Bis in die 80er Jahre hinein kämpften Feuerwehren in Tuchkleidern gegen Flammen. Heute ist ihre Ausstattung hochfunktional und häufig schon mit sogenannten Wearables ausgerüstet. In den vergangenen Jahren haben viele Innovationen über alle Branchen hinweg Einzug in die Berufs- und Schutzbekleidung gehalten und sie entscheidend verändert. Dazu haben wir renommierte Referenten des Techtextil Symposiums befragt. Der Kongress findet vom 4. bis 7. Mai 2015 im Rahmen der Techtextil statt und stellt Innovationen zu Schutz- und Berufskleidung vor.
Michael Jänecke
Sie trugen sich herrlich leicht und angenehm. Bis in 1980er Jahre hatte die Berliner Feuerwehr baumwollene Tuchhosen an – im Feuer, bei der Rettung von Unfallopfern und zu repräsentativen Anlässen. Die Weiterentwicklung Anfang der 90er Jahre brachte eine flammhemmend ausgerüstete sowie eine schwere, aber sehr beliebte Lederjacke. Doch dann kam es zu schweren Unfällen und einem kompletten Umdenken bei den Beschaffern. Die Floriansjünger sollten so gut wie möglich gegen Flammen, Hitze und Kontamination ausgestattet sein. Doch die nächste Generation Bekleidung brachte – nicht nur bei deutschen Feuerwehren, sondern überall in Europa und auch in Amerika – neue Probleme. Die Feuerwehrleute erlitten immer wieder einen Hitzeschock aufgrund der extrem hohen Isolierung der schweren Schutzkleidung.
Vor allem seit der Jahrtausendwende hat sich viel getan in der Schutzbekleidungs-Branche. Die PSA (Persönliche Schutzausrüstung) verliert trotz höchster Anforderungen an Gewicht, gewinnt an Performance, Passform und Trageakzeptanz. Helme (durch Carbon) und Handschuhe werden zu leichten Multitalenten. Vom unförmigen Blaumann hat sich Berufsbekleidung zu modischer, funktioneller Corporate Wear gewandelt. Dabei stellt sich die Frage: Welche bedeutenden Neuerungen haben ihren Weg in den Alltag und die Serienfertigung geschafft?
Schwerer, unkomfortabler Schutz
In den Anfängen bedeutete Schutz in der Regel dickes Material zur Isolation, geringe Atmungsaktivität wegen des Wetterschutzes und eine gewisse Steifigkeit, denn die stark beanspruchte Kleidung sollte schließlich auch robust, schnittfest und abriebfest sein. Über die Jahre sind die Stoffe und Materialien extrem leicht geworden. „Heute ist es von zentraler Bedeutung, dass die Bekleidung bequem ist und die Mitarbeiter sich in ihr wohlfühlen“, sagt Dr. Klaus Jansen, Geschäftsführer Forschungskuratorium Textil e.V. „Geboten wird hochmodische Schutzbekleidung, die dem Träger gefallen soll.“
Besondere Hightech-Materialien garantieren hohen Schutz, Atmungsaktivität und Tragekomfort gleichzeitig. Wetterschutz wird beispielsweise durch Laminate erreicht, deren eine Schicht eine mikroporöse Membran ist. Sie lässt einerseits Wasserdampf von innen nach außen entweichen, Wasser von außen aber nicht eintreten. Sogar Reflex-Materialien sind mittlerweile atmungsaktiv und erhöhen den Tragekomfort. Sie müssen für die Sichtbarkeit und Sicherheit mittlerweile per EU-Richtlinie einen großen Teil der Jacken einnehmen, so dass ihre Funktionalität sich nicht nur sehen, sondern die Atmungsaktivität auch fühlen lässt. Eine feuerabweisende äußere Bekleidungsschicht kann für Temperatur- und Flammschutz sorgen, ein weitmaschiges Isolationsmaterial beziehungsweise gleichmäßig aufgebrachte Noppen für Isolation, die Membran für Wetterschutz und die innerste Schicht für angenehmes An- und Ausziehen sowie Komfort beim Tragen.
Imprägnierungen machen die Kleidung nicht nur an ihren Nähten wasserdicht, sondern können zudem schmutzabweisend wirken. Funktionen wie Flamm‑, Wetter‑, Chemikalien- oder UV-Schutz beziehungsweise antistatische Fähigkeiten können über Beschichtungen erreicht werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, bestimmte Partikel bereits in die Faser einzubringen beziehungsweise die Faser damit zu ummanteln. So ist die Funktion besser gebunden und löst sich nicht durch Abrieb oder bei Wäschen. Angewendet wird das beispielsweise für antibakteriell wirkende Nanosilberpartikel. Selbstreinigende Textilien wie von Schoeller Textil, Schweiz, gibt es bereits am Markt. Davon profitieren nicht nur Branchen wie die Autoindustrie oder Bahnbetriebe, die mit Schmierstoffen und Ölen zu tun haben, sondern auch Spengler, Maler und sonstige Handwerker. Denn sie sind nicht mehr auf Blaumänner angewiesen, in denen man sich noch nicht einmal bei der Arbeit gut angezogen fühlte. Heute können Beschäftigte aller möglichen Branchen sich mit Berufskleidern ausstatten, die man auch gerne zuhause anzieht.
Klein und wirksam, aber nicht ohne
Einen wesentlichen Fortschritt bei Beschichtungen bedeutete die Nanotechnologie. „Nanotechnologie hat in den vergangenen Jahren sicher die meisten Neuerungen in der Textilindustrie und anderen Branchen gebracht“, sagt Dr. René Rossi, Eidgenössische Materialprüfungs- und Versuchsanstalt, St. Gallen. „Dank Nanotechnologie konnten neue Beschichtungen entwickelt werden, die für unterschiedliche Funktionstextilien genutzt werden. Sie machen die Gewebe wasseranziehend oder ‑abweisend, leitend oder antibakteriell, um den Tragekomfort beziehungsweise Schutz zu verbessern.“ Und Dr. Thomas Stegmeier, ITV Denkendorf, ergänzt: „Vor allem Wetterschutzausrüstungen mit Flourcarbonen haben sich am Markt etabliert.“ Ausrüstungen mit Nanotechnologie gelten zwar aufgrund der Winzigkeit der eingesetzten Partikel als nicht ungefährlich. Bislang konnte eine schädigende Wirkung allerdings nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil: „Wir haben mit den Hohensteiner Instituten hierzu umfangreiche Analysen durchgeführt im Rahmen des Projektes ´Technotox´. Ergebnis: Wenn die Nanotechnologie verantwortlich und nach dem Stand der Technik eingesetzt wird, sind keine Gefahren ersichtlich.“
Für und wider intelligente Textilien
Dr. Hartmut Strese, BMBF, fasst es treffend zusammen: „Mit Textilien und Elektronik werden zwei sehr unterschiedliche Welten verheiratet.“ Demnach brauchte es eine lange Zeit – zunächst der Forschung und nun auch für den Weg in den Alltag, bis das ungleiche Paar eins wurde. „Wir haben im Jahre 2000 mit der Forschung und Entwicklung begonnen. Während ich drei Jahre später schon Japaner gesehen habe, die über ihre Bekleidung einen iPod bedient haben, dauert das in Europa alles sehr lange und ist mit großen Vorbehalten behaftet. Die Dinge sind soweit erforscht, gehen aber nicht in die Serienproduktion. Nur wenige schaffen es ins Berufsleben wie beispielsweise eine Schutzhose für Motorsägearbeiten, bei der sich die Säge abstellt, sobald sie mit der Hose in Berührung kommt. Am ehesten funktioniert das noch mit Sachen, die wenig oder kaum gewaschen werden.“
Was in der Arbeitswelt noch fern scheint, machen Sportler bereits vor. Es muss noch nicht einmal die Nationalmannschaft sein, die mit speziellen Trikots trainiert, die Coach und Physiotherapeuten übers Tablet direkt verraten, ob ihre Spieler fit sind. Jeder Hobbyläufer misst Herzfrequenz und Puls, Strecke und Durchschnittsgeschwindigkeit, das Workout wird kontrolliert und protokolliert. Muss der Hobbysportler sich noch ein Brustband umschnallen, verfügen die Profis schon über ein spezielles Shirt mit Sensoren, deren gesammelte Daten über eine Funkzelle versendet werden.
Vital- und Ortungsparameter
Zu eben diesem Thema gab es für die Feuerwehrleute, die ja besonderen Gefahren ausgesetzt sind, bereits vor Jahren das Projekt SensProCloths, deren Partner ITV (Denkendorf), Frauenhofer-Institut für integrierte Schaltungen (Erlangen) und Hubert Schmitz GmbH & Co. KG (Marke S‑Gard/ Heinsberg) an Sensorik in der Bekleidung geforscht und gearbeitet haben. Denn durch die heute oft noch sehr kompakte Schutzbekleidung können Einsatzkräfte so von Umweltreizen und körperlichem Empfinden entkoppelt sein, dass sie Gefahren nicht ausreichend wahrnehmen. „Dem Feuerwehrmann im Einsatz werden seine Gesundheitsparameter mit grün für alles ok, gelb für kritisch und rot für gefährlich übermittelt“, sagt Bruno Schmitz von S‑Gard. Ein Ortungssystem hilft außerdem, den Standort des gefährdeten Feuerwehrmanns zu bestimmen. Gleichzeitig übermittelt das Rechnersystem das EKG der bedrohten Person von der vergangenen Einsatzzeit, so dass der Notarzt nach der Bergung wertvolle Schlüsse für die Behandlung ziehen kann. Sabine Gimpel, Leiterin Forschungsmarketing, Textilforschungsinstitut Thüringen-Voigtland e.V. Greiz dazu: „Es wurde viel geforscht und wenig umgesetzt. Die Schritte in die Serienfertigung sind riesig, denn das gesamte Prozedere ist kompliziert, teuer und letztlich noch zu wenig zuverlässig. Vermutlich liegt ein Grund darin, dass sich in der Bekleidungsindustrie die wenigsten mit Elektronik und LEDs auskennen.“
Lediglich das französische Militär nutzt bereits moderne Kampfanzüge mit integrierten Batterien, die das Funkgerät und elektronische Zielvisier mit Strom versorgen. Das eingebaute GPS erlaubt es dem Kommandeur, seine Soldaten zu orten. Das US-Militär forscht an tragbaren Solarzellen und Kleidung, die Bewegungsenergie in Strom umsetzt und somit Akkus und Batterien überflüssig machen. Auch die Gesundheit der Streitkräfte soll so überwacht werden.
Thomas Stegmeier meint: „Es gibt diese Art Wearables schon, sie finden sich aber bestenfalls in der Einsatzkleidung von Militär, Feuerwehr oder Spezialeinsatzkräften wieder, denn sie sind teuer. Sie werden stets verfeinert und verbessert, aber ihre Herstellung ist noch nicht automatisiert.“ René Rossi ergänzt: „Auch hier spielt Nanotechnologie eine wichtige Rolle, denn sie ist die Grundlage für viele Systeme der Wearable Electronics.“ An der technischen Umsetzbarkeit wird u.a. im Greizer Textilforschungsinstitut geforscht. Ein sogenanntes Chromjetverfahren macht es möglich, durch einmaliges Aufbringen von leitfähigen Funktionsschichten Strukturen zu realisieren, die als Sensoren, Bus- und Heizbahnen fungieren, ohne dass die textilen Eigenschaften des Gewebes verloren gehen.
Modisch, passformoptimiert und komfortabel
Neue Beschichtungen und Eigenschaften der Textilien machen auch den Einsatz von immer mehr Farbe möglich. Mit der Verbesserung der Materialien ging weiterhin die Optimierung der Passform einher. Das Bewusstsein für Corporate Wear nimmt zu. So wollen Unternehmen das innerbetriebliche Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, nach außen Kompetenz vermitteln und einen hohen Wiedererkennungswert für die Kunden realisieren.
Arbeitskleidung wird raffinierter, die Schnitte ausgefeilter. Seit der Jahrhundertwende wurde es normal, dass eigens Frauenbekleidung angeboten wird. Während sich früher keiner freiwillig mit Arbeitskleidung nach Feierabend auf die Straße begeben hätte, wird sie heute praktisch als ein Ausdruck von Schaffenskraft auch im Alltag getragen. Die Kleidung ist leichter und schicker geworden. Die Schnitttechniken und die Ergonomie wurden verbessert, der Größenspiegel vervielfältigt. Das gilt übrigens auch für Schuhe, Handschuhe und Helme, die exakt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Berufsgruppe und die bestehenden Gefährdungen zugeschnitten sind. Auch sie wurden leichter, bequemer und komfortabler. Insgesamt hat dies alles dazu geführt, dass die Trageakzeptanz enorm stieg, was sich auch in der gesunkenen Zahl von Unfällen widerspiegelt.
Visionen
Für Betriebe und Unfallversicherungen sowie Forschungsinstitute und Lieferanten zeigt dies, dass die gemeinsamen Bemühungen im Arbeitsschutz in die richtige Richtung gehen. Es wird unermüdlich weiter geforscht und entwickelt. Grundsätzlich soll die Nachhaltigkeit verbessert und Ressourcen geschont werden. Auch Umweltverträglichkeit ist bei der Herstellung von Membranen und Coatings ein bedeutendes Thema. Materialien sollen und werden verbessert beziehungsweise Alternativen mit gleicher Wirkungsweise entwickelt. Neue Fügetechniken wie beispielsweise das Laser-Verfahren verbinden neuartige Laminate oder andere textile Materialien mit hoher Funktionalität. Dank e‑broidery, Stickverfahren für elektronisch leitfähige Garne auf Textilien, um Licht und Textil zu verschmelzen (Fa. Forster Rohner), lassen sich LEDs reproduzierbar aufbringen. Sie sind wäschetauglich und durchaus robust und können als Sensoren, Heiz- und Leuchtelemente dienen.
Außerdem wandelt sich die Gesellschaft. Die Individualisierung schreitet weiter voran. Ein wichtiges Zukunftsthema ist die Industrie 4.0. Auch wenn noch einiges Zukunftsmusik ist: Die digital gesteuerte Fabrik lässt die Effizienz enorm steigen und neue Techniken werden entstehen. Es wird mehr und mehr individuell angepasste Massenprodukte geben. Auch das mit dem Ziel, die Zahl der Unfälle möglichst auf null zu reduzieren.
Leitmesse Techtextil
Auf der internationalen Leitmesse für technische Textilien und Vliesstoffe Techtextil vom 4. bis 7. Mai 2015 in Frankfurt werden neben führenden Vertretern aus der Forschung über 1.300 Aussteller ihre neuesten Entwicklungen für Berufs- und Schutzbekleidung präsentieren.
Zudem findet im Rahmen der Fachmesse erneut das Techtextil Symposium statt. Hier haben Hersteller von Schutz‑, Berufsbekleidung und ‑schuhen die Gelegenheit, Materialinnovationen für die nächste Generation solcher Systeme zu entdecken. Zusätzlich bietet die parallel stattfindende Fachmesse Texprocess eine Vielzahl an Technologien und Lösungsvorschlägen für deren Herstellung und Verarbeitung, in diesem Jahr mit einem Schwerpunkt zum Thema „Industrie 4.0.“
Autor
Michael Jänecke, Leiter der Techtextil und Texprocess, Messe Frankfurt
Exklusiv für Leserinnen und Leser von Sicherheitsingenieur
Wir verlosen zehn Tagesfreikarten für die Techtextil 2015, inklusive geführtem Messerundgang mit Chefredakteur Weigand Naumann, Verköstigung und Hintergrundgesprächen zu Themen und ausgesuchten Ausstellern der Messe.
Neben spannenden Neuheiten im Bereich PSA können Sie sich selbstverständlich mit Kollegen austauschen, und mit der Redaktion über Themen und Branche unterhalten. Der gemeinsame Rundgang findet am 5. Mai in Frankfurt/Main statt. An- und Abreise müssen selbst getragen werden. Wenn Sie teilnehmen möchten, schicken Sie einfach bis spätestens 21. April eine E‑Mail an:
Bei mehr als zehn Interessenten entscheidet das Los. Details wie Treffpunkt und so weiter erhalten Sie vorab auf Anfrage, und nachdem das Los entschieden hat.
Unsere Webinar-Empfehlung
15.06.23 | 10:00 Uhr | Maßnahmenableitung, Wirksamkeitsüberprüfung und Fortschreibung – drei elementare Bausteine in jeder Gefährdungsbeurteilung, die mit Blick auf psychische Belastung bislang weniger Beachtung finden.
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