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„Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung“, Kernziel der GDA-Periode von 2013 bis 2018, dürfte auch das Arbeitsschutzthema des kommenden Jahres 2014 sein.
Sabine Kurz
In der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung müssen Unternehmen zwar auch die psychischen Belastungen bei der Arbeit bewerten, doch bislang erfüllen nur etwa 20 Prozent der Betriebe diese Anforderung. Nun sollen Fachkräfte für Arbeitssicherheit, zumeist Ingenieure, Techniker oder Meister, dafür qualifiziert werden, „den Unternehmer umfassend dazu (zu) beraten, welche Verfahren sich anbieten, wann tiefergehende Analysen notwendig sind oder gegebenenfalls Experten hinzugezogen werden sollten“, teilten der Verband Deutscher Sicherheitsingenieure (VDSI) und das Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) mit. Die Qualifizierung der Aufsichtspersonen der Länder und der Unfallversicherungsträger für den psychologischen Aspekt der Gefährdungsbeurteilung bis zum Jahr 2018 ist bereits beschlossene Sache.
Mit dem jetzt angestrebten Modell werden, überspitzt ausgedrückt, technikorientierte Experten für das Handling des vorgeblich „weichen“ Themas der psychischen Belastung im Beruf angelernt. Und das, obwohl viele Aspekte des betrieblichen Umgangs mit psychischen Belastungen und Störungen bislang ungeklärt sind, etwa die Frage, wie die Unternehmen in der Praxis mit Beschäftigten umgehen (werden), die tatsächlich psychisch erkrankt sind. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zum Beispiel hat Arbeitnehmer unlängst davor gewarnt, Arbeitgeber vorschnell über eine psychische Erkrankung zu informieren, um eine mögliche Stigmatisierung zu vermeiden [1]. Nach Ansicht der Therapeuten ist es nämlich „bis heute … so gut wie ausgeschlossen, mit einer psychischen Erkrankung Karriere zu machen.“ Dass die Diskriminierung psychisch Erkrankter eine reale Gefahr ist, hat auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen durch ihre Forderung, psychische Belastungen bei der Arbeit müssten aus der Tabuzone herausgeholt werden, angesprochen [2]. Von der Leyen erklärte weiter, dem Schutz vor psychischer Belastung müsse künftig der gleiche Stellenwert eingeräumt werden wie dem vor Lärm, Staub oder Chemikalien. Unfallversicherungsträger, Bund und Länder müssten das Wissen um die Prävention derartiger Belastungen und Erkrankungen gemeinsam in die Fläche bringen [3].
Fakten
Fakten zu psychischen Belastungen und Störungen dagegen liegen vor. Jedes Jahr sind 33,3% der Bevölkerung von mindestens einer seelischen Störung betroffen [4], wobei psychische Erkrankungen häufig zusammen mit anderen gesundheitlichen Beschwerden auftreten. 42,6% der Bevölkerung erkranken im Lauf ihres Lebens einmalig oder mehrfach an einer psychischen Störung. In 30% aller Fälle von Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit spielen psychische Erkrankungen derzeit eine Rolle. Betroffene werden häufig nicht angemessen ärztlich versorgt, lange Wartezeiten auf einen Platz bei einem Psychotherapeuten belasten zusätzlich. Aller Aufklärung zum Trotz sieht man in den Unternehmen psychische Belastungen oft noch als ausschließlich individuelles Problem – und zwar von Seiten der Belegschaft wie von so mancher Führungsebene. Zwar haben Arbeitgeber grundsätzlich die betrieblichen Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass psychische Fehlbeanspruchungen möglichst vermieden werden, doch steht dieser Anspruch immer häufiger im Kontrast zur wirtschaftlichen Realität, die Personalabbau, Arbeitsverdichtung und immer flexibleres Arbeiten erforderlich macht – Aspekte von Arbeit also, deren psychisch wie physisch belastendes Potenzial längst belegt ist. Als ausgesprochen heikel einzuschätzen ist auch die Tatsache, dass zahlreiche psychische Belastungen sich aus beruflichen Beziehungen der Betroffenen mit anderen Menschen ergeben – aus dem Führungsverhalten des Vorgesetzten, den Mobbingattacken von Kollegen, dem Konkurrenzkampf um eine begehrte Position, aber sicher auch einmal aus einer Überempfindlichkeit des betroffenen Arbeitnehmers.
Eine sachliche Einschätzung des Faktors Betriebsklima – dessen Einfluss auf Leistungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten ebenfalls umfassend belegt ist – dürfte ebenfalls schwierig bleiben, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass eine wirksame Intervention eine Verständigung aller Beteiligten voraussetzen würde. Insofern kann es als sinnvoller erster Schritt gelten, wenn die Betriebe tatsächlich damit beginnen, psychische Belastungen in ihrer Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen.
Können und sollen Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Sicherheitsingenieure psychische Belastungen am Arbeitsplatz beurteilen?
Wir haben Experten für psychische Belastung am Arbeitsplatz um eine Einschätzung gebeten, für wie tragfähig sie den Ansatz halten, Teile der einschlägigen Gefährdungsbeurteilung an die Sifa zu übergeben. Diese Fragen haben wir gestellt:
- 1. „Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung bei der Arbeit ist für viele Unternehmen mit Unsicherheiten verbunden. Der Verband Deutscher Sicherheitsingenieure (VDSI) und das Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) entwickeln jetzt ein Qualifizierungskonzept füreinen wichtigen Experten im betrieblichen Arbeitsschutz: die Fachkraft für Arbeitssicherheit. Sie soll dazu befähigt werden, psychische Gefährdungsfaktoren zu erkennen und notwendige Schritte einzuleiten.“ Wie beurteilen Sie die Initiative, Fachkräfte mit überwiegend technischer Ausbildung füreine so komplexe fachfremde Aufgabe zu schulen? Welche Einwände gibt es, welche Vorteile
- 2. „Die Fachkraft für Arbeitssicherheit soll den Unternehmer umfassend dazu beraten, welche Verfahren sich für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen anbieten, wann tiefergehende Analysen notwendig sind oder ob gegebenenfalls Experten hinzugezogen werden sollten.“ Ist es aus Ihrer Sicht realistisch, im Rahmen einer Fortbildung sowohl das erforderliche Fachwissen als auch die Fähigkeit, es angemessen anzuwenden, zu vermitteln? Welche Inhalte wären nach Ihrer Einschätzung besonders wichtig, welche Methoden geeignet? Wie könnte man im Einzelfall entscheiden, ob Fachleute hinzugezogen werden sollten?
- 3. Seit März 2013 steht die erste App zur Erfassung psychischer Belastung am Arbeitsplatz zur Verfügung, in Buchform liegt unter anderem die Handlungshilfe „KPB – Kurzverfahren Psychische Belastung“ vor. Beide Instrumente sollen einen pragmatischen Einstieg in die Erfassung psychischer Arbeitsbelastung ermöglichen. Halten Sie solche Instrumente in der Hand von Laien grundsätzlich für sinnvoll? Wo liegen die Chancen der Anwendung, wo die Risiken?
- 4. Auch wenn es grundsätzlich erfreulich ist, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz thematisiert werden, scheint die Gefahr einer Stigmatisierung von Betroffenen nicht gebannt – die dann natürlich selbst zur Belastung wird. Wird diese Gefahr aus Ihrer Sicht verstärkt, wenn technisch orientierte Fachkräfte die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen maßgeblich steuern, oder kann dieser Zugang womöglich im Gegenteil entzerrend auf innerbetriebliche Probleme wirken?
Statement Dr. Gabriele Richter, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
- 1. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist ein komplexes Thema. Zu Unsicherheiten in den Betrieben kommt es u.a., weil das Grundlagenwissen fehlt. Hinzu kommt, dass die Methoden- und Gestaltungskompetenzen gerade bezogen auf das Thema Psychische Belastung in den Betrieben sehr oft unzureichend sind. Eine Sensibilisierung zum Thema psychische Belastung der Sifa’s ist insgesamt zu begrüßen. Eine Sifa sollte psychische Belastungsfaktoren erkennen können und den Arbeitgeber und/oder den Betriebsarzt darauf hinweisen können. Notwendige Schritte kann eine Sifa in der Regel nicht einleiten, die Entscheidungen werden an anderen Stellen (Personalabteilung, Unternehmensleitung etc.) getroffen. Zumindest müsste die Sifa den Arbeitsschutzausschuss informieren können.
- 2. In der Zusatzausbildung können sicher Grundlagen zum Thema psychische Belastung vermittelt werden. Eine fachgerechte Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung wird auf dieser Basis wahrscheinlich nicht möglich sein. Eine sachgerechte Entscheidung, wann tiefergehende Analysen oder die Hinzuziehung von Fachleuten erforderlich sind, müsste jedoch möglich sein, wenn in der Zusatzausbildung auf diese Probleme eingegangen wird. Von einem Alleingang ist dringend abzuraten.
- 3. Die Fokussierung auf ein einzelnes Instrument ist nicht zu empfehlen, da es bei der Gefährdungsbeurteilung Psychischer Belastung keinen „one best way“ gibt. Der Gesetzgeber lässt an dieser Stelle Spielraum. Bisher haben sich drei Vorgehensweisen bewährt:
- Beobachtungsinterviews (diese Methode nutzt der KPB),
- schriftliche Mitarbeiterbefragungen,
- moderierte Analyseworkshops.
Jeder Betrieb muss selbst entscheiden, welches Vorgehen das Richtige für ihn ist. Wenn es bei einer der drei Vorgehensweisen schon Expertise im Betrieb gibt, sollte sie gewählt werden.
Es wäre wünschenswert, wenn in der Zusatzausbildung auf die Vorgehensweisen eingegangen wird und die jeweiligen Vor- und Nachteile vermittelt werden. In diesem Bereich könnte die Sifa nach der Zusatzqualifizierung zumindest mitreden und den Betrieb beraten.
Wichtig ist, dass es sich bei der Gefährdungsbeurteilung Psychischer Belastung um einen Prozess handelt. Um den Prozess gut zu begleiten, ist Prozesswissen wichtig. Wenn eine Sifa ausreichend Expertise hat, könnte sie hier beratend tätig werden. Für die Planung und Umsetzung des Prozesses sind in der Regel andere Stellen im Betrieb zuständig, z.B. die Arbeitsschutzabteilung, die Personalabteilung, der Arbeitsschutzausschuss (ASA) oder ein Sonder-ASA.
4. Wenn das Arbeitsschutzgesetz eingehalten wird, dürfte es nicht zur Stigmatisierung von Betroffenen kommen. Im Gesetz wird gefordert, dass die Arbeitsbedingungen hinsichtlich möglicher Gefährdungen von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei ihrer Arbeit zu beurteilen sind (§ 5). Maßnahmen zur Veränderung der Arbeitsbedingungen müssen mit den verantwortlichen Führungskräften und den betroffenen Mitarbeitern abgestimmt werden. Wenn eine Sifa dafür verantwortlich sein soll, muss das im Betrieb klar geregelt werden, z.B. mit einer Betriebsvereinbarung.
Individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen (§ 4). Natürlich können im Einzelfall auch Maßnahmen der Verhaltensprävention wichtig sein. Z.B. neigen Lehrer oder auch Pflegekräfte dazu, sich über ihre Kräfte hinaus auszupowern. Die Gefahr eines Burnouts ist dann sehr groß. Falls es Probleme in diesem Bereich gibt und die Sifa das erkennt, müsste sie das an den Betriebsarzt oder Arbeitspsychologen, die betriebliche Sozialberatung oder Interessenvertretungen weitergeben.
Fazit:
Die Zusatzausbildung zum Thema Psychische Belastung ist für Sifa’s sinnvoll, da sich die Belastungssituation in den Betrieben stark verändert hat. Die Unternehmensleitungen müssen zusätzlich zu klassischen Gefährdungen auch auf psychische Belastungsfaktoren aufmerksam gemacht werden. Hier könnte die Sifa in Kooperation mit dem Betriebsarzt und den Personalvertretungen gute Arbeit leisten.
Die Planung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung sollte durch den Arbeitsschutzausschuss erfolgen. Die Sifa sollte Mitglied im ASA sein. Von einem Alleingang durch eine einzelne Sifa oder einen Betriebsarzt oder eine Interessenvertretung ist dringend abzuraten.
Die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen muss im Mittelpunkt aller betrieblichen Aktionen stehen, nicht die Profilierung einzelner Berufsgruppen.
Statement Andrea Fergen, IG Metall Vorstand, Ressortleiterin Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz
1. In der Tat ist die Aufgabe komplex, fachfremd ist sie nicht. Denn das Arbeitssicherheitsgesetz verlangt auch den Beitrag der Fachkräfte zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch psychische Arbeitsbelastungen. So haben die Fachkräfte für Arbeitssicherheit den gesetzlichen Auftrag, den Arbeitgeber in allen Fragen der Arbeitssicherheit einschließlich der menschengerechten Gestaltung der Arbeit zu beraten. Hierzu gehören etwa die Einführung von Arbeitsverfahren, die Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung. Auch die Beurteilung der Arbeitsbedingungen gehört zu ihren Aufgaben. Dass das Arbeitsverfahren, der Arbeitsablauf und die Arbeitsumgebung Quellen physischer und psychischer Arbeitsbelastungen sind, muss an dieser Stelle nicht besonders hervorgehoben werden. Kurz gesagt gilt es, das technische Know-how so einzusetzen, dass physische und psychische Gefährdungen für die Beschäftigten möglichst vermieden werden.
Es ist also höchste Zeit, dass der VDSI für dieses Aufgabenfeld Weiterbildung für die Fachkräfte organisiert. Sonst laufen sie Gefahr, bei einem zentralen Thema des modernen Arbeitsschutzes abgehängt zu werden! Der VDBW (Anm. de. Red.: Verband der Betriebs- und Werksärzte) macht dies für die Betriebsärzte schon seit längerer Zeit. Und die IG Metall bietet ebenfalls seit Jahren ein eigenes Seminar zum Thema „Psychische Belastungen bei der Arbeit“ für Betriebsräte an.
Ich begrüße es sehr, dass sich alle Arbeitsschutz-Akteure auf diesem wichtigen Feld des Arbeitsschutzes qualifizieren. Der Besuch einer Weiterbildungsmaßnahme ist allerdings noch kein Garant für erfolgreiche betriebliche Prävention. Hierfür ist es unabdingbar, dass die betrieblichen Akteure mit ihrem jeweiligen Fachwissen auch lösungsorientiert miteinander kooperieren. Nicht umsonst gehört die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat zum gesetzlichen Auftrag der Fachkräfte und Betriebsärzte. Mit einer auf Prävention orientierten Qualifizierung und Kooperation lässt sich schon vieles zum Besseren bewegen. Sollte sich im Einzelfall herausstellen, dass orientierende oder Screening-Verfahren zur Gefährdungsermittlung oder ‑beurteilung nicht ausreichen, ist es selbstverständlich ratsam, Unterstützung etwa durch Arbeitspsychologen zu organisieren.
2. Natürlich kann eine Fortbildung zum Thema nur ein Einstieg sein. Dafür sind die Zusammenhänge zu komplex. Eine Fortbildungsmaßnahme – und dann gleich eine umfassende Beratung des Arbeitgebers über geeignete Instrumente und Verfahren, das wird nicht funktionieren! Ich halte es für wichtig, dass die Auseinandersetzung mit den Problemen psychischer Belastungen im Betrieb weitergeht, und zwar im Dialog mit den anderen betrieblichen Akteuren. Genauso machen wir das zurzeit in der GDA: in Auseinandersetzung mit allen Akteuren verständigen wir uns über Anforderungen an Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen. Einen wichtigen Katalog mit Merkmalen und methodischen Vorgehensweisen haben wir schon ausgearbeitet, nämlich die Leitlinie „Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz“. Nun erarbeiten vorwiegend Länder und Unfallversicherungsträger ein Weiterbildungskonzept für die staatliche Aufsicht.
Der VDSI ist gut beraten, wenn er diese Konzepte bei seinen eigenen Weiterbildungsmaßnahmen berücksichtigt: Zum einen kann er davon ausgehen, dass sie im Konsens mit allen Trägern und Partnern der GDA zustande gekommen sind; zum anderen werden die hierin genannten Arbeitsmerkmale und ihre Beurteilung Gegenstand behördlicher Überprüfungen sein.
3. Das „KPB“ erfüllt bei weitem nicht alle arbeitswissenschaftlichen Anforderungen, die an ein Ermittlungsverfahren gestellt werden müssen. So bleiben etwa soziale Beziehungen als Quelle psychischer Belastung unterbelichtet. Zudem setzt dieses Verfahren darauf, allein über Fremdeinschätzung zu einer angemessenen Beurteilung zu kommen. Das sogenannte StressBarometer der IG Metall setzt auf die Befragung von Beschäftigten. Die Arbeitsplatzbeobachtung durch „Experten“ als alleinige Methode, psychische Arbeitsbelastungen zu erfassen und zu beurteilen, halten nicht nur die Gewerkschaften für unzulänglich. So wird sogar in der jüngst veröffentlichten „Gemeinsamen Erklärung zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt“ von BMAS, BDA und DGB festgehalten, dass zur Erfassung belastender Arbeitsmerkmale verschiedene Methoden wie Arbeitsplatzbeobachtungen, Beschäftigten-Befragungen oder moderierte Verfahren in Betracht kommen.
Mit einer Weiterbildung, die sich methodisch auf das „KPB“ reduziert, bleiben die Fachkräfte hinter den aktuellen arbeitswissenschaftlichen Standards zurück. Dieses Risiko sollte der VDSI nicht eingehen. Zudem sollte der Verband sensibel genug sein und einsehen, dass mit einem Qualifizierungsangebot alleine vom ifaa ein Schatten auf das gesetzliche Gebot der Weisungsfreiheit fällt. Immerhin ist das ifaa das Institut der Metallarbeitgeber- Verbände.
Ratsam wäre es stattdessen, sich an den Ergebnissen der GDA zu orientieren und mit allen GDA-Akteuren zu kooperieren. Davon abgesehen kann ich mir auch gar nicht vorstellen, dass im Rahmen der GDA Finanzmittel bewilligt werden für Leistungen, die nur einer der Sozialpartner erbringt. Die konsensuale Entscheidung war bislang immer prägend.
4. Die Gefahr einer Stigmatisierung ist nur dann gegeben, wenn der Prozess der Gefährdungsbeurteilung für die Beschäftigten intransparent bleibt. Wenn sie also weder bei der Ermittlung von Arbeitsbelastungen noch bei der Entwicklung von Maßnahmen beteiligt werden. Dann drängt sich der Verdacht auf, es ginge vielleicht mehr um den konkreten Beschäftigten und seine Eignung oder Haltung zu den Arbeitsanforderungen als um die Arbeitsbedingungen selbst. Entscheidend ist doch, glaubhaft zu machen, dass der Prozess auf den Schutz der Gesundheit und die menschengerechte Arbeitsgestaltung zielt. Hierzu können technische Maßnahmen ebenso beitragen wie arbeitsorganisatorische oder arbeitspsychologische.
Statement Doris Laugwitz, Leiterin des VDSI-Arbeitskreises „Psychische Belastungen und Beanspruchungen“
1. Grundsätzlich sind psychische Faktoren für die Fachkräfte für Arbeitssicherheit nichts Neues: Bereits seit mehr als zehn Jahren werden die Fachkräfte für Arbeitssicherheit in ihrer Ausbildung für arbeitsbedingte psychische Belastungen sensibilisiert; das Thema psychische Faktoren steht bereits ab der ersten Ausbildungswoche auf dem Lehrplan. In dem neuen Ausbildungsmodell zur Fachkraft für Arbeitssicherheit, das ab 2016 umgesetzt werden soll, wird dieser Themenkomplex vom Umfang her sogar noch zunehmen. Der VDSI sieht das Qualifizierungskonzept als einen weiteren, wichtigen Schritt in die richtige Richtung und unterstützt daher das ifaa bei der Konzeption und der Gestaltung der Lehrmaterialien. Das Qualifizierungskonzept soll dazu beitragen, dass Fachkräfte für Arbeitssicherheit über ein aktuelles, praxisnahes Methodeninstrumentarium verfügen, um Arbeitgeber, Führungskräfte und Beschäftigte bei der Reduzierung von arbeitsbedingten psychischen Belastungen zu beraten und zu unterstützen.
Folgendes Praxisbeispiel zeigt, wie eng der Aufgabenbereich einer Fachkraft für Arbeitssicherheit seit jeher mit der Beurteilung psychischer Faktoren verbunden ist: Angenommen, einem Facharbeiter stehen nur defekte Werkzeuge zur Verfügung, um unter Zeitdruck ein Produkt für einen Kunden zu fertigen. Das ist nicht nur ein technisches Problem, sondern wirkt auch psychisch belastend. Bei einer Verbesserung der Arbeitssituation muss die Fachkraft für Arbeitssicherheit sowohl dem defekten Werkzeug als auch dem durch Zeit- und Leistungsdruck belasteten Mitarbeiter Aufmerksamkeit schenken. Der Gesetzgeber hat diesen Zusammenhang schon vor Jahrzehnten erkannt und im Arbeitsschutzgesetz ein ganzheitliches Arbeitsschutzverständnis formuliert, das auch die Beurteilung psychosozialer Faktoren bei der Arbeit umfasst.
2. Durch das Qualifizierungskonzept lernen Fachkräfte für Arbeitssicherheit ein aktuelles Methodenspektrum kennen, das sie befähigt, psychische Belastungen bei der Arbeit zu ermitteln bzw. zu erfassen. Die Fachkräfte für Arbeitssicherheit lernen, wie sie sich zum Beispiel durch Interviews, Befragungen oder die Checklisten einen ersten Überblick verschaffen können und was sie mit den erhobenen Ergebnissen tun können. So kann es unter Umständen notwendig sein, dass sich die Fachkraft für Arbeitssicherheit noch einmal im Detail unter anderem die Arbeitsumgebung, die Arbeitsorganisation oder die Arbeitsaufgabe anschaut, um beispielsweise Belastungsfaktoren wie extraaurealen Lärm, nicht funktionierende Arbeitsabläufe, Unter- oder Überforderung oder eventuell fehlende Qualifikationen der Mitarbeiter zu ermitteln. Durch die Umsetzung des Qualifizierungskonzeptes in der Praxis nimmt die Fachkraft für Arbeitssicherheit also einzelne Abteilungen oder Arbeitsbereiche in den Fokus – es geht ausdrücklich nicht um eine psychoanalytische Diagnostik einzelner Personen!
Die Entscheidung, ob Fachleute anderer Disziplinen hinzugezogen werden, darf keine „Einzelfallentscheidung“ sein: Die DGUV Vorschrift 2 verpflichtet Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zur kontinuierlichen Zusammenarbeit – das gilt auch für die Prävention arbeitsbedingter psychischer Belastungen. Betriebsärzte haben bei der Ermittlung und Beurteilung von Gefährdungen im psychischen Sektor eine Lotsenfunktion; Fachkräfte für Arbeitssicherheit können vor allem – wie am Beispiel des Qualifizierungskonzepts dargestellt – in der Arbeits- und Organisationspsychologie tätig werden. Die Herausforderung, psychische Belastungen bei der Arbeit zu reduzieren, ist eine komplexe und deshalb interdisziplinäre Aufgabe: Alle Fachleute, die im Arbeits- und Gesundheitsschutz tätig sind, sollten mit ihrem Wissen zur der Bewältigung dieser Herausforderung beitragen.
3. Die als Buch erschienene Handlungshilfe wendet sich in erster Linie an Fachleute im Arbeits- und Gesundheitsschutz, die sich über ein pragmatisches Vorgehen bei der Gefährdungsbeurteilung informieren und dieses in der Praxis anwenden möchten. Zusätzlich ist diese Handlungshilfe auch als App verfügbar. Fachleute im Arbeits- und Gesundheitsschutz können damit auch mobile Kommunikationsmittel wie Android-Tablets bei ihrer täglichen Arbeit einsetzen; das kann in der betrieblichen Praxis von Vorteil sein.
Grundsätzlich gibt es im Arbeits- und Gesundheitsschutz eine Fülle von Handlungshilfen, die sich wegen ihrer komprimierten Darstellung als Arbeitsinstrumente bewährt haben. Dies gilt auch für das Themengebiet der psychischen Belastungen. Zum Beispiel hat das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV einen Report zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen herausgegeben. Mit allen diesen Veröffentlichungen steht der Fachkraft für Arbeitssicherheit ein breites Spektrum an Werkzeugen zur Verfügung; ihre Kompetenz liegt auch darin, das geeignete Hilfsmittel auswählen zu können. Neben diesen „klassischen“ Medien gibt es mittlerweile auch zunehmend aktuelle Anwendungsprogramme wie zum Beispiel Apps oder E‑Learning-Programme. Entscheidend ist immer die Qualität der angebotenen Informationen. Das Ziel ist es, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung möglichst strukturiert, zielgerichtet und effektiv auch die psychischen Faktoren zu erfassen – bei einem möglichst effizienten Arbeitsaufwand.
4. Arbeitsbedingte psychische Belastungen sind sorgfältig von psychischen Erkrankungen zu unterscheiden: Dies kann sonst schnell zu einer Stigmatisierung der betroffenen Mitarbeiter führen und die konsequente Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen in den Unternehmen hemmen. Entscheidend ist, zum Beispiel persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten wie das soziale Umfeld am Arbeitsplatz – die so genannten Ressourcen – zu stärken, damit Mitarbeiter arbeitsbedingte psychische Belastungen besser abfedern können, das heißt Resilienz entwickeln.
Wichtiger als die Frage, wer die Gefährdungsbeurteilung arbeitsbedingter psychischer Belastungen maßgeblich steuert, ist die Tatsache, dass diese Gefährdungsbeurteilungen regelmäßig in den Unternehmen durchgeführt und dokumentiert werden. Nur so können wir dem Ziel, arbeitsbedingte psychische Belastungen zur reduzieren, Stück für Stück näher kommen. Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie – eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern – hat dazu das Arbeitsprogramm „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung“ in Leben gerufen. Zentrales Anliegen des GDA-Programms ist es, Unternehmen, Sozialpartner und weitere Kooperationspartner wie die Krankenkassen und Fachverbände der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit einzubeziehen. Der VDSI unterstützt das GDA-Programm nach Kräften.
Statement Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)
- 1. Grundsätzlich ist diese Initiative zu begrüßen. Es ist wichtig, dass die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt denselben Stellenwert bekommt wie die körperliche Gesundheit. Die Kompetenzen der Fachkräfte für Arbeitssicherheit auf psychische Belastungen auszuweiten, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Zur Qualifizierung muss allerdings gehören, dass die Fachkräfte für Arbeitssicherheit die Grenzen ihrer Kompetenzen bei der Beurteilung psychischer Belastungen kennen und rechtzeitig externen Sachverstand (z.B. den Betriebspsychologen bzw. ‑arzt) einbeziehen.
- 2. Fachkräfte für Arbeitssicherheit können durch Fortbildungen befähigt werden zu erkennen, welche Intensität bzw. Tiefe bei einer Gefährdungsanalyse angezeigt ist. Ebenso können sie lernen, standardisierte Beurteilungsverfahren einzusetzen, um Screenings auf mögliche psychische Belastungen durchzuführen. Zur Feststellung tatsächlicher Belastungen sollten dann aber Experten hinzugezogen werden. Nur sie garantieren die fachgerechte Verwendung von Beobachtungs- und Befragungsmethoden sowie geeigneter Testverfahren. Dies gilt auch für die Beurteilung von Maßnahmen, die notwendig sind und mit denen die Gefährdungen anschließend verringert werden sollen.
- 3. Die Anwendung dieser Verfahren ist geeignet, um einzelne ausgewählte Belastungen zu erfassen. Damit werden flächendeckende Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen möglich. Solche Instrumente decken aber nur einen kleinen Bereich psychischer Belastungen ab. Spezifische Belastungen, die sich beispielsweise aus Faktoren wie dem Betriebsklima ergeben, lassen sich auf diese Weise nicht erheben. Dabei sind es durchaus solche schwer erfassbaren Faktoren, die die Beschäftigten z.B. in Form von Mobbing psychisch stark belasten können.
- 4. Technisch orientierte Fachkräfte, die für das Thema „psychische Belastungen“ sensibilisiert sind, können eine höhere Glaubwürdigkeit bei den Beschäftigten erlangen. Wir sehen sie daher eher als Chance und weniger als Risiko bei der Entstigmatisierung. Inwieweit das gelingt, hängt aber sehr von der Schulung dieser Fachkräfte und ihrer eigenen Einstellung zu psychischen Erkrankungen ab.
Grundsätzlich ist es zutreffend, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft immer noch stigmatisiert sind. Ein Grund ist, dass in der Bevölkerung immer noch viel zu wenig über Erkrankungsrisiken, Vorbeugung, Behandlungsmöglichkeiten oder Heilungschancen psychischer Erkrankungen bekannt ist. Die Stigmatisierung führt dann dazu, dass Betroffene aus Scham oder Sorge um ihren Arbeitsplatz trotz massiver Beschwerden zur Arbeit gehen, anstatt über ihre psychischen Beschwerden mit Arbeitskollegen zu reden und sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu suchen. Damit riskieren sie, dass ihre psychische Erkrankung chronisch und die Behandlung umso aufwendiger wird.
Die BPtK schlägt deshalb ein Nationales Aktionsprogramm Psychische Gesundheit vor, damit Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht mehr benachteiligt werden und psychisch kranke Arbeitnehmer ihre Erkrankungen nicht mehr verheimlichen müssen. Die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz nehmen dabei einen ganz zentralen Platz ein.
Anmerkungen
- 1. www.bptk.de/aktuell Pressemeldung vom 26. August 2013: BPtK warnt Arbeitnehmer davor, psychische Erkrankungen vorschnell publik zu machen. Nationales Aktionsprogramm Psychische Gesundheit notwendig
- 2. http://www.gda-portal.de/de/pdf/GDA-Newsletter2013–2.pdf?__blob=publicationFile&v=4 GDA-Newsletter 2/2013 vom 31. Jan 2013
- 3. www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/psychische-gesundheit-veranstaltung-2013–01–29.html „Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“ Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen bei Tagung zu psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz – Stressreport 2012 vorgestellt
- 4. www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Degs/degs_w1/Symposium/degs_psychische_stoerungen.pdf;jsessionid=E2657E21EEACA786C4DA963FC2EF4812.2_cid390?__blob=publicationFile; Hans-Ulrich Wittchen & Frank Jacob: Was sind die häufigsten psychischen Störungen in Deutschland?
Quellen
- Kurzverfahren Psychische Belastung (KPB). Informationen zur Bestellung unter: www.baua.de >Informationen für die Praxis > Handlungshilfen und Praxisbeispiele > Toolbox: Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen > Instrumente/Verfahren finden > Alle Verfahren der Toolbox > KPB: Kurzverfahren Psychische Belastung
- www.dnbgf.de/fileadmin/bilder/5._DNBGF_Konferenz/Dr._Torsten_Kunz.pdf Handlungsschwerpunkte der GDA ab 2013: Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung (u. a. Schulung der Aufsichtspersonen)
- www.bdp-verband.de/bdp/archiv/gesunde-arbeit/ Broschüren „Gesunde Arbeit“ Teil 1: Burnout – Was Unternehmen und Führungskräfte tun können Teil 2: Führung und Gesundheit Teil 3: Gefährdungsbeurteilung
- www.vdsi.de > Webcode 43/12281 > Psychische Gefährdung bei der Arbeit richtig beurteilen. Fortbildung für Fachkräfte für Arbeitssicherheit geplant
- http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/iag-report-2013–01.pdfIAG Report 1/2013. Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen – Tipps zum Einstieg
- www.bundesrat.de/cln_320/ nn_2372724/SharedDocs/Beratungsvorgaenge/2013/0301–400/0315–13.html Vorlage des Bundesrats zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit
- www.report-psychologie.de/news/artikel/stigmatisierung-psychisch-kranker-haelt-an/Stigmatisierung psychisch Kranker hält an
Autorin
Sabine Kurz
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