Substitution, also der Ersatz oder Austausch von gefährlichen Stoffen, betrifft uns alle. Denken Sie allein an Kunststoffweichmacher in Kinderspielzeug oder an Quecksilber im Amalgam von Zahnfüllungen. In den Betrieben, in denen mit Gefahrstoffen umgegangen wird, wird das Thema Substitution oft nicht umgesetzt. Gründe dafür sind, dass oft nicht bekannt ist, wie eine Substitution durchzuführen ist oder eine Substitution angeblich nicht möglich ist oder viel zu lange dauert. In vielen Fällen wird auch argumentiert, dass man Chemiker sein muss um eine Substitution von Gefahrstoffen erfolgreich durchführen zu können oder dass nur die Produktion für eine Substitution zuständig ist, nicht aber das Labor. Des Weiteren kommt das Thema Substitutionspflicht in regelmäßigen Abständen zur Sprache, z.B. dann, wenn ein Stoff als krebsverdächtig eingestuft wurde. Substitution ist aber immer noch die effektivste Schutzmaßnahme von allen Schutzmaßnahmen innerhalb der STOP-Rangfolge (Substitution, Technische, Organisatorische und Persönliche Schutzmaßnahmen). Denn: Ein Stoff, der substituiert, also eliminiert oder zumindest reduziert wurde, verringert auf jeden Fall das Risiko einer Gesundheitsschädigung.
Dr. Birgit Stöffler
Grundlagen der Substitution
Definition Substitution
Der Rechtsbegriff „Substitution“ ist in der Gefahrstoffverordnung wie folgt definiert:
GefStoffV: § 7 Grundpflichten
(3) (Der Arbeitgeber) hat Gefahrstoffe oder Verfahren durch Stoffe, Zubereitungen oder Erzeugnisse oder Verfahren zu ersetzen, die unter den jeweiligen Verwendungsbedingungen für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten nicht oder weniger gefährlich sind.
Auch im Begriffsglossar zur Gefahrstoffverordnung findet sich eine Definition des Begriffs:
Substitution bezeichnet den Ersatz eines Gefahrstoffes, eines biologischen Arbeitsstoffes oder eines Verfahrens durch einen Arbeitsstoff oder ein Verfahren mit einer insgesamt geringeren Gefährdung für den Beschäftigten.
Rechtliche Grundlagen und allgemeine Informationen
Gefahrstoffverordnung
Die Substitution wird in der Gefahrstoffverordnung an mehreren Stellen genannt, z.B. im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung:
GefStoffV: § 6 Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung
(1) Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung (…) hat der Arbeitgeber festzustellen, ob die Beschäftigten Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ausüben oder ob bei Tätigkeiten Gefahrstoffe entstehen oder freigesetzt werden können. Ist dies der Fall, so hat er alle hiervon ausgehenden Gefährdungen der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten unter folgenden Gesichtspunkten zu beurteilen: (…)
4. Möglichkeiten einer Substitution,
Wichtig an dieser Stelle ist, dass hier von einer „Beurteilung“ der „Möglichkeiten einer Substitution“ die Rede ist und nicht von einer „Substitutionspflicht“.
Laut Gefahrstoffverordnung zählt die Substitution zu den Grundpflichten im Arbeitsschutz. Sie steht in der STOP-Rangfolge der Schutzmaßnahmen an erster Stelle. In der Gefahrstoffverordnung wird diese Stellung durch das Wort „vorrangig“ verdeutlicht:
GefStoffV: § 7 Grundpflichten
(3) Der Arbeitgeber hat auf der Grundlage des Ergebnisses der Substitutionsprüfung nach § 6 Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 vorrangig eine Substitution durchzuführen.
REACH-Verordnung
Auch die REACH-Verordnung sieht vor, mithilfe der sogenannten „Zulassung“ besonders gefährliche durch weniger gefährliche Stoffe zu ersetzen. Insofern ist die Zulassung ein neues Element in der europäischen Chemikalienpolitik, weil sie letztlich auf die Substitution besonders gefährlicher Stoffe abzielt (Pürgy et al 2014).
TRGS 600 – Substitution
Die TRGS 600 „Substitution“ ist die sogenannte Grundlagen-TRGS zum Thema Ersatzstoffe und Ersatzverfahren, die die Vorgaben aus der Gefahrstoffverordnung konkretisiert.
Die 100%ige Substitution – also die Vermeidung der Tätigkeiten mit Gefahrstoffen – wäre die beste Schutzmaßnahme, ist aber leider in der betrieblichen Praxis nur selten realisierbar.
Substitution bezieht sich nicht nur auf den Ersatz von Gefahrstoffen, sondern auch auf den Ersatz von Verfahren, wie in der TRGS 600 ausgeführt ist:
TRGS 600: 1 Anwendungsbereich
(…) Diese TRGS soll den Arbeitgeber unterstützen Tätigkeiten mit Gefahrstoffen zu vermeiden,
Gefahrstoffe durch Stoffe, Zubereitungen oder Verfahren zu ersetzen, die unter den jeweiligen Verwendungsbedingungen für die Gesundheit nicht oder weniger gefährlich sind oder
gefährliche Verfahren durch weniger gefährliche Verfahren zu ersetzen.
Spaltenmodell der TRGS 600
Die TRGS 600 gibt konkrete Hilfen für die Substitutionsprüfung und ‑entscheidung.
Eine davon ist das sogenannte „Spaltenmodell“, mit dem das Gefährdungspotenzial verschiedener Gefahrstoffe miteinander verglichen werden kann.
Dabei wird in den folgenden fünf Gefahrenarten, gelistet in Spalten, eine Bewertung des zu ersetzenden Gefahrstoffs im Vergleich mit einem möglichen Ersatzstoff durchgeführt:
- akute und chronische Gesundheitsgefahren,
- Umweltgefahren,
- Brand- und Explosionsgefahren,
- Gefahren durch das Freisetzungsverhalten und
- Gefahren durch das Verfahren.
Das Spaltenmodell der TRGS 600 enthält bisher nur die R‑Sätze nach dem alten Einstufungs- und Kennzeichnungssystem der Stoffrichtlinie für die Gesundheits‑, Umwelt- sowie Brand- und Explosionsgefahren. Eine Umstellung auf das Kennzeichnungssystem der CLP-Verordnung ist noch nicht erfolgt.
Aus diesem Grund bietet das Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ein Spaltenmodell an, das die Kennzeichnung mit den H‑Sätzen nach CLP-Verordnung abbildet.
Die beiden Modelle arbeiten mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten:
- In der TRGS 600 wird im Spaltenmodell der Begriff „Gefährdung“ verwandt.
- Im IFA-Spaltenmodell (IFA-GHS 2014) wird dagegen von „Gefahr“ gesprochen, die wie folgt definiert wird: Die den Gefahrstoffen innewohnenden Gefahren müssen erst wirksam werden (z.B. durch Exposition, Brand, Explosion), bevor sie relevante Gefährdungen (Risiko) sein können.
Bei der Substitutionsprüfung werden zuerst die Gefahren, die von den Gefahrstoffen ausgehen, beurteilt: Dann wird bewertet, ob aufgrund der Tätigkeit die Gefährdung durch den Ersatzstoff reduziert werden kann.
- Tabelle 1 und Tabelle 2 enthalten die Angaben aus dem IFA-Spaltenmodell – bezogen auf akute und chronische Gesundheitsgefahren.
- Tabelle 3 enthält die Angaben aus dem IFA-Spaltenmodell – bezogen auf das Freisetzungsverhalten.
- Tabelle 4 beschreibt die Angaben aus dem IFA-Spaltenmodell – bezogen auf die Verarbeitung (offen – geschlossen) und den Verfahrensindex nach TRGS 500.
Bei der Anwendung des Spaltenmodells müssen ein paar Grundsätze beachtet werden, die in der TRGS 600 Anlage 2 ausgeführt sind:
TRGS 600: Anlage 2 Vergleichende Bewertung der gesundheitlichen und sicherheitstechnischen Gefährdungen (Spalten- und Wirkfaktorenmodell)
1 Das Spaltenmodell
(2) Eine vergleichende Bewertung eines Produktes und einer potenziellen Ersatzlösung*) wird jeweils getrennt für beide Lösungen*) durchgeführt in den fünf Spalten:
akute und chronische Gesundheitsgefahren (die Spalten „akute Gesundheitsgefahren“ und „chronische Gesundheitsgefahren“ als eine Spalte),
Umweltgefahren,
Brand- und Explosionsgefahren,
Gefahren durch das Freisetzungsverhalten und
Gefahren durch das Verfahren.
(…)
Vergleichende Bewertungen dürfen immer nur innerhalb einer Spalte und keinesfalls innerhalb einer Zeile vorgenommen werden.
*) Mit „Ersatzlösung“ bzw. „beide Lösungen“ sind hier keine Lösungen im chemischen Sinn gemeint, sondern der Ersatzstoff mit eventuell geringerer Gefährdung bzw. der Gefahrstoff und der Ersatzstoff.
Zur Erklärung: Eine vergleichende Bewertung
- „getrennt in den fünf Spalten“ bzw.
- „nur innerhalb einer Spalte und nicht innerhalb einer Zeile“
bedeutet folgendes:
Erlaubt ist nur der Vergleich innerhalb einer Spalte: Es darf z.B. nur die Gesundheitsgefahr eines Stoffes mit der Gesundheitsgefahr eines anderen Stoffes verglichen werden. Man könnte auch sagen: Man darf nur „Äpfel mit Äpfeln“ vergleichen
Nicht erlaubt ist der Vergleich innerhalb einer Zeile: Es darf z.B. nicht die Umweltgefahr eines Stoffes mit dem Freisetzungsverhalten eines anderen Stoffes verglichen werden. Man könnte auch sagen: Man darf nicht „Äpfel mit Birnen“ vergleichen.
Anhand des Vergleichs der Stoffe Benzol und Toluol in Tabelle 5 und Abbildung 1 soll diese Vorgehensweise nochmals verdeutlicht werden.
In der TRGS 600 und im IFA-GHS-Spaltenmodell finden sich keine Aussagen darüber, wie vorzugehen ist, wenn innerhalb einer Spalte mehrere H‑Sätze vorliegen, die zu unterschiedlich hohen Gefahrenstufen führen würden.
Hier hilft folgender Hinweis aus dem „EMKG – Einfaches Maßnahmenkonzept für Gefahrstoffe“ weiter: Bei der „Zuordnung der Stufe ist die höchste aus den R- (bzw. H-)Sätzen resultierende Stufe zu notieren (EMKG 2012).
Weitere Grundsätze bei der Bewertung mit Hilfe des Spaltenmodells sind:
TRGS 600: Anlage 2 Vergleichende Bewertung der gesundheitlichen und sicherheitstechnischen Gefährdungen (Spalten- und Wirkfaktorenmodell)
1 Das Spaltenmodell
(…)
Schneidet die potenzielle Ersatzlösung in allen fünf Spalten besser ab als das verwendete Produkt oder Verfahren, ist die Höhe der Gefährdung eindeutig geklärt.
Ein Unterschied von einer Gefährdungsstufe kann mitunter beim Vorliegen entgegenstehender Gründe dazu führen, dass der Ersatzstoff nicht eingesetzt wird.
Liegen Unterschiede von zwei oder mehr Gefährdungsstufen vor, müssen wichtige Gründe vorliegen, den Ersatzstoff nicht einzusetzen.
Der Regelfall wird jedoch sein, dass das potenzielle Ersatzprodukt in einigen Spalten besser, aber auch in einer oder zwei Spalten schlechter abschneidet. (…)
Die Entscheidung für die Substitution von Benzol durch Toluol ist in diesem Fall leicht zu treffen, da sich in keiner Spalte eine Erhöhung der Gefahr ergibt.
Für die Fälle, in denen die Entscheidung nicht so einfach zu treffen ist, findet sich in der TRGS 600 die folgende Regelung:
TRGS 600: Anlage 2 Vergleichende Bewertung der gesundheitlichen und sicherheitstechnischen Gefährdungen (Spalten- und Wirkfaktorenmodell)
1 Das Spaltenmodell
Der Regelfall wird jedoch sein, dass das potenzielle Ersatzprodukt in einigen Spalten besser, aber auch in einer oder zwei Spalten schlechter abschneidet. Dann obliegt es dem Verwender zu beurteilen, welche Gefahreneigenschaften, d.h. welche Spalten im konkreten Fall das größere Gewicht haben.
Lassen sich beispielsweise bei der Produktverarbeitung Zündquellen nicht ausschließen, wird man verstärkt auf die Brand- und Explosionseigenschaften sowie das Freisetzungsverhalten der Produkte achten müssen.
Entstehen bei der Verarbeitung größere Mengen Abfälle, haben die Umweltgefahren ein höheres Gewicht usw.
Wirkfaktorenmodell der TRGS 600
Neben dem Spaltenmodell gibt es das sogenannte Wirkfaktoren-Modell. Dieses beschränkt sich auf die Betrachtung bzw. den Vergleich der Gesundheitsgefahren, die von einem Stoff und seinem möglichen Ersatzstoff ausgehen.
Der Wirkfaktor (W) für einen Stoff wird anhand der R‑Sätze aus der Stoffrichtlinie ermittelt, die auf dem Etikett oder im Sicherheitsdatenblatt zu finden sind.
Beim Wirkfaktoren-Modell wird jeder Gesundheitsgefahr ein W‑Faktor (eine Zahl zwischen 0 und 50 000) zugeordnet.
Für das Wirkfaktoren-Modell liegt – im Gegensatz zum Spaltenmodell – nur die Version der TRGS 600 mit Kennzeichnung durch die R‑Sätze vor. Eine Version mit Kennzeichnung durch die H‑Sätze aus der CLP-Verordnung, etwa vom IFA, gibt es leider noch nicht.
Tabelle 6 zeigt die R- bzw. H‑Sätze und die dazugehörigen Wirkfaktoren. Um den Bezug zum Spaltenmodell zu verdeutlichen, wurden die H‑Sätze entsprechend ihrer Gefahrenstufe aus dem Spaltenmodell farbig hinterlegt.
Die große Spannbreite der Wirkfaktoren mit Werten von 0 bis 50 000 soll die großen Unterschiede zwischen den Gesundheitsgefahren verdeutlichen – z.B. krebserzeugende Wirkung 50 000, reizende Wirkung nur 5.
Der sehr hohe Wirkfaktor von 50 000 stellt sicher, dass selbst bei sehr geringen Mengen z.B. eines krebserzeugenden Stoffes in einem Gemisch dieses immer noch einen hohen Wirkfaktor erhält.
Mit Abnahme der akuten Toxizität von „lebensgefährlich“ zu „giftig“ bis zu „gesundheitsschädlich“ reduziert sich der Wirkfaktor jeweils um den Faktor 10:
Bei den ätzenden Wirkungen
liegt der Wirkfaktor zwischen
100 bis max. 500.
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