hil­fe und Unter­stützung der IG Met­all gewann er anschließend aber den Prozess.

Jedes Jahr Verbotsverzögerung – tausende Asbestopfer mehr

In der Bun­desre­pub­lik betrug der Anteil asbest­be­d­ingter Erkrankun­gen im Jahr 1980 nur 1,5 Prozent, im Jahr 2000 schon nahezu 20 Prozent. Drama­tisch ist auch die Bilanz bei den Todes­fällen: waren es 1980 noch 65 Arbeit­nehmer, die an den Fol­gen ein­er asbestverur­sacht­en Beruf­skrankheit star­ben, stieg die Zahl 2004 auf 1.130. Damit ist Asbest bei den tödlich ver­laufend­en Beruf­skrankheit­en die bei weit­em häu­fig­ste Todesursache.
 
Derzeit ster­ben in der Bun­desre­pub­lik mehr Men­schen an den Fol­gen von Asbest als durch Arbeit­sun­fälle. Die Beruf­sgenossen­schaften haben seit 1978 mehr als 27.000 Asbest­tote reg­istri­ert. Experten der Deutschen Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung (DGUV) schätzen, dass in Deutsch­land ins­ge­samt von ca. 190.000 Asbesterkrank­ten auszuge­hen sei (Breuer 2005). Die let­zten aktuellen Zahlen der DGUV-Sta­tis­tik verze­ich­nen 1.292 Asbest­tote für das Jahr 2010, diese Angabe bezieht sich nur auf die anerkan­nten Fälle.
 
Neben den zahlre­ichen Asbest­toten, dem Leid der Ange­höri­gen und den gesund­heitlichen Tragö­di­en viel­er Asbesterkrank­ter sind auch die sozialen und volk­swirtschaftlichen Fol­gekosten immens. So berech­nete Albracht bere­its 1991, aus­ge­hend von den erst­mals entschädigten Asbest­beruf­serkrankun­gen (4.974 Fälle sum­miert aus den Jahren 1950 bis 1989), volk­swirtschaftliche Kosten von 7,5 Mil­liar­den DM für die Bun­desre­pub­lik ohne die asbest­be­d­ingten Sanierungskosten.
 
Die Summe der Renten auf­grund asbestverur­sachter Beruf­serkrankun­gen belief sich seit 2003 für die DGUV auf über 300 Mill. Euro jährlich. Der DGUV sind bis 2010 für Asbest Gesamtkosten von 5 Mil­liar­den Euro ent­standen. Hinzu kom­men mehr als 10 Mil­liar­den Euro, die als Entschädi­gungs- und Reha­bil­i­ta­tion­sleis­tun­gen über einen län­geren Zeitraum auszuzahlen sind. Wirtschafts­forsch­er Schulz geht nach seinen Berech­nun­gen beim Umwelt­bun­de­samt davon aus, dass die Ver­wen­dung von Asbest unterm Strich „ein neg­a­tives Nutzen-Kosten-Ver­hält­nis“ aufweist.
 
Ein rel­a­tiv aktueller Stand der Doku­men­ta­tion des Kreb­s­geschehens in Deutsch­land liegt mit der Veröf­fentlichung von Butz über beru­flich verur­sachte Kreb­serkrankun­gen für den Zeitraum von 1978 bis 2010 vor (Butz 2012). Von ins­ge­samt 40.555 beru­flich verur­sacht­en Kreb­serkrankun­gen (1978 bis 2010) ent­fie­len danach 30.271 auf Asbest (74,64%). Für die BK 4104 (Lun­genkrebs ein­schließlich Kehlkopfkrebs) ist die Inter­pre­ta­tion von Butz fol­gende: „Bei der BK 4104 ist die Entwick­lung dieser BK durch die Ein­führung des Faser­jahres­mod­ells im Jahr 1993 geprägt“. Die geän­derte Regelung führte zu einem starken Anstieg der anerkan­nten Fälle. Seit der Über­nahme der Leitung 2006 durch Frau Prof. Dr. Tan­napfel ist nun­mehr noch ein weit­er­er abfal­l­en­der Trend zu Las­ten der Asbestopfer zu beobacht­en. So standen 2010 den 3.765 Erkrankungs­fällen lediglich 721 Anerken­nun­gen und nur 643 Renten­fälle gegenüber (BAuA 2010). Anders aus­ge­drückt entspricht das ein­er über 80 prozenti­gen Ablehnungsquote!
 
Unab­hängige Wis­senschaftler, Gew­erkschaften, Medi­en und Poli­tik­er kri­tisieren die Vorge­hensweise des Mesothe­liom­reg­is­ters, das Teil des Insti­tuts für Patholo­gie der Ruhr-Uni­ver­sität Bochum am Beruf­sgenossen­schaftlichen Uni­ver­sität­sklinikum Bergmannsheil ist. Es wird jedoch maßge­blich von der DGUV finanziert . H. Otto, Dort­mund, legte sich 1984 auf 1.000 Asbestkör­perchen zur Def­i­n­i­tion ein­er Min­i­malas­bestose fest. Auch bei der Über­führung des Reg­is­ters nach Bochum wurde dieser wis­senschaftlich nie begrün­dete Grund­satz im Rou­tine­be­trieb beibehal­ten mit ins­ge­samt wohl mehreren 10.000 beruf­sgenossen­schaftlichen Begutach­tun­gen. Inzwis­chen ist die Ein­schal­tung des Mesothe­liom­reg­is­ters zur Über­prü­fung der Berech­ti­gung ein­er BK mith­il­fe des Auss­chlusskri­teri­ums „Asbestkör­perchen“ monopo­lar­tig zum Stan­dard im Bere­ich der Beruf­sgenossen­schaften gewor­den, selb­st dann, wenn die Diag­nose gesichert ist und die arbeit­stech­nis­chen Voraus­set­zun­gen für die Anerken­nung ein­er Asbestose oder eines asbest­be­d­ingten Lun­genkreb­ses bere­its durch ein tech­nis­ches Gutacht­en fest­gestellt wor­den sind.
 
Die Nich­tan­erken­nung ein­er Min­i­malas­bestose ist zum einen häu­fige Ursache für die Ablehnung ein­er BK 4103 „Asbestose“ und ins­beson­dere für die Ablehnung ein­er BK 4104 „Asbestose in Verbindung mit Lun­genkrebs“. In Deutsch­land wer­den jährlich min­destens 800 bis 1.000 Fälle von asbest­be­d­ingtem Lun­genkrebs, gemessen an den medi­zinisch all­ge­mein anerkan­nten Stan­dards, zu wenig als Beruf­skrankheit­en anerkan­nt (Woitowitz in Eurogip 2006). Zu diesem Ergeb­nis kommt Woitowitz auf­grund ein­er hin­re­ichend ver­lässlichen Abschätzung der Dat­en. Er geht dabei davon aus, dass in der Arbeitsmedi­zin all­ge­mein das Ver­hält­nis der Zahl von Mesothe­liomerkrankun­gen zu den Erkrankun­gen durch asbest­be­d­ingten Lun­genkrebs in den Volk­swirtschaften mit ca. 1:2 angegeben wird, wie McDon­ald 1981 nachgewiesen hat. Die Anerken­nun­gen in Frankre­ich und den Vere­inigten Staat­en entsprechen diesem Zahlen­ver­hält­nis. Demge­genüber sind die Anerken­nun­gen in Deutsch­land durch ein Missver­hält­nis geprägt. Aus Sicht des Asbestopfers und sein­er Fam­i­lie stellt sich das Ver­fahren zur Beurteilung und Anerken­nung oder Ablehnung der Beruf­skrankheit vielfach als quälend langsam, erniedri­gend und oft ent­täuschend dar (ARD 2005).

Aus der Asbesttragödie lernen

Die grauen­vollen Ver­säum­nisse beim Umgang mit Asbest und die men­schliche Tragö­di­en sowie die Asbest­spätschadens­fol­gen müssen auch zu ein­er kri­tis­cheren Betra­ch­tung der übri­gen, mehr als 100 kreb­serzeu­gen­den Stoffe führen. Selb­st von sehr gefährden­den kreb­serzeu­gen­den Stof­fen, die wie Ben­zol in tausenden Jahre­ston­nen pro­duziert und ver­ar­beit­et wer­den, gibt es in Deutsch­land keine entsprechen­den Stu­di­en. Und das, obwohl die Deutsche Forschungs­ge­mein­schaft bere­its 1981 die „Beruf­skreb­sstudie“ veröf­fentlichte, um mit neuen wis­senschaftlichen Meth­o­d­en das Beruf­skrebs-Prob­lem anzuge­hen. Sie benutzten eine neuar­tige Analyse zur Schätzung des Kreb­smor­tal­ität­srisikos der Werk­sange­höri­gen. Die Autoren kamen zu dem Ergeb­nis, „dass etwa 25% sämtlich­er Tumoren, die bei Werk­sange­höri­gen auf­trat­en, beru­flichen Ein­flüssen zuzuschreiben sind.“ (Hor­bach et al. 1981) Die vie­len Asbest­toten ger­ade auch in Deutsch­land und das Leid tausender Asbesterkrank­ter sind ein Alarm­ruf, rechtzeit­ig wis­senschaftlich fundierte Stu­di­en der Kreb­sstoffe durchzuführen und in einem zügi­gen Prozess Maß­nah­men wie Ver­wen­dungs­beschränkun­gen oder Ver­bote zu treffen.
 
Eter­nit und die Asbestin­dus­trie kon­nten unter der Tarnkappe, es gibt einen sicheren Umgang mit Asbest, jahrzehn­te­lang die wahren Aus­maße der Katas­tro­phe und des Lei­ds ver­schleiern. Eter­nit nutzte die Insel­lage Berlins vor dem Mauer­fall, um von Bun­des- und Lan­desregierun­gen Zuschüsse und Kred­ite in Mil­lio­nen­höhe und poli­tis­ches „Wohlwollen“ zu erhal­ten. Asbesterkrank­te wur­den häu­fig finanziell abge­fun­den, um so das Beruf­skrankheit­en-Ver­fahren zu umgehen.
 
Selb­st der Skan­dal bei der Fir­ma Rex in Baden-Würt­tem­berg, in der bis Anfang der 80er Jahre über 100 Asbest­tote zu bekla­gen waren, brachte bei vie­len kein Umdenken. Im Gegen­teil: Die Risiken wur­den nach Süd­ko­rea exportiert und unter oft schlechteren Arbeits- und Gesund­heits­stan­dards dort weit­er­pro­duziert. Die strafrechtliche Ver­ant­wor­tung blieb aus, die Fol­gen wur­den auf die All­ge­mein­heit oder auf das kollek­tive Ver­sicherungssys­tem der Beruf­sgenossen­schaften überwälzt.
 
Auf der heuti­gen Home­page der Eter­nit AG ist von der Asbestver­gan­gen­heit keine Silbe mehr zu lesen. „Chemisch rein“ ist dort zu lesen, von der Pri­or­ität des Umwelt- und Gesund­heitss­chutzes, der Nach­haltigkeit ihrer Pro­duk­te und von sozialem Engage­ment. Kein Wort zu den Fehlern der Ver­gan­gen­heit beim Umgang mit Asbest. Glaub­würdigkeit sieht anders aus!
 
Die ver­ant­wortlichen Poli­tik­er, Behör­den, Unternehmen und Gew­erkschaften müssen alles tun, damit die in der Asbest­sanierung Täti­gen heute und in Zukun­ft nicht zur zweit­en Asbestopfer­welle wer­den. Asbest­sanierung­spro­gramme mit einem öffentlichen Asbestkataster unter Kosten­beteili­gung der Verur­sach­er sind zwin­gend notwendig. Die Schere zwis­chen angezeigten und entschädigten asbest­be­d­ingten Beruf­serkrankun­gen darf sich nicht weit­er öff­nen. Die Bewe­is­führung darf nicht weit­er­hin zu Las­ten der oft tod­kranken Arbeit­nehmerIn­nen gehen.
 
„Die san­fte Abkehr vom Rohstoff Asbest dauert viel zu lange, verur­sacht zu viele gesund­heitliche Schä­den und Leid bei den Betrof­fe­nen und kostet zuviel Geld. Statt des san­ften Wan­dels ist eine Not­brem­sung nötig, näm­lich ein geset­zlich­es Ver­bot der Asbest­pro­duk­tion und ‑ver­wen­dung weltweit“ (Staatsmin­is­terin Pfarr in Albracht 1991).
 
Wichtig­ste Literatur:
  • AIA-Asbestos Inter­na­tion­al Asso­ci­a­tion (1971) Ver­traulich­es Pro­tokoll der Inter­na­tion­al Con­fer­ence of Asbestos Infor­ma­tion Bod­ies, Lon­don, 24–25 Novem­ber 1971.
  • AIA-Asbestos Inter­na­tion­al Asso­ci­a­tion (1980) The Industry´s view­point con­cern­ing Asbestos. Sur­vey of the Asbestos Scene, London.
  • Albracht, G., Bolm-Audorff, U.and H.J.Woitowitz (1985) Asbest­spätschä­den, Hrsg: Der Hes­sis­che Sozialminister.
  • Albracht, G. and O. A. Schw­erdt­feger (1991) Her­aus­forderung Asbest, Uni­ver­sum Ver­lagsanstalt, Wiesbaden.
  • Albracht, G. (1991) Erken­nen und Bew­erten von Asbest­pro­duk­ten in kon­t­a­minierten Bere­ichen. In: Gesund­heits­ge­fahren durch neue Tech­nolo­gien, Fach­ta­gung IG Bau 28.04.1990; Tagungs­band IG Bau-Steine-Erden, Frankfurt/Main.
  • Albracht, G. (1991) Her­aus­forderung Asbest, Uni­ver­sum Ver­lagsanstalt, Wiesbaden.
  • ARD-RBB (2005) Recht­los und hif­los – Wie Todgewei­hte mit ihren Ansprüchen an die Beruf­sgenossen­schaften scheit­ern, TV-Sendung vom 14. April 2005.
  • BAuA-Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin (2012) Sicher­heit und Gesund­heit bei der Arbeit 2010, Dortmund.
  • Bun­desrech­nung­shof (1989) Zwis­chen­bericht vom 13. März 1989 und Fas­sung vom 9. Mai 1989 zur Ein­flussnahme der Indus­trie auf Entschei­dun­gen des Bun­des­ge­sund­heit­samtes. vgl. dazu :Die ertappten Kon­trolleure. DIE ZEIT, 28.04.1989, Nr.18 sowie Deutsch­er Bun­destag, Druck­sache 11/5365 v.10.10.1989.
  • Breuer, J. (2005) Asbest – eine glob­ale Her­aus­forderung, Bun­de­sar­beits­blatt 10. 2005.
  • Butz, M. (2012) Beru­flich verur­sachte Kreb­serkrankun­gen, eine Darstel­lung der im Zeitraum 1978 bis 2010 anerkan­nten Beruf­skrankheit­en, BK-DOK, DGUV-Berlin.
  • DGB (1981) 17-Punk­te-Pro­gramm gegen Asbestkrebs in der Arbeitswelt. In: DGB-Nachrich­t­en­di­enst 12.02.1981.
  • EUROGIP (2006) 24/E Enquiry Report, Euro­pean Forum of the Insur­ance against Acci­dents at Work and Occu­pa­tion­al Diseases.
  • Hauen­schild, K. (1981) Inter­view in der DGB-Wochen­zeitung Welt der Arbeit, 29.01.1981.
  • Hayek Engi­neer­ing (1981) Pro­dukt- und unternehmensstrate­gis­che Studie für den Vor­stand der Eter­nit AG. Zürich.
  • Hoff­man, F.L. (1918) Mor­tal­i­ty from res­pi­ra­to­ry dis­ease in dusty trades (inor­gan­ic dusts). Bul­letin of the U.S. Bureau of Labour Sta­tis­tics No. 231, Wash­ing­ton, D.C. June 1918.
  • Hor­bach, L. and H. Loskant (1981) Beruf­skreb­sstudie der Deutschen Forschungs­ge­mein­schaft, Har­ald Boldt Ver­lag Boppard.
  • IG CHEMIE – PAPIER – KERAMIK (1981) Asbest­ge­fahren ver­stärkt bekämpfen! IG Chemie fordert Ersatz von Asbest durch unge­fährliche Stoffe. Presse­di­enst des Hauptvor­standes. Vgl. Stel­lung­nahme zur Gesamt­prob­lematik „Asbest“ des Geschäfts­führen­den Hauptvor­standes vom 23.02.1981
  • Par­tikel, H. (1980) Kreb­srisiko am Arbeit­splatz. Nur die „Spitze des Eis­berges.“ In: Der Gew­erkschafter 6/80.
  • Pütz, J. (ed.) (1989) Asbest-Report. Vom Wun­der­stoff zur Alt­last, Köln.
  • Selikoff, I.J.(1976) Asbestkrankheit­en in den Vere­inigten Staat­en von 1918–1975, IGM-Arbeitssicher­heits-Infor­ma­tion Nr. 8/1976; Ergeb­nisse der IMB-Weltkon­ferenz über Gesund­heitss­chutz und Arbeitssicher­heit in der Metallindustrie.
  • Umwelt­bun­de­samt (1980) Luftqual­ität­skri­te­rien – Umwelt­be­las­tung durch Asbest und andere faserige Fein­stäube. UBA-Bericht 7/80.
  • Woitowitz H.J. et al. (1983) All­ge­mein anerkan­nte arbeitsmedi­zinisch-toxikol­o­gis­che Erken­nt­nisse bezüglich Asbest. In: Son­der­druck aus Die BG Heft5/83, Erich Schmidt Ver­lag, Bielefeld.
Autor
Gerd Albracht Min­is­te­rialdiri­gent a.D. Senior Advi­sor of the Inter­na­tion­al Asso­ci­a­tion of Labour Inspec­tion (IALI)
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