Gefährdungsermittlungen sind ein wirksames Mittel für den Unternehmer, Gefahren bereits im Vorfeld des Entstehens einer Explosionsgefährdung zu erkennen und bilden die Basis zur Erstellung des Explosionsschutzdokumentes. Damit kann er tätig werden, bevor sich eine Betriebsstörung ereignet oder sogar eine Anlage durch Explosion zerstört wird bzw. Menschenleben beklagt werden muss.
Herrn Dr. Berthold Dryba Max-Planck-Str. 13 69226 Nußloch
Gefährdungsbeurteilungen können somit dazu beitragen, Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Unternehmensimage durch verantwortliches Handeln für die Mitarbeiter zu verbessern. Gesetze und Verordnungen regeln nicht im Detail, wie der Unternehmer die Beurteilung vorzunehmen hat. Der Gesetzgeber hat den Betrieben bewusst einen breiten Spielraum für die Gefährdungsbeurteilung gelassen.
Grundlagen für die umfassende Gefährdungsbeurteilung bilden das Arbeitsschutzgesetz und die Betriebssicherheitsverordnung. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, Gefährdungen zu ermitteln und die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes festzulegen. Nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes hat der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Nach § 3 hat der Arbeitgeber für eine geeignete Organisation zu sorgen, die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten beachtet werden und die Beschäftigten ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen können. Kann nach den Bestimmungen der Betriebssicherheitsverordnung und Gefahrstoffverordnung die Bildung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre nicht sicher verhindert werden, hat der Arbeitgeber zu beurteilen:
- Die Wahrscheinlichkeit und Dauer des Auftretens gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre
- Die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins der Aktivierung und des Wirksamwerdens von Zündquellen
- Das Ausmaß der zu erwartenden Auswirkungen von Explosionen.
Die Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (BGV A 1) verlangt insbesondere die Dokumentation des Ergebnisses der Gefährdungsbeurteilung.
Eine Beurteilung der Explosionsgefahr kann nach TRBS 2152 Teil 1 erfolgen. Die Schwerpunkte zur Erstellung des Explosionsschutzdokumentes finden sich in der EX-RL (BGR 104), Abschnitt E 6.
Schwerpunkte der Gefährdungsbeurteilung
Für eine erfolgreiche Gefährdungsbeurteilung bei Explosionsgefahr müssen die in Abbildung 2 aufgezeigten Schwerpunkte bearbeitet werden:
Dabei kann die Gefährdungsbeurteilung insgesamt als ein iterativer Prozess verstanden werden. Wird beispielsweise bei der Ermittlung der Explosionsfähigkeit festgestellt, dass eine Staubexplosionsfrage gegeben ist, so erfolgt die Einteilung explosionsgefährdeter Bereiche sowohl im Innern als auch in der Umgebung der Anlage in Zonen. Daraus ergeben sich Maßnahmen zur Vermeidung wirksamer Zündquellen. Nach Abschätzung der Auswirkung einer Explosion aufgrund der Tatsache, dass nicht alle Zündquellen sicher vermieden werden können, werden konstruktive Explosionsschutzmaßnahmen festgelegt. Oftmals sind damit erhebliche Kosten verbunden. Um Aufwendungen zu reduzieren, kann in der nächsten Iteration geprüft werden, ob anstelle des staubenden Produktes beispielsweise schuppenförmige, pastöse oder granulatartige Stoffe eingesetzt werden können. Ist dies nicht möglich, kann in der dritten Iteration auch über Inertisierungsmaßnahmen nachgedacht werden. Das kann zur Folge haben, dass keine Zoneneinteilung mehr erforderlich wird oder diese nur noch in engen Bereichen erfolgen muss, so dass die weiteren Aufwendungen erheblich reduziert werden können (Abb. 3 und 4).
Wesentliche Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Inertisierung ist ihre Sicherstellung, z. B. durch Überwachung der Sauerstoffkonzentration, der Inertgaskonzentration des Gesamtdruckes oder der Mengenströme von Inertgas und brennbarem Stoff. Weiterhin ist eine Alarmschwelle unterhalb der höchst zulässigen Sauerstoffkonzentration festzulegen. Bei Erreichen der Alarmschwelle müssen den Bedingungen des Einzelfalls entsprechend von Hand oder automatisch Schutzmaßnahmen ausgelöst und durchgeführt werden. Die festzulegende Alarmschwelle, die Eigenschaften der Überwachungseinrichtungen, ihre erforderliche Funktionssicherheit und die Reaktionszeiten des Personals und der Anlage sind aufeinander abzustimmen.
Die Ermittlung der Explosionsfähigkeit unter Berücksichtigung der Beeinflussung durch die Prozessbedingungen kann durch Beantwortung der folgenden drei Fragen geklärt werden:
- 1. Kann im Bereich der zu beurteilenden Anlage oder im Innern von Apparaturen explosionsfähige Atmosphäre auftreten?
- 2. Welche Mengen explosionsfähiger Atmosphäre können aufgrund der örtlichen und betrieblichen Verhältnisse vorhanden sein oder entstehen und wo kann sie auftreten?
- 3. Sind die zu erwartenden Mengen explosionsfähiger Atmosphäre aufgrund der örtlichen und betrieblichen Verhältnisse gefahrdrohend?
Auf der Basis der TRBS 2152 Teil 1 Punkt 3.2 können Aussagen getroffen werden, ob im Bereich der zu beurteilenden Anlage oder im Innern von Anlagen explosionsfähige Atmosphäre auftreten kann.
Ermittlung wirksamer Zündquellen
Zündquellen werden in ihrer Wirkung häufig unterschätzt oder nicht erkannt. Ihre Wirksamkeit, d. h. die Fähigkeit explosionsfähige Atmosphäre zu entzünden hängt unter anderem von der Energie der Zündquelle und von den Eigenschaften der explosionsfähigen Atmosphäre ab. Die für die Praxis wichtigsten Zündquellen sind in Abbildung 5 dargestellt.
Lässt sich die Wahrscheinlichkeit des Wirksamwerdens einer Zündquelle entsprechend der Zulässigkeit nach der Zoneneinteilung des Bereiches in dem sie sich befindet nicht abschätzen, ist die Zündquelle als dauernd wirksam zu betrachten. Für eine Reihe von Zündquellen sind Grenzwerte angegeben, bei deren Einhaltung eine Zündgefahr ausgeschlossen werden kann. Die in der Gefährdungsbeurteilung festzulegenden Maßnahmen sollen Zündquellen unwirksam machen oder die Wahrscheinlichkeit ihres Wirksamwerdens verringern. Bei der Beurteilung möglicher Zündquellen haben Ablagerungen brennbaren Staubes eine besondere Bedeutung.
In der TRBS 2152 Teil 3 sind für alle 13 Zündquellenarten differenziert Ausführungen zu finden. Kommt explosionsfähige Atmosphäre mit heißen Oberflächen, zum Beispiel heiße Rohrleitungen, heiße Kessel in Berührung, kann es zu einer Entzündung kommen.
Grundlage der Bewertung ist die genormte Zündtemperatur der die explosionsfähige Atmosphäre bildenden Stoffe. Neben betriebsmäßig heißen Oberflächen, wie Heizkörpern, Trockenschränken und andere, können auch mechanische Vorgänge durch Reibung oder Spanabhebung, z. B. Bohren im Bereich der beanspruchten Oberfläche zu gefährlichen Temperaturen führen.
Auch an Arbeitsmitteln, die mechanische Energie in Verlustwärme überführen, d. h. alle Arten von Reibungskupplungen und mechanisch wirkenden Bremsen, z. B. an Fahrzeugen und Zentrifugen, kann es deshalb zu betriebsbedingten heißen Oberflächen kommen. Weiterhin können deshalb drehende Teile in Lagern, Wellendurchführung, Stopfbuchsen usw. bei ungenügender Schmierung zu Zündquellen werden. Wenn sich Teile in engen Gehäusen drehen, können auch durch Eindringen von Fremdkörpern in den Spalt zwischen drehendem Teil und Gehäuse oder durch Achsverlagerung Reibvorgänge stattfinden, die unter Umständen schon in kurzer Zeit hohe Oberflächentemperaturen hervorrufen. Ziel der unter 5.2.2 bis 5.2.8 in der TRBS 2152 Teil 3 beschriebenen Schutzmaßnahmen ist die Verhinderung der Entzündung explosionsfähiger Atmosphäre durch Wirksamwerden einer heißen Oberfläche als Zündquelle, in Abhängigkeit von der Zone.
Unter Punkt 5.2.2 „Allgemeine Schutzmaßnahmen in allen Zonen“ der TRBS 2152 Teil 3 findet man unter anderem folgende Aussagen: In Abhängigkeit von der vorliegenden Zone darf die maximale Oberflächentemperatur von Anlagenteilen, die im Kontakt mit explosionsfähiger Atmosphäre stehen, einem bestimmten festgelegten Sicherheitsabstand zu der Temperaturklasse zugehörigen Grenztemperatur nicht unterschreiten.
Bei Geräten, Komponenten und Schutzsystemen nach Explosionsschutzverordnung in Verbindung mit der Richtlinie 94/9/EG wird die maximale Oberflächentemperatur vom Hersteller bei seiner Zündgefahrenbewertung ermittelt. Wenn Geräte, Komponenten oder Schutzsysteme der Kategorien 1 G bis 3 G mit Temperaturklasse niedrigster zulässiger Zündtemperatur oder einer explosionsfähigen Atmosphäre oder den explosionsfähigen Atmosphären für die sie geeignet sind, gekennzeichnet sind, sind Sicherheitsabstände bereits berücksichtigt, so dass sie ohne weitere Sicherheitsabstände in den entsprechenden explosionsfähigen Atmosphären eingesetzt werden dürfen.
Brennbare Gase und Dämpfe werden nach ihrer Zündtemperatur in Temperaturklassen eingeteilt. Für explosionsfähige Atmosphären aus Stoffen einer Temperaturklasse ist in der Regel der jeweils untere Wert der Zündtemperatur ihrer Temperaturklasse die Grundlage für die Festlegung der maximal zulässigen Oberflächentemperatur.
Methoden
Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die DIN EN 15198 „Methoden zur Bewertung der Zündgefahren für nicht-elektrische Geräte und Komponenten zur Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen“. Zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen gibt es mehrere Möglichkeiten bzw. Verfahren. Für kleine überschaubare Bereiche können Arbeitsblätter oder Checklisten verwendet werden. Als Betreiber von Anlagen mit explosionsgefährdeten Bereichen bietet sich die systematische Anwendung der Explosionsschutz-Regeln an. Für Hersteller von Geräten und Schutzsystemen zum Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen bzw. von Bereichen, in denen explosionsfähige Atmosphäre nicht auszuschließen ist, kann die Basisnorm des Explosionsschutzes die DIN EN 1127–1 in Anwendung gebracht werden. Für komplexe Anlagen bietet sich im Einzelfall auch die Anwendung spezieller Methoden an.
Für Arbeitsblätter und Checklisten sind an dieser Stelle verschiedene Hilfsmittel aufgeführt. So gibt es beispielsweise berufsgenossenschaftliche Informationen, die sich mit der Gefährdungsbeurteilung beschäftigen. In der BGI 570 ist ein Arbeitsblatt 3 aufgeführt. In der BGI 571 werden für 11 Gefährdungs- und Belastungsfaktoren kleine anschauliche Fragenkataloge angeboten. Im Abschnitt 7.2 werden Gefahren durch explosionsfähige Atmosphäre behandelt.
Im nicht verbindlichen Leitfaden für bewerte Verfahren im Hinblick auf die Durchführung der Richtlinie 1999/92/EG über Mindestvorschriften zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer, die durch explosionsfähige Atmosphären gefährdet werden können, sind im Abschnitt A 3 „Musterformulare und Checklisten“ enthalten, so auch ein Musterformular A 3.1 „Checkliste Explosionsschutz im Innern von Apparaturen“ und A 3.2 „Checkliste Explosionsschutz in der Umgebung von Apparaturen“.
Das Merkblatt BGI 570 „Gefährdungsbeurteilung – Wie, Warum, Wer“ bildet, für kleine und mittlere Unternehmen eine geeignete Grundlage zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und kann in seiner Systematik für verschiedene Gefährdungsarten genutzt werden. In den Anhängen wird unmittelbares Arbeitsmaterial geliefert. Die in Abbildung 7 dargestellte Tabelle basiert auf dem Arbeitsblatt 3 zur Gefährdungsbeurteilung.
Von verschiedenen Einrichtungen, z. B. Betrieben, Berufsgenossenschaften und Verbänden wurden Hilfsmittel für die Beurteilung der Explosionsgefahr erarbeitet. Auf der Basis der Explosionsschutz-Regeln wurde ein geeignetes Industriebeispiel speziell für den Explosionsschutz auf der Basis der EX-RL in Form einer Checkliste von der Wacker Chemie GmbH, Burghausen erarbeitet. Diese Checklisten befassen sich mit den Schwerpunkten, Vermeiden oder Einschränken gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre sowohl im Innern von Apparaturen als auch in der Umgebung. Im Teil B „Vermeiden wirksamer Zündquellen“ werden in Verbindung mit der entsprechenden TRBS alle 13 Zündquellenarten abgefragt und im Teil C wird auch auf den konstruktiven Explosionsschutz eingegangen. Diese Checkliste stellt dann die Basis für die Erstellung des Explosionsschutzdokuments dar (siehe www.exinfo.de, ID-Nummer 1234.0).
Für komplexe Anlagen und Prozesse ist die Anwendung spezieller Methoden erforderlich, so z. B. für die Sicherheitsanalyse nach Störfallverordnung. In der 12. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsgesetzes werden Anforderungen formuliert, in denen Sicherheitsanalysen für derartige Anlagen genügen müssen. Liegt keine Störfallanlage vor, kann man sich am Anhang II „Mindestangaben im Sicherheitsbericht“ und Anhang III „Grundsätze für das Konzept zur Verhinderung von Störfällen und das Sicherheitsmanagementsystems“ orientieren. Durch Einführung der Störfallverordnung erhielten die Methoden der Risikoermittlung eine erhöhte Bedeutung mit der Einführung der Pflicht zur Sicherheitsanalyse. In der Praxis werden z. B. folgende Risikoermittlungsverfahren eingesetzt (PAAG):
- PAAG-(HAZOP-)Verfahren
- Ausfalleffektanalyse nach DIN EN 60812
- Ereignisablaufanalyse nach DIN 25419
- Fehlzustandsbaumanalyse nach DIN EN 61025
- Verfahren zur Analyse der Zuverlässigkeit – Ereignisbaumanalyse nach DIN IEC 62502; VDE 0050–3.
Auf der Basis der Gefährdungsbeurteilung kann dann das Explosionsschutzdokument erstellt werden.
Weitere Informationen unter:
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