Gerichte haben sich immer wieder mit der Frage zu befassen, wer nach Betriebsunfällen haftet. In erster Linie ist der Arbeitgeber für die Gesundheit seiner Arbeitnehmer verantwortlich. Er kann diese Aufgabe an Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sifa) übertragen – allerdings nicht mit haftungsbefreiender Wirkung. Über die Frage, inwieweit eine externe Fachkraft für Arbeitssicherheit, die technische Mängel einer Maschine nicht erkannt hatte, bei einem Arbeitsunfall haftet, entschied zuletzt das OLG Nürnberg (Urteil vom 17.06.2014 – Az. 4 U 1706/12).
Rechtsanwalt Matthias Klagge, LL.M.
Folgendes war geschehen:
In einer Kartonagenfabrik in Süddeutschland kam es zu einem verhängnisvollen Arbeitsunfall: Während der Arbeit an einer Pappkartonstanze geriet ein Arbeitnehmer mit seiner rechten Hand in die sogenannte „Riffelwalze“, als er Kartonagen in das Walzwerk einführte. Die Hand war den Stanzbewegungen mehrere Minuten lang ausgesetzt und wurde dadurch partiell skelettiert. Bei seinem Versuch, die rechte Hand aus der Maschine zu befreien, verletzte sich der Arbeitnehmer auch an seiner linken Hand schwer.
Die Maschine entsprach nicht den vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen nach der Maschinenrichtlinie. Sie hatte einen zu hohen Einzugsschlitz und der Walzenabstand war zu gering. Zudem fehlten eine Plastikhaube als Handschutz im Einzugsbereich sowie eine Lichtschranke zur automatischen Abschaltung bei Gefahr. Ein Notausschalter war zwar vorhanden, befand sich aber seitlich an der Maschine, so dass er von der Arbeitsposition aus nicht erreicht werden konnte.
Externe Betreuung durch Sifa
Der Arbeitgeber hatte seit einigen Jahren für seinen Betrieb einen externen Dienstleister als Fachkraft für Arbeitssicherheit beauftragt. Dieser hatte noch zwei Wochen vor dem Unfall dem Arbeitgeber attestiert, dass anlässlich einer aktuellen Untersuchung der Maschine „keine arbeitssicherheitstechnischen Aspekte“ aufgetreten waren.
Die gesetzliche Unfallversicherung trat in Vorleistung und glich alle Schäden des verletzten Arbeitnehmers aus. Nachdem die Betriebshaftpflichtversicherung des Maschinenherstellers einen wesentlichen Teil der Aufwendungen der Unfallversicherung erstattet hatte, nahm diese für den Rest ihrer Forderung den Hersteller sowie die externe Fachkraft für Arbeitssicherheit in Regress. Den Arbeitgeber verklagte sie hingegen nicht. Die Unfallversicherung war der Auffassung, ein Verschulden des Arbeitgebers sei nicht erkennbar, weil er einerseits auf die CE-Kennzeichnung der Maschine vertrauen durfte, andererseits seine Arbeitsschutzpflichten vertraglich auf die Fachkraft delegiert hatte.
Das Urteil des OLG Nürnberg
Das OLG Nürnberg verurteilte den Hersteller und die Fachkraft für Arbeitssicherheit als Gesamtschuldner zur Haftung, kürzte allerdings den Anspruch der klagenden Unfallversicherung um den Verantwortungsanteil des Arbeitgebers. Diesen hatte das Gericht auf 1/3 taxiert. Ein Mitverschulden des verletzten Arbeitnehmers erkannten die Richter nicht.
Der Hersteller der Maschine hatte den Anspruch im Gegensatz zur Fachkraft für Arbeitssicherheit im Rahmen des Gerichtsverfahrens anerkannt. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit hingegen verteidigte sich unter anderem damit, dass sie für die Verletzung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers nicht einzustehen habe – denn der Vertrag zur Übernahme der arbeitssicherheitstechnischen Betreuung entfalte nur Rechtswirkung zwischen ihr und dem Vertragspartner, dem Arbeitgeber. Jedenfalls sei die Fachkraft aber – wie der Arbeitgeber auch – nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften von der Haftung befreit, da es sich nicht um einen vorsätzlich verursachten Betriebsunfall gehandelt habe.
Diese Ansicht teilten die Richter jedoch nicht. Das OLG kam zu dem Schluss, dass Fachkraft und Arbeitgeber einen sogenannten „Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter“ abgeschlossen hatten. Dieser Vertrag beinhalte die Übernahme der arbeitssicherheitstechnischen Betreuung sowohl des Betriebes als auch seiner Beschäftigten. Der verletzte Arbeitnehmer war daher in den Schutzbereich des Vertrags und somit auch in die vertragliche Sorgfaltspflicht der Fachkraft einbezogen. Diese Pflicht hatte die Fachkraft bei der Untersuchung schuldhaft verletzt und daher den Unfall mitverursacht. Das Gericht war davon überzeugt, dass die Fachkraft bei sorgfältiger Untersuchung der Pappkartonstanze die Mängel erkannt hätte, denn sie seien offenkundig gewesen. Bei einem entsprechenden Hinweis an den Arbeitgeber hätte dieser die Maschine abgeschaltet und der Unfall wäre vermieden worden.
Haftungserleichterung für die Sifa?
Neben der Schuldfrage war weiterhin von Bedeutung, ob der Fachkraft eine Haftungserleichterung zugutekommt. Nach den §§ 104ff. des siebten Sozialgesetzbuchs (SGB VII) haftet der Arbeitgeber bei Betriebsunfällen mit Personenschäden nur bei Vorsatz. Ein derartiges „Haftungsprivileg“ gilt auch dann, wenn Schädiger und Geschädigter im selben Betrieb (§ 105 SGB VII), zum Beispiel als Kollegen, oder auf einer gemeinsamen Betriebsstätte (§ 106 Abs. 3 SGB VII) tätig sind. Hintergrund für dieses Privileg ist zum einen, dass der Betriebsfrieden nach Arbeitsunfällen gewahrt – und nicht durch Rechtsstreitigkeiten erschüttert – werden soll, und zum anderen, dass allein der Arbeitgeber die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung trägt und ihm daher eine gewisse Haftungserleichterung eingeräumt werden soll.
Das OLG Nürnberg nahm keine vorsätzliche sondern nur eine fahrlässige Verursachung des Unfalls an. Daher hätte der Arbeitgeber im vorliegenden Fall aufgrund des geschilderten Haftungsprivilegs nicht für die Unfallfolgen einstehen müssen, wäre er ebenfalls verklagt worden. Dieses Privileg standen die Richter der Fachkraft nicht zu. Sie sei als externer Berater weder in demselben Betrieb tätig gewesen noch habe eine gemeinsame Betriebsstätte vorgelegen. Die Fachkraft sei als Dienstleister engagiert worden, vergleichbar einem Handwerker oder sonstigen Dienstleister, der keine betriebliche Arbeit ausführt sondern lediglich in den Räumlichkeiten des Betriebs tätig ist. Auch die Voraussetzungen einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne einer Gefahrengemeinschaft sah das Gericht als nicht gegeben an.
Dennoch verneinte das OLG eine hundertprozentige Haftung der Fachkraft für Arbeitssicherheit und kürzte den Anspruch der Unfallversicherung gegen die Fachkraft (und den Hersteller der Maschine) um ein Drittel – dem Verantwortungsteil des Arbeitgebers. Die Vorinstanz, das Landgericht Nürnberg, hatte dem Arbeitgeber noch jegliches Mitverschulden abgesprochen. Er habe seine Überwachungspflichten auf die externe Fachkraft übertragen und auf deren Bewertung („keine sicherheitstechnischen Mängel“) vertrauen dürfen. Dieser Ansicht widersprach das OLG. Denn das Sicherheitsdefizit habe „offen zutage“ gelegen und sei daher leicht zu erkennen gewesen. Zudem kam es im Betrieb häufig vor, dass gewellte Kartonagen verwendet wurden, die von Hand in den Einzugsschlitz gesteckt werden mussten. Diese Praxis hätte der Arbeitgeber „strikt unterbinden“ müssen. Stattdessen hatte er dem verletzten Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz mit augenscheinlichen Sicherheitslücken zugewiesen.
Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass die Fachkraft für Arbeitssicherheit (neben dem Hersteller) als Gesamtschuldner vollumfänglich hafte. Der Arbeitgeber sei wegen des Haftungsprivilegs von der Haftung ausgenommen, obwohl auch er den Unfall mitverschuldet hatte. Um diesen Nachteil gegenüber Fachkraft und Hersteller auszugleichen, kürzte das Gericht deren Haftungsanteil um ein Drittel.
Bedeutung für die Praxis
Besonders an dem vorliegenden Urteil sind – neben den haarsträubenden Fehlern von Hersteller, Arbeitgeber und Fachkraft für Arbeitssicherheit – die Ausführungen des OLG zur Haftung von Arbeitgeber und Sicherheitsfachkräften. Die Sifa ist im Gegensatz zum Arbeitgeber nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften nicht haftungsprivilegiert und hat bereits bei einfacher Fahrlässigkeit einzustehen. Nur eine „interne“ Fachkraft für Arbeitssicherheit (ein Arbeitnehmer aus dem Betrieb) ist bei fahrlässigem Verschulden wie der Arbeitgeber privilegiert und damit von der Haftung befreit.
Um diesem Ungleichgewicht zu entgehen, muss eine externe Fachkraft stets auf die Vertragsausgestaltung mit dem Arbeitgeber achten. Denn der Vertrag ist Grundlage für die eventuelle Haftung. Ein externer Dienstleister muss den Arbeitgeber nur über das ordnungsgemäß beraten, was im Vertrag festgelegt ist. Darüber hinaus besteht keine Beratungspflicht und folglich bei Unfällen auch keine Haftung. Wenn der Dienstleister der Auffassung ist, die Überprüfung einer Betriebsanlage sei nicht Bestandteil seines Auftrags und er deswegen keine Verantwortung für deren Arbeitssicherheit übernehmen will, hat er den Vertragspartner darauf eindeutig hinzuweisen. Im Übrigen empfiehlt sich natürlich auch der Abschluss einer geeigneten Haftpflichtversicherung, die auch zum Gegenstand des Vertrags zwischen externer Fachkraft und Arbeitgeber gemacht werden kann.
Das Urteil hebt aber auch hervor, dass sich Arbeitgeber durch die Übertragung von Arbeitsschutzpflichten auf Fachkräfte für Arbeitssicherheit (seien es intern oder extern Beauftragte) nicht ihrer Verantwortung entledigen können. Sie sind nur dann von der Haftung befreit, wenn ihr Verschulden auf Fahrlässigkeit beruht. Dies entspricht der bestehenden Rechtslage.
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