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In Deutschland geschehen jährlich etwa 500 tödliche Arbeitsunfälle, von denen ein nicht unerheblicher Anteil auf die Manipulation von technischen Schutzeinrichtungen zurückzuführen ist. Erkenntnisse der Berufsgenossenschaften belegen zudem, dass etwa 37 % der installierten Schutzeinrichtungen zeitweise oder permanent manipuliert sind. Dabei ist es Verantwortlichen durchaus möglich, Veränderungen und nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch von Schutzeinrichtungen zu erkennen und zu beseitigen, bevor etwas passiert.
Und das sollten sie auch, denn die straf- und zivilrechtlichen Haftungsrisiken von sicherheitstechnischen Manipulationen reichen bis in die höchsten Managementebenen. Das Bewusstsein für die Folgen von Manipulationen scheint vielerorts aber noch zu fehlen, denn BG-Zahlen belegen, dass in jedem dritten Betrieb erkannte manipulierte Schutzeinrichtungen auch geduldet werden. Bleibt die Frage, weshalb Maschinen und deren Sicherheitstechnik überhaupt manipuliert werden.
Vielfältige Gründe für die Manipulation von Schutzeinrichtungen
Die Manipulation von Schutzeinrichtungen bedeutet das Aussetzen oder Mindern der Schutzfunktion. Häufig anzutreffende Gründe hierfür sind eine mangelhafte Bedienergonomie der Maschine sowie den Arbeitsablauf störende Schutzeinrichtungen, die falsch ausgewählt wurden und dann im Betrieb behindern, stören oder eine reibungslose Bedienung der Maschine verhindern. Die fatale Konsequenz daraus ist, dass sich ein Maschinenbediener durch das Vorhandensein von Schutzeinrichtungen im Glauben befindet, dass er bei seiner Arbeit wirksam geschützt wird. Deshalb wird er sich auf einen optimalen Arbeitsablauf konzentrieren und sich nicht mehr verstärkt um die Sicherheit seiner Arbeitsstätte kümmern. Da die manipulierte Schutzeinrichtung das ursprüngliche Schutzziel aber nicht mehr erfüllen kann, sind leider in der Konsequenz Arbeitsunfälle, häufig mit schweren Folgen zu erwarten.
„Manipulationsqualität“ reicht von praktisch bis professionell
Einfacher, schneller, bequemer – wer Schutzeinrichtungen an (s)einer Maschine verändert, will oftmals seinen Arbeitsprozess optimieren. Mechanische Schutzelemente, die die Bedienung stören, werden entfernt. Lichtgitter werden so versetzt, dass sie die Gefahrstelle nicht mehr durch das Schutzfeld abdecken können, oder der Betätiger steckt dauerhaft in der Verriegelung, egal ob die Schutztür geschlossen oder geöffnet ist. Vor Not-Halt-Geräten wird zum Schutz gegen unbeabsichtigtes Bedienen ein Metallbügel montiert. Dies sind nur einige Beispiele, wie Schutzeinrichtungen mit sehr praxisnahen Mitteln manipuliert werden. Sicherheitsverantwortliche in Betrieben ist daher angeraten, Maschinen regelmäßig auf solche mit bloßem Auge erkennbaren Veränderungen an Schutzeinrichtungen zu überprüfen und diese zu beseitigen. Weiterhin sollte auch der Werker selbst beachtet werden. Der berühmt-berüchtigte Schlüsselbund mit dem „Extra“-Betätiger für Verriegelungen ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass im Betrieb Schutzeinrichtungen, z. B. Verriegelungen an beweglichen trennenden Schutzeinrichtungen, manipuliert werden.
Professioneller und nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind Manipulationen in der steuerungstechnischen Peripherie, z. B. bei der Überbrückung von Rücksetzgeräten, der Einrichtung eines „Bypass aus der Steuerung“ vorbei an den Sicherheitsausgängen von Schutzeinrichtungen oder bei der Blockierung der Funktionen von Baugruppen im Schaltschrank. In diesen Fällen ist für die Durchführung wie auch für das Aufdecken der Manipulation in der Regel ein gewisses Maß an Kenntnissen erforderlich. Wer als Verantwortlicher oder Ratgeber hier auf Nummer sicher gehen will, sollte sich an eine akkreditierte Inspektionsstelle für Sicherheitstechnik, z. B. SICK, wenden, die nach erfolgreicher Prüfung die ordnungsgemäße Funktion der Schutzeinrichtungen auch rechtsverbindlich mit einem Prüfsiegel bestätigt.
Manipulationsschutz beginnt im Kleinen
Sicheres Gestalten durch bediengerechtes Designen, die vollständige Berücksichtigung von vorhersehbaren Fehlanwendungen und Bedienfehlern, die richtige Auswahl technischer Schutzmaßnahmen erhöhen die Sicherheit beträchtlich. Aber auch einfache praktische Maßnahmen können effektiv helfen. Bei mechanischen Sicherheitsverriegelungen verhindert bereits das Ausbohren von Schraubenköpfen oder die Montage besonderer Schrauben, z. B. für nur eine Drehrichtung, das Entfernen des mechanischen Betätigers. Gegen das einfache Dauer-Einstecken in einen Sicherheitsschalter wirken Betätiger mit Feder Wunder. Hier ist eine Manipulation nur mit gewissem Aufwand möglich und ist zudem auf den ersten Blick zu erkennen. Viel erreichen lässt sich auch, wenn die Sicherheitstechnik auf das Einsatzumfeld abgestimmt ist. Müssen beispielsweise Türen bei Vibrationen geschlossen bleiben, empfiehlt sich eine Lösung mit erhöhten Rückhaltekräften, so dass die Vibrationen kompensiert werden und nicht ständig zum Ansprechen der Verriegelung führt – was dann wieder eine mögliche Manipulation heraufbeschwören würde.
Intelligente Technologien helfen
Viele Hersteller von Schutzeinrichtungen wie SICK berücksichtigen durch Normen wie z. B. der neuen EN ISO 14119 „Gestaltungen und Auswahl von Verriegelungseinrichtungen“ wirksame Maßnahmen und Konstruktionsprinzipien gegen Manipulation in ihren Sicherheitsbauteilen. Sicherheitsverriegelungen mit kodierten Magnetschaltern erschweren Manipulationen ebenso wie sichere induktive Positionsschalter, die einen festgelegten Freigabebereich als Schutz vor Manipulationsversuchen verlangen. Mit der Verarbeitung zyklischer Testimpulse und der dynamischen Kurzschlusserkennung sind sie auch steuerungsseitig extrem manipulationssicher. Sichere Positionsschalter in RFID-Transponder-Technik schützen noch besser vor Manipulationsgefahren, weil jeder elektronische Betätiger einen individuellen Code enthält, der ihn zu einem nicht kopierbaren Unikat macht. Das Prinzip entspricht der elektronischen Wegfahrsperre bei modernen Kraftfahrzeugen.
Besonders vielfältig ausgeprägt ist der Manipulationsschutz an berührungslos wirkenden Schutzeinrichtungen. Sicherheits-Lichtvorhänge mit Blanking-Ausblendungsfunktion für die Materialzuführung durch das Schutzfeld hindurch überwachen die Position und Anzahl ausgeblendeter Lichtstrahlen, um damit ergonomisch und sicher einen Materialtransport durch das Schutzfeld zu ermöglichen und bei jeglicher Veränderung, z. B. beim Eingreifen in das Schutzfeld, die Maschine abzuschalten. Diese Funktion erlaubt es, eine Maschine mit Materialzufuhr effizient und sicher zu bedienen – ohne den Anreiz für Manipulation erst zu schaffen. Sicherheits-Laserscanner nutzen in Vertikal-Applikationen die Funktion „Kontur als Referenz“ und erkennen dadurch sofort, wenn ihre Position gewollt oder ungewollt verändert wird — eine Manipulation führt hier zum Ansprechen der Schutzeinrichtung. Im stationären Materialfluss vermindern Sicherheits-Lichtvorhänge mit Mutingfunktion deutlich den Anreiz für Manipulation, da der Materialtransport ungehindert stattfinden kann. Gleichzeitig sind sie auch mit wirksamen Maßnahmen zur Manipulationserkennung und –verhinderung ausgestattet, Manipulationen, z. B. durch das Abkleben der Mutingsensoren oder das Abstellen einer beladenen Palette im Mutingbereich, werden zuverlässig als Manipulation der Schutzeinrichtung erkannt.
Maximalen Manipulationsschutz bieten horizontal und parallel zur Förderrichtung installierte Sicherheits-Lichtvorhänge mit Entry-Exit-Funktion. Ihre Mustererkennung kann Personen wirkungsvoll von Paletten unterscheiden, weil sie durch Mustererkennung eine echte und zuverlässige Mensch-Material-Unterscheidung leistet – Manipulationen an der Schutzfunktion sind nicht einmal theoretisch denkbar.
Manipulationen haben viele Beweggründe – gute Gründe sind das aber in keinem Fall. Sie zu erkennen und zu beseitigen schafft Sicherheit – für den Maschinenbediener, den Sicherheitsingenieur und die Verantwortlichen. Sie zu dulden bedeutet für alle Beteiligten einen unverantwortlichen Drahtseilakt, bei dem jederzeit der Absturz kommen kann und früher oder später auch kommen wird, wie die Zahlen beweisen – ohne Netz und doppelten Boden…
SICK ist von der DATech als Inspektionsstelle nach IEC bzw. EN ISO 17020 akkreditiert und kann mit seinen mehr als 100 geschulten Sicherheitsexperten sicherheitstechnische Prüfungen und Abnahmen neuer oder modernisierter Maschinen und Anlagen durchführen und dies auch mit einem Prüfsiegel bestätigen. Neben den klassischen Inspektionen an berührungslos wirkenden Schutzeinrichtungen wie Lichtgitter und Laserscanner bietet Sick auch komplette sicherheitstechnische Inspektionen von Maschinen an, bei denen u.a. die korrekte Funktion und Integration von Sicherheitsfunktionen exakt bewertet werden.
Die Erfahrung mit jährlich mehr als 10.000 Sicherheitsinspektionen fördert Erstaunliches zutage. So sind bei einer Vielzahl der beanstandeten Maschinen Mängel in der Sicherheitstechnik erkennbar, die u. a. auf eine Manipulation von Schutzeinrichtungen zurückzuführen ist. Die Analyse zeigt auch, dass alle genannten Gründe für die Manipulation von Schutzeinrichtungen festzustellen sind und die Umsetzung oft mit bloßem Auge zu erkennen ist – wenn man sie denn sehen will.
Autor
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Harald Schmidt TÜV-zertifizierter Experte Funktionale Sicherheit, Lehrbeauftragter für Sicherheitstechnik an der Hochschule Aschaffenburg und Customer Project Manager in der Division Industrial Safety der SICK AG, Waldkirch
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