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Die Schließung einzelner Geschäftsfelder oder gar kompletter Standorte eines Unternehmens wird schnell als Niederlage, ja als Scheitern verstanden. Oft geht dem Entschluss zur Schließung eine längere Phase des Niederganges und der Restrukturierungen voraus. Sind alle Maßnahmen gescheitert, trifft die endgültige Entscheidung die betroffenen Mitarbeiter hart. Von der Unternehmenszentrale möchte sich in dieser Situation oft keiner am betroffenen Standort sehen lassen, auch nicht die Leiter der Arbeitssicherheit. Dabei besteht in der Phase von der Entscheidung bis zur endgültigen Standortschließung erhöhter Arbeitsaufwand, allerdings mit veränderten Schwerpunkten.
In einer sich dynamisch verändernden Wirtschaftswelt werden Standortschließungen weiter zunehmen. Wobei aus Sicht der Arbeitssicherheit drei Faktoren die Situation kennzeichnen und eine konkrete Gefährdung eines erreichten Sicherheitsniveaus darstellen:
- Fehlende Erfahrung, Schließungen kommen selten vor, Vorgehensweisen sind nicht standardisiert, Erfahrungen fehlen, auch bei den Fachkräften für Arbeitssicherheit
- Mangelndes Interesse seitens der Verantwortlichen in der Unternehmenszentrale – der Einsatz an anderer Stelle im Unternehmen lohnt mehr, für das Gesamtunternehmen und die Führungskräfte
- Verlust der Loyalität der Mitarbeiter – diese sind enttäuscht und verletzt, gerade diejenigen, welche bisher besonders treu zum Unternehmen standen.
In diesem Umfeld gibt es aber wichtige, herausfordernde Aufgaben für die Arbeitssicherheit, ein „Wegschauen“ darf nicht geschehen.
Am Ende eines langen Prozesses …
Meistens wurde viel versucht, den Standort zu halten und zukunftsfähig zu entwickeln. Wird am Ende eines langen Prozesses dann die Schließung endgültig beschlossen, verändert sich das Engagement der Stabsabteilungen schlagartig, das geflügelte Wort der „sunk cost“ wird wortwörtlich genommen. Zukunftsgerichtete Entscheidungen an anderen Standorten geraten in den Blickpunkt, welche wichtiger erscheinen, sicherlich mehr Freude bereiten und der eigenen Karriere förderlicher sind. In der meist aufgeladenen Stimmungslage möchte keiner aus der Unternehmenszentrale am betroffenen Standort erscheinen, zumal neben der bedrückten Stimmung auch der schnell geäußerte Generalverdacht, einen aktiven Beitrag zur Schließung geleistet zu haben, die Zusammenarbeit mit den Betroffenen nicht erleichtert. Dennoch ist der Leiter der Arbeitssicherheit der Zentrale in dieser Situation gefordert – in besonderem Maße, wie die weiteren Ausführungen erläutern.
Ein unverändert hohes Engagement für die Arbeitssicherheit ist auch aus Sicht des Gesamtunternehmens erforderlich, zumal bei Unfällen rasch der Pauschalverdacht in der Öffentlichkeit entsteht, dass auf Kosten der Sicherheit der Mitarbeiter gespart wurde und sich mit dem Schließungsbeschluss einer entsprechende Gleichgültigkeit in der weit entfernten Unternehmenszentrale breit gemacht hat.
Zentrale und dezentrale Betroffene der Arbeitssicherheit
Die Arbeitssicherheit wird meistens von Mitarbeitern der Unternehmenszentrale und lokalen Verantwortlichen sowie lokalen Sicherheitsfachkräften gemeinsam wahrgenommen. Letztgenannte sind von der Standortschließung persönlich betroffen. Im direkten Kontakt gilt es das Thema offen anzusprechen, aber die gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Zentrale und dem betroffenen Standort zu bekräftigen, ja zu bestärken. Die anfallenden (Arbeitssicherheits-)Aufgaben sind anspruchsvoll, herausfordernd und fordern den engagierten Einsatz aller Beteiligten. Hier werden Erfahrungen gewonnen, welche auch bei zukünftigen beruflichen Aufgaben genutzt werden können und das Profil auf dem Arbeitsmarkt stärken. In diesem Zusammenhang gilt es auch Wechselabsichten und Lösungen im Falle des vorzeitigen Ausscheidens offen anzusprechen, soll doch die Position der leitenden Sicherheitsfachkraft bis zum Abschluss der Standortschließung besetzt bleiben. Werden vom Personalwesen z.B. Prämien ausgelobt, um ein frühzeitiges Ausscheiden zu vermeiden, sollte dies berücksichtigt werden.
Wie tritt die Zentrale auf?
Unter diesen Umständen liegt sicherlich keine normale Arbeitssituation vor. Bei allem Verständnis für die Situation der Betroffenen bleibt die Sicherheitsfachkraft Mitarbeiter der Unternehmensleitung. Hier den vom Arbeitsplatzverlust Bedrohten nach dem Mund zu reden schafft vordergründig Sympathie, verbindlicher wirkt allerdings die Loyalität zu den mit der Entscheidung betreuten Abteilungen und Personen, welche im Sinne des dauerhaften Fortbestandes des Unternehmen, sicherlich auch der Unternehmenseigner, entschieden haben.
Bei allem Verständnis für Niedergeschlagenheit, teilweise auch Verzweiflung soll und muss die Arbeitssicherheit gewährleistet bleiben. Dabei gilt es im Einzelfall Selbstverständlichkeiten einzufordern; wer bis zum letzten Tag sein Gehalt bezieht, hat bis zu diesem Datum auch entsprechenden Arbeitseinsatz zu zeigen.
Veränderungen mit Schließungsbeschluss
Der Schließungsbeschluss verändert das Wertesystem der Betroffenen. Vor allem loyale, langjährige Mitarbeiter sind enttäuscht, wenn sie feststellen müssen, dass aller Einsatz vergeblich war. Dann nimmt die Verbundenheit mit dem Unternehmen und dem eigenen Platz darin schlagartig ab, eine scharfe Grenze wird gezogen zwischen denen in der weit entfernten Unternehmenszentrale und „uns“ am Standort. Die Mitarbeiter stumpfen ab, werden gleichgültig, eine „sowieso alles egal“-Meinung greift um sich. Selbst wenn keine persönlichen Veränderungen im Arbeitsalltag erfolgen, nimmt zumindest das Hinsehen und Nachfragen bei kritischen, sicherheitsrelevanten Vorgängen ab. Viele Betroffenen plagt in der Phase der Unsicherheit auch die Sorge um das Einkommen und den persönlichen Lebensstandard. Alles Gründe, welche notwendige Aufmerksamkeit für die Arbeitssicherheit reduziert, zumal nicht zu Unrecht vermutet wird, dass die Unternehmenszentrale nicht mehr allzu genau hinschaut. Aber auch die Aufmerksamkeit und das Interesse an der eigenen Aufgabe geht zurück, wird doch ein Großteil der Energie für die Suche nach einer beruflichen Alternative aufgebracht. Hier sind auch die Mitarbeiter der Arbeitssicherheit (und auch die lokale Unternehmensleitung) persönlich gefordert, Flagge zu zeigen. Wenn sich die meisten Verantwortlichen lieber in der Unternehmenszentrale aufhalten und sich angesichts der Atmosphäre gerne mit Besuchen zurückhalten, werden persönliches Engagement und Anteilnahme gegenüber den Betroffenen positiv auffallen. Wer seine Aufgaben so intensiv wahrnimmt, sollte mit seiner Leidenschaft für die Arbeitssicherheit auch skeptisch gewordene Mitarbeiter (erneut) überzeugen – Leben und Gesundheit sollten immer höchste Priorität haben. Nützt alle Argumentation nicht, gilt es notwendige arbeitsrechtliche Schritte einzuleiten, mit aller gebotenen Konsequenz, bis zum letzten Arbeitstag.
Vertragsmanagement
In aller Regel wird ein Schließungsbeschluss nicht unerwartet, aber dennoch plötzlich getroffen, der Zeitraum bis zur Standortschließung ist oft relativ kurz. Zu dem jeweiligen Zeitpunkt laufen Projektplanung und ‑vorbereitung meistens. Externe Dienstleister werden für spezielle Maßnahmen, Prüfungen oder Schulungen beauftragt, andere Abnahmeverpflichtungen eingegangen. Die Arbeitssicherheit wird prüfen, inwieweit die ursprüngliche Planung beibehalten bzw. modifiziert wird. SSicherlich können Projekte geplant sein, deren Durchführung nunmehr obsolet ist, beispielsweise im Rahmen von Investitionen. Dennoch sollten im Zweifelsfall kurzfristig geplante Projekte beibehalten bleiben, die mittelfristige Planung wird jedoch modifiziert werden müssen, was auch die Aus- und Weiterbildung beinhaltet. Wurden hier aber verbindlich Zusagen gegenüber Mitarbeitern getroffen, sind diese selbstverständlich einzuhalten, sofern dies auch im Sinne der Betroffenen ist.
Jedes Signal, den Standort zu schließen, wird in der Entscheidungsphase vermieden, wobei sich eine Analogie zur Sportwelt zeigt, werden doch nicht selten kurz vor der Freistellung Trainerverträge demonstrativ verlängert. Deshalb schließt sich unmittelbar an den Schließungsbeschluss eine Prüfung der Verträge bzw. des Vertragsmanagements an, welche sämtliche externen Partner beinhaltet. Im besten Fall ist ein systematisches Vertragsmanagement implementiert und kann kurzfristig genutzt werden, um bestehende Verträge auf ihre Laufzeit und Kündigungsbedingungen hin zu prüfen, woran sich die entsprechenden Kündigungen bzw. Modifikationen anschließen. Ist kein Vertragsmanagement implementiert, ist eine rasche Einführung geboten, zumal nicht wenige Verträge mit automatischen Verlängerungen versehen sind, sofern eine Vertragspartei keine Kündigung vornimmt. Da die hier fälligen Entscheidungen nicht ausschließlich die Arbeitssich-erheit betreffen, ist mit anderen Stabsabteilungen ein gemeinsames Vorgehen anzusprechen und Standardlösungen im Vertragsmanagement auszuwählen.
Ist eine Vertragskündigung mit Abschluss der Leistungserstellung am Standort möglich, wird diese durchgeführt. Besteht diese Möglichkeit nicht, gilt es Alternativen zu entwickeln. Verhandlungsmöglichkeiten sind insbesondere dann gegeben, wenn der Partner auch für andere Standorte Leistungen erbringt, weshalb eine Rückkoppelung mit dem Vertragsmanagement anderer Standorte bzw. des Gesamtunternehmens geboten ist. Ist keine Einigung zu erzielen, wird geprüft, inwieweit anderen Standorten Leistungen übertragen werden bzw. Schulungen dort erfolgen. Bei verpflichtenden externen Prüfungen bestehen häufig zeitliche Korridore der Durchführung. Eine geschickte Nutzung vermeidet überflüssige Prüfungen unmittelbar vor Schließung und trägt so zur Kosteneinsparung bei.
Personalplanung, entstehende Lücken der Arbeitssicherheit
Viele sicherheitsrelevante Aufgaben erfordern spezielle Qualifikationen sowie eine laufende Weiterbildung. Es zählt zu den Kernaufgaben der lokalen Arbeitssicherheit, dass deren Mitarbeiter verfügbar sind und auch im Falle von Urlaub, Krankheit oder Personalwechsel Alternativen zur Verfügung stehen. Mit dem Schließungsbeschluss werden nicht allein Mitarbeiter nach neuen Aufgaben suchen, sondern aktiv vom Arbeitgeber dazu angehalten, bei der Suche unterstützt und sogar Prämien für das frühzeitige Ausscheiden ausgelobt. Die Gewährleistung der Arbeitssicherheit unter diesen speziellen Verhältnissen stellt sicherlich eine Kernaufgabe der Unternehmensleitung und der leitenden Sicherheitsfachkraft dar.
Dazu gehört die Festlegung, welche Mitarbeiter wann ausscheiden können bzw. dürfen und wo eine Weiterbeschäftigung über den vertraglich festgelegten Kündigungszeitraum notwendig ist und sogar Halteprämien angeboten werden. Der Leiter der Arbeitssicherheit sollte frühzeitig den Kontakt zum Personalwesen suchen, um die spezifischen Herausforderungen ausreichend gewürdigt zu sehen. Die Gewährleistung der Arbeitssicherheit kann sicherlich nicht die unveränderte Personalstärke bis zur endgültigen Schließung rechtfertigen, weshalb alternative Möglichkeiten diskutiert werden, wobei grundsätzliche Ansprüche an das Sicherheitsniveau in jeder Prozessphase durchzusetzen sind. Hierbei stehen die folgenden Optionen zur Verfügung:
- Übernahme bestimmter, zusätzlicher Aufgaben durch verbleibende Mitarbeiter aufgrund geringeren Arbeitsvolumens
- zeitweise Lösung durch externe Fachkräfte, oder auch ehemalige Mitarbeiter auf Basis genau abgegrenzter Aufträge bzw. Werkverträge
- Übernahme der Aufgaben durch andere Standorte des Unternehmens
- Einsatz befristeter Leihkräfte
Besondere Aufmerksamkeit bedürfen spezielle Aufgaben der Standortschließung, welche nach dem Ende der Leistungserstellung bestehen bleiben, da hier nur wenige Mitarbeiter, nicht selten unter Ausschluss der Vorgaben der Arbeitssicherheit, tätig sind, anderseits aber besonders kritische Aufgaben, beispielsweise im Rahmen des Rückbaus anfallen.
In diesem Rahmen gilt es standortübergreifendes Know-how zu sichern, wenn einzelne Mitarbeiter einen Beitrag zur Arbeitssicherheit an anderen Standorten leisten. Ist keine Weiterbeschäftigung vorgesehen, wird der Kontakt zu den Nachfolgern organisiert und der Wissenstransfer eingeleitet und begleitet.
Verbleibende Vermögensgüter
Nicht immer ist ein rascher Verkauf sämtlicher Vermögenswerte möglich. Insbesondere an wirtschaftlich wenig attraktiven Standorten zeigen nur wenige Interessenten Kaufinteresse am gesamten Standort. Einzelne Anlagen werden dann verkauft, die gesamte Immobilie und technischen Anlagen bleiben erst einmal im Unternehmensbesitz, wobei eine temporäre Lösung unmerklich zum Dauerzustand werden kann. Das Unternehmensgelände muss gesichert sein, die Gebäude und Anlagen dürfen keine Gefahr für das Umfeld darstellen, mit dem Besitz verbundene Steuern und Abgaben fallen weiter an. Wie es tatsächlich aussieht, interessiert keinen mehr. Hier kann ein unangekündigter Besuch der Sicherheitsfachkräfte der Zentrale überraschende, nicht immer erfreuliche Feststellungen mit sich bringen.
Improvisationen mögen für einen gewissen Zeitraum tolerabel sein, allerdings unter der Einhaltung der ursprünglichen zeitlichen Prämissen. Wird die temporäre Lösung zur Dauerlösung, sind entsprechend auch für die Sicherung des Standortes dauerhafte Lösungen zu finden — oder ein Rückbau durchzuführen.
Vorgehen standardisieren – Lerneffekte realisieren
Standorteröffnung und Unternehmensübernahmen laufen nach einem verbindlichen Schema ab. Wer welche Aufgaben im Rahmen der Kaufpreisermittlung, der Due Diligence hat, ist klar definiert, ebenso wo die verschiedenen Informationen zusammenlaufen. Erfolgt ein Kauf, werden Integrationspläne erstellt und umgesetzt, alles unter intensiver Begleitung der neuen Unternehmensleitung. Ohne gleiche Ansprüche an Verkäufe bzw. Schließungen einzelner Aktivitäten bzw. Standorte legen zu können, sollte dennoch auch hier eine abgestimmte Vorgehensweise erfolgen. Die Arbeitssicherheit wird den eigenen Ansprüchen im Rahmen eines standardisierten Vorgehens gerecht, wobei der vorliegende Text als Ausgangspunkt genutzt werden kann.
Autor
Thomas Schneider E‑Mail: s_tommy@web.de
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