Der Diplom-Psychologe Rüdiger Hofmann arbeitet bei Höchst Infraserv und hat sich auf die Schulung von Mitarbeitern spezialisiert. Er unterweiset die Seminarteilnehmer in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Informationen bringt er nach dem Motto „wenig, wichtig wuchtig“ rüber. So kann er das sicherheitsgerechte Verhalten der Angestellen nachhaltig beeinflussen. Über seine Arbeit sprach der Experte mit der Redaktion des Sicherheitsingenieur.
Sie sind Psychologe und haben sich auf den Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie festgelegt. Wie kam es zu dieser Spezialisierung?
R. Hofmann: Als Student des Institut für Psychologie an der Universität Frankfurt sah ich meine berufliche Zukunft zunächst in der Klinischen Psychiatrie. Während diverser Praktika habe ich jedoch erkannt, dass dieses Gebiet nicht mein Metier ist. Ich interessierte mich zunehmend für die Lehre von Prof. Dr. Friedhelm Burkhardt. In den 80er Jahren war er einer der ersten, die Arbeitssicherheit als einen Bestandteil der Arbeits- und Organisationspsychologie etablierten. Damals verfestigte sich die These, dass Unfallzahlen nicht allein durch Neuerungen in Technik und Organisation zu senken sind, sondern dass das menschliche Verhalten dafür eine ebenso große Rolle spielt. Neben meinem Beruf als Psychologe bin ich ausgebildeter Sicherheitsingenieur beziehungsweise Sicherheitsfachkraft.
Und wie kamen Sie zu Infraserv Höchst?
R. Hofmann: Nach Beendigung meines Studiums im Jahre 1990 musste ich mich zwischen zwei Jobangeboten entscheiden. Eine Stelle in der Automobilindustrie lehnte ich ab, obwohl ich ein Autonarr bin. Schließlich nahm ich die Arbeit bei der damaligen Hoechst AG an. Eigentlich war das verwunderlich, denn Chemie gehörte zu den Fächern, die ich in der Schule beizeiten abgewählt hatte. Aus der Umstrukturierung der Hoechst AG Ende der Neunziger Jahre ist Infraserv Höchst hervorgegangen, die Beteibergesellschaft des Industriepark Höchst.
Was macht ein Psychologe bei einem Industrieparkbetreiber?
R. Hofmann: Ich arbeite im Bereich Arbeitsschutz und Anlagensicherheit, der der Abteilung Umwelt, Sicherheit und Gesundheit zugeordnet ist. Der Schwerpunkt meiner Arbeit lag zunächst im Organisatorischen, später habe ich mich auf Schulungen konzentriert.
Mittlerweile stehen pro Jahr 150 Seminartage in meinem Terminplaner, meist bin ich zwölf Monate im Voraus ausgebucht.
In welchen Bereichen schulen Sie?
R. Hofmann: Meine Themen sind vor allem Arbeits- und Gesundheitsschutz, menschliches Verhalten, Wahrnehmung und Motivation. Für uns sind das die so genannten weichen Faktoren, die sogenannten „Soft Skills“. Spezialthema von mir sind die Stolper‑, Rutsch- und Sturzunfälle, die in der Unfallstatistik ganz oben rangieren. Hauptursache dafür ist der Stress. In ihrer Hektik und Eile tragen die Leute beispielsweise drei Sachen auf einmal oder nutzen den Handlauf nicht. Ich versuche, den Leuten einzutrichtern, dass sie sich beim Treppensteigen festhalten müssen. Nur wenn der Griff zum Handlauf automatisch abläuft, können Gehunfälle weiter ausgemerzt werden.
Wie hoch ist die Risikowahrnehmung bei den Mitarbeitern ausgeprägt?
R. Hofmann: Das ist ganz unterschiedlich. In 16 Metern Höhe würde niemand mit einer Schubkarre ohne eine entsprechende Absicherung über einen Balken fahren. Bei 1,60 Meter machen das aber viele. Dabei passieren die schlimmsten Unfälle.
Welche Strategie verfolgen Sie bei Ihren Seminaren?
R. Hofmann: Ich vermittele den Stoff nach dem Motto „wenig, wichtig, wuchtig“. Denn mit wohldosierten Informationen lässt sich schon eine Menge erreichen. Das sollten auch Führungskräfte bei ihren Unterweisungen berücksichtigen. Hin und wieder setze ich Filme als Arbeitsmittel ein. „Remember Charlie“ beispielsweise von Charles Moorcroft hinterlässt bei den Teilnehmern immer einen bleibenden Eindruck. Der Beitrag schildert sehr ergreifend das Schicksal eines verunglückten Arbeiters.
Haben sich die Themen im Arbeitsschutz verändert?
R. Hofmann: Ja, ganz bestimmt. Dank hochentwickelter Technik und Schutzkleidung geht die Zahl der Arbeitsunfälle seit Jahren zurück. Je näher man dem Ziel ‚Null Unfälle‘ kommt, desto höher ist der Auswand, den man leisten muss, um weitere Verbesserungen zu erzielen. Heute werden 96 Prozent der Unfälle durch den Faktor Mensch verursacht, psychosomatische Erkrankungen nehmen zu. Der Stress wird immer stärker, aber jeder hat seine Grenze. Mitarbeiter müssen lernen, zu „entschleunigen“. Mit anderen Worten, neben „bitte“ und „danke“ muss auch das Wort „nein“ zum festen Bestandteil des Wortschatzes werden.
Was können die Führungskräfte zum Wohl und zur Sicherheit ihrer Mitarbeiter beitragen?
R. Hofmann: Sie sollten in erster Linie soziale Kompetenzen aufweisen. Zudem müssen Chefs eine Vorbildfunktion erfüllen. Wichtig ist auch, dass sie jeden Einzelnen in der Firma als Mensch und Experte anerkennen. Das geschieht zum einen durch Delegation von Verantwortung, weil das die Mitarbeiter motiviert. Weitere Mittel sind Lob und Tadel, wobei letzteres als Disziplinarmaßnahme an unterster Stelle stehen sollte. Allerdings gibt es die Unverbesserlichen, bei denen Sanktionen eingeleitet werden müssen. Hier ist Konsequenz gefragt, weil das Fehlverhalten eines Einzigen die Sicherheit Vieler gefährden kann. Ganz allgemein wird im Bereich Sicherheit zu wenig gelobt. Lob ist aber wichtig, weil es nicht selbstverständlich ist, dass wir uns sicherheitsgerecht verhalten.
Führen Anreizsysteme zu mehr Sicherheit in den Unternehmen?
R. Hofmann: Ich halte von Anreizsystemen nicht viel, vor allem dann nicht, wenn es sich dabei um Großprämien für Mitarbeiter handelt. Können vierstellige Summen abgegriffen werden, verleitet das die Menschen zum Schummeln. Kleine Prämien zwischen 35 und 50 Euro tragen hingegen zu mehr Sicherheit bei.
Was halten Sie als Schulungsexperte von E‑Learning?
R. Hofmann: In gewissen Bereichen, wie beim Umgang mit Gefahrstoffen, machen Schulungen per Software sicherlich Sinn. Aber für Unterweisungen in Sachen Stolpern, Rutschen und Stürzen eignet sich der Rechner als Medium kaum. Deshalb favorisiere ich eine Kombination aus beidem, das so genannte Blended Learning.
Wer nimmt an Ihren Kursen teil?
R. Hofmann: Hauptsächlich melden Großunternehmen ihre Mitarbeiter zum Sicherheitstraining an. Auch einige Mittelständler nehmen die Angebote wahr, während das Interesse der kleinen Unternehmen eher gering ist. Deren Leute erreiche ich nur, wenn sie Mitglied bei einer Berufsgenossenschaft sind, weil diese auch zu meinen Kunden zählen.
Wie wirkt sich die aktuelle wirtschaftliche Krise auf Ihre Arbeit aus?
R. Hofmann: Zum einen werde ich seltener gebucht, weil Unternehmen in Notzeiten Themen wie „Sicherheit am Arbeitsplatz“ gerne vernachlässigen. Zum anderen verstärkt sich heute die Rolle des psychologischen Beraters im Unternehmen. Mitarbeiter wenden sich an mich, um besser mit den Veränderungen ihres Arbeitsumfeldes umgehen zu können.
Gibt es genügend Arbeitspsychologen?
R. Hofmann: Es muss ja nicht unbedingt wie bei den Amerikanern sein, dass jeder seinen Psychologen hat. Aber Angebot und Nachfrage müssten besser aufeinander abgestimmt werden. Da klafft in Deutschland noch eine Lücke, obwohl die Zahl der Psychologen bei den Schulungsleitern gestiegen ist.
Infraserv Höchst
Infraserv GmbH & Co. Höchst KG ist Industriedienstleister und Standortbetreiber des Industriepark Höchst. Infraserv stellt Services und Produkte für die Unternehmen am Standort bereit, ist aber auch außerhalb des Industrieparks tätig. Das Unternehmen bietet unter anderem Leistungen in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitsschutz und Anlagensicherheit an. Referenten – wie der Psychologe Rüdiger Hofmann – haben sich auf Sicherheitsschulungen spezialisiert. Diese gezielten Unterweisungen in Sachen Arbeitsschutz und ‑sicherheit sollen dabei helfen, unfallbedingte Ausfallzeiten von Mitarbeitern zu reduzieren sowie die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen.
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