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Die politisch korrekte Grippe

In aller Munde
Die politisch korrekte Grippe

Die politisch korrekte Grippe
LillyDay / iStockphoto
Die so genan­nte Schweine­grippe ist in aller Munde, und manche haben sie sog­ar tat­säch­lich im Kör­p­er. Die Gut­men­schen stre­it­en sich der­weil, wie man die durch den H1N1-Virus aus­gelöste Krankheit denn poli­tisch kor­rekt beze­ich­net. Den Begriff „Schweine­grippe“ lehnen sie ab, weil er nach ihrer Auf­fas­sung die armen Schweine diskri­m­iniert, die gar nichts dafür kön­nen, dass sie offen­bar die Quelle für diesen Virus waren. Bei der Vogel­grippe vor eini­gen Jahren hat­te man solche Bedenken nicht (vielle­icht weil Vögel „min­der­w­er­tigere“ Tiere sind als Schweine?).

Dr. Ulrich Welzbacher

Also macht­en sich die Gut­men­schen auf die Suche nach ein­er anderen – poli­tisch kor­rek­ten – Beze­ich­nung für die durch den H1N1-Virus aus­gelöste Krankheit. Vorgeschla­gen wurde „mexikanis­che Grippe“, weil der Virus seinen Aus­gangspunkt in Mexiko hat­te. Aber diese Beze­ich­nung hätte die Mexikan­er diskri­m­iniert, die für die Aus­bre­itung der Krankheit sicher­lich eben­so wenig kön­nen wie ihre Schweine. Bei der spanis­chen Grippe nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hat­te man sein­erzeit solche Bedenken aber nicht, und auch heute wird in diesem Zusam­men­hang immer noch unge­niert von der „Spanis­chen Grippe“ gesprochen. Sind also die Mexikan­er wertvollere Men­schen als die Spanier?
Die neueste Grippe, die es je gab!
Als kon­sens­fähig scheint sich der Begriff „Neue Grippe“ her­aus­ge­bildet zu haben, der zum Beispiel auch von der Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin (BAuA) ver­wen­det wird. Aber der jet­zt aktuelle Virus wird sicher­lich nicht der let­zte bleiben. Wenn uns dann in eini­gen Jahren der näch­ste Virus heim­sucht, stellt sich wieder die Frage nach ein­er poli­tisch kor­rek­ten Beze­ich­nung: „Ganz neue Grippe“? „Superneue Grippe“? „Die neueste Grippe, die es je gab!“ (Diese Grippe ist so neu – neuer geht’s nicht!)?
Urige Sprachkon­struk­te
Der Stre­it um die poli­tisch kor­rek­te Beze­ich­nung von Men­schen, Ereignis­sen oder Gegen­stän­den ist nicht neu, tobt aber wohl nir­gends so gründlich wie in Deutsch­land. Die urig­sten Stil­blüten treibt diese Diskus­sion wohl bei der poli­tisch kor­rek­ten Beze­ich­nung und Dif­feren­zierung der Geschlechter. Wortkon­struk­te wie das großgeschriebene „Innen“ (z.B. „Sicher­heitsin­ge­nieurIn­nen“), um bei­de Geschlechter in einem Wort zu beze­ich­nen, gibt es nur im Deutschen. Eine solche Wort­bil­dung hat aber zumin­d­est den Vorteil, dass sie kürz­er ist als etwa die For­mulierung in einem frühen Entwurf der SPD zum Arbeitss­chutzrah­menge­setz Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhun­derts, wo es (ern­sthaft!) hieß:
„Die Bun­deskan­z­lerin oder der Bun­deskan­zler kann im Ein­vernehmen mit der Min­is­terin oder dem Min­is­ter für Arbeit und Sozialord­nung, der Min­is­terin oder dem Min­is­ter des Innern und der Min­is­terin oder dem Min­is­ter für Umwelt, Naturschutz und Reak­tor­sicher­heit einen bera­ten­den Auss­chuss bilden, in dem Vertreterin­nen und Vertreter der Arbeit­ge­berin­nen und Arbeit­ge­ber, der Arbeit­nehmerin­nen und Arbeit­nehmer, der Ver­braucherin­nen und Ver­brauch­er, der Her­stel­lerin­nen und Her­steller, der Händ­lerin­nen und Händler, der Sicher­heitsin­ge­nieurin­nen und Sicher­heitsin­ge­nieure, der Arbeitsmedi­ziner­in­nen und Arbeitsmedi­zin­er sowie Wis­senschaft­lerin­nen und Wis­senschaftler vertreten sind…“
In ein­er Lokalzeitung las ich kür­zlich sog­ar von den „Mit­gliederin­nen ein­er Damenkarnevals­ge­sellschaft“! Man/frau mag sich angesichts solch­er Wortkon­struk­te an den Kopf (oder an die Köpfin?) fassen, aber die eigentliche Diskri­m­inierung des weib­lichen Geschlechts in Deutsch­land hat offen­bar noch nie­mand so richtig wahrgenom­men: Es gibt Män­ner und Frauen, Damen und Her­ren. Wobei die Damen und Her­ren die vornehmere Form von Frauen und Män­nern sind. Aber es heißt „Herr und Frau Müller“! Also der vornehme Herr und die ordinäre Frau in einem Atemzug! Liebe Alice Schwarz­er. Warum haben Sie diese Unge­heuer­lichkeit eigentlich noch nicht in aller Öffentlichkeit gegeißelt? Also entwed­er: „Herr und Dame Müller“ oder „Mann und Frau Müller“…
Von Zige­unern, Les­ben, Schwulen und anderen Menschen
In mein­er Jugend beze­ich­nete man unsere afrikanisch-stäm­mi­gen Mit­bürg­er noch unge­niert als „Neger“. (Und in mein­er Heimat­stadt drehte man sich auf der Straße sog­ar nach diesen Men­schen um, weil sie zu jen­er Zeit im Stadt­bild noch recht sel­ten vorka­men.) Kon­se­quenter­weise wur­den inzwis­chen also die „Negerküsse“ in Schokoküsse umbe­nan­nt. Aber wie heißen jet­zt die „Negerpup­pen“, mit denen kleine Mäd­chen heute sicher­lich noch genau­so gern spie­len wie damals? Vorschlag aus der „Elternzeit“ in der Wochen­zeitung „Die Zeit“ vom 20.9.2006: Interkul­turelle Hand­puppe. Ob das ein Kind wohl auf seinen Wun­schzettel für das näch­ste Wei­h­nachts­fest schreibt? In der Ital­ienis­chen Sprache heißt dieses Spielzeug übri­gens „bam­bo­la nera grottesca“…
Eben­so gilt die Beze­ich­nung „Zige­uner“ heute als unschick­lich. Die Ange­höri­gen dieser Volks­gruppe leg­en Wert darauf, dass sie als Sin­ti und Roma beze­ich­net wer­den. Der Sechziger-Jahre-Hit „Zige­uner­junge“ der Sän­gerin Alexan­dra wäre heute – obwohl sein­erzeit sicher­lich nicht diskri­m­inierend gemeint – also in dieser Form wohl nicht mehr möglich. Was aber ist mit der Zige­uner­suppe und dem Zige­uner­schnitzel? „Sin­ti- und Roma­sup­pe/-schnitzel“ kön­nte doch eher aus­ge­sprochen üble Assozi­a­tio­nen wecken…
Die Les­ben und Schwulen sind da einen ganz anderen Weg gegan­gen: Waren diese Begriffe in früheren Jahren im Empfind­en der meis­ten Men­schen noch neg­a­tiv belegt, haben Schwule und Les­ben diese Beze­ich­nung ganz bewusst für sich selb­st in Anspruch genom­men und mit Stolz ver­wen­det. In der Folge gel­ten diese Begriffe heute als „poli­tisch korrekt“.
Ist „SiFa“ ein Schimpfwort?
Auch die Beze­ich­nung „Sicher­heits­fachkraft“ soll ange­blich einen diskri­m­inieren­den Anstrich haben (vielle­icht weil die deutsche Sprache den Unter­schied zwis­chen „Safe­ty“ und „Secu­ri­ty“ nicht ken­nt?), SiFa gar ein Schimpf­wort sein. Poli­tisch kor­rekt richtet sich diese Zeitschrift an „Fachkräfte für Arbeitssicher­heit“. Diese Berufs­beze­ich­nung hat zwar viele Buch­staben, dafür kann sich bei ihrer Ver­wen­dung aber nie­mand auf die Füße getreten fühlen.
Apro­pos Füße: In welch­er Art von Schuh­w­erk steck­en diese eigentlich? Als ich vor mehr als 30 Jahren „ins Geschäft“ kam, gab es nur Sicher­heitss­chuhe. Dann wur­den sich einige kluge Men­schen des Unter­schieds zwis­chen Schutz und Sicher­heit bewusst und erkan­nten, dass diese Schuhe doch richtiger­weise bess­er „Schutzschuhe“ heißen müssten. Die ein­schlägige Norm DIN 4843 zeich­nete diesen Begriff­swan­del nach. Heute gibt es bei­des: Schutzschuhe nach EN 346 und Sicher­heitss­chuhe nach EN 345, daneben noch Beruf­ss­chuhe ohne Zehen(schutz)kappe nach EN 347. Also sollen Schutzschuhe wohl schützen und Sicher­heitss­chuhe aus­re­ichende Sicher­heit bieten. Ob der nor­male Anwen­der das noch versteht?
Ständig neue Begriffe im (Berufs)leben
Aber im Beruf­sleben – und nicht nur dort – müssen wir uns ja ständig an neue Begriffe gewöh­nen: Der gute alte Zoll­stock heißt heute Glie­der­messstab. Und wenn die Presse über Schad­stoffe in Beruhi­gungssaugern berichtet, weiß natür­lich jed­er (?) sofort, dass es hier um Schnuller für Babys geht.
Die Kon­se­quen­zen sind klar: In Deutsch­land wird es dem­nächst keine Kinder mehr geben! Nicht etwa deswe­gen, weil die Geburten­rate noch weit­er zurück­ge­ht als schon bish­er, son­dern weil die Kleinen zukün­ftig als das beze­ich­net wer­den, was sie sind: Azuzis – Aufzuziehende.
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