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Die Artikelserie begann in der vergangenen Ausgabe dieser Zeitschrift mit der Vorstellung der allgemeinen Problematik von Open Office-Bürolandschaften. Der vorliegende zweite Teil geht detailliert auf Zielkonflikte, Wechselwirkungen und einzelne Problemfaktoren ein.
Dipl.-Ing. Horst Werner
Zielkonflikte: „Open Office“ – Arbeitssicherheit
1. Ökologische Ausrichtung –
Green Buildung
Aktuell wird die Errichtung offener Bürolandschaften mit der Hinwendung zu einer Ressourcen und Energie schonenden Unternehmensführung (Green Building) gekoppelt – und ist dabei oftmals Bestandteil einer ökologischen Gebäude-zertifizierung. Die damit verbundene Außenwirkung und Demonstration einer bestimmten Unternehmensphilosophie birgt eine besondere Planungsheraus- forderung für die Belange des Arbeitsschutzes.
Ökologische Standards erfordern – vor allem in Bestandsgebäuden – einen nicht unerheblichen Aufwand an energiesparenden Einzelmaßnahmen und strikter Verbrauchskontrolle. Eine ungenügende Abstimmung dieser Anforderung mit den verbindlichen Standards einer ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung kann zu Zielkonflikten führen (z.B. eine ausreichende Beleuchtungsstärke – Reduzierung des Energieverbrauchs). Mit einer frühzeitigen Konkretisierung der Rahmenbedingungen des Arbeitsschutzes durch die Auftraggeber bleiben Planer und Projektverantwortliche vor arbeitsschutzwidrigen Fehlplanungen verschont. Hierzu ist jedoch sowohl die Kenntnis erforderlich, welche Arbeitsschutzstandards einzuhalten sind und damit sie projektverträglich gestaltet werden können (§ 3 a ArbStättV), wie auch die Bereitschaft, diesen Standards im Zusammenspiel mit anderen Projektzielen den notwendigen Platz einzuräumen.
2. Open Office als Prestigeprojekt
Auch die Priorisierung ästhetischer Aspekte kann zu einem Zielkonflikt mit Arbeits-schutzbelangen führen. Eine innovative Bürolandschaft ist für viele Unternehmen Prestigeobjekt und Imagekampagne zugleich. Hier soll sich die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens für Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen präsentieren.
Das verführt Planer wie Projektverantwortliche dazu, möglichst spektakuläre Gestaltungselemente, Farb- oder Lichteffekte zum primären Entscheidungskriterium zu erheben. Die Regulierungen im Interesse des Arbeitsschutzes werden dabei oftmals als Hemmschuh empfunden.
Hier sind Fingerspitzengefühl und Offenheit auch für ungewöhnliche Lösungen gefordert. Im Vordergrund der Arbeitsschutzberatung sollten nicht die planerischen Grenzen stehen, die der Arbeitsschutz setzt. Vielmehr sollten auf der Basis des Planungskonzeptes aktiv Lösungen angeboten werden.
Für die Akteure des Arbeitsschutzes gilt es darzustellen, dass Arbeitsschutz kein starres und unverrückbares Regelwerk bedeutet, sondern dem Unternehmen eigene Gestaltungskriterien eröffnet – solange der Schutz der Mitarbeiter gewahrt wird (§ 3a Abs, 1 ArbStättV).
Wechselwirkung Flächenkonzept – Arbeitsbedingungen
Die verfügbare Gesamtfläche und der Flächenbedarf der einzelnen Funktionsbereiche sind nicht nur die Basis der konkreten Konzeptplanung (bzw. sollten es sein), sie bestimmen auch das Umfeld der einzelnen Funktionsbereiche und werden dadurch zu einem bestimmenden Faktor der Arbeitsbedingungen. Zu ihrer Beurteilung ist neben der ArbStättV für Bürolandschaften auch die BildschirmarbeitsVO heranzu- ziehen.
Verständlicherweise wird es in einer Bürolandschaft kaum je glücken, jeden individuellen Anspruch hinsichtlich Beleuchtung, Blend- und Sonnenschutz oder dem Raumklima unter den (Planungs-) Hut zu bringen. Zumal viele Konzepte ohnehin nicht von einer regelmäßigen und mehrstündigen Arbeitsplatznutzung ausgehen und geringere Belastungsexpositionen somit auch unter dem Faktor der Belastungsdauer zu bewerten sind.
Doch bieten inzwischen zahlreiche Hersteller Produktvarianten, die eine hohe Individualisierung auch für große Büroeinheiten und deren Teilflächen ermöglichen. Bedauerlicherweise orientieren sich die Entscheidungen zu belastungsminimierenden Gestaltungsvarianten nicht nur an ihrer Funktionalität, sondern auch an technischen und (häufiger noch) an ökonomische Grenzen. Als Folge finden sich Arbeitsplätze mit divergierender Belastungsexposition innerhalb eines Bereiches einer Bürolandschaft.
Naturgemäß werden belastungsintensive und damit unattraktive Arbeitsplätze (z.B. Plätze an Verkehrswegen ohne Abschirmung) weniger gerne und daher weniger häufig frequentiert, was, je nach Konzeptform, erhebliche Probleme für die Arbeits- und Flächenorganisation mit sich bringen kann.
Eine besondere Herausforderung ist die Arbeitsgestaltung für ein Open Office, wenn neben dem Raum- und Funktionskonzept zusätzlich die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzergruppen zu berücksichtigen sind. Diese Aufgabe ist umso anspruchsvoller, je unterschiedlicher Arbeitsinhalte und Arbeitsprozesse der Nutzer sind und je raumnäher die Verzahnung der einzelnen Flächen gestaltet wird (oder werden muss).
Gelingt eine gute Lösung dafür nicht, werden sich sehr rasch Klagen zu belastenden Arbeitsbedingungen einstellen, die nicht nur die Leistung des betroffenen Mitarbeiters beeinträchtigen, sondern auch die Akzeptanz des Gesamtkonzeptes aufs Spiel setzten.
Ganz oben in dieser Liste möglicher Belastungen stehen dabei zwei Faktoren: die Ablenkung durch andere Geschehnisse im Raum und der Lärmpegel.
Der Belastungsfaktor „Ablenkung“ wird zum einen durch das Vorbeigehen von Kollegen am Arbeitsplatz oder durch andere Geschehnisse im Sichtfeld des Mitarbeiters ausgelöst. Beide Störfaktoren lassen sich mit der Gestaltung der Verkehrs- und Bewegungsflächen oder mit dem Einsatz von Trennelementen meist zufriedenstellend beheben. Ablenkung und das Empfinden der Störung tritt aber auch durch Geräusche auf, die von Kollegen verursacht werden. Sie werden rasch zum herausragenden Hauptproblemfeld vieler Bürolandschaften, dem Lärm.
Kardinalproblem „Lärm“
Lärm wird von Nutzern großer Büroeinheiten ohne Einschränkung als das Hauptbelastungsmerkmal benannt. Zwar wäre es utopisch zu glauben, jeglichen Lärmpegel aus den raumoffenen Arbeitsarealen eines Open Office verbannen zu können. Die Minimierung der Lärmbelastung auf ein zuträgliches Niveau lässt sich jedoch erreichen.
Der erste Schritt zu geringer Lärmbelastung ist die Auswahl der Nutzergruppen für das jeweilige Bürokonzept beziehungsweise die Prüfung, welche Voraussetzungen diese Gruppen für ihre Arbeitsprozesse benötigen.
Beengte Raummöglichkeiten bei gleichzeitig unhomogenen Nutzergruppen, von denen ein Teil viel telefoniert, der andere aber überwiegend konzentrationsinten- sive Textarbeit zu leisten hat, verurteilen jedes Konzept zum Scheitern. Die Abstimmung der richtigen Arbeitsplatzform auf die Nutzerbedürfnisse (z.B. abgeschirmter Einzel- oder Gruppenarbeitsplatz) ist deshalb ein wesentlicher Beitrag zur Vermeidung von Lärmbelastung.
Ein weiterer Faktor ist die Flächengestaltung. Insbesondere dort, wo Arbeitsareale an die übrigen Funktionsflächen angrenzen, lohnt sich eine sorgfältige Prüfung unter dem Aspekt der Lärmminimierung (und zum Störfaktor „Ablenkung“). Für eine lärmreduzierende Flächengestaltung bietet sich jedem Bürokonzept eine Fülle an Möglichkeiten.
Mit multifunktionalen Möblierungen samt lärmreduzierender Wirkung bis hin zu Trennwänden und Decken‑, Wand- und Bodengestaltungen mit spezieller akustischer Ausstattung lassen sich singuläre Maßnahmen, aber auch komplette Lärmschutzkonzepte planen.
Bei der Gestaltung lärmreduzierender Maßnahmen ergeben sich mitunter Divergenzen zu anderen Arbeitsschutzzielen, insbesondere zu Brandschutz und Fluchtweggestaltung. Auch eine effiziente Lärmschutzmaßnahme rechtfertigt es nicht, Trennwände und Schallschutzvorrichtungen ohne Beachtung der notwendigen Sichtachsen oder Fluchtwege in den Raum einzubringen. Und selbst das wirksamste Deckensegel wird zweifelhaft, wenn es die Sprinkleranlage (oder die notwendige Beleuchtung) behindert.
Areale mit Sonderfunktionen
Ein Sonderproblem im Themenbereich der Arbeitsbedingungen sind Funktionsflächen, die zwar nicht über die typische Büroarbeitsplatzausstattung mit Schreibtisch, Bürodrehstuhl und PC verfügen, deren technische Ausrüstung jedoch das Arbeiten wie an einem PC-Arbeitsplatz zulässt.
Hierzu gehören vor allem sogenannte „hot spot“- oder „hot desk“-Bereiche. Sie werden in vielen Bürolandschaften meist an zentraler Stelle vorgehalten, zum Beispiel für einen einfachen und schnellen Informationsaustausch oder als Informationspool. Zumeist weist auch ihre besondere Ausstattung (z.B. Barhocker, Bänke, Stehtische) auf ihre Funktion hin.
Diese Zusatzflächen sind eine sinnvolle Ergänzung für viele Konzepte und als Teil einer Arbeitsstätte zu beurteilen. Dies gilt allerdings nur, solange diese ergänzenden Flächen nicht als Arbeitsplatz im Sinne von § 2 Abs. 2 ArbStättV zweckentfremdet werden.
Sind Mitarbeiter dagegen alternativlos gezwungen (z.B. durch eine ungenügende Anzahl an vorhandenen Bildschirmarbeitsplätzen), ihre Arbeitsaufgabe an „hot spot“- oder „hot desk“-Plätzen zu erledigen, dann ist nicht mehr die ursprüngliche Zweckbestimmung dieser Funktionsfläche als „hot spot“ etc. entscheidend, sondern die faktische Tatsache ihrer Nutzung als Arbeitsplatz im Sinne der Arbeitstätten- und Bildschirmarbeitsverordnung.
Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, die nicht regelgerechte Ausstattung nach § 3a Abs. 1 S. 4 ArbStättV soweit zu ertüchtigen, dass der gleiche Schutzstandard eines regelgerechten Bildschirmarbeitsplatzes erreicht wird, oder die erforderliche Anzahl an ergonomischen Bildschirmarbeitsplätzen nachzurüsten.
Multifunktionsbereiche
Ein Zusatzproblem ergibt sich, wenn innerhalb eines Flächenbereiches die Erledigung von Arbeitsaufgaben und Entspannungs- und Kommunikationsfunktionen verknüpft werden. Die Zweckbestimmung einzelner Areale darf keine Dysfunktionalität erzeugen. Insbesondere bei Mischfunktionen ist deshalb darauf zu achten, dass sie ihre Zweckbestimmung erfüllen können und nicht zum Notnagel und zur allgemeinen Ersatzfläche anderer Funktionsbereiche werden.
Die Kombination sogenannter „hot spot“-Bereiche mit Kaffeebars oder Lounge-Zonen, die ihrer Funktion nach auch zu Pausenzwecken der Mitarbeiter dienen können, besitzen eine zusätzliche Brisanz. Hier wird genau abzuwägen sein, ob es die Mischfunktion des Areals zulässt, als ungestörter Pausenbereich für die Mitarbeiter zu dienen gemäß § 6 Abs. 3 ArbStättV. Vor allem dann, wenn durch einen strukturbedingten Lärmpegel eine Erholungspause direkt am Arbeitsplatz ausgeschlossen ist, besteht die Notwendigkeit einen Bereich vorzuhalten, in den sich die Mitarbeiter zurückziehen können, ohne von den zeitgleichen Arbeitsvorgängen im Büro gestört zu werden.
Im abschließenden dritten Teil in der kommenden Ausgabe des Sicherheitsingenieurs geht es um die spezifischen Punkte Möblierung, Hygiene und den Faktor „Mensch“.
Autor
Dipl.-Ing. Sicherheitsingenier Horst Werner
E‑Mail: horst.werner@wema-muenchen.de
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