Das Thema „Führung und psychische Belastung“ stand im Mittelpunkt des zweiten Gesundheitsgipfels im Zugspitzdorf Grainau. Das Thema sei ausgesprochen wichtig, schreibt Olaf Scholz in seinem Grußwort zur dreitägigen Veranstaltung im August 2009. Viele Forschungsprojekte belegen den engen Zusammenhang, dass Führungskräfte einen signifikanten Einfluss auf die Belastungssituation am Arbeitsplatz und damit auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Beschäftigten haben. Ich bin gespannt, was mich erwartet.
DGB Bildungswerk Frau Cornelia Wendt-Danigel Hans Böckler-Strasse 39 40476 Düsseldorf
67 Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen und Branchen, Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sowie das Tagungsteam befassen sich mit dem enormen Handlungsbedarf, den das Thema innehat. Den verschiedenen Gruppen wird kurz erklärt, worin ihre Aufgabe besteht, dann heißt es, selbst aktiv sein. Reinhard R. Lenz vom Institut Input unterstützt als Moderator den Gesundheitsgipfel, spornt uns Teilnehmer beispielsweise an, zu vorgegebenen Fragen wie „Wie viel Vorbild kann/muss eine Führungskraft sein? Oder zu Begriffen wie „Menschenbild“ oder „Frequenz“ spontan das aufzuschreiben, was uns einfällt. Erfahrungen und Ansichten sprudeln hervor. Schon bald bin ich in einige interessante Gespräche vertieft und lerne Barrieren und Hindernisse in anderen Unternehmen kennen. Hier und da erschallt ein Lachen. Die Stimmung ist gelöst. Scheinbar haben andere ähnliche Probleme.
Kommunikative Atmosphäre
„Ausgesprochen ergiebig sind die Gruppendiskussionen“, freut sich Teilnehmerin Uschi Röhrig, freigestellte Betriebsrätin bei den Kliniken der Stadt Köln gGmbH. „Zusammen mit Betriebsräten und Gesundheitsbeauftragten aus anderen Betrieben diskutieren wir, welchen Einfluss Führungskräfte auf die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz haben können.“ Professionelle Kommunikation, transparente Arbeitsprozesse und Vereinbarkeit von Beruf und Familie seien hier wichtige Stichworte. „Schon wenn man Führungskräfte aussucht, sollte man anhand von ausgesuchten Kriterien deren soziale Kompetenz messen“, fasst Uschi Röhrig zusammen.
Auch Lorena Tomao, Gesundheitsmanagerin bei den Essener Verkehrsbetrieben, ist angetan von der kommunikativen Arbeitsatmosphäre auf dem Gesundheitsgipfel. Sie besucht die Veranstaltung zum ersten Mal. Spannend sei es, mit Betriebsräten darüber zu reden, wie andere Unternehmen mit Führung und psychischen Belastungen umgehen. „Das Thema beinhaltet sehr viele Tabus“, weiß Lorena Tomao. Aber auch, dass die ReferentInnen den ganzen Tag über Rede und Antwort stehen, schätzt sie. „Man hat die Möglichkeit, noch tiefer nachzufragen und erhält so wertvolle Tipps für die eigene Arbeit.“
Marianne Giesert, Leiterin des Kompetenzzentrums Gesundheit und Arbeit, DGB Bildungswerk e.V. verspricht gleich zur Begrüßung der Veranstaltung viel Abwechslung zwischen Theorie und Praxis. Und das Programm hält Wort. Sichtlich gespannt und leicht amüsiert verfolgen die Anwesenden –mich eingeschlossen – zum Beispiel das Theaterstück „Rubikon“, ein Schauspiel in vier Akten nach einer gelungenen Inszenierung von Reinhard R. Lenz. Die Schauspieler Josef Hofmann und Thomas Wenzel glänzen in ihren Rollen und setzen das Spannungsfeld zwischen Beteiligung und Anweisung praxisnah in Szene. Neben mir murmelt mein Nachbar. „Ja, genauso ist es. Der Chef hat selbst Druck und gibt den nach unten weiter – das ist schon schwierig“. Ein anderer lacht und kommentiert die Szene mit den Worten: „In der Theorie ist das immer leicht, von wegen ‚ruhig bleiben’ und so, das funktioniert aber einfach nicht immer. Und manchmal nimmt man den Ärger auch noch mit nach Hause“. Ich stimme zu.
Theorie und Praxis im Wechsel
Die vielen informativen Fachvorträge, die das Programm abrunden, ermöglichen einen Einblick in die umfassende Thematik von Führung und psychischen Belastungen. Dr. Peter Stadler vom Bayrischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit präsentiert arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse. Zum Beispiel belegt die Gallup-Studie, dass schlechtes Management als Hauptursache für geringe emotionale Bindung an die Arbeit, fehlendes Engagement am Arbeitsplatz und motivational bedingte Fehlzeiten ist. Die GLOBE-Studie (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness), befragte 17.000 Manager der mittleren Führungsebene in 62 Ländern nach den Merkmalen einer guten Führungskraft. Eines der zentralen Ergebnisse stellt fest: „In Deutschland herrscht eher aufgabenorientiertes Führungsverhalten vor; bei Humanorientierung rangieren die Deutschen nur auf Platz 38. Die Unternehmenskultur ist sachorientiert und ernst, Fairness und Respekt gehören nicht unbedingt zu den deutschen Führungstugenden.“
Neben weiteren interessanten Vorträgen zeigt Helga Kühn-Mengel, Patientenbeauftragte der Bundesregierung, die Lage zur psychischen Gesundheit in der Bundesrepublik auf. Klaus Brandner, Parlamentarischer Staatssekretär aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, stellt die neue Initiative „Neue Kultur der Arbeit“ vor. Walter Eichendorf referiert zum Thema „Prävention lohnt sich: Leitlinien und Anreize der gesetzlichen Unfallversicherung“, und Dr. Heinrich Geißler geht auf den „psychologischen Arbeitsvertrag“ ein.
Auch die Praxis kommt nicht zu kurz, Rudi Clemens, Betriebsratsvorsitzender bei Frauenrath Bauunternehmen GmbH, stellt den kooperativen Führungsstil des Unternehmens vor. Heidemarie Ernst und Dr. Astrid Brammertz gehen auf die psychische Gesundheit durch gesundheitsgerechte Führung in der Stadtverwaltung Aachen ein und Dr. Andreas Behrens und Thomas Dorn zeigen Lösungen bei der Technikerkrankenkasse, ausgezeichnet als Bester Arbeitgeber 2009, auf.
Ruhe und Entspannung
Bei so viel geistigem Input, darf der Ausgleich nicht fehlen. Deshalb bin froh darüber, dass auf der Veranstaltung nicht nur von Gesundheit gesprochen, sondern gesundes Arbeiten gelebt wird. Jeder Teilnehmer hat die Gelegenheit, sich zu regenerieren. In den Pausen und zwischendurch kann man in der Gesundheitslounge relaxen. Entspannung und Ruhe stehen in Ergänzung zum Vortragsprogramm. Das Echo der Teilnehmer ist gut, der Andrang groß. Ich bin auch dabei – was gibt es Feineres als eine gekonnte Nackenmassage?!
Der nächste Gesundheitsgipfel findet vom 08.–11. August 2010 in Grainau statt.
Dr. Christiane Eichhorn
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