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Bekanntlich setzt sich der Qualifikationsstatus „Elektrofachkraft“ aus den drei Teilen fachliche Ausbildung, praktische Kenntnissen und Erfahrungen sowie der Kenntnis der einschlägigen Vorschriften, Normen und Bestimmungen zusammen. Darüber hinaus zeigt die Lebenserfahrung, dass beim Umgang mit elektrischem Strom immer etwas passieren kann. Daher ist fraglich, ob eine Elektrofachkraft auch gleichzeitig Ersthelfer sein muss. Weiterhin ist von Interesse was passiert, wenn eine Elektrofachkraft nicht mehr Ersthelfer sein möchte. Direkte gesetzliche Vorschriften sind nicht vorhanden – es gibt kein „Elektrofachkraft-Ersthelfer-Gesetz“. Allerdings lassen sich die Antworten aus den vorhandenen Vorschriftenwerken herleiten.
Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH), Wirtschaftsjurist (LL.B.) Markus Klar
Abgesehen von der moralischen Hilfs-verpflichtung gibt es für jeden (!) die strafbewehrte Pflicht aus §323c StGB, bei Unglücksfällen, Gefahr oder Not Hilfe zu leisten [1]. Die Strafrechtsnorm beschreibt ein tatsächliches Unterlassungsdelikt, das von jedermann begangen werden kann. Die bei unechten Unterlassungsdelikten erforderliche Garantenstel-lung braucht dabei nicht vorzuliegen.
Wer nicht hilft – also es unterlässt zu helfen, obwohl es nach den Umständen möglich und zumutbar gewesen wäre, macht sich strafbar. Man kann sich der Pflicht zu helfen nicht dadurch entziehen, dass man die Verpflichtung von sich weist, weil man keine Ausbildung hat. Die Rolle des betrieblichen Ersthelfers soll die Umsetzung dieser allgemeinen Pflicht unterstützen und die überall latent vorhandene Angst, etwas Fal-sches zu tun, (mit der Folge gar nichts zu tun) überwinden.
1. Allgemeines betriebliches Umfeld
Die Verpflichtung, für Erste Hilfe zu sorgen, betrifft nach §10 ArbSchG sowie §§24 ff DGUV-Vorschrift 1 den Arbeitgeber beziehungsweise Unternehmer. Auch aus §11 der Betriebssicherheitsverordnung lässt sich derartiges ablesen. Nun kann der Arbeitgeber in diesem Fall seine Verpflichtungen nur dann erfüllen, wenn die Beschäftigten mitwirken und der Arbeitgeber darauf einen Anspruch hat. Im Arbeitsvertrag wird man sich zur möglichen künftigen Ersthelferrolle des Beschäftig-ten wohl eher nicht festlegen. Im laufenden Arbeitsverhältnis könnte sich dann trotz arbeitgeberseitigem Weisungsrecht, welches in §106 Gewerbeordnung konkretisiert wird, durchaus Diskussionsbed-arf zur Übertragung dieser Rolle ergeben, wenn nicht anderweitige Rechtsquellen hier flankierend zur Seite stehen.
Nach §15 Abs. 1 ArbSchG hat jeder Beschäftigte allgemeine und nach §16 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG besondere Unterstützungspflichten für Maßnahmen des Arbeitgebers in Sachen Gesundheits- und Arbeitsschutz [2]. Gleiches lässt sich dem §21 Abs. 3 SGB VII entnehmen [3]. Konkretisiert wird dies nun durch §28 Abs. 1 DGUV-Vorschrift 1 [4]. Demnach haben sich Beschäftigte zum Ersthelfer ausbilden und regelmäßig schulen zu lassen.
a) Anspruch
Übersetzt man dies jetzt in einen Anspruch (= das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können … §194 Abs. 1 BGB), so hat der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitneh-mer einen Anspruch, dass letzterer sich als Ersthelfer zur Verfügung stellt und sich ausbilden sowie regelmäßig schulen lässt.
b) Verpflichtung
Umgekehrt hat also der Arbeitnehmer die aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit §§611, 241 Abs. 1, 2, 242 BGB die arbeitsrechtliche Nebenpflicht, sich als Ersthelfer zur Verfügung zu stellen sowie sich ausbilden und regelmäßig schulen zu lassen. Nun sehen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in §26 Abs. 1 DGUV-V1 eine Mindestanzahl an Ersthelfern vor. Fraglich ist daher, ob der Anspruch durch diese Vorgabe begrenzt wird und alle weiteren Arbeitnehmer von der Verpflichtung frei werden. Schon das Wort „mindestens“ deutet darauf hin, dass jederzeit nach oben abgewichen werden kann und darf. Die erläuternde DGUV-Regel 100–001 führt in Kapitel 4.8.1 dazu aus, dass die Art der Gefahren sowie die Struktur und Ausdehnung des Betriebs zu berücksichtigen seien [5]. Daher ist der Arbeitgeber frei, weitere Ersthelfer einzusetzen. Somit kommt es nicht zu einer Begrenzung der Verpflichtung durch die Mindestanzahl.
c) Ausnahme
Satz 3 des §28 Abs. 1 DGUV-V1 konsta-tiert als Ausnahme von der Verpflichtung das Vorliegen persönlicher Gründe. Der Arbeitnehmer kann sich also auf in seiner Person liegende Gründe berufen, um der allgemein bestehenden Verpflichtung, als Ersthelfer tätig werden zu müssen, zu entgehen. Da diese Ausnahmeklausel anspruchsvernichtend wirkt, müssen aber die persönlichen Gründe mindestens glaubhaft dargelegt werden. Die pauschale Behauptung, solche Gründe würden bestehen, reicht somit nicht. Die Aussage „aus persönlichen Gründen“ führt für den Arbeitnehmer nicht weiter. Vielmehr müssen die Gründe entweder offensichtlich sein (z.B. körperliche Einschränkun-gen, die die Ausführung von Maßnahmen der Ersten Hilfe erschweren oder unmög-lich machen) oder offengelegt werden (z.B. versteckte körperliche Einschränkungen, wie Herz-Kreislauf-Probleme oder seelische Probleme, wie die Unfähigkeit Blut sehen zu können, oder traumatische Erlebnisse).
2. Elektrotechnik
Ein Beschäftigter kann nicht Elektrofachkraft sein, ohne Kenntnisse über Erste Hilfe zu besitzen und ohne die unein-geschränkte Bereitschaft, Erste Hilfe zu leisten.
a) DGUV-Vorschrift 3 verweist auf
DIN VDE 0105–100
Die durch Anhang 3 der DGUV-Vorschrift 3 (BGV A3) [6] verbindliche DIN VDE 0105–100 (:2015–10) [7] sieht in Kapitel 4.9 vor, dass beim Betrieb von elektrischen Anlagen Personen vorhan-den sein müssen, die bei elektrischem Schlag oder Verbrennungen durch elektrischen Strom (Lichtbogen) Erste Hilfe leisten können. Verstärkt wird diese Forderung dadurch, dass bei Arbeiten unter Spannung (zur Erinnerung: Bereits das Heranführen von Messspitzen an aktive Teile ist ein Arbeiten unter Spannung) eine Erste Hilfe-Ausbildung zwingend erforderlich ist (Kapitel 6.3.2.101 der DIN VDE 0105–100).
b) Ausbildungsgrundlage
Elektrofachkraft
Gemäß DGUV-Grundsatz 303–001 (früher BGG944) ist die Erste Hilfe auch Bestandteil einer Ausbildung zur Elektrofachkraft (für festgelegte Tätigkeiten) – Erst-Recht-Schluss: was für die Elektrofachkraft für festgelegte Tätigkeiten gilt, gilt schon gleich für die Elektrofachkraft. Letztlich ist auf die betriebliche Gemengelage abzustellen. Es muss sichergestellt werden, dass jederzeit und für jeglichen Verunfallten die Rettung und Erstversorgung bei Unfällen mit elektrischem Strom möglich ist.
Auch die mittlerweile etwas in die Jahre gekommene und sicherlich in manchen Teilen überarbeitungsbedürftige Leitlinie der IVSS Sektion Elektrizität für die Beurteilung der Befähigung von Elektrofachkräften [8] sieht in Kapitel 3.5 vor, dass Elektrofachkräfte Kenntnisse in Erster Hilfe haben und diese regelmäßig auffrischen.
Man kann daher durchaus die Erste-Hilfe-Ausbildung als einen elementaren Bestandteil des Bausteins „fachliche Ausbildung“, also der Befähigung zur Elektrofachkraft ansehen, die auch regelmäßig aufzufrischen ist (§§7, 9, 12 ArbSchG).
c) Ersthelferfunktion
der Elektrofachkraft
Häufig wird nur die Elektrofachkraft Kenntnisse und die Möglichkeit haben, den Stromfluss durch den Verunfallten zu unterbrechen. Eine Elektrofachkraft muss daher immer in der Lage sein, die richtigen Handlungen zur Rettung und Erstversorgung von durch elektrischen Strom Verunfallten durchzuführen. In diese Lage wird sie jedoch nur durch eine Ausbildung zum Ersthelfer sowie anschlie-ßend regelmäßig wiederholte Trainings versetzt. Sofern die Elektrofachkraft im Team mit anderen Elektrofachkräften oder in Interaktion mit elektrotechnischen Laien eingesetzt ist, muss sie also Ersthelfer sein.
d) Fazit
Eine Elektrofachkraft, die keine Ausbildung in Erster Hilfe hat, sich nicht regelmäßig in dieser schulen lässt oder es ablehnt Erste Hilfe zu leisten, ist daher keine Elektrofachkraft und kann auch nicht als solche eingesetzt werden.
3. Rechtsfolgen
Tragen die Gründe, die eine Ausnahme entsprechend §28 Abs. 1 Satz 3 DGUV-Vorschrift 1 ermöglichen sollen, nicht, so liegt bei fortgesetzter Weigerung, sich als Ersthelfer zur Verfügung zu stellen, sich ausbilden und regelmäßig schulen zu lassen, eine Nebenpflichtverletzung vor. Diese könnte nach Abmahnung eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Die Weigerung im konkret eingetretenen Notfall Erste Hilfe zu leisten, stellt nach §323c StGB ohne Ansehung einer irgendwie formell vorhandenen Ersthelferfunktion immer einen Straftatbestand dar.
Sind die dargelegten persönlichen Gründe jedoch schlüssig, besteht keine Verpflichtung, da anderenfalls Unmögliches geschuldet würde. Rechtsgrundsatz: ad impossiblia nemo tenetur – zum Unmög-lichen ist niemand verpflichtet. Hier müsste zuerst eine andere Beschäf-tigungsmöglichkeit geprüft werden, bei der die Ersthelferfunktion nicht wie unter 3. erläutert kausal erforderlich wird. Ein solcher Beschäftigter wird also nicht als Elektrofachkraft einzusetzen sein. Ist ein anderweitiger Einsatz jedoch ohne die Ersthelferfunktion nicht möglich, wäre Anlass für eine personen-bedingte Kündigung gegeben [9].
4. Zusammenfassung
Beschäftigte haben die Verpflichtung, sich als Ersthelfer zur Verfügung zu stellen. Nur beim Darlegen schlüssiger, in der Person des Beschäftigten liegender Gründe werden sie von dieser Verpflichtung befreit. Eine Elektrofachkraft muss jedoch aufgrund der erforderlichen fachlichen Ausbildung immer in der Lage sein, bei Unfällen mit elektrischem Strom zu helfen. Diese Ausbildung ist regelmä-ßig aufzufrischen. Daher ist die Ersthel-ferfunktion mit dem Qualifikationsstatus Elektrofachkraft verknüpft. Wer keine Kenntnisse in Erster Hilfe hat, kann nicht als Elektrofachkraft tätig sein und nicht mit den Aufgaben einer Elektrofachkraft betraut werden.
Literatur
- Strafgesetzbuch
- Arbeitsschutzgesetz
- Siebentes Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung
- DGUV-Vorschrift 1 der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
- DGUV-Regel 100–001 – Erläuterungen zur DGUV-V1
- DGUV-Vorschrift 3 der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
- DIN VDE 0105–100:2015–10
- Leitlinie zur Beurteilung der Befähigung von Elektrofachkräften, herausgegeben von der IVSS Sektion Elektrizität c/o Berufsgenossenschaft BGFE (jetzt BG ETEM)
- Ulrich Preis: Grundlagen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 206
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