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Die Betriebssicherheitsverordnung 2015

Praxisnahe und rechtssichere Anwenderhilfen Teil 1
Die Betriebssicherheitsverordnung 2015

Im 13. Jahr der Betrieb­ssicher­heitsverord­nung (BetrSichV)1 tritt am 1. Juni 2015 eine grundle­gende Neu­fas­sung des „Grundge­set­zes für den tech­nis­chen Arbeitss­chutz“ in Kraft. Was ist in der neuen Betr­SichV aus­führlich­er geregelt und was ist wirk­lich neu? Dieser Beitrag gibt Antworten und geht dabei auf die Adres­sat­en der Pflicht­en und Ver­ant­wortlichen, den Anwen­dungs­bere­ich der Betr­SichV, die Gefährdungs­beurteilung und vieles mehr ein.

Prof. Dr. Thomas Wilrich

I. Die Adres­sat­en der Pflicht­en und Verantwortlichen
1. Die Grund-Adres­sat­en aller Pflichten
Die Betr­SichV gilt für:
  • a) Arbeit­ge­ber, die Beschäftigte Arbeitsmit­tel ver­wen­den lassen. Beschäftige sind ins­beson­dere Arbeit­nehmer, Beamte, Arbeit­nehmerähn­liche, Auszu­bildende, Schüler und Studierende (§ 2 Abs. 4 Betr­SichV und § 2 Abs. 2 ArbSchG).
  • b) Unternehmer, die überwachungs­bedürftige Anla­gen „zu gewerblichen oder wirtschaftlichen Zweck­en ver­wen­den“ – auch „ohne Arbeit­ge­ber zu sein“ (§ 2 Abs. 3 Nr. 1). Ein­er­seits spricht die Verord­nungs­be­grün­dung selb­st von „Betrieb“, ander­er­seits wurde der Begriff „Betreiber“ bewusst vermieden.2 Aber let­ztlich geht es um genau ihn: Der „Ver­wen­der“ wird mit Gericht­surteilen zur „Inhab­er­stel­lung“ erläutert3, und diese Urteile wer­den in den LASI-Leitlin­ien bei der Betreiberde­f­i­n­i­tion erwähnt4.
2. Die konkret verantwortlichen
Per­so­n­en im Unternehmen
Der Arbeit­ge­ber bzw. Betreiber/Verwender hat die (Organisations-)Pflicht inne. Konkret – und automa­tisch auf­grund ihrer Posi­tion – ver­ant­wortlich sind gemäß § 13 ArbSchG:
  • Unternehmensleit­er, also Geschäfts­führer bzw. Vorstände, und
  • Betrieb­sleit­er bzw. – im Öffentlichen Dienst – Dienststellenleiter5.
Sodann gibt es weit­ere „ver­ant­wortliche Per­so­n­en“ – nämlich
  • zuver­läs­sige und fachkundi­ge Per­so­n­en, auf die Pflicht­en schriftlich delegiert wor­den sind6 und
  • weit­ere Per­so­n­en, die nach der Betr­SichV (i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Arb­SchG) „verpflichtet“ wer­den. Die Betr­SichV ken­nt „fachkundi­ge Per­so­n­en“ nach § 2 Abs. 5, „befähigte Per­so­n­en“ nach § 2 Abs. 6 und Koor­di­na­toren gemäß § 13 Abs. 3.
Alle genan­nten Per­so­n­en mit Leitungs­funk­tion und die beson­ders Beauf­tragten sind „neben dem Arbeit­ge­ber“ ver­ant­wortlich: „Die aus der (Dritt-)Beauftragung fol­gende Erweiterung der ver­wal­tungsrechtlichen Ver­ant­wortlichkeit lässt die Ver­ant­wortlichkeit des Arbeit­ge­bers für die Durch­führung von Arbeitss­chutzpflicht­en unberührt“ – und zwar völ­lig unverän­dert, so dass es insoweit um eine „Kumu­la­tion der Ver­ant­wortlichkeit­en“ geht.7 Öffentlich-rechtlich sind Arbeit­ge­ber und alle in § 13 Arb­SchG aufgezählten ver­ant­wortlichen Per­so­n­en gle­icher­maßen möglich­er Adres­sat von Anord­nun­gen bzw. Ver­wal­tungsak­ten der Auf­sichts­be­hör­den – selb­st wenn sie ord­nungs­gemäß ihre Auf­sicht­spflicht­en wahrnehmen. Nur nach Strafrecht und zivil­rechtlichem Schadenser­satzrecht wan­delt sich bei ein­er Organ­i­sa­tion durch Pflich­t­en­del­e­ga­tion die Durch­führungspflicht in eine Auf­sicht­spflicht, ins­beson­dere eine Kon­troll- und Überwachungspflicht.8
3. Fachkundi­ge Personen
Gefährdungs­beurteilun­gen (siehe III.), Instand­hal­tungs­maß­nah­men (siehe XI.) und Maß­nah­men zur Ver­hin­derung von unzuläs­si­gen oder insta­bilen Betrieb­szustän­den von Arbeitsmit­teln (§ 11 Betr­SichV) sind von „fachkundi­gen Per­so­n­en“ durchzuführen. Das sind Per­so­n­en, die für die konkrete Auf­gabe „über die erforder­lichen Fachken­nt­nisse ver­fü­gen“, wobei die Anforderun­gen abhän­gen von „Beruf­saus­bil­dung, Beruf­ser­fahrung oder ein­er zeit­nah aus­geübten entsprechen­den beru­flichen Tätigkeit“ (§ 2 Abs. 5). Die „sorgfältige Auswahl“ stellt ein all­ge­meines Prinzip jed­er Del­e­ga­tion von Auf­gaben dar.9
Der Arbeit­ge­ber hat sich extern „fachkundig berat­en zu lassen“, wenn er „nicht selb­st über die entsprechen­den Ken­nt­nisse ver­fügt“ (§ 3 Abs. 3 Satz 4). Wenn sich aus Rechtsvorschriften nichts Gegen­teiliges ergibt, ist immer eine externe Del­e­ga­tion möglich. Die Betr­SichV geht bei fehlen­der eigen­er Kom­pe­tenz von ein­er Pflicht aus. Man sollte „die entsprechende Qual­i­fika­tion der befähigten Per­son abfordern“.10
4. Befähigte Personen
Die Betr­SichV ver­langt „qual­i­fizierte Prüfer“.11 Arbeitsmit­tel prüfen (hierzu XIII.) müssen daher „befähigte Per­so­n­en“, die
  • „durch ihre Beruf­saus­bil­dung, ihre Beruf­ser­fahrung und ihre zeit­na­he beruf- liche Tätigkeit über die erforder­lichen Ken­nt­nisse zur Prü­fung von Arbeitsmit­teln ver­fü­gen“ (§ 2 Abs. 6),
  • „bei der Durch­führung der Prü­fun­gen keinen fach­lichen Weisun­gen unter- liegen“ (§ 14 Abs. 6, Satz 1),
  • „wegen ihrer Prüftätigkeit nicht benachteiligt wer­den dür­fen“ (§ 14 Abs. 6, Satz 2) und
  • auch externe Dien­stleis­ter sein kön­nen, wenn sie die Anforderun­gen erfüllen.12
Der Arbeit­ge­ber muss in der Gefährdungs­beurteilung entschei­den (siehe III.10.), „welche Voraus­set­zun­gen die zur Prü­fung befähigten Per­so­n­en erfüllen müssen, die von ihm mit den Prü­fun­gen von Arbeitsmit­teln zu beauf­tra­gen sind“ (§ 3 Abs. 6 Satz 6). Dabei hil­ft ihm die TRBS 1203 „Befähigte Personen“.
Die befähigten Per­so­n­en für Krane und maschi­nen­tech­nis­che Arbeitsmit­tel der Ver­anstal­tung­stech­nik nen­nt die Verord­nung „Prüf­sachver­ständi­ge“ und die Verord­nungs­be­grün­dung „beson­ders befähigte Personen“13, die die zusät­zlichen Voraus­set­zun­gen Anhang 3 Abschnitt 1 und 2, jew­eils Nr. 2, erfüllen müssen (,die aber nicht sel­ten auch von „nor­malen“ befähigten Per­so­n­en erfüllt sein werden).
5. Koor­di­na­tor
In § 13 Abs. 3 ist der Koor­di­na­tor geregelt, der bei „Zusam­me­nar­beit ver­schieden­er Arbeit­ge­ber“ zu bestellen ist:
  • „schriftlich“
  • durch die „beteiligten Arbeitgeber“
  • wenn „bei der Ver­wen­dung von Arbeitsmit­teln eine erhöhte Gefährdung von Beschäftigten ander­er Arbeit­ge­ber“ besteht,
  • mit dem Ziel der „Abstim­mung der jew­eils erforder­lichen Schutz­maß­nah­men durch die beteiligten Arbeitgeber“.
Wenn es schon einen Koor­di­na­tor nach anderen Rechtsvorschriften gibt – ins­beson­dere einen Koor­di­na­tor nach den „Grund­sätzen der Präven­tion“ gemäß § 6 DGUV Vorschrift 1 (früher BGV A1) oder einen Sicher­heits- und Gesund- heitss­chutzko­or­di­na­tor (SiGeKO) gemäß Baustel­len­verord­nung (BauStel­lV) –, kann er die Auf­gaben nach Betr­SichV mit „übernehmen“.
Der Koor­di­na­tor „ent­bindet die Arbeit­ge­ber nicht von ihren Pflicht­en nach Betr­SichV“ – und auch die anderen Ver­ant­wortlichen im Unternehmen (siehe I.2.) ver­lieren ihre öffentlich-rechtlichen Pflicht­en nicht. Ob und inwieweit sich bei ihnen durch einen Koor­di­na­tor die straf- und zivil­rechtliche Ver­ant­wor­tung reduziert, hängt vom Unternehmen­sauf­bau ab – ins­beson­dere von den Befug­nis­sen des Koordinators.
Im Geset­zen­twurf des Som­mers 2014 war der Koor­di­na­tor automa­tisch „hin­sichtlich der zu tre­f­fend­en Schutz­maß­nah­men weisungs­befugt“. Das ist mit den Argu­menten gestrichen wor­den, es sei ein „Sys­tem­bruch“ und „bei ein­er mehrfachen Weisungs­befug­nis durch den jew­eili­gen Arbeit­ge­ber und den Koor­di­na­tor weniger eine Verbesserung des Arbeitss­chutzes, son­dern eher ein Abgren­zung­sprob­lem in der Kom­pe­tenz zu erwarten“.14 Bei­des ist unzutr­e­f­fend: Ein­er­seits ist – ger­ade bei Fremd­fir­menbeschäf­ti­gung – kaum eine Sit­u­a­tion vorstell­bar, in der nicht Weisungs­befug­nisse mehrerer Per­so­n­en zusam­men kom­men. Ander­er­seits ist die Ausstat­tung des (Fremdfirmen-)Koordinators gemäß § 6 DGUV Vorschrift 1 mit Weisungs­befug­nis­sen „zur Abwehr beson­der­er Gefahren“ sog­ar Pflicht. Und im Bere­ich der BauStel­lV wird spätestens in der Aus­führungsphase die Weisungs­befug­nis für den SiGeKo empfohlen.15 Denn die bauaus­führen­den Unternehmen haben „die Hin­weise des Koor­di­na­tors und den Sicher­heits- und Gesund­heitss­chutz­plan zu berück­sichti­gen“ (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 BauStel­lV) – und das ist let­ztlich nur umset­zbar, wenn der Baustel­lenko­or­di­na­tor im Ern­st­fall „durch­greifen“ darf. Daher wird sog­ar die Auf­fas­sung vertreten, dass der Baustel­lenko­or­di­na­tor auch ohne aus­drück­liche Regelung „in schlüs­siger Ver­tragsausle­gung“ weisungs­befugt ist.16
Trotz­dem ist die Stre­ichung der automa­tis­chen Weisungs­befug­nis für den Koor­di­na­tor richtig, denn die Entschei­dung über seine Stel­lung und Wirkung sollte den Arbeit­ge­bern vor­be­hal­ten sein. Aber es sollte dafür gesorgt wer­den, dass die Beteiligten die Hin­weise des Koor­di­na­tors berück­sichti­gen. Es wäre aber bess­er gewe­sen, den Koor­di­na­tor über­greifend für alle Bere­iche des Arbeitss­chutzes im ArSchG zu regeln. Denn in den meis­ten Fällen wer­den sich auch die Koor­di­na­tion­san­forderun­gen nicht nur aus der Ver­wen­dung von Arbeitsmit­teln ergeben, um die allein es in der Betr­SichV geht. Arbeit­en Beschäftigte mehrerer Unternehmen zusam­men, muss eine Koor­di­na­tion auch in anderen Bere­ichen – etwa Gefahrstoffe – stattfinden.
II. Der Anwen­dungs­bere­ich der BetrSichV
Die Betr­SichV „gilt für die Ver­wen­dung von Arbeitsmit­teln“ durch Beschäftigte (§ 1 Abs. 1).
1. Arbeitsmit­tel
Arbeitsmit­tel sind
  • Werkzeuge, Geräte, Maschi­nen oder Anla­gen und
  • überwachungs­bedürftige Anlagen.
Erfasst sind Arbeitsmit­tel aller Art – „vom Kugelschreiber bis zur großtech­nis­chen Anlage“17 und vom „Ham­mer“ bis zu „ver­ket­teten Maschi­nen und kom­plex­en Chemieanlagen“18. Das heißt nicht, dass immer alle Anforderun­gen der Betr­SichV konkret für jedes Arbeitsmit­tel „abzuar­beit­en“ sind. So kann man sich im Aus­gangspunkt bei ein­facheren Arbeits- mit­teln auf den „vorge­lagerten Arbeitss­chutz“ durch die vom Her­steller durch Ein­hal­tung des Pro­duk­t­sicher­heit­srechts „mit­gelieferte Sicher­heit“ ver­lassen (siehe V.1.).
Erfasst sind alle Arbeitsmit­tel, die „für die Ver­rich­tung ein­er Arbeit­stätigkeit ver­wen­det wer­den. Nicht erfasst wer­den typ­is­che Ein­rich­tungs­ge­gen­stände wie Schränke; diese sind der Arbeitsstätte zuzurechnen“19. Es spricht nicht für die Ken­nt­nis dieser Zusam­men­hänge, wenn das OLG Nürn­berg die Unsicher­heit ein­er Papp­kar­ton­stanze unzutr­e­f­fend mit der Arb­StättV begrün­det und die anwend­bare Betr­SichV nicht erwähnt.20 Und es spricht nicht für den Bekan­ntheits­grad der Betr­SichV, wenn das OLG Ros­tock bei ein­er Paketierungsan­lage die man­gel­nde Sicher­heit nur mit all­ge­meinen Begrif­f­en wie „Organ­i­sa­tionsver­schulden“ begrün­det, obwohl es dort um die Über­brück­ung von tren­nen­den Schutzein­rich­tun­gen und eine unzure­ichende Betrieb­san­weisung ging21 und wenn das Amts­gericht Bad Kreuz­nach beim Freis­pruch des Geschäfts­führers eines Back­be­triebes trotz aus­drück­lich­er Fest­stel­lung „sicher­heit­stech­nis­ch­er Män­gel in nicht uner­he­blichem Aus­maß“ die Betr­SichV nicht erwähnt22.
Die Betr­SichV gilt auch,
  • wenn die Arbeitsmit­tel gemietet, geleast oder geliehen23 sind und
  • wenn sie von Beschäftigten mit­ge­bracht wer­den, denn wer die „Ver­wen­dung bil­ligt“, der muss auch „die Ver­ant­wor­tung für den Arbeitss­chutz tragen“24.
2. Ver­wen­dung
Die neue Betr­SichV spricht nicht mehr von „Benutzung“, son­dern von „Ver­wen­dung“ – erfasst ist „jegliche Tätigkeit“ mit Arbeitsmit­teln. Dazu gehört ins­beson­dere „das Mon­tieren und Instal­lieren, Bedi­enen, An- oder Abschal­ten oder Ein­stellen, Gebrauchen, Betreiben, Instand­hal­ten, Reini­gen, Prüfen, Umbauen, Erproben, Demon­tieren, Trans­portieren und Über-wachen“ (§ 2 Nr. 2) – kurz: „alle Sta­di­en des betrieblichen Alltags“25.
3. Erprobun­gen und Testphasen
Bei Erprobun­gen und Test­phasen muss man unter­schei­den zwis­chen solchen des Her­stellers vor Inverkehrbrin­gen und denen des Käufers/Betreibers vor Inbe­trieb­nahme. „Erprobungen/Prüfungen vor Inverkehrbrin­gen gehören nicht zum Betrieb“, denn „sie wer­den z.B. im Hin­blick auf eine Kon­for­mitäts­be­w­er­tung für das Inverkehrbrin­gen durchge­führt und dienen z.B. der Fest­stel­lung und des Nach­weis­es der Funk­tions-/Be­trieb­s­fähigkeit gegenüber dem Auftraggeber“26. Bis zum Ende der Mon­tage hat der Auf­trag­nehmer „den Hut auf“. Die Betr­SichV set­zt aber voraus, dass ein Arbeitsmit­tel des Arbeit­ge­bers bzw. Betreibers vorhan­den und es sich nicht noch unter der Obhut des Her­stellers in der Errich­tungsphase befindet.27 Die Betr­SichV gilt zwar auch für die „Erprobung“ – aber eben nur durch den Käufer bzw. Betreiber: „Das Inverkehrbrin­gen endet mit dem soge­nan­nten haf­tungsmäßi­gen Gefahrüber­gang bei der Über­gabe der Anlage. Nach dem Inverkehrbrin­gen übern­immt i.d.R. der Betreiber (oder ein Gen­er­alauf­trag­nehmer) die Ver­ant­wor­tung für die überwachungs­bedürftige Anlage. Erprobun­gen (z.B. Ein­stel­lun­gen, Testläufe), die zu diesem Zeit­punkt erfol­gen, wer­den von dem Begriff ‚Erprobung vor erst­ma­liger Inbe­trieb­nahme‘ erfasst und fall­en unter die BetrSichV“28.
4. Überwachungs­bedürftige Anlagen
Überwachungs­bedürftige Anla­gen im Sinne des § 2 Nr. 30 ProdSG in Verbindung mit Anhang 2 Betr­SichV sind Arbeitsmit­tel, weshalb die Betr­SichV „ganz nor­mal“ voll­ständig für sie gilt (siehe II.1.).
Verpflichtet ist aber auch, „wer, ohne Arbeit­ge­ber zu sein, zu gewerblichen oder wirtschaftlichen Zweck­en eine überwachungs­bedürftige Anlage ver­wen­det“. Daher gilt die Betr­SichV auch „für überwachungs­bedürftige Anla­gen, die von einem Unternehmer ohne Beschäftigte betrieben werden“29, beispiel­sweise Aufzüge „in Wohn­häusern, in denen zumin­d­est eine Woh­nung an einen Nicht-Eigen­tümer ver­mi­etet ist“30.
Geschützt bei überwachungs­bedürfti­gen Anla­gen sind nicht nur Beschäftigte, son­dern auch „andere Per­so­n­en im Gefahren­bere­ich, soweit diese auf­grund der Ver­wen­dung gefährdet wer­den kön­nen“. § 34 ProdSG nimmt diese „Drit­ten“ schon seit 2011 in Schutz. „Andere Per­so­n­en“ sind alle Beschäftigten, die „sich im Gefahren-bere­ich ein­er überwachungs­bedürfti­gen Anlage inner­halb oder außer­halb eines Betrieb­s­gelän­des befind­en“ (§ 2 Abs. 15), aber „nicht die All­ge­mein­heit“, denn bezweckt ist „nicht der Schutz der Bevölkerung oder gar der Schutz der Umwelt“31. So tendierte das LG Det­mold gegen die Ein­beziehung der Besucherin eines Kurheims in den „Schutzbere­ich“ der Betr­SichV, als diese nach einem Sturz aus einem Aufzug in der Schadenser­satzk­lage gegen den Betreiber das Fehlen ein­er Gefährdungs­beurteilung monierte.32 Aber „in der Regel dienen die Maß­nah­men zum Schutz der Beschäftigten immer auch dem Schutz ander­er Per­so­n­en im Gefahren­bere­ich. Es gilt der Grund­satz: (Anla­gen-) Sicher­heit ist unteilbar“33.
III. Gefährdungs­beurteilung
Die Pflicht­en begin­nen in § 3 Betr­SichV mit der Gefährdungs­beurteilung als „zen­tralem Ele­ment für die Fes­tle­gung von Schutzmaßnahmen“34.
  • 1. Es gibt gemäß § 5 Arb­SchG eine„zusammenzuführende ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung“35 und § 3 Betr­SichV konkretisiert sie für die
  • 2. Die Gefährdungs­beurteilung ist let­ztlich für jedes Arbeitsmit­tel (siehe II.1.) durchzuführen. Aber „bei gle­ichar­ti­gen Arbeits­be­din­gun­gen ist die Beurteilung ein­er Tätigkeit aus­re­ichend“ (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Arb­SchG). Außer­dem kan­nErgeb­nis der Gefährdungs­beurteilung sein, dass „Sicher­heit und Gesund­heitss­chutz der Beschäftigten ohne weit­ere Maß­nah­men gewährleis­tet sind“36.
  • 3. Auch für überwachungs­bedürftige Anla­gen (siehe II.1.) ist eine Gefährdungs­beurteilung durchzuführen37, denn sie sind Arbeitsmit­tel (§ 2 Abs. 1). Sie ist sog­ar durchzuführen bei jed­er gewerblichen Ver­wen­dung, auch wenn es keine Beschäftigten gibt (siehe II.4.), mit Aus­nahme der Aufzüge (vgl. §3 Abs. 1 Satz 3).
  • 4. Die Gefährdungs­beurteilung bezieht sich auf „Zus­tand und Hand­habung des Arbeitsmittels“38. Zus­tand meint Recht­skon­for­mität (Pro­duk­t­sicher­heit) und Hand­habung meint sichere Ver­wend­barkeit in den vorge­se­henen Ein­satzbe­din­gun­gen (siehe V.).
  • 5. Auch für CE-gekennze­ich­nete Arbeitsmit­tel ist eine Gefährdungs­beurteilung durchzuführen (§ 3 Abs. 1 Satz 2). Bei ord­nungs­gemäßer CE-Kennze­ich­nung bezieht sie sich im Aus­gangspunkt nur noch auf die
  • 6. Durchge­führt werden
  • 7. Es sind
  • 8. Es geht um
  • 9. Ins­beson­dere sind zu berück­sichti­gen die „Gebrauch­stauglichkeit von Arbeitsmit­teln, ein­schließlich der ergonomis­chen, alters- und alterns­gerecht­en Gestal­tung“, die „sicher­heit­srel­e­van­ten, ein­schließlich der ergonomis­chen Zusam­men­hänge“, die „physis­chen und psy­chis­chen Belas­tun­gen der Beschäftigten“ und „vorherse­hbare Betrieb­sstörun­gen und die Gefährdung bei Maß­nah­men zu deren Beseitigung“.
  • 10. Zu ermit­teln und festzule­gen sind auch „Art und Umfang erforder­lich­er Prü­fun­gen von Arbeitsmit­teln sowie die Fris­ten von wiederkehren­den Prü­fun­gen“, die befähigten Per­so­n­en, die dann prüfen (siehe XIII.), und ob Änderun­gen von Arbeitsmit­teln oder ihre Instand­set­zung Ein­fluss auf die Sicher­heit haben (siehe XI. und XII.).
  • 11. Die Gefährdungs­beurteilung muss „regelmäßig über­prüft“ wer­den und sie muss „aktu­al­isiert“ wer­den bei „sicher­heit­srel­e­van­ten Verän­derun­gen“ oder Erken­nt­nis­sen etwa aus der Wirk­samkeit­sprü­fung oder dem Unfallgeschehen.
  • 12. Vorar­beit­en des Her­stellers kön­nen „gerin­geren Aufwand bei der Gefährdungs­beurteilung und deren Doku­men­ta­tion“ bedeuten43:
  • 13. a) Richtigkeitsver­mu­tung: Der Arbeit­ge­ber „darf davon aus­ge­hen, dass die vom Her­steller mit­geliefer­ten Infor­ma­tio­nen zutr­e­f­fend sind, es sei denn, dass er über andere Erken­nt­nisse ver­fügt“ (§ 3 Abs. 4) – gemeint sind ins­beson­dere die „Betriebs- bzw. Gebrauch­san­leitung“, die zwin­gend beige­fügt wer­den muss44 und die Risikobeurteilung, auf die der Käufer keinen Anspruch hat45, die er aber im Kaufver­trag fordern kann.
b) Über­nah­mev­ere­in­fachung: Der Arbeit­ge­ber darf diese Infor­ma­tio­nen „übernehmen“; „Anleitun­gen“ – so § 3 Abs. 5 – kann sich der Arbeit­ge­ber „nach ein­er Plau­si­bil­ität­sprü­fung zu eigen machen und seine Gefährdungs­beurteilung darauf aufbauen“46; aber es muss auch „die durch den Her­steller durchge­führte Risikobeurteilung für das Arbeitsmit­tel nicht wieder­holt“ werden.47
IV. Doku­men­ta­tion der Gefährdungsbeurteilung
§ 3 Abs. 8 fordert die Doku­men­ta­tion des „Ergeb­niss­es der Gefährdungsbeurteilung“
  • „vor der erst­ma­li­gen Ver­wen­dung der Arbeitsmittel“,
  • „auch in elek­tro­n­is­ch­er Form“.
Die Doku­men­ta­tion hat fol­gende Mindestinhalte:
  • Gefährdun­gen, wobei es „bei gle­ichar­ti­gen Arbeitsmit­teln und Gefährdun­gen“ (siehe III.2.) aus­re­ichend ist, „wenn die Doku­men­ta­tion zusam­menge­fasste Angaben enthält“48,
  • Schutz­maß­nah­men (zu ihnen siehe V.2.),
  • Maß­nah­men zur Erfül­lung der Betr­SichV bei Abwe­ichung von Tech­nis­chen Regeln (siehe IX.4.a.),
  • Art und Umfang der erforder­lichen Prü­fun­gen sowie Fris­ten der wiederkehren­den Prü­fun­gen (siehe XIII.),
  • das Ergeb­nis der Wirk­samkeit­süber­prü­fung (siehe II.11.) – auch wenn „keine Aktu­al­isierung erforder­lich ist, so hat der Arbeit­ge­ber dies unter Angabe des Datums der Über­prü­fung in der Doku­men­ta­tion zu vermerken“.
Im näch­sten Teil dieses Beitrags geht es unter anderem um Anforderun­gen an Arbeitsmit­tel und deren Ver­wen­dung und Prü­fung, Bestandss­chutz und Schutz­maß­nah­men bei Instand­hal­tungs­maß­nah­men und Änderungen.
  • 1 Zur Fas­sung 2002 siehe Thomas Wilrich, Prü­fung Betrieb und Überwachung von Arbeitsmit­teln und Anla­gen nach der Betrieb­ssicher­heitsverord­nung, in: Der Betrieb (DB) 2002, S. 1553 und 2165.
  • 2 Vgl. BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 71 und 77.
  • 3 Für eine Abfallbe­sei­t­i­gungsan­lage VGH Baden-Würt­tem­berg, Urteil v. 15.12.1987 – Az. 10 S 240/86.
  • 4 LASI-Leitlin­ien zur Betr­SichV (LV 35), 3. Aufl. 2008, B 12.1.
  • 5 Denn § 2 Abs. 5 Arb­SchG sagt: „Als Betriebe im Sinne dieses Geset­zes gel­ten für den Bere­ich des öffentlichen Dien­stes die Dienststellen“.
  • 6 Hierzu kön­nen die Form­blät­ter in der DGUV Infor­ma­tion 211–001 (bish­er BGI 528/GUV‑I 528–1) oder in DGUV Regel 100–001 „Grund­sätze der Präven­tion“ (dort in Nr. 2.12 auf Seite 52) ver­wen­det wer­den. Siehe hierzu die Fallbe­sprechung „Der ‚haf­tungss­cheue‘ Pro­fes­sor – Pflicht­enüber­tra­gung durch Weisung auch gegen den Willen? Urteil des VG Augs­burg vom 20.12.2012 zur Del­e­ga­tion von Arbeitss­chutzpflicht­en im Öffentlichen Dienst“ von Thomas Wilrich, in: sich­er ist sich­er (sis) Heft 4/2014.
  • 7 BAG, Urteil v. 30.9.2014 – 1 ABR 106/12.
  • 8 Vgl. aus­führlich Thomas Wilrich, Ver­ant­wortlichkeit und Pflicht­enüber­tra­gung im Arbeitss­chutzrecht, in: Der Betrieb (DB) 2009, 1294.
  • 9 So die For­mulierung in § 130 Ord­nungswidrigkeit­enge­setz (OWiG).
  • 10 LASI-Leitlin­ien zur Betr­SichV (LV 35), 3. Aufl. 2008, A 3.3.
  • 11 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 78.
  • 12 LASI-Leitlin­ien zur Betr­SichV (LV 35), 3. Aufl. 2008, A 10.2.
  • 13 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 90.
  • 14 BR-Drs. 400/14 (Beschluss) v. 28.11.2014, S. 10.
  • 15 So z.B. Nor­bert Kollmer, BauStel­lV, 2. Aufl. 2004, § 3 Rn. 59; Jür­gen Schliephacke, Organ­i­sa­tion des Arbeits- und Gesund­heitss­chutzes, in: Voss (Hrsg.), Hand­buch Arbeitss­chutz 2004, S. 125, 132; Rain­er Tepasse, Hand­buch Sicher­heits- und Gesund­heitss­chutz auf Baustellen, 3. Aufl., 3.4, S. 187.
  • 16 So Nor­bert Kollmer, BauStel­lV, 2. Aufl. 2004, § 3 Rn. 60; unklar Beck, in: Rain­er Tepasse, Hand­buch Sicher­heits- und Gesund­heitss­chutz auf Baustellen, 3. Aufl., der ein­er­seits – in 4.4.1, S. 216 – automa­tis­che Weisungs­befug­nisse annimmt, und ander­seits – in 4.6.2, S. 219 – eine Ver­tragsregelung fordert.
  • 17 BR-Drs. 301/02 v. 11.4.2002, S. 82 zur alten BetrSichV.
  • 18 Hans-Peter Raths, Die neue Betrieb­ssicher­heitsverord­nung 2015, in: Sicher­heitsin­ge­nieur Heft 2/2015, S. 8, 10.
  • 19 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 77.
  • 20 Zum Urteil des OLG Nürn­berg vom 17. Juni 2014 vgl. die Fallbe­sprechung von Thomas Wilrich, „Der Unfall an der Papp­kar­ton­stanze“, in: BPUVZ Heft 3/2015.
  • 21 Zum Urteil des OLG Ros­tock vom 8. Juli 2011 vgl. die Fallbe­sprechung von Thomas Wilrich: „Der Unfall bei der Reini­gung des Rol­len­gangs Prax­is­fall zu den Organ­i­sa­tions- und Auf­sicht­spflicht­en bei Fremd­fir­men­beauf­tra­gung“, in: sich­er ist sich­er (sis) Heft 9/2013.
  • 22 Zum Urteil des AG Bad Kreuz­nach aus Sep­tem­ber 2012 vgl. die Fallbe­sprechung von Thomas Wilrich: „Unser täglich Brötchen“ gib uns heute – und ver­schone uns vor Brand­blasen, gib uns Schutzhand­schuhe und unter­weise uns“, in: BPUVZ Heft 3/2013.
  • 23 LASI-Leitlin­ien zur Betr­SichV (LV 35), 3. Aufl. 2008, A 7.5.
  • 24 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 83.
  • 25 Thorsten Neu­mann, Organ­i­sa­tion der Prü­fung von Arbeitsmit­teln, 2007, Punkt 7.5.2, S. 95.
  • 26 LASI-Leitlin­ien, Betr­SichV, B 2.3.
  • 27 Daher hat­te die Betr­SichV im Urteil des VG Regens­burg vom 31.3.2011 (Az. RN 5 K 09.2518) keine Rolle gespielt. Vgl. die Fallbe­sprechung von Thomas Wilrich, „Her­steller oder Betreiber? Wer ist für was ver­ant­wortlich bei einem Unfall während der Inbe­trieb­nahme ein­er Anlage?“, in: sich­er ist sich­er (sis) Heft 3/2013.
  • 28 LASI-Leitlin­ien, Betr­SichV, (LV35), 3. Aufl. 2008, B 2.3 zum alten § 2 Abs. 3 Betr­SichV, der auch die „Erprobung“ erwähnte.
  • 29 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 71.
  • 30 VG München, Beschluss v. 18.1.2011 – Az. M 16 S 10.6109.
  • 31 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 75.
  • 32 LG Det­mold, Urteil v. 4.8.2014 – 1 O 228/13.
  • 33 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 75.
  • 34 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 69.
  • 35 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 69 und 80.
  • 36 So TRBS 1111 „Gefährdungs­beurteilung“ Nr. 3.3.4
  • 37 Vgl. Bernd Wiebauer, Die neue Betrieb­ssicher­heitsverord­nung 2015, in sich­er ist sich­er (sis) Heft 3/2015, S. 145, 147.
  • 38 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 80.
  • 39 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 90.
  • 40 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 79.
  • 41 Die fehlende Konkretheit ein­er Gefährdungs­beurteilung hat­te das OLG Nürn­berg in einem Urteil vom 17. Juni 2014 kri­tisiert, vgl. die Fallbe­sprechung „Der Unfall an der Papp­kar­ton­stanze“ von Thomas Wilrich, in: BPUVZ Heft 3/2015.
  • 42 So § 3 Abs. 1 Satz 2 der früheren BetrSichV.
  • 43 So BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 73.
  • 44 Vgl. z.B. Art. 5 Abs. 1 c) EG-Maschi­nen­richtlin­ie 2006/42.
  • 45 Vgl. Europäis­che Kom­mis­sion, Leit­faden für die Anwen­dung der Maschi­nen­richtlin­ie 2006/42/EG, 2. Aufl. 2010, § 393.
  • 46 BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 81.
  • 47 So BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 81.
  • 48 TRBS 1111 Gefährdungs­beurteilung Nr. 3.3.8.
Autor
Recht­san­walt Prof. Dr. Thomas Wilrich,
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsin­ge­nieur­we­sen, zuständig für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Tech­nik- und Unternehmensorganisationsrecht
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