Mitlaufende Auffanggeräte mit fester Führung werden zur Absturzsicherung von Personen z.B. auf Steigleitern eingesetzt. Eigentlich sollte die Europäische Norm EN 353–1 „Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz – Teil 1: Mitlaufende Auffanggeräte einschließlich fester Führung“2 alle notwendigen Festlegungen enthalten, um solche Produkte entsprechend der PSA-Richtlinie 89/686/EWG herstellen und prüfen zu können. In dieser Norm wird bisher jedoch die über die strikt bestimmungsgemäße Verwendung hinausgehende vorhersehbare Verwendung nicht ausreichend behandelt. Dies trug dazu bei, dass es immer wieder zu schweren Unfällen kam, und veranlasste die britischen Behörden dazu, die Norm formell anzufechten.
KAN Hern Corado Mattiuzzo Alte Heerstraße 111 53757 Sankt Augustin
- 1 Siehe hierzu auch Sicherheitsingenieur 9/2008: „Wie sicher sind Steigschutzeinrichtungen? – ein Sachstandsbericht“, Dipl.-Ing. Wolfgang Schäper, Fachausschuss „Persönliche Schutzausrüstung“ Obmann des Sachgebietes „PSA gegen Absturz/ Rettungsausrüstungen“
- 2 Frühere Bezeichnung: Steigschutzeinrichtungen einschließlich fester Führung
- 3 http://www.dguv.de/psa/de/themenfelder/ sg_absturz/index.jsp
EN 353–1 löst nicht mehr die Vermutungswirkung aus
Die Arbeitsgruppe „Persönliche Schutzausrüstungen“ bei der Europäischen Kommission befasste sich daraufhin in ihrer Sitzung vom 24./25. Mai 2009 mit diesem Thema. Sie kam zu dem Schluss, dass die Norm den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen von Anhang II Abschnitte 1, 1.1.1, 1.4 und 3.1.2.2 der PSA-Richtlinie nicht genügt. Insbesondere fänden sich in der Norm keine ausreichenden Spezifikationen zu realistisch vorhersehbaren Absturzbedingungen wie Stürzen nach hinten oder zur Seite. Deshalb hat die Kommission beschlossen, die Fundstelle der Norm aus dem Amtsblatt der Europäischen Union zu streichen.
Damit ist klargestellt, dass die EN 353–1:2002 nicht die so genannte Vermutungswirkung auslöst. Hersteller, Prüfstellen und die Marktaufsicht dürfen somit nicht mehr davon ausgehen, mit der Anwendung der Norm die gesetzlich vorgeschriebenen Beschaffenheitsanforderungen zu erfüllen.
Was fällt unter vorhersehbare Verwendung?
Die Bestimmungen der EN 353–1:2002 decken derzeit nur das normale Auf- und Absteigen entlang der festen Führung ab. Nicht explizit berücksichtigt sind beispielsweise die Verwendung in beengten Arbeitsumgebungen oder besondere Umstände, die den Fall des Benutzers so beeinflussen, dass er nach hinten oder zur Seite fällt. Auch darf das System z.B. nicht eingesetzt werden, um die Position bei Arbeiten in der Höhe zu sichern. Die Norm deckt also nur den Fall ab, dass das System streng nach den Vorgaben des Herstellers verwendet wird. Andernfalls ist es möglicherweise nicht voll funktionsfähig und kann die Sicherheit des Benutzers gefährden.
Die Abschnitte 1.1.1 und 3.1.2.2 des Anhangs II der europäischen Richtlinie über Persönliche Schutzausrüstung (89/686/ EWG) verpflichten den Hersteller ausdrücklich dazu, nicht nur die bestimmungsgemäße, sondern auch die vorhersehbare Verwendung von Persönlicher Schutzausrüstung zu berücksichtigen. Hersteller müssen also nicht nur dann die Sicherheit gewährleisten, wenn die PSA unter genau den von ihnen definierten Bedingungen verwendet wird, sondern auch, wenn sie der Anwender in vorhersehbarer Weise anders einsetzt.
Schwere Unfälle, die sich in den vergangenen Jahren durch die falsche Verwendung von Auffanggeräten einschließlich fester Führung ereignet haben, zeigen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Experten sind sich einig, dass die EN 353–1:2002 zum Beispiel mit zusätzlichen Gestaltungsanforderungen ergänzt werden muss, um die vorhersehbare Verwendung besser zu berücksichtigen.
Binnenmarkt noch nicht Realität
Wegen der oben geschilderten Probleme mit der EN 353–1 besteht, anders als für den Europäischen Binnenmarkt eigentlich erforderlich, gegenwärtig noch keine einheitliche Referenz, an der sich Baumusterprüfungen für mitlaufende Auffanggeräte mit fester Führung messen lassen könnten. Dass sich für Baumusterprüfungen zuständige „Benannte Stellen“ (Notified Bodies) ausschließlich nach den Bestimmungen der EN 353–1:2002 richten, wäre zwar schon bisher nicht korrekt gewesen. Nach der nun erfolgten Entscheidung auf europäischer Ebene sollte dies nun auch tatsächlich nicht mehr vorkommen. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund unterschiedlicher nationaler Ansätze von Land zu Land weiterhin und ggf. sogar verstärkt unterschiedliche zusätzliche Prüfungen durchgeführt werden (müssen).
Detaillierte Informationen und Fachartikel rund um den Umgang und die Prüfung von Absturzsicherungen finden sich auf den Internetseiten des Fachausschusses PSA der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung3.
Wie geht es mit der Norm weiter?
Aus deutscher Sicht werden insbesondere folgende Aspekte derzeit von der EN 353–1:2002 nicht angemessen behandelt:
- Mögliche horizontal wirkende Kräfte auf das Gerät.
- Seitlicher Fall des Benutzers.
- Erhöhter Abstand zwischen der Führung und dem Schwerpunkt des Benutzers, z. B. aufgrund mangelhafter Anpassung des Auffanggurtes.
- Manuelle Führung des mitlaufenden Auffanggeräts.
- Prüfanforderungen an die Endsicherung für Fälle, in denen die Führung nicht bis zum Boden reicht.
Es besteht jedoch auf europäischer Ebene bisher kein Konsens darüber, mit welchen konkreten Methoden diese Aspekte reproduzierbar geprüft werden können.
Die Europäische Kommission wird aller Voraussicht nach in Kürze das zuständige Europäische Normungskomitee „Schutz gegen Absturz und Arbeitsgurte“ (CEN/TC 160) in einem Mandat auffordern, die von der Arbeitsgruppe „Persönliche Schutzausrüstungen“ festgestellten Schwachstellen zu korrigieren. Hersteller und Prüfer von Auffanggeräten müssen für diese in Expertenkreisen bereits seit längerem bekannten Probleme nun endlich einvernehmliche Lösungen finden. Es bleibt zu hoffen, dass das CEN/TC 160 mit Unterstützung dieses Mandats zu einem Konsens findet und die seit Jahren andauernden Arbeiten an der Überarbeitung der EN 353–1 so schnell wie möglich abschließt.
Autor
Corado Mattiuzzo, KAN – Kommission Arbeitsschutz und Normung Geschäftsstelle Alte Heerstraße 111, 53757 Sankt Augustin Tel.: +49(0)2241/231‑3466 Fax: +49(0)2241/231‑3464 E‑Mail: mattiuzzo@kan.de
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