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Die Beweggründe eines Unternehmens, die traditionelle Form der Bürogestaltung mit einem Open Office zu ersetzen, reichem vom Wunsch einer flexiblen und attraktiven Arbeitsgestaltung einem zukunftsorientierten Unternehmensimage bis zur nachhaltigen, ökologische Unternehmensgestaltungen, der Verbesserung des Flächenmanagements und der Reduzierung der Sachinvestitionen.
Und ebenso variantenreich wie die Erwartungen, die Unternehmen an ein innovatives Bürokonzept knüpfen, sind auch die Gestaltungsmöglichkeiten dieser Projekte. Mit diesem Beitrag startet eine Artikelserie, die kritische Themen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei der Planung, der Projektierung und in der ersten Betreuungsphase eines Open Office-Bürolandschaft behandelt.
Dipl.-Ing. Horst Werner
Verschiedene Konzepte – eine Grundidee
Gemein ist jedoch allen Konzeptvarianten die erneute Hinwendung zu einer groß-flächigen Raumgestaltung, jedoch ohne die Funktion des althergebrachten Groß-raumbüros fortführen zu wollen.
Die Basis und das wesentliche Gestaltungselement eines Open Office ist die Aufhebung der baulichen Trennung zwischen Büroräumen als dem ausschließlichen Ort für Arbeitsplätze und den übrigen organisatorischen Funktionsbereichen eines Gebäudes oder Gebäudeteiles. Das Ziel dieser Organisationsstruktur ist es, die Möglichkeiten moderner Kommunikationstechnik zur Vernetzung in der räumlichen Gestaltung des Arbeitsumfeldes fortzusetzen und den Informationsaustausch im Unternehmen zu beschleunigen und zu fördern.
Dabei werden auch die in einer traditionellen Büroanordnung eher „inoffiziellen“ Orte der Kommunikation, wie z.B. Teeküchen bewusst als Teil des Arbeitsprozesses in die Bürolandschaft integriert und so mit einer neuen Wertigkeit ausgestattet. Zusammen mit konventionellen Büroarbeitsplätzen, Meetingräumen und Bereichen für Team- und Projektarbeit, werden Entspannungszonen, mitunter auch Kaffeebars oder ähnliche Treffpunkte zu einer Bürolandschaft verbunden.
Systemkonform treten in vielen innovativen Bürokonzepten non-territoriale Büroprinzipien und ein Desk Sharing System an die Stelle der üblichen, individuellen Zuweisung eines vorbestimmten Arbeitsplatzes durch das Unternehmen. Stattdessen wählen die Mitarbeiter den passenden Arbeitsplatz in einer Bürolandschaft selbst, je nach aktuellem Bedarf und Raumangebot und meist täglich neu. Auf diese Weise sollen alle Nutzungsbereiche allen Mitarbeitern, unabhängig von Hierarchieebene und Arbeitsaufgabe, zur Verfügung stehen; Eine Organisationsoption, die ohne den breiten Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien nicht möglich wäre, denn nur sie gestatten es, die bislang notwendige räumliche Verbindung zwischen der Arbeitsaufgabe und einem vorbestimmten Arbeitsort aufzulösen.
Zweifelsohne bedeutet die Realisierung eines Open Office für jedes Unternehmen eine planerische und organisatorische Herausforderung – und dies gilt in besonderem Maße und in vielerlei Hinsicht für die betriebliche Arbeitssicherheit.
Bürolandschaft – ein „Sonderfall“ für den Arbeitssicherheitsstandard?
Dabei erscheint die Realisierung eines innovativen Bürokonzeptes auf den ersten Blick als die perfekte Gelegenheit, beste ergonomische Arbeitsbedingungen herzustellen, verfolgen doch viele Unternehmen mit einem derartigen Projekt gerade auch eine zukunftsweisende Arbeitsgestaltung. Doch leider zeigt die Praxis häufig ein anderes Bild.
Eine deutliche Sprache sprechen Werbefotos oder Planungsbeispiele für Büroland-schaften, die Raum- und Arbeitsplatzanordnungen mit gravierenden Belastungssituationen zeigen und die elementarsten Grundsätze ergonomischer Arbeitsgestaltung schlicht ignorieren. Dies lässt vermuten, dass den Verantwortlichen und Planern mit der räumlichen und organisatorischen Strukturveränderung einer innovativen Bürogestaltung auch das Schutzziel und der Geltungsrahmen des ArbSchG und der ArbStättV aus dem Blick geraten – schlimmstenfalls werden sie für alternative Bürokonzepte auch einfach als systemfremd erklärt und für entbehrlich gehalten werden.
Dabei wird übersehen, dass § 3a ArbStättv dem Unternehmer zwar einen großzügigen Gestaltungsspielraum für seine Betriebsstätten gewährt. Keine Gestaltungsform enthebt ein Unternehmen aber der Beachtung der anerkannten Grundsätze des Arbeitsschutzes. Dies würde dem Schutzziel der Arbeitsschutznormen auch grob widersprechen, wollte man die Geltung der gesetzlich geregelten Mindeststandards von der räumlichen Gestaltung einer Betriebsstätte abhängig machen. Im Interesse der Mitarbeitergesundheit bleiben auch für eine Bürolandschaft die technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) und die (noch) geltenden Arbeitsstättenrichtlinien der verbindliche Rahmen der Arbeitsgestaltung – unabhängig davon, wie innovativ und kreativ der Gestaltungsanspruch des jeweiligen Bürokonzeptes sein mag.
An diesem Punkt ist die Kreativität des Arbeitsschutzes gefragt.
Die Verbindlichkeit des durch die ASR festgelegten Arbeitsplatzstandards bedeutet nicht zwangsläufig auch die Ausschließlichkeit der in den ASR beschriebenen Gestaltungsoptionen. § 3a Abs. 1 Satz 4 ArbStättV gibt dem betrieblichen Arbeitsschutz den notwendigen Spielraum, sich von den standardisierten ASR zu lösen und über projektindividuelle Maßnahmen einen gleichwertigen Schutzstandard anzubieten.
Die Akteure des Arbeitsschutzes haben den Spagat zu meistern, den gesetzlichen Grundlagen und Standards des Arbeitsschutzes auch in einem innovativen Büro-konzept gerecht zu werden, ohne die mit diesem Projekt verbundene, meist sehr ehrgeizige Zielsetzung des Unternehmens mehr als nötig einzuschränken.
(Konzept-) Theorie und (Arbeitsschutz-) Praxis
Für eine projektverträgliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen lässt sich der Variantenreichtum der meisten Konzepte nutzen. Allerdings eröffnet sich dieser Spielraum nur, wenn er rechtzeitig, das heißt von Beginn der Konzeptplanung an genutzt wird.
Leider zeigen viele Planer und Projektverantwortliche oftmals noch eine gewisse „Scheu“, den Arbeits- und Gesundheitsschutz in allen Projektphasen zu thematisieren.
Die (kostenintensive) Folge ist eine zumeist ungenügende Funktionalität des Gesamtkonzeptes, die nicht nur den Mitarbeitern den Umgang mit der neuen Arbeitsstruktur verleidet, sondern darüber hinaus zu nicht unerheblichen Einbußen in der Arbeitsqualität führen kann.
Dass die Achtsamkeit für eine gute und sichere Arbeitsgestaltung vom ersten Planungsschritt bis zur Umsetzung des Projektes hilft, Fehlplanungen und nachträgliche Korrekturen zu vermeiden, wird noch zu wenig erkannt und genutzt.
Funktionalitätsfalle Flächenbedarf
Nicht jedes Konzept passt zu jedem Standort. Was so selbstverständlich klingt, erweist sich in der Praxis als die folgenreichste Funktionalitätsfalle für ein Open Office.
Obwohl ein Großteil der Projekte innerhalb bestehender Gebäude verwirklicht wird, fällt die Entscheidung für ein bestimmtes Raumkonzept häufig ohne den konkreten Projektstandort auf seine Eignung zu prüfen. Vor allem der Bedarf an Wege- und Funktionsflächen im Verhältnis zur geplanten Nutzung wird nur selten exakt ermittelt. Ein Versäumnis, das sich mit einer ganzen Reihe von Konsequenzen rächt und selten ohne negative Folgen für die Funktionalität des Gesamtkonzeptes bleibt.
Vor allem wird unterschätzt, dass die räumliche Verbindung unterschiedlicher Funktionsbereiche zu Bürolandschaften einen erheblichen Anspruch an den Raumbedarf für Verkehrs- und Bewegungsflächen mit sich bringt. Die gesetzlichen Vorgaben zu Länge, Breite und Anordnung von Verkehrs- und Fluchtwegen sind umso anspruchsvoller, je größer die Gesamtfläche der Bürolandschaft und je höher die Zahl der täglichen Nutzer anzusetzen ist (§ 4 Abs.4 ArbStättV, Ziffer 1.8 und 2.3 Anh. ArbStättV; Bauordnungen der Länder).
Hinzu kommen die zusätzlichen Anforderungen für Mitarbeiter mit (Geh-) Behinderungen. Soweit das Ziel der konzeptweiten Barrierefreiheit nicht ohnehin angestrebt wird, verpflichten § 3a Abs. 2 ArbStättV und § 4 BGG das Unternehmen, die Bewegungsflächen für Rollstühle und Rollatoren für alle Funktionsflächen zu berücksichtigen, zu denen gehbehinderte Mitarbeiter notwendigerweise Zugang haben müssen. Dazu gehören neben den notwendigen Verkehrsflächen vor allem auch die Flucht- und Rettungswege.
Dadurch entsteht ein recht beachtenswerter Flächenverbrauch, der den Bedarf einer konventionellen Büroanordnung rasch übersteigt – und der nur sehr bedingt durch alternative Maßnahmen kompensiert werden kann. Eine nachträgliche Anpassung an gesetzliche Flächenvorgaben oder funktionale Erfordernisse geht in den meisten Fällen zu Lasten der ursprünglichen Konzeptidee und erfordert nicht selten aufwändige Organisationsveränderungen.
Besonders tückisch erweist sich das Thema Flächenbedarf, wenn mit dem Ziel einer möglichst nachhaltigen Ressourcen- und Flächennutzung ein Desk Sharing-System zum Einsatz gelangt. In diesen Fällen entspricht die Gesamtzahl der vorgehaltenen Arbeitsplätze nicht mehr der Anzahl aller Mitarbeiter, sondern bemisst sich an den im täglichen Durchschnitt tatsächlich anwesenden Personen. Mit diesem System entfällt nicht nur die individuelle Zuordnung eines bestimmten Arbeitsplatzes zu einem Mitarbeiter, vielmehr ist die gleichzeitige Anwesenheit aller Mitarbeiter in diesem Nutzerkonzept gar nicht mehr vorgesehen.
Die Annahme, dass entsprechend der reduzierten Zahl an vorgehaltenen Arbeits-plätzen auch an der Gesamtbürofläche gespart werden könnte, erweist sich für die meisten Konzepte eines Open Office als Trugschluss.
Zum einen lässt sich eine signifikante Reduzierung der Anzahl vorzuhaltender Arbeitsplätze ohne Probleme für die Arbeitsorganisation nur dort erreichen, wo ein hoher Mobilitätsfaktor der Arbeitsinhalte dies zulässt oder die Arbeitsaufgabe ohnehin keine ganztägige oder regelmäßige Büronutzung erfordert. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass nicht nur die Arbeitsaufgabe, sondern auch die dazu notwendigen beziehungsweise unternehmensüblichen Arbeitsprozesse den Flächenanspruch erheblich beeinflussen. Für die Flächenplanung ist es entscheidend, ob vorrangig im Team an Mehrpersonenplätzen oder in speziellen Teamräumen gearbeitet wird oder ob vermehrt separierte „Denkerarbeitsplätze“ für Einzelpersonen erforderlich sind. Wobei nicht aus dem Blick geraten sollte, dass Arbeitsprozesse selbst innerhalb einer Branche höchst unternehmensspezifisch gestaltet sein können und deshalb eine Planung auf der Basis eines verallgemeinernden Branchenstandards nur bedingt zu empfehlen ist.
Die unterschiedlichen Arbeitsplatzformen stellen nicht nur ihren eigenen Anspruch an die Gebäudefläche, sie ziehen darüber hinaus Wechselwirkungen zum Raumbedarf für Bewegungsflächen, Verkehrs- und Rettungswege nach sich.
Trotzdem verzichten viele Projektplanungen auf eine ausreichende und vor allem betriebsindividuelle Ermittlung aller, den Flächenbedarf konkretisierenden Faktoren. Nur ungern korrigieren viele Planer und Projektverantwortliche die Fehlvorstellungen der Unternehmen zu Flächeneinsparungen, sei es, um die Erwartungen der Auftraggeber in das Konzept nicht zu enttäuschen oder um Budgetvorgaben gerecht zu werden.
Hinzu kommt, dass viele Unternehmen die wunschgemäße Umsetzbarkeit ihres Prestigeprojektes verständlicherweise gerne durch die Planung bestätigt sehen. Das kann dazu verführen, Entscheidungen auf der Basis von optisch ansprechenden aber unbemaßten Projektunterlagen zu fällen. Ein Fehler, der sich vor allem zu Lasten der Feststellung eines gesicherten Flächenbedarfes auswirkt.
Teil 2 dieser Serie geht detailliert auf Zielkonflikte, Wechselwirkungen und einzelne Problemfaktoren bei Open Office-Konzepten ein.
Autor
Dipl.-Ing. Sicherheitsingenier Horst Werner
E‑Mail: horst.werner@wema-muenchen.de
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