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Hat sich ein Unternehmen entschlossen, ein Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) im Betrieb einzuführen, müssen bereits im Vorfeld der eigentlichen Umsetzung viele Dinge bedacht werden. Der zweite Teil der Serie zu AMS beschreibt daher, wie sich die sogenannte Aufbauorganisation in nur fünf Schritten durchführen lässt.
Joerg Hensiek
Schritt 1: Bestandsaufnahme
Im Rahmen der Einführung eines Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS) sind Regelungen und Festlegungen zu treffen und zu dokumentieren. Durch die Regelungen des Gesetzgebers und der Unfallversicherungsträger bestehen bereits eindeutige Vorgaben, wie der Arbeits- und Gesundheitsschutz umzusetzen ist. Diese Regelwerke sind die Eckpfeiler eines jeden betrieblichen AMS (Ermittlung der einschlägigen Rechtsvorschriften). Die Aufdeckung der potenziell noch bestehenden Abweichungen von den Anforderungen der einschlägigen Regelwerke sind damit schon einmal eine wichtige Basis, um daraus dann Leitlinien für die zukünftigen Maßnahmen zur Umsetzung eines AMS beschließen zu können. Auf dieser Grundlage können die betriebsspezifischen Kompetenzen und Erfahrungen der beteiligten Personen bei der Planung und Umsetzung des AMS genutzt werden, um weitere Ziele und Maßnahmen festzulegen, die über die Erfüllung gesetzlicher und berufsgenossenschaftlicher Regelungen hinausgehen.
Dazu ist es empfehlenswert, die noch bestehenden Abweichungen von den Mindeststandards schriftlich festzuhalten und genau zu beschreiben, wie diese beseitigt werden sollen. Weiterhin sollte festgehalten werden, welche Maßnahmen und Standards bereits umgesetzt sind und wie diese in das AMS sinnvoll integriert werden können.
Schritt 2: Leitlinien festlegen
Wenn sich Unternehmen dazu entschließen, den Arbeitsschutz als Unternehmensziel gleichrangig neben andere Unternehmensziele zu stellen, müssen Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz für alle Führungskräfte und auch die Beschäftigten zu einer verpflichtenden Aufgabe werden. (Arbeits- und Gesundheitsschutz ist Teamarbeit und Führungsaufgabe!).
Um die Ernsthaftigkeit dieses Anliegens zu unterstreichen, sollten daher die Leitlinien nicht nur schriftlich fixiert werden, sondern auch von allen Führungskräften in der Geschäftsleitung und auch den leitenden Angestellten der unterschiedlichen Unternehmensbereiche beziehungsweise Managementebenen unterschrieben werden. Somit wird klar signalisiert, dass die Leitlinien auch wirklich von allen Führungskräften konsequent zu beachten und umzusetzen sind. Das von der Unternehmensführung unterschriebene Dokument sollte am Schwarzen Brett ausgehängt werden beziehungsweise sollten die Leitlinien zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in der Unternehmenspolitik integriert werden.
Schritt 3: Personal und Mittel bereitstellen
Wie wichtig einem Unternehmen ein systematischer Arbeitsschutz ist, zeigt sich darin, wie viel Geld- und Sachmittel sowie Personalressourcen es bereit ist dafür zu investieren. Das bereitgestellte Personal muss überdies die erforderliche Zeit für die Erledigung seiner Aufgaben eingeräumt bekommen. Die Realität in den Betrieben zeigt, dass nicht immer alle Mitglieder der Unternehmensführung willens sind, diese Investitionen zu leisten – auch wenn sie das Dokument zur Festlegung der Leitlinien vorher unterschrieben hatten. Daher ist viel Überzeugungsarbeit im Vorfeld notwendig, denn ohne die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen zum Aufbau und zur Durchführung eines AMS wird es nicht gehen.
Kleinere und mittlere Unternehmen sollten hierfür eine eigene Kostenstelle einrichten, über die die für den Arbeitsschutz erforderlichen Sach- und Personalkosten abgewickelt werden. Damit wird auch nachvollziehbar, mit welchem Aufwand welcher Ertrag erzielt wurde. So ist es leichter Zwischenbilanzen zu ziehen, kontinuierlich die Erfolge des AMS nachzuweisen und somit die Kritiker im Unternehmen auch von der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit eines AMS langfristig zu überzeugen.
In der Anfangsphase sollten, um das Projekt erst einmal in die Gänge zu bringen, die für die Einführung des AMS erforderlichen Mittel ebenfalls schriftlich bestätigt werden. Es ist sinnvoll, diese Budgetfrage bereits in der Debatte um die Leitlinien zu integrieren und festzuschreiben.
Welche Ressourcen sind nun unbedingt notwendig, um das AMS schnell und effizient umsetzen zu können?
Zum erforderlichen Personal zählen:
- Beauftragter für das AMS
- Projektteam für den Aufbau und die Einführung des Systems
- Auditoren
- Eventuell auch eine speziell eingerichtete Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung des Systems. (z.B. KVP-Team)
Geld- und Sachmittel sind bereitzustellen für:
- Arbeits- und Besprechungsräume
- Informationsbeschaffung
- Unterlagenerstellung
- Informationsveranstaltungen
- Präsentationen
- Überprüfung, Überwachung, Auditierung und Bewertung des AMS.
Der Beauftragte für AMS hat generell die Aufgabe, für den optimalen organisatorischen Aufbau und Ablauf des Managementsystems zu sorgen. Vor diesem Hintergrund überwacht er kontinuierlich den Erfolg des Systems und leitet, falls erfor-derlich, Verbesserungs- und Korrekturmaßnahmen ein. Dazu sollte er alle möglichen Freiheiten bekommen und mit seinen diesbezüglichen Anliegen jederzeit bei der Unternehmensführung vorstellig werden können. Im Gegenzug ist er aber dazu verpflichtet, der Unternehmensleitung kontinuierlich über die Entwicklung des Systems Bericht zu erstatten, so dass für alle relevanten Akteure im Betrieb eine laufende Bewertung des AMS möglich ist.
Darüber hinaus sollte sich der Beauftragte dafür einsetzen, dass alle Maßnahmen und Fortschritte bei der Umsetzung des AMS zeitnah der Belegschaft kommuni-ziert werden und dass die Beschäftigten, wo immer es notwendig ist, in die Realisierung des Systems einbezogen werden.
Wer sollte dieser Beauftragte für AMS sein? Diese Aufgabe könnte zum einen eine Fachkraft für Arbeitssicherheit erledigen. Es ist aber auch durchaus angebracht, die Funktion des Beauftragten für AMS im Betrieb auch derjenigen Person zu überantworten, die bereits Erfahrung mit der Implementierung anderer Managementsysteme im Unternehmen hat – also dem Beauftragten für Qualitätsmanagement oder Umweltschutzmanagement. Dies gilt insbesondere dann, wenn das AMS mit den anderen Managementsystemen im Betrieb verknüpft werden soll, also ein integriertes Managementsystem entstehen soll, was grundsätzlich zu empfehlen ist.
Schritt 4: Festlegen und Vereinbaren von Schutzzielen
Die vom Unternehmen festgelegten Leitlinien zur Prävention im Arbeits- und Gesundheitsschutz sind selbstverständlich lediglich Vorgaben, die nur mittels konkreter Maßnahmen gelebte Arbeitsschutzkultur im Betrieb werden können.
Dazu müssen zunächst einmal vor dem Hintergrund der betriebsspezifischen Bedingungen und Ausgangslage einzelne konkrete und bewertbare Schutzziele festgelegt werden, für deren Umsetzung in einem weiteren Schritt die passenden Maßnahmen konzipiert werden. Um die festgelegten Ziele so schnell wie möglich zu erreichen, müssen zwischen denjenigen Führungskräften und Beschäftigten, die für die weitere Umsetzung des AMS verantwortlich sind, Zielvereinbarungen getroffen werden. Grundlage für diese Ziele sind die Unternehmensleitlinien zum AMS, das Vorschriften- und Regelwerk durch den Gesetzgeber und die Unfallversicherungen sowie die eigenen betrieblichen Erfahrungen und Erkenntnisse in Bezug auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz.
Weiterhin müssen Fristen für das Erreichen dieser Ziele und diejenigen Führungskräfte benannt werden, die für die Umsetzung der festgelegten Ziele die Hauptverantwortung tragen und das gesamte Projekt koordinieren sollen. Um das fristgerechte Erreichen der Ziele wirksam überprüfen zu können, sollten auch an dieser Stelle alle Vereinbarungen schriftlich festgehalten werden.
Was sind nun relevante Ziele für den Arbeitsschutz, die zudem auch quantitativ überprüfbar wären? Derartige Schutzziele für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb können zum Beispiel sein:
- Senkung der Unfallzahlen, der Unfallhäufigkeit oder der Unfallschwere um einen bestimmten Wert in einem bestimmten Erfassungszeitraum
- Reduzierung der Ausfallzeiten bezogen auf geleistete Arbeitsstunden, Arbeitsunfähigkeitstage, Erhöhung der Anwesenheitsquote
- Senkung von Zusatzkosten oder Umsetzung von Einsparungen durch Zuschläge und Nachlässe des zuständigen Unfallversicherungsträgers, Kosten für Aushilfepersonal, Reparaturkosten
- Minderung der Maschinen- und Anlagenausfallzeiten um einen bestimmten Wert in einem bestimmten Erfassungszeitraum
- Erhöhung der Anzahl von verwertbaren Verbesserungsvorschlägen um einen bestimmten Wert in einem bestimmten Erfassungszeitraum
- Höhere Teilnahme der Beschäftigten an Schulungs- und Unterweisungsmaßnahmen
- Anstieg der Gefährdungsmeldungen durch Beschäftigte, die auf eine potenzielle Unfallgefahr im Unternehmen aufmerksam machen wollen
- Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit
Schritt 5: Risiken und Gefährdungen ermitteln
- Der Schritt 5 leitet bereits über in die Ablauforganisation. Denn mit einer Gefährdungsbeurteilung liegt bereits eine erste Maßnahme vor, um den Arbeitsschutz systematisch zu verbessern, nämlich indem man erst einmal alle Risiken und Gefährdungen identifiziert, die im Rahmen des AMS bekämpft werden sollen.
Eine solche „Schwachstellenanalyse“ ist die Basis für einen richtig verstandenen Präventivschutz, denn nur mit Kenntnis aller bestehenden Gefährdungen und ihrer Risiken lassen sich einerseits Maßnahmen konzipieren, die nicht nur den Arbeits- und Gesundheitsschutz in der betrieblichen Praxis wirklich verbessern, sondern zusätzlich auch eine Prioritätenliste erstellen, die angibt, welche Maßnahmen vorrangig vor anderen umgesetzt werden müssen (akute Gefährdungen).
Für die organisatorische Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung muss im Vorfeld geklärt werden, wer die Gefährdungsbeurteilung durchführt, wie sie methodisch und dokumentarisch umgesetzt wird, wer sich im Anschluss um die Behebung der festgestellten Mängel kümmert und wie die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung an die Mitarbeiter kommuniziert werden. Hierzu ist sinnvollerweise ein Arbeitsteam zusammenzustellen, das sich ganz diesen Aufgaben widmet.
Das ausgewählte Team für die Gefährdungsbeurteilung besteht in den meisten Betrieben aus Mitgliedern des Führungspersonals, den Fachkräften für Arbeitssicherheit, den Sicherheitsbeauftragten und meist auch aus Abteilungsleitern, die über die Gefährdungen in ihren Bereichen häufig besser Bescheid wissen als die Führungskräfte, sowie aus einem Mitglied des Betriebs- beziehungsweise Personalrats. Sehr oft wird die Gefährdungsbeurteilung auch an externe Experten vergeben. Dies entbindet die Unternehmensführung aber nicht von ihrer Pflicht und Verantwortung, selbst Maßnahmen zur Vermeidung oder Reduzierung von Gefährdungen festzulegen, an den Begehungen teilzunehmen und auch den Erfolg der Umsetzung der Schutzmaßnahmen zu kontrollieren.
Die Qualität einer Gefährdungsbeurteilung wird ebenfalls wesentlich davon bestimmt, ob und in welchem Umfang die Beschäftigten in die Ermittlungen an ihrem Arbeitsplatz einbezogen werden. Die Beschäftigten bringen ihre Erfahrung mit den Schwachstellen in ihrer Tätigkeit ein und ermöglichen damit Erkenntnisse zu Gefährdungen und Risiken, die vom externen Betrachter in der Regel nicht zu erkennen sind. Darüber hinaus wird die Akzeptanz von durchzuführenden Maßnahmen erhöht und das Sicherheitsbewusstsein gefördert. Eine Gefährdungsbeurteilung sollte zunächst einmal auf Basis der Arbeitsstrukturen und ‑prozesse im Betrieb Betrachtungs- oder Analyseeinheiten festlegen. Denn in der Regel sollte eine Beurteilung arbeitsplatz- oder tätigkeitsbezogen durchgeführt werden.
Daraus ergibt sich zum einen die Antwort auf die Frage, wo im Betrieb welche Art von Ermittlungen notwendig sind. Und weiterhin wird dadurch geklärt, welche Bereiche als Einheiten gleichen Gefährdungspotenzials betrachtet werden können. Liegen zum Beispiel Arbeitsbereiche vor, in denen überwiegend gleiche Tätigkeiten mit ähnlichem Gefährdungspotential verrichtet werden, bietet es sich an, Tätigkeiten zusammenzufassen. So lässt sich auch effizienter ermitteln, welche Gefährdungen oder Risiken in den festgelegten Struktureinheiten auftreten.
In einem nächsten Schritt muss dann bestimmt werden, ob die im Betrieb bereits verwendeten Maßnahmen ausreichen, die geplanten Schutzziele vor dem Hintergrund der festgestellten akuten oder potenziellen Gefährdungen zu erreichen, oder ob für diese Struktureinheit ganz neue oder zumindest zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind. Mit der Umsetzung der Maßnahmen beginnt dann endgültig die Ablauforganisation, mit der sich der dritte Artikel dieser Serie detailliert beschäftigten wird.
Lesen Sie auch Arbeitsschutzmanagementsysteme Teil 1 — Wie sie die gesamte Unternehmenskultur verändern
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