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Müssen dürfen oder doch besser wollen sollen?

Wandel im Berufsbild zum Manager für Arbeit und Gesundheit
Müssen dürfen oder doch besser wollen sollen?

Müssen dürfen oder doch besser wollen sollen?
Die Arbeitssicher­heit befind­et sich im Wan­del. Dereg­ulierun­gen und Par­a­dig­men­wech­sel sind an der Tage­sor­d­nung und bewirken immer mehr Entschei­dungsspiel­räume für die Unternehmer. Das erfreut nicht jeden Chef gle­icher­maßen, denn Entschei­dungsspiel­räume bedeuten auch immer mehr Ver­ant­wor­tung, für die man zwar gerne bezahlt wer­den will, die man aber nicht genau­so gerne übern­immt. Glück­licher­weise kom­men hier die Fachkräfte für Arbeitssicher­heit ins Spiel, denn die Unternehmer brauchen in Zukun­ft eine andere Beratung und Unter­stützung zum Arbeitss­chutz als bisher.

Heiko Mit­tel­städt
Fachkraft für Arbeitssicherheit

Es wer­den mehr Ver­ant­wor­tungsüber­nahme und klare Aus­sagen gefordert. So wird die Fachkraft für Arbeitssicher­heit zum „Arbeitss­chutz­man­ag­er“ der Zukun­ft, der mehr und mehr zum Berater mit Ver­ant­wor­tung mutiert. Sie glauben mir nicht? Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus der Prax­is der neuen Arbeitsstät­ten­verord­nung zeigen. Ein Auf­gabenge­bi­et für Fachkräfte für Arbeitssicher­heit, das es schon immer gab. Allerd­ings haben sich die Experten die Beratung früher viel zu ein­fach gemacht. Da hat­ten die Fachkräfte noch Zahlen und Fak­ten, mit denen sie nur so um sich war­fen, ohne ihre Beratung zu unter­mauern. Das ist nun völ­lig anders. Die fol­gende Mail erre­ichte vor kurzem die Fachkraft für Arbeitssicher­heit eines großen Unternehmens:
Sehr geehrter Herr Mustersifa,
für die Räume 0815, 4711 und 007 wur­den Möblierungsvorschläge von mir gemacht. Diese find­en keinen Anklang bei den Mitar­beit­ern. Auch der Betrieb­srat möchte, dass alle geset­zlichen Vor­gaben für die Raum­größen erfüllt sind.
Bitte über­prüfen Sie anhand der Pla­nungsze­ich­nung (Anlage) nach geset­zlichen Vor­gaben und geben eine Stel­lung­nahme dazu ab. Unser CAD-Büro gibt Ihnen auf Anfrage die Abstandsmaße.
Ich bin am 20.7. wieder im Hause.
Kommt Ihnen eine solche Anfrage auch bekan­nt vor? Die Mail ist völ­lig nor­mal, oder? Hier ist Ihre neu­trale Beratung gefragt! Toll, wür­den Sie denken und direkt damit begin­nen, nach den ein­schlägi­gen Vorschriften zu kra­men. Doch halt! Ist die Anfrage wirk­lich harm­los? Wird die angeschriebene Fachkraft für Arbeitssicher­heit tat­säch­lich nur gebeten, eine Beratung hin­sichtlich der Ein­rich­tung eines Arbeit­splatzes abzugeben, und vor allem nach welchen Vorschriften?
Lesen Sie in Ruhe zwis­chen den Zeilen. Es geht in Wahrheit um einen Stre­it zwis­chen ein­er Pla­nungsabteilung, dem Arbeit­ge­bervertreter sowie dem Betrieb­srat. Und die Fachkraft ste­ht mit ihrer Antwort in Kürze mit­ten zwis­chen den Kon­tra­hen­ten. Sie bekommt vom Plan­er lediglich eine nut­zlose Skizze ohne Maße, die sie sich selb­stver­ständlich auf Anfrage besor­gen kann. Die Fachkraft soll eine Stel­lung­nahme abgeben. Das bedeutet, dass sie fes­tle­gen soll, ob die Ideen des Pla­nungs­büros umge­set­zt wer­den kön­nen oder nicht. Sie soll in eine ganz bes­timmte Rich­tung entscheiden.
Darüber hin­aus set­zt man dem Berater in geschick­ter Art und Weise einen Ter­min und die Wort­wahl der Mail zeigt ganz grund­sät­zlich, dass er mit dieser Nachricht über­haupt zum ersten Mal von dem The­ma erfährt. Hätte man ihn, wie es der Geset­zge­ber ver­langt, vorher einge­bun­den, dann gäbe es diese Mail wahrschein­lich nicht. Die Fachkraft für Arbeitssicher­heit hätte die Ver­ant­wortlichen schon viel früher berat­en kön­nen. Natür­lich will die Fachkraft ihrer geset­zlichen Beratungspflicht nachkom­men und über­legt sich einen geeigneten Antwort­text. Sie möchte viele, wichtige Infor­ma­tio­nen ver­mit­teln, aber sich nicht instru­men­tal­isieren lassen. Daher schreibt sie dem Pla­nungs­büro als ver­ant­wor­tungsvoller Berater folgendes:
Sehr geehrter Herr Musterplaner,
im August 2004 ist die neue Arbeitsstät­ten­verord­nung (Arb­StättV) in Kraft getreten. Die Arb­StättV fordert jet­zt keine definierten Maße für die Grund­fläche eines Arbeit­sraums und die Größe des notwendi­gen Luftraumes mehr.
Bis zur Veröf­fentlichung spezieller tech­nis­ch­er Regeln zu diesen Maßen kön­nen als Anhalt­spunkt die Anforderun­gen der bis August 2004 gülti­gen Arb­StättV (alt) herange­zo­gen wer­den: „Nach § 23 Abs. 1 der Arb­StättV (alt) müssen Arbeit­sräume, um über­haupt als Arbeit­sraum bzw. Arbeitsstätte anerkan­nt zu wer­den, eine Grund­fläche von min­destens 8 qm haben. Zusät­zlich wird gefordert, dass für jeden ständig anwe­senden Arbeit­nehmer ein Min­destluftraum von 12 Kubik­me­tern (ohne Ein­rich­tung!) bei über­wiegend sitzen­der Tätigkeit vorhan­den sein muss. Unab­hängig von der Grund­fläche des Raumes muss nach der Arb­StättV (alt) die freie, unver­stellte Fläche am Arbeit­splatz so bemessen sein, dass für jeden Arbeit­nehmer min­destens eine freie Bewe­gungs­fläche von 1,5 qm zur Ver­fü­gung ste­ht (§ 24 Abs. 1 Arb­StättV), die an kein­er Stelle weniger als 1 m bre­it sein soll.“ Darüber hin­aus – beziehungsweise auf Grund der Tat­sache, dass es nun keine geset­zlichen Vor­gaben mehr gibt – muss sich der Arbeit­ge­ber (hier: der Plan­er in Zusam­me­nar­beit mit den späteren Verantwortlichen/Nutzern) nach dem Arbeitss­chutzge­setz in ein­er Gefährdungs­beurteilung u.a. darüber Gedanken machen, ob der geplante Arbeit­splatz men­schen­gerecht gestal­tet ist. Die endgültige Entschei­dung, ob der Arbeit­splatz für die Beschäftigten „in Ord­nung“ ist, liegt dem­nach bei den Verantwortlichen.
Das ist zugegeben­er­maßen kein epochales Meis­ter­w­erk der Schreibkun­st, doch den Zweck erfüllt die Mail alle­mal. Natür­lich hat sich die Fachkraft vorher die Zeich­nun­gen in der Anlage angeschaut und ihre spon­tane Antwort lautet „Geht!“. Allerd­ings will sie eine ein­deutige Stel­lung­nahme aus gegeben­em Anlass ver­mei­den und so kommt es zu dieser eher schwammi­gen Aus­sage. Ihr bleibt aber auch gar nichts anderes übrig, denn der Geset­zge­ber gibt den Fachkräften keine andere Möglichkeit ein­er besseren For­mulierung an die Hand.
Die Fachkraft ver­lässt sich darauf, dass die Ver­ant­wortlichen eben­falls zwis­chen den Zeilen lesen kön­nen, eine Gefährdungs­beurteilung durch­führen und dabei zu dem Entschluss kom­men, dass es geht. Die Unter­la­gen wer­den hof­fentlich ordentlich doku­men­tiert und bei der näch­sten Bege­hung trifft der Berater auf lauter zufriedene Beschäftigte. Doch weit gefehlt. Jet­zt geht es erst richtig los. Eigentlich wollte sich die Fachkraft geschickt aus der Schus­slin­ie hal­ten. Nun ist sie doch mit­ten­drin, wie die nach­fol­gende Antwort­mail der ver­ant­wortlichen Plan­er zeigt:
Sehr geehrter Herr Mustersifa,
Ihren Aus­führun­gen zur Arb­StättV (alt) ent­nehme ich, dass die Bewe­gungs­fläche an kein­er Stelle geringer als 1m bre­it sein soll. Im Falle der betrof­fe­nen Büros entste­ht zwis­chen Schreibtisch und Wand ein Max­i­mal­ab­stand von 0,95 m. Ret­tet uns nun die For­mulierung „soll“?
Was antwortet die Fachkraft nun? Knickt sie an dieser Stelle ein und schreibt dem Plan­er ein­fach so, dass es geht? Natür­lich tut sie das nicht. Sie bleibt bei ihrer Lin­ie und begrün­det ihre Antwort gut. Früher hätte sie sich diese Mühe nicht gemacht:
Sehr geehrter Herr Musterplaner,
eine ein­fache Frage, auf die es jedoch keine ein­fache Antwort gibt.
Die For­mulierung „soll“ in der alten Arbeitsstät­ten­verord­nung würde Sie nicht ret­ten. Der Grund dafür ist der unbes­timmte Rechts­be­griff „soll“, den der Geset­zge­ber damals absichtlich ver­wen­det hat. Bei dem Wort „soll“ bzw. „sollen“ han­delt es sich um ein so genan­ntes Modalverb. Das Modalverb „sollen“ drückt einen Auf­trag an ein Sub­jekt aus:
„Die Bewe­gungs­fläche soll an kein­er Stelle geringer als 1m bre­it sein.“
Die Bewe­gungs­fläche hat dem­nach den Auf­trag, an kein­er Stelle geringer als 1 m bre­it zu sein. Der „Auf­tragge­ber“ ist hier eine Instanz. Diese Instanz kann zum Beispiel ein Gesetz oder eine Verord­nung sein. Im vor­liegen­den Fall ist die Instanz die alte Arbeitsstät­ten­verord­nung (Arb­StättV).
Wenn die Bedeu­tung des Satzes ein „Auf­trag“ ist, kann man den Satz mit „sollen“ in einen Satz mit „wollen“ umfor­men, wobei der Auf­tragge­ber als Sub­jekt von „wollen“ genan­nt wird:
„Der Geset­zge­ber will, dass die Bewe­gungs­fläche an kein­er Stelle geringer als 1m bre­it ist.“ In der Bedeu­tung „Auf­trag“ ist „sollen“ eng ver­wandt mit dem Wort „müssen“, das eine Notwendigkeit aus­drückt. Da ein Auf­trag eine Notwendigkeit im weit­eren Sinne ist, kann „sollen“ hier durch „müssen“ erset­zt wer­den. Umfor­muliert würde der Satz nun heißen:
„Die Bewe­gungs­fläche darf an kein­er Stelle geringer als 1m bre­it sein.“ (oder: „Die Bewe­gungs­fläche muss min­destens 1m bre­it sein.“)
Wäre es lediglich eine Empfehlung, von der man abwe­ichen kön­nte, dann hätte der Geset­zge­ber das Wort „sollen“ im Kon­junk­tiv schreiben müssen und das Wort „sollte“ ver­wen­det. „Die Bewe­gungs­fläche sollte an kein­er Stelle geringer als 1m bre­it sein.“ Diese Art der For­mulierung hat­te der Geset­zge­ber in der alten Arb­StättV nicht gewählt. Somit ließ die Aus­sage in §24 den Ver­ant­wortlichen keinen Spiel­raum. Sie dürften den Arbeit­splatz demzu­folge nicht ein­richt­en, da sie den geforderten Abstand nicht einhalten.
ABER!
Dem Geset­zge­ber war die oben geschilderte Prob­lematik bekan­nt. Aus diesem Grund hat er sich entsch­ieden, die Arbeitsstät­ten­verord­nung grundle­gend zu verän­dern. 2004 trat die neue Arbeitsstät­ten­verord­nung in Kraft. Im neuen Verord­nung­s­text find­en Sie keine Zahle­nangaben mehr. Damit soll das alte Dilem­ma umgan­gen wer­den, dass die Ein­rich­tung eines Arbeit­splatzes, der den an ihn gestell­ten Anforderun­gen möglicher­weise vol­lkom­men genügt, z.B. an weni­gen Zen­time­tern scheitert.
Es kommt dem Geset­zge­ber mit­ter­weile einzig und allein darauf an, dass sich die Ver­ant­wortlichen (und die späteren Nutzer) mit den vorge­se­henen Arbeits­be­din­gun­gen auseinan­der­set­zen. Dazu dient die, von mir erwäh­nte, „Gefährdungs­beurteilung“ als Dokumentationsunterlage.
Faz­it: In der neuen Arbeitsstät­ten­verord­nung wer­den all­ge­mein gehal­tene Anforderun­gen im Verord­nung­s­text for­muliert und keine detail­lierten Ver­hal­tensvor­gaben mehr definiert. Das bedeutet, dass die Betriebe mehr Spiel­raum erhal­ten, um Arbeitss­chutz­maß­nah­men an die jew­eils vor­liegende betriebliche Sit­u­a­tion anzu­passen. Somit kön­nten Sie doch noch „gerettet“ sein, sofern Sie prob­lem­los auf 5 cm verzicht­en kön­nten, ohne dass dadurch Nachteile für die Beschäftigten entste­hen würden.
Die Fachkraft für Arbeitssicher­heit hat eine umfan­gre­iche Aus­sage erstellt und ist damit ihrer neuen Rolle als Berater mit Ver­ant­wor­tung nachgekom­men. Die Form ist zwar noch verbesserungswürdig, aber im Ver­gle­ich zu früher schon recht ordentlich gelun­gen. Zudem hat sie einen Beitrag zum besseren Sprachver­ständ­nis geleis­tet und somit ihre Kom­pe­tenz als Experte in Kom­mu­nika­tion bewiesen. Früher hätte sie gle­ich auf die erste Mail mit aus­sagelosen Halb­sätzen wie „Geht“ oder „Geht nicht“ geant­wortet und auf bloße Zahlen und Fak­ten hingewiesen. Gut, dass sich die Zeit­en geän­dert haben.
Autor:
Heiko Mit­tel­staedt
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