Verbesserungen im Arbeitsschutz sind immer noch möglich, sowohl durch neuartige Konzepte für die Organisation von Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz in den Unternehmen als auch durch neue Techniken. Dies zeigen die Konzepte der vier Gewinner des Deutschen Arbeitsschutzpreises 2015. Sie können den Arbeitsalltag vieler Beschäftigter noch gesünder und sicherer machen.
Verena Manek
Die Gewinner des Deutschen Arbeitsschutzpreises 2015 sind die Unternehmen Jobtour GmbH & Co. KG, Süwag Energie AG, HWT Hansen Wärme- und Tanktechnik GmbH und Co. KG und Fels-Werke GmbH. „Ausgezeichnet wurden Vorzeigeprojekte, die in den Betrieben selbst viel bewirken, aber auch anderen Unternehmen als Anregung dienen können“, sagte Thorben Albrecht, Staatssekretär des Bundesministerums für Arbeit und Soziales (BMAS) bei der Preisverleihung. Ausschlaggebend für die Bewertung der eingereichten Beiträge waren deren Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit, Umsetzung, Innovationsgrad und Übertragbarkeit.
Safety-Teams fördern gemeinsame Sicherheitskultur
Preisträger im Bereich „Organisatorische Lösung bei großen Unternehmen“, ist die Süwag Energie AG. In sogenannten Safety Teams arbeiten Süwag-Mitarbeiter eng mit Mitarbeitern der von ihr beauftragten Partnerunternehmen zusammen. Jedes Safety Team betrachtet frühzeitig vor Beginn der Maßnahmen teamorientiert und partnerschaftlich die Arbeitssicherheit. Ziel ist, das tägliche präventive Verhalten der Mitarbeiter positiv zu beeinflussen und somit gemeinschaftlich eine Sicherheitskultur aufzubauen beziehungsweise weiter zu fördern, das Sicherheitsbewusstsein zu schärfen und somit Unfälle und Verletzungen zu vermeiden. Durch dieses einzigartige Konzept konnte Süwag nicht nur die Unfallrate im eigenen Unternehmen senken, sondern noch weit stärker die der von ihr beauftragten Firmen.
Der Energieversorger mit rund 1650 Mitarbeitern beliefert Kunden im Raum Neuwied bis zum Schwarzwald mit Strom, Gas, Wärme und Wasser. Für den Unterhalt von Kraftwerken und Netzen, aber auch zum Beispiel für Gebäudemana-gement leisten über 500 Partnerfirmen in vier Bundesländern bis zu zwei Millionen Arbeitsstunden pro Jahr. Unter ihnen sind nicht nur große Bau-Unternehmen, sondern auch viele kleine Firmen, etwa Maler oder Elektriker mit nur wenigen Mitarbeitern. Die Zahl der Arbeitsunfälle lag bei den Partnerfirmen deutlich höher als bei Süwag selber. Während eigene Unfälle bereits um 80 Prozent reduziert werden konnten, lagen sie bei Partnerfirmen noch fünf- bis zehnfach höher.
Die Idee zu den Safety-Teams entwickelte Süwag im Rahmen eines RWE-Arbeitsschutz-Strategie-Workshops. In einem Safety-Team ist je eine Führungskraft und je eine Sicherheitsfachkraft von Süwag und Partnerfirma vertreten. Zuständig sind die Teams immer für ein konkretes Projekt, etwa eine Baumaßnahme oder ein Dienstleistungsprojekt, wie Büroreinigung oder Grünpflege. Das Team trifft sich in einem Zeitraum von zwei bis drei Monaten zur Vorbesprechung, nimmt eine oder mehrere Sicherheitsbegehungen vor Ort vor und dokumentiert die Ergebnisse. In einer Abschlussbesprechung ziehen die Team-Mitglieder ein Fazit, was gut und was schlecht lief und was auf beiden Seiten noch optimiert werden kann. „Wir möchten mit unseren Partnern fair auf Augenhöhe umgehen“, betont Roland Nitzler, Hauptsicherheitsingenieur der Süwag-Gruppe und Leiter der Stabsstelle Betriebssicherheit bei der zur Süwag gehörenden Syna GmbH, der zu den Initiatoren des Konzepts gehört. „Wir teilen unser Wissen, jeder gibt Feedback“. Süwag hat alle Führungskräfte des Unternehmens integriert, die Beteiligung an Safety-Teams gehört 2015 zu ihrer Zielvereinbarung. Sie bekommen dadurch einen hohen Bezug zur Arbeitssicherheit und geben ein gutes Vorbild für ihre Mitarbeiter.
Das Projekt „Safety Team“ wirkte, und zwar sehr schnell. Bereits im ersten Jahr nach Einführung gingen die Unfälle der Partnerfirmen um 50 Prozent zurück, 2014 um ein weiteres Drittel. Zuletzt gab es drei Arbeitsunfälle pro eine Million Arbeitsstunden (LTIF 3,0). Im Jahr 2015 kümmerten sich konkret 142 Safety-Teams um die Sicherheit auf den Süwag-Baustellen. „Wir haben dadurch 90 Prozent aller Partnerfirmen kennengelernt“, bemerkt Roland Nitzler. Eingesetzt werden kann ein Safety-Team etwa nach Unfällen, wenn Partnerfirmen auffällig wurden, erstmals für Süwag arbeiten oder sie neue Arbeitsverfahren anwenden.
Inzwischen wurde „Safety Team“ als neues Instrument des Partnerfirmen-Managements für den gesamten RWE Konzern, zu dem die Süwag gehört, definiert. Interessant ist es sicher auch für andere Unternehmen. „Jeder, der sich für „Safety-Team“ interessiert, kann das Konzept gerne übernehmen“, sagt Hauptsicherheitsingenieur Roland Nitzler.
Wertschätzung für Pflegekräfte
Jobtour medical (www.jobtour.de) vermittelt Pflege- und Servicekräfte an medizinische Einrichtungen. Um Unzufrie-denheit und Fluktuation im Berufsfeld oder die Abwanderung in andere Berufe zu vermeiden, bietet der Personaldienstleister seinen rund 100 Angestellten zahlreiche Vorteile, wie eine übertarifliche Bezahlung, eine Privat- und zahnärztliche Versorgung sowie eine Krankengeldzusatzzahlung. In individuellen Beratungen wird nach Prioritäten und Wünschen der Mitarbeiter bezüglich des Einsatzes, Arbeitsort, ‑zeit und ‑umfang, gefragt. Bei Bedarf können sie den Arbeitsplatz, den Jobtour medical kontinuierlich prüft, wechseln oder den Einsatz dort zeitlich beschränken. So wurde zum Beispiel einer alleinerziehenden Fachkraft mit Kindern ermöglicht, morgens später zu beginnen. „Es gibt den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eine innere Unabhängigkeit, wenn sie wissen, dass sie gehen können, wenn ein Einsatz zu belastend ist“, erklärt Geschäftsführerin Mirjam Rienth. Fort- und Weiterbildungen, Austauschplattformen und regelmäßige gemeinsame Unternehmungen zeigen die Wertschätzung für die Mitarbeiter, die in der Pflege eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit ausfüllen. „Pflegekräfte sind oft sehr empathisch, eigene (Belastungs)Grenzen werden überschritten“, sagt Rienth. In Coachings und Ernährungsberatung vermitteln wir ihnen sich selbst zu pflegen, damit sie andere pflegen können“. Durch die intensive persönliche Betreuung sinkt die gefühlte Belastung, die Fachkräfte sind nach eigenen Angaben zufriedener und haben Spaß an ihrem Beruf. Die durchschnittliche Krankheitsquote bei Jobtour liegt bei 1,03. Zum Vergleich: In Krankenhäusern liegt sie bei 5,5, in Pflegeeinrichtungen bei 6,7.
Roboter übernimmt Tankreinigung
Die HWT Hansen Wärme- und Tanktechnik GmbH & Co. KG bekam den Arbeitsschutzpreis für eine technische Lösung, ihre Entwicklung des TÜV-geprüften Reinigungsroboters T‑Rex. Er ist das erste Reinigungsgerät, das in der Gas-Ex-Zone 0 ferngesteuert und selbständig Tankanlagen reinigt, womit er den Einsatz von menschlichen Reinigungskräften in dem gefährdeten Bereich überflüssig macht. Außerdem schont er die Umwelt, denn während der automatischen Reinigung entgast und belüftet er die Tankanlage, so dass rund 80 Prozent weniger Emissionen in die Atmosphäre entweichen. Das für die Reinigung eingesetzte Wasser und die Rückstände fließen in einen Extrabehälter und werden fachgerecht entsorgt. T‑Rex wird zur Behälteröffnung gefahren und dann an einem Traversenkran mithilfe einer Lastenwinde in den Tank abgelassen. Er arbeitet mit 180 bar Wasserdruck, die Reinigungsleistung beträgt 80 Liter pro Minute. Über eine Fernbedienung erhält T‑Rex die Steuerbefehle für die Vorwärts- und Rückwärtsfahrt mit einer Geschwindigkeit bis 3,5 m/min. Das Tankende erkennt er über einen Abstandssensor, der automatisch die Kollision mit der hinteren Behälterwand verhindert. Bei der anschließenden Rückwärtsfahrt kann er den Behälter (fast) trocken saugen.
Mörtel-Pellets stauben nicht
Weniger Staub auf Baustellen: Die Fels-Werke GmbH entwickelten Compact Mörtel Pellets, die die Staubbelastung bei der Mörtelverarbeitung erheblich senken. Für diese patentierte Innovation sind sie mit dem Deutschen Arbeitsschutzpreis 2015 ausgezeichnet worden. Statt als staubiges Pulver kommt Mörtel nun in kompakten Pellets auf die Baustelle und kann dort durch Wasserzugabe sofort, sauber und schnell verarbeitet werden. Zudem sind die portionierbaren Pellets, bei gleichen Produkteigenschaften wie mineralischer Mörtel, um rund 25 Prozent ergiebiger, die Mörtelsäcke dadurch kleiner und leichter zu transportieren. Die Fels Pellets verwandeln sich bei Wasserzugabe innerhalb von 90 Sekunden in gebrauchsfertigen Dünnbettmörtel, das Anmischen mit schweren Rührgeräten entfällt. Die Pellets sind frei von organischen Bindemitteln. Mit einem Wert von 0,79 Milligramm A‑Stäuben pro Kubikmeter liegt die aktuelle Staubbelastung deutlich unter dem Grenzwert von 1,25.
Die Nominierten:
RAG Deutsche Steinkohle: Sicherheitsfortbildung für Azubis
Im RAG-Steinkohlenbergwerk Prosper Haniel können sich seit dem Jahr 2012 ausgewählte Berufseinsteiger zu „Sicherheits-AZUBIs“ fortbilden lassen. Sie erleben den Arbeitsalltag unter Tage und welche Risiken die einzelnen Arbeitsschritte mit sich bringen. In einem Workshop lernen sie unter anderem, mit verschiedenen Werkzeugen umzugehen, eine Rettungskette einzuleiten oder einen Leitfaden zum sicheren Verhalten am Arbeitsplatz zu erstellen.
Continental AG: Ergonomie in der Produktion
Bei Continental bewerten seit dem Jahr 2007 speziell ausgebildete Ergonomie-Teams in allen deutschen Standorten die Arbeitsplätze mithilfe des Belastungs-Dokumentations-Systems – ein elektronisch unterstütztes Expertensystem zur ergonomischen Gefährdungsbeurteilung, entwickelt vom Institut ASER. Wird die Belastungsgrenze überschritten, müssen die Standorte die gefundenen Schwachstellen beheben. So werden nicht nur die Arbeitsbedingungen für ältere Mitarbeiter günstiger, sondern die gesamte Produktionsbelegschaft bleibt nachhaltig gesund und leistungsfähig.
GoodMills Innovation GmbH: Staub- und allergiearmes Mehl
Hauptursache für das Bäckerasthma sind die verwendeten Standardbackmehle, die ein erhöhtes Staubverhalten aufweisen. Die GoodMills Innovation GmbH hat verschiedene staub- und allergiearme Trennmehle entwickelt. In einem speziellen Herstellungsverfahren wird das Mehl zunächst mit Wasserdampf befeuchtet und anschließend unter Hitze getrocknet, so dass sich der Feinanteil des Mehls zu größeren Partikeln zusammenballt.
Berliner Verkehrsbetriebe: Fahrzeug-Reinigung mit Saugsystem reduziert Staub-Emissionen
Regelmäßig werden die Fahrzeuge der Berliner U‑Bahn gewartet und die Elektronik an den Unterseiten der Wagen mithilfe von Druckluftlanzen gereinigt. Diese Reinigung erzeugt aber so viel Feinstaub, dass es dabei sogar zur Überschreitung der vorgeschriebenen Grenzwerte kam. Ein Team der BVG hat ein nahezu geschlossenes Saugsystem aus Aluminium und Plexiglas entwickelt, das die Staubemission erheblich reduziert und dank integrierter Abluftfilter die Mitarbeiter zusätzlich schützt. Dank dieser Adapter werden die gesetzlichen Grenzwerte nun um ein Vielfaches unterschritten.
REWE Markt GmbH Zweigniederlassung Mitte: Aufstiegshilfe für LKW
Die Auf- und Abstiegshilfen zur Ladebordwand von Lkws bieten einen großen Spielraum für Unfälle. Die REWE Zweigniederlassung Mitte entwickelte gemeinsam mit dem Fahrzeughersteller Nutzfahrzeuge Rohr GmbH eine alternative Aufstiegshilfe. Sie ist um 180 Grad schwenkbar und leicht treppenförmig gebaut. Zusätzlich ist der Auftritt mit einer Anlassersperre versehen, sodass sich der Lkw nur bei eingeklappter und gesicherter Aufstiegshilfe starten lässt.
Deutsche Giessdraht GmbH: Kollegen motivieren sich gegenseitig
Die Mitarbeiter der Deutschen Giessdraht GmbH sind beim Schmelzen, Gießen und Walzen von Kupferdraht besonderen Verletzungsgefahren ausgesetzt. Bei der Analyse von Unfällen fiel auf, dass die Mitarbeiter einander nicht darauf hinwiesen, wenn sie sich nicht sicher verhielten. Vor diesem Hintergrund führte das Unternehmen im Jahr 2012 das Programm „Behaviour Based Safety – Verhaltensbasierte Arbeitssicherheit“ ein. Jeweils neun bis 14 Mitarbeiter treten für einen bestimmten Zeitraum als Botschafter auf und motivieren ihre Kollegen, sich sicher zu verhalten. Gleichzeitig erfassen sie beobachtetes sicheres und unsicheres Verhalten mit einer anonymen Zählliste. Die Unfallhäufigkeit je eine Million geleisteter Arbeitsstunden ist von 30,1 im November 2011 auf 0,0 seit Oktober 2013 gesunken.
Automation W+R GmbH: Seilprüfgerät für Seilbahnen
Die Kontrolle von Seilbahnen war bislang Aufgabe der Seilbahnmitarbeiter: In bis zu 500 Meter Höhe und mitunter bei schlechter Sicht und Witterung prüften sie die Seile manuell auf eventuelle Schäden. Mittlerweile haben mehr als 30 Seilbahnbetriebe das Seilprüfgerät Winspect im Einsatz. Es wurde von der BG Bahnen, heute VBG, mit dem Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Universität Stuttgart als Prototyp entwickelt. Zur Serienreife brachte es die Automation W+R GmbH, die es auch vermarktet. Das Gerät zeichnet die Seiloberfläche mit vier Kameras und einer Geschwindigkeit von drei Metern pro Sekunde auf. Mithilfe der teilautomatisierten Analyse können die prüfenden Mitarbeiter defekte Stellen und Abweichungen von der Sollstruktur zuverlässig erkennen. Die einzelnen Bilder lassen sich beliebig oft am PC betrachten. Diese Art der Überprüfung ist weniger gefährlich für die Mitarbeiter und außerdem exakter und schneller.
Unsere Webinar-Empfehlung
Es gibt viele Fälle, in denen die Fallhöhe für eine herkömmliche Absturzsicherung nicht ausreicht. Beispiele für Arbeiten in geringer Höhe sind z.B. der Auf- und Abbau von Gerüsten, die Wartung von Industrieanlagen und Arbeiten in Verladehallen sowie Anwendungen in der Bahn und…
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