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Gefahrstoffe: In fünf Schritten zur Beurteilung

Gefahrzahlensystem für Gefahrstoffe
Gefahrstoffe: In fünf Schritten zur Beurteilung

Bei der Gefährdungs­beurteilung von Tätigkeit­en mit Gefahrstof­fen müssen Infor­ma­tio­nen unter­schiedlich­ster Art zu ein­er ein­heitlichen Beurteilung miteinan­der ver­woben wer­den. Dies ist kein ganz leicht­es Unter­fan­gen, ins­beson­dere für die Per­so­n­en, die mit dem The­ma nicht so ver­traut sind. Wir präsen­tieren hier eine ein­fache Möglichkeit, über Kenn­zahlen sichere, begründ­bare und homo­gene Resul­tate zu erzielen.

Bei der Gefährdungs­beurteilung nach § 5 Arbeitss­chutzge­setz bzw. § 6 Gefahrstof­fverord­nung sind sowohl die Art als auch die Höhe der für die Mitar­beit­er auftre­tenden Gefährdun­gen festzustellen und durch Schutz­maß­nah­men zu minimieren.
 
Ins­beson­dere sind mit Bezug auf die Gefahrstoffe unab­hängig voneinan­der die inhala­tiv­en, der­malen und physikalisch-chemis­chen Gefährdun­gen zu beurteilen. Dies erfordert in der Regel die Berück­sich­ti­gung viel­er Para­me­ter und die Beurteilung ihres Zusam­men­wirkens, zum Beispiel:
  • Gesund­heitss­chädi­gende Stoffeigenschaften
  • Entzündlichkeitsver­hal­ten der Stoffe
  • Entwick­lung explo­siv­er Dampf – Luft- oder Staub – Luft – Gemische
  • Freiset­zungsver­hal­ten (Dampf­druck, Staubungsver­hal­ten etc.)
  • Aus­maß der Exposition
  • Art des Arbeitsver­fahren (offen­er Umgang, geschlossene Anlage, Ver­sprühen etc.)
  • Häu­figkeit und Dauer der Anwen­dung (selten/kurz gegen häufig/lang).
Alle diese Infor­ma­tio­nen sind so zu ver­schränken, dass eine ein­deutige Aus­sage zus­tande kommt. Dabei kön­nen einzelne Para­me­ter bes­timmte Wirk­spek­tren ver­stärken oder auch abschwächen. Das Ver­sprühen eines gesund­heitss­chädi­gen­den Stoffes stellt z. B. für die Mitar­beit­er unter Umstän­den eine höhere Gefahr dar als die Ver­wen­dung von Krebs erzeu­gen­den Stof­fen in einem geschlosse­nen System.
Durch diese Vielzahl sich ergänzen­der und z. T. gegen­seit­ig bedin­gen­der, sowie ver­stärk­ender oder abschwächen­der Fak­toren entste­ht für den Beurteil­er leicht eine schw­er zu überse­hende Sit­u­a­tion. Unser Beurteilungsmod­ell soll helfen, hier zu klaren, begründ­baren und repro­duzier­baren Entschei­dun­gen zu kommen.

Das Modell

Grund­lage unseres Beurteilungsmod­ells ist das Spal­ten­mod­ell der TRGS 600 „Sub­sti­tu­tion“, Anlage 2. Hier wer­den sowohl die tox­is­chen und andere Stof­feigen­schaften als auch das Freiset­zungsver­hal­ten und die jew­eili­gen Anwen­dun­gen mit der Gefährdung­shöhe verknüpft. Daher bietet sich an, diese Zusam­men­hänge nicht nur für die Frage der Sub­sti­tu­tion, son­dern auch für die Gefährdungs­beurteilung zu nutzen.
Allerd­ings haben wir in Abwand­lung der ursprünglichen Tabelle die bei­den aus­gewiese­nen Gefährdun­gen „Sehr hoch“ und „Hoch“ zu ein­er Kat­e­gorie zusam­menge­zo­gen. Eine solche Überdif­feren­zierung in der Beurteilung ist in der betrieblichen Sicher­heit­sar­beit meist nicht mit entsprechend dif­feren­zierten Schutz­maß­nah­men zu beantworten.
 
Zusät­zlich haben wir die Kat­e­gorie „Ver­nach­läs­sig­bare Gefährdun­gen“ nicht über­nom­men, son­dern – wie die Beze­ich­nung sagt – vernachlässigt.
 
Zusät­zlich wur­den jedoch einige Kri­te­rien aus dem Ein­fachen Maß­nah­menkonzept der Bun­de­sanstalt für Arbeitss­chutz und Arbeitsmedi­zin, aus der TRGS 401 und aus dem Bere­ich des Explo­sion­ss­chutzes ergänzend über­nom­men. Der Grund war in fast allen Fällen, all­ge­meine Aus­sagen durch konkrete Maßzahlen zu unter­füt­tern, so z. B. für die Dauer möglichen Hautkon­tak­tes oder die Rela­tion zwis­chen Arbeit­stem­per­atur und Flammpunkt.
 
Außer­dem haben wir uns entsch­ieden, das Sys­tem zunächst mit den „alten“ Ein­stu­fungskat­e­gorien zu ver­wen­den und erst zu einem späteren Zeit­punkt die „neuen“ Kat­e­gorien der CLP-Verord­nung einzuführen. Dies ist unkri­tisch, da bis 2015 die entsprechen­den Angaben in den Sicher­heits­daten­blät­tern zu find­en sein werden.
 
Somit ergibt sich eine Beurteilungsta­belle (Tab. 1) mit den drei Kat­e­gorien „Hoch“, „Mit­tel“ und „Niedrig“, denen jew­eils eine Gefahrzahl (GZ) zwis­chen 3 und 1 zuge­ord­net ist.
 
Diese GZ sind im Beurteilung­sprozess die entschei­den­den Ken­ngrößen und wer­den – wie weit­er unten dargestellt – zu ein­er über­greifend­en Bew­er­tungszahl GZtot zusam­menge­zo­gen und anhand ein­er Auswertetabelle den Gesamt­ge­fährdun­gen „Hoch“, „Mit­tel“ oder „Niedrig“ zugeordnet.

Anwendung des Verfahrens

Die Anwen­dung des Ver­fahrens set­zt eine hin­re­ichende Ken­nt­nis der Stoffe und des betra­chteten Ver­fahrens voraus. Daher sind aus­sage­fähige Sicher­heits­daten­blät­ter und / oder ergänzende Infor­ma­tio­nen erforder­lich. Die wichtig­sten stoff­be­zo­ge­nen Dat­en sind: Die R‑Sätze, Dampf­druck, Flamm­punkt oder Siedepunkt, bei Fest­stof­fen die etwaige Korn­größe oder Angaben über das Staubungsver­hal­ten (Pul­ver, Gran­u­lat, Paste, Pel­lets etc.).
 
Die Anwen­dung umfasst die fol­gen­den Schritte:
  • Grund­sät­zlich sind die Beurteilun­gen getren­nt für die inhala­tiv­en, der­malen und physikalisch-chemis­chen Gefährdun­gen (ins­beson­dere Brand- und Ex-Gefährdun­gen) durchzuführen. Es sind also drei getren­nte Beurteilun­gen erforderlich.
  • Im 1. Schritt wer­den die stoff­be­d­ingten tox­is­chen oder Brand- / Ex-Gefährdun­gen anhand der R‑Sätze in Zeile A oder B ermit­telt (Tabelle 1) und an den Spal­tenköpfen die jew­eils zutr­e­f­fende Gefahrzahl GZStoff festgestellt.
  • Im 2. Schritt wer­den jew­eils die Dat­en zum Freiset­zungsver­hal­ten (Zeile C) einge­tra­gen und die Gefahrzahl GZFreiset­zung ermit­telt. Hier­bei ist zu beacht­en, dass bei der Beurteilung der der­malen Gefährdung, auch der Kon­takt der Haut mit Gasen und Dämpfen als „Hautkon­takt“ zählt (TRGS 401, Kap. 2.1). Daher ist im Rah­men der Kat­e­gorie „Freiset­zungsver­hal­ten“ z. B. der Dampf­druck auch für die der­male Gefährdung bedeutsam.
  • Im 3. Schritt wird ana­log für die Kri­te­rien des Ver­fahrens (Zeile D) die Gefahrzahl GZVer­fahren festgestellt.
  • Sind inner­halb ein­er der Zeilen A – D Mehrfach­bele­gun­gen vorhan­den (z. B. R 26 und R 65), so ist grund­sät­zlich die höch­ste Gefahrzahl zu ver­wen­den. Es darf nicht „gemit­telt“ werden.
  • Im 4. Schritt wird unter Ver­wen­dung der ermit­tel­ten Einzel-Gefahrzahlen die über­greifende Bew­er­tungszahl GZtot errech­net: GZtot = (2 x GZVer­fahren + GZStoff + GZFreiset­zung) / 4
  • Im 5. Schritt wird das Ergeb­nis der Gefährdungs­beurteilung anhand von Tab. 2 abgelesen.
Eine Muster­beurteilung, die das Ver­fahren exem­plar­isch an einem „echt­en“ Gefahrstoff verdeut­licht, find­en Sie im Kasten.

Diskussion

Das hier vorgestellte „5‑Schritte-Ver­fahren“ ermöglicht es, in etwa 10 Minuten, die Art und Höhe der Gefährdung bei ein­er Tätigkeit mit Gefahrstof­fen zu beurteilen. Mehr Zeit wird sich­er für die kor­rek­te Ermit­tlung der Aus­gangs­dat­en zu investieren sein. Diese sind aber sowieso nach § 6 Gefahrstof­fverord­nung zu ermit­teln. Ein Mehraufwand ist daher für die Ver­wen­dung unseres Beurteilungsvorschlages nicht erforderlich.
 
Die Vorteile des „5‑Schritte-Ver­fahrens“ sind vor allem:
  • Die Ein­fach­heit und Schnel­ligkeit der Anwendung.
  • Der Rück­bezug auf durch Fach­gremien ermit­telte Gefährdung­shöhen, wie sie zum Beispiel im Spal­ten­mod­ell der TRGS 600 angegeben sind.
  • Die Begründ­barkeit von Entschei­dun­gen auf­grund dieses Rückbezuges.
  • Die Reduk­tion indi­vidu­eller Ein­schätzun­gen (inter­per­son­elle Homogenität).
  • Die Repro­duzier­barkeit von Beurteilun­gen und die Homogen­ität der Beurteilungs­maßstäbe bei allen Beurteilungen.
Diskutabel sind dage­gen die Ermit­tlung der Gefahrzahlen und die Gren­zen der Beurteilungskategorien.
 
Wie leicht zu sehen ist, geht die Gefahrzahl für das Ver­fahren mit einem Fak­tor 2 gewichtet in die Berech­nung von „GZtot“ ein. Dem liegt unsere aus der Erfahrung gewonnene, aber auch the­o­retisch leicht abzulei­t­ende Überzeu­gung zu Grunde, dass die Ver­ar­beitungsver­fahren den wichtig­sten Beitrag für die Gefährdun­gen der Mitar­beit­er leis­ten. Die Gegenüber­stel­lung eines völ­lig offe­nen Ver­fahrens und ein­er Anwen­dung in ein­er geschlosse­nen Anlage macht den Unter­schied sehr augenfällig.
 
Der Zusam­men­hang zwis­chen Ver­fahren und Gefährdung darf als generell akzep­tiert in der The­o­rie des Arbeitss­chutzes ange­se­hen wer­den. Die TOP – Strate­gie zielt darauf ab, ins­beson­dere die Ver­fahren durch tech­nis­che und / oder organ­isatorische Maß­nah­men sicher­er zu machen. Dies würde keinen logis­chen Sinn machen, wenn nicht die Ver­fahren als gefährdungslei­t­end ver­standen wür­den. Daher ste­ht unser Ansatz in keinem Wider­spruch zu all­ge­mein akzep­tierten Ansicht­en im Arbeitsschutz.
 
Bei der Beto­nung des Ver­fahrens für die Ermit­tlung der Beurteilungszahl hat sich der Fak­tor „2“ als beson­ders passend her­aus­gestellt: Höhere Fak­toren bedin­gen eine unzuläs­sige Vere­in­fachung ins­beson­dere der tox­is­chen Gefahren durch einen zu hohen Ein­fluss des Ver­fahrens, niedrigere Fak­toren sind wiederum nicht stark genug, um dem Ver­fahren das nötige Gewicht zu verleihen.
 
Die Zuord­nung der Bew­er­tungszahl GZtot zu den Aus­sagekat­e­gorien „Hoch“, „Mit­tel“ und „Niedrig“ erfol­gte dadurch, dass der mögliche Wer­te­bere­ich für „GZtot“ (Werte zwis­chen 1 und 3 möglich) in gle­iche Abschnitte unterteilt wurde. Daraus ergibt sich die in Abb. 1 dargestellte Bele­gung, in der vor allem mit­tlere Gefährdun­gen dominieren. Für eine stärkere Gewich­tung des einen oder anderen Bere­ich­es (zum Beispiel der hohen Gefährdun­gen) gab es keine sin­nvolle Begrün­dung, weshalb wir uns für eine math­e­ma­tisch ein­fache Lösung entsch­ieden haben.
 
Es sei aber betont, dass es einem möglichen Anwen­der des Sys­tems dur­chaus freis­te­ht, inner­be­trieblich andere Gren­zen anzuset­zen. Die Gefährdungs­beurteilung und auch die Anwen­dung von Beurteilungskri­te­rien verbleiben immer im Ver­ant­wor­tungs­bere­ich des Arbeit­ge­bers. Wichtig ist aber, dass Entschei­dun­gen sach­be­zo­gen und logisch begründ­bar sind.

Fazit

Wir hof­fen, den Anwen­dern hier­mit ein Werkzeug an die Hand gegeben zu haben, dass ihnen hil­ft, in der kom­plex­en Gefahrstoff­prob­lematik mit ihren ver­schiede­nen sich gegen­seit­ig bee­in­flussenden Fak­toren, sichere(re) Entschei­dun­gen tre­f­fen zu können.
Das Ver­fahren eignet sich ins­beson­dere für Klein- und Mit­tel­be­triebe, denen es häu­fig sowohl an Zeit als auch an den entsprechend aus­ge­bilde­ten Mitar­beit­ern fehlt, fundierte und kom­plexe Abwä­gun­gen auszuführen. Aber auch in Groß­be­trieben wird dieses Ver­fahren seinen Wert dann beweisen, wenn es z. B. darum geht, in ver­schiede­nen Abteilun­gen, Stan­dorten oder Werken inhaltlich homo­gene Beurteilun­gen zu erhalten.
 
Autoren:
Dr. Ger­ald Schneider
Mit­glied im Auss­chuss für Betrieb­ssicher­heit (ABS)
B A D Gesund­heitsvor­sorge und Sicher­heit­stech­nik GmbH; 
 
Dr. Clau­dia Carl
Mit­glied im Auss­chuss für Gefahrstoffe (AGS)
B A D Gesund­heitsvor­sorge und Sicher­heit­stech­nik GmbH;
 
 
1 Das hier dargestellte Ver­fahren ist keine Veröf­fentlichung eines der bei­den genan­nten Ausschüsse.
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