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Der Ausschuss für Arbeitsstätten (ASTA) hat in seiner Sitzung im Sommer 2012 weitere Arbeitsstättenregeln zur Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) abschließend diskutiert und beschlossen und neue Projekte für weitere Arbeiten an Arbeitsstättenregeln verabschiedet.
Aktuelle Weiterentwicklungen in der Arbeitswelt, insbesondere der Technik, müssen vom ASTA (s. Kasten „Der Arbeitsstättenausschuss“) frühzeitig aufgenommen und zusammen mit dem Fachwissen und den Praxiserfahrungen der unabhängigen Vertreter aktiv für die „Regelermittlung“ genutzt werden. Die vom ASTA beschlossenen Arbeitsstättenregeln werden vom BMAS im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl) offiziell bekannt gemacht und sind auch auf der Internetseite der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ( www.BAuA.de) kostenfrei zugänglich.
Bei Beachtung und Umsetzung einer für den Betrieb zutreffenden Arbeitsstättenregel oder von Teilen einer Regel gewährt der Rechtsetzer dem Arbeitgeber insoweit die Vermutungswirkung. Vermutungswirkung bedeutet, dass der Arbeitgeber, der die zutreffenden Arbeitsstättenregeln einhält, davon ausgehen kann, dass er auch die entsprechenden Vorschriften der ArbStättV erfüllt. Die zuständigen Vollzugsbehörden (z.B. Gewerbeaufsichtsämter/Staatliche Arbeitsschutzämter) akzeptieren die nach einer ASR durchgeführten Maßnahmen.
Neuerungen im Arbeitsstättenregelwerk
Am 19. Juni 2012 fand die fünfte ordentliche Sitzung des Ausschusses für Arbeitsstätten, der in seiner zweiten Berufungsperiode arbeitet, statt. Teilnehmer waren die 15 Mitglieder des ASTA und deren Stellvertreter. An den Sitzungen des ASTA können auch Vertreter der Bundesministerien und der zuständigen obersten Landesbehörden (Aufsichtsbehörden) ohne Stimmrecht teilnehmen. Vorbereitet und durchgeführt werden die ASTA-Sitzungen von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA, Dresden), die als Geschäftsstelle mit der Führung der Geschäfte des Ausschusses beauftragt ist (ArbStättV § 7 Abs. 6).
Die verschiedenen Arbeitskreise oder Projektgruppen des ASTA – das sind die Arbeitsgremien – haben die Aufgabe übernommen neue Arbeitsstättenregeln zu erstellen, die die ArbStättV konkretisieren. Dabei sollen die alten Arbeitsstättenrichtlinien (Regeln zur alten Arbeitsstättenverordnung von 1975) berücksichtigt werden, sofern sie noch dem heutigen Stand der Technik entsprechen.
Beschlossen wurden auf der ASTA-Sitzung folgende neue Arbeitsstättenregeln:
- ASR A1.8 Verkehrswege (GMBl 2012 Nr. ??? S. ???),
- ASR A2.1 Schutz vor Absturz und herabfallende Gegenstände, Betre ten von Gefahrenbereichen (GMBl 2012 Nr. ??? S. ???),
- ASR V3a2 Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten (GMBl 2012 Nr. 37 S. 663),
- ASR A 4.2 Pausen- und Bereitschaftsräume (GMBl 2012 Nr. 37 S. 660).
Die beschlossenen ASR-Entwürfe wurden anschließend vom ASTA an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales überwiesen mit der Bitte, die abschließende Prüfung auf Rechtsförmlichkeit durchzuführen. Nach dieser Prüfung werden die ASR’en über die Geschäftsstelle des ASTA zur Veröffentlichung im „Gemeinsamen Ministerialblatt der Bundesregierung“ (GMBl) dem Carl-Heymanns Verlag übergeben. Der zuständige Herausgeber für das GMBl ist das Bundesministerium des Inneren; dieses Ministerium macht die Arbeitsstättenregeln öffentlich bekannt. Ab dem Veröffentlichungsdatum können die ASR für das Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten angewandt werden.
ASR A1.8 Verkehrswege
Die ASR A1.8 Verkehrswege löst folgende „alten“ Arbeitsstättenrichtlinien ab:
- ASR 17/1,2 Verkehrswege (Ausgabe 1988),
- ASR 18/1–3 Fahrtreppen und Fahrsteige (Ausgabe 1977),
- ASR 20 Steigeisengänge und Steigleitern (Ausgabe 1997).
Die neue Arbeitsstättenregel „Verkehrswege“ konkretisiert die ArbStättV in den Anforderungen des § 4 Absatz 3 und im Anhang Ziffern 1.8 (Verkehrswege), 1.9 (Fahrtreppen, Fahrsteige), 1.10 (Laderampen) und 1.11 (Steigleitern, Steigeisengänge) für das Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten. Die ASR enthält Anforderungen an Verkehrswege, die für den Fußgänger- (enthalten sind Treppen, Laderampen usw.) und/oder Fahrzeugverkehr eingerichtet oder betrieben werden. Enthalten sind auch Anforderungen an Steigeisen und Steigleitern sowie an Fahrtreppen und Fahrsteige. Allerdings enthalten die Regelungen keine Produktbeschaffenheitsanforderungen an Steigleitern, Steigeisengänge oder Fahrtreppen und Fahrsteige, sondern Maßnahmen hinsichtlich der Sicherheit bei der Einbau- und Umgebungssituation beim Einrichten und Betreiben. Die Produktsicherheit richtet sich nach dem Produktsicherheitsgesetz beziehungsweise dem Bauproduktengesetz. Die ASR sorgt für die Sicherheit im eingebauten Zustand (Nutzersicherheit).
Der Arbeitgeber muss im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung und gegebenenfalls anhand der Betriebsanleitung des Herstellers beim Einrichten und Betreiben die Eignung und Verwendbarkeit von z.B. Steigeisen, Steigleitern, Fahrtreppen und Fahrsteigen in den Verkehrswegen für die vorgesehene Nutzung beurteilen. Gegebenenfalls sind noch erforderliche bauliche Sicherungsmaßnahmen und/oder bauliche Veränderungen am Einbauort zum Sichern der Verkehrswege vorzunehmen (z.B. Sichern von entstandene Quetschstellen usw.).
Die ASR A1.8 unterscheidet in verschiedenen Kapiteln zwischen Einrichten von Verkehrswegen und Betreiben von Verkehrswegen. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der Instandhaltung und sicherheitstechnischen Funktionsprüfung von Sicherheitseinrichtungen in Verkehrswegen. Für Verkehrswege auf Baustellen werden ergänzende und abweichende Anforderungen festgelegt.
ASR A2.1 Schutz vor Absturz und herabfallende Gegenstände, Betreten von Gefahrenbereichen
Diese ASR ersetzt die ASR 12/1–3 „Schutz gegen Absturz und herabfallende Gegenstände“ aus dem Jahr 1986. Die ASR A2.1 konkretisiert die Anforderungen des Anhangs der ArbStättV Ziffer 1.5 Absatz 4 (nicht durchtrittsichere Dächer) und Ziffer 2.1 (Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen). Im Kapitel „Begriffsbestimmungen“ sind grundlegende Begriffe definiert, z.B. Absturzkante, Abrutschen, Auffangvorrichtung und so weiter. Weitere Kapitel sind z.B. „Maßnahmen zum Schutz vor Absturz“, „Maßnahmen gegen herabfallenden Gegenstände“ und „Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Dächern“.
ASR V3a2 Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten
Für die ASR V3a2 „Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten“ gab es keine Vorgängerversion einer Arbeitsstättenrichtlinie, die zu ersetzen war. Die ASR konkretisiert den § 3a Absatz 2 der ArbStättV, die Forderung in Absatz 2 wiederum geht auf die EG-Richtlinie 89/654/EWG – Anhang I Nr. 20 – zurück. Die ASR regelt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsstätten so einzurichten und zu betreiben hat, dass die besonderen Belange der dort beschäftigten Menschen mit Behinderungen im Hinblick auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Dieses Erfordernis ergibt sich immer dann, wenn Menschen mit Behinderungen beschäftigt werden. Es ist allerdings nach der ASR nicht vorgesehen, dass Arbeitsstätten von vornherein behindertengerecht einzurichten sind.
Bei der Vielzahl der unterschiedlichen Behinderungsarten, ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen und abgestuften Schweregraden erscheint es nicht für den Arbeitgeber zumutbar, ohne individuellen Bezug von Anfang an eine die gesamte Bandbreite möglicher Behinderungen abdeckende, barrierefreie Ausgestaltung der Arbeitsplätze und Arbeitsstätten vorzuhalten. Die Vorschriften der ArbStättV beschränken sich aus diesem Grund auf die individualrechtliche Prävention. Es sind nach der ASR die Bereiche der Arbeitsstätte barrierefrei zu gestalten, zu denen die Beschäftigten mit Behinderungen Zugang haben müssen.
Die Auswirkung der jeweiligen Behinderung und die daraus resultierenden individuellen Erfordernisse sind im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung für die barrierefreie Gestaltung der Arbeitsstätte zu berücksichtigen. Die Pflichten aus der ASR beziehen sich nicht nur auf im Betrieb namentlich bekannte schwerbehinderte Beschäftigte, sondern auf alle Beschäftigten mit einer Behinderung.
Eine Behinderung kann nach der ASR auch dann vorliegen, wenn eine Schwerbehinderung nicht besteht (der Grad der Behinderung also weniger als 50 beträgt) oder der Beschäftigte die Feststellung einer Behinderung nicht offiziell beantragt hat. Nach der in der ASR enthaltenen Definition liegt eine Behinderung vor, „… wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder psychische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und dadurch Einschränkungen am Arbeitsplatz oder in der Arbeitsstätte bestehen …“.
Die ASR enthält Anhänge, in denen Anforderungen anderer ASR hinsichtlich der barrierefreien Gestaltung von Arbeitsstätten ergänzt werden. So enthält der Anhang A1.3 ergänzende Anforderungen zur ASR A1.3 „Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung“, z.B. wie zum Ausgleich einer nicht mehr ausreichend vorhandenen Sinnesfähigkeit das Zwei-Sinne-Prinzip bei der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung zu berücksichtigen ist.
Der zweite Anhang der ASR V3a2 enthält ergänzende Anforderungen zur ASR A2.3 „Fluchtwege und Notausgänge, Flucht- und Rettungsplan“. Dort sind Festlegungen für die Anordnung und Abmessung der Fluchtwege und Notausgänge, die bei besonderen Anforderungen von Personen mit Behinderungen zu berücksichtigen sind, geregelt.
Diese ASR wird fortlaufend mit weiteren Anhängen zu anderen ASRn ergänzt. In Arbeit befindet derzeit die ASR A1.7 „Türen und Tore“.
ASR A 4.2 Pausen- und Bereitschaftsräume
Die ASR A4.2 „Pausen- und Bereitschaftsräume“ ersetzt die alten Arbeitsstättenrichtlinien ASR 29/1–4 „Pausenräume“, Ausgabe 1977, ASR 31 „Liegeräume“, Ausgabe Mai 1977 und ASR 45/1–6 „Tageunterkünfte auf Baustellen“, Ausgabe November 1977. Die neue ASR A4.2 deckt allerdings einen etwas größeren Geltungsbereich ab, indem zusätzlich auch Pausenbereiche, Bereitschaftsräume und Einrichtungen für schwangere Frauen und stillende Mütter geregelt werden. Definitionen, z.B. was unter einem Pausenraum zu verstehen ist, sind in Kapitel „Begriffsbestimmungen“ enthalten. Die ASR A4.2 konkretisiert im Einzelnen den § 6 Abs. 3 der ArbStättV und den Anhang Ziffern 4.2 und 5.2 Abs. 1 b) und c).
Für Baustellen sind „Ergänzende Anforderungen für Pausenräume und Pausenbereiche auf Baustellen“ enthalten. Ein anschauliches Ablaufschema hilft dem Arbeitgeber festzustellen, in welchen Fällen ein Pausenraum beziehungsweise Pausenbereich nötig ist.
Hervorzuheben ist, dass auf einen Pausenraum/Pausenbereich bei Tätigkeiten in Büroräumen oder in vergleichbaren Arbeitsräumen (z.B. Registraturen, Bibliotheken usw.) verzichtet werden kann, sofern diese während der Pause frei von arbeitsbedingten Störungen (z.B. durch Publikumsverkehr, Telefonate usw.) sind. Damit soll eine gleichwertige Erholung im Arbeitsraum gewährleistet werden.
ASR A3.5 Raumtemperatur
Die bereits veröffentlichte ASR Raumtemperatur ist um weitere Regelungen „Anforderungen für Baustellen“ ergänzt worden.
Danach ist abweichend von den bereits festgelegten Temperaturwerten für Pausen‑, Bereitschafts‑, Sanitär- und Kantinenräumen in Arbeitsstätten auf Baustellen eine Lufttemperatur von +18 °C ausreichend. Der Arbeitgeber muss allerdings sicherstellen, dass auch eine Lufttemperatur von +21 °C während der Nutzungsdauer erreicht werden kann. Auch darf von den genannten Lufttemperaturen kurzzeitig (Lüftungsvorgänge, durch die Benutzer) abgewichen werden.
Fazit
Die Arbeitsstättenregeln sind als Unterstützung für die Arbeitgeber und die anderen Akteure des Arbeitsschutzes (z.B. Arbeitsschutzfachkräfte, Betriebs-/Personalrat, Betriebsarzt) gedacht. Durch die Zusammensetzung des ASTA wird gewährleistet, dass für die betriebliche Praxis Arbeitsstättenregeln erstellt werden, auf den sich die Arbeitgeber rechtlich verlassen können.
Der Arbeitgeber kann entsprechend § 3a Abs. 1 aber auch jederzeit von den Vorgaben einer ASR in eigener Verantwortung abweichen und die Vorschriften der Verordnung durch andere Maßnahmen, die mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz der Beschäftigten gewährleisten, einhalten. Von der Wirksamkeit der eigenen Maßnahmen muss sich der Arbeitgeber allerdings im Zuge der Gefährdungsbeurteilung überzeugen.
Die bislang veröffentlichten Arbeitsstättenregeln sind auf der Internetseite der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA: www.baua.de) publiziert. Weitere Informationen zur ArbStättV und zum Thema „Sichere und Gesunde Arbeitsplätze“ finden Sie auf der Internetseite des BMAS: www.bmas.de (Stichwort: Arbeitsstätten).
Autor
Dipl.-Ing. Wolfgang Doll, BMAS
E‑Mail: Wolfgang.Doll @bmas.bund.de
Hinweis!
Die alten, derzeit noch nicht überarbeiteten Arbeitsstättenrichtlinien zur Arbeitsstättenverordnung von 1975 sind mit Jahresbeginn 2013 ungültig geworden (die Übergangsfrist in der ArbStättV – § 8 Absatz 2 – endet am 31.12. 2012). Dies betrifft insbesondere die alten Arbeitsstättenrichtlinien ASR 37/1 „Toilettenräume“, ASR 34/1–5 „Umkleideräume“, ASR 35/1–4 „Waschräume“ sowie ASR 35/5 „Waschgelegenheiten außerhalb von erforderlichen Waschräumen“. Diese vier alten Arbeitsstättenrichtlinien werden derzeit vom ASTA überarbeitet und in der ASR „Sanitärräume“ zusammengefasst. Der Rechtscharakter der alten (nun ungültig gewordenen) Arbeitsstättenrichtlinien, die noch auf den „Stand der Technik“ überarbeitet werden müssen, wird fachlich so eingeschätzt, dass diese zumindest noch als „Erkenntnisquelle“ neben anderen Normen oder Regeln zur Orientierung von den Arbeitgebern und den Fachkräften genutzt werden können.
Der Arbeitsstättenausschuss
Die Arbeitsstättenverordnung regelt die grundlegenden Pflichten der Arbeitgeber in Bezug auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten in Arbeitsstätten und beschreibt die zu erreichenden Schutzziele. Zugleich enthält die Verordnung zwingende europäische Vorgaben. Um den Betrieben die Anwendung der Rechtsvorschrift zu erleichtern, hat der Gesetzgeber festgelegt, dass die Verordnung durch ein anwenderorientiertes technisches Regelwerk ergänzt wird. Dazu wurde beim BMAS ein pluralistisch besetzter Ausschuss (Arbeitsstättenausschuss – ASTA) eingerichtet, der praxisgerechte Arbeitsstättenregeln (ASR) eigenständig ermittelt und darüber hinaus das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in allen Fragen des Arbeitsschutzes berät. Der Ausschuss setzt sich aus Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zuständigen Arbeitsschutzbehörden, Wissenschaftlern und Unfallversicherungsträgern zusammen. Damit ist im Ausschuss ein umfangreiches Expertenwissen gewährleistet, sodass die ermittelten Arbeitsstättenregeln in der betrieblichen Arbeitswelt Beachtung und Akzeptanz finden.
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