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Trauer und Verlust am Arbeitsplatz

Vom Umgang mit einem schwierigen Thema
Trauer und Verlust am Arbeitsplatz

Trauer und Verlust am Arbeitsplatz
Foto: © eyetronic / Fotolia.com
„Trauer ist ein sehr aktuelles The­ma bei uns im Betrieb. Erst vor ein­er Woche haben wir zwei Kol­le­gen beerdigt. Der eine Kol­lege war seit drei Jahren gesund­heits­be­d­ingt in Rente, jed­er kan­nte ihn und er war bei den Kol­le­gen beliebt. Der andere Mitar­beit­er war bei uns als Schicht­meis­ter tätig, allen bekan­nt und auch sehr beliebt. Er hat wegen Unwohl­sein die Fahrt zur Spätschicht abge­brochen und von zuhause angerufen um Bescheid zu geben, dass er nicht zur Arbeit kommt. Zwei Stun­den später haben ihn die Ange­höri­gen tot aufge­fun­den. Herz­in­farkt! Hil­fe von außen wäre wün­schenswert, aber der Sparzwang ist so extrem, dass so etwas derzeit nie genehmigt wird.“ schreibt J. Kirmes, langjähriger Betrieb­sratsvor­sitzen­der und Sicher­heits­fachkraft eines 800-Mann starken Produktionsunternehmens.

Ulrich Welzel

Arbeit­ge­ber, Führungskräfte und Mitar­beit­er hof­fen, der oben geschilderten Sit­u­a­tion nie aus­ge­set­zt zu sein. Aber es trifft viele. Denn: Seit zehn Jahren entwick­eln sich die Ster­bezahlen nach oben. 2014 ver­star­ben in Deutsch­land 868.325 Men­schen, davon 130.223 Men­schen im berufs­fähi­gen Alter. In den Zahlen ist die große Anzahl der Fehlge­burten nicht berück­sichtigt. Medi­zin­er rech­nen mit 180- bis 200.000 Fehl- und Tot­ge­burten pro Jahr.

Ansprechpartner Führungskraft

Ver­ster­ben oder trauern Mitar­beit­er, sind Führungskräfte oft­mals die ersten Ansprech­part­ner im Unternehmen, von denen Hil­fe und Unter­stützung erwartet wird. Doch viele Mitar­beit­er fühlen sich am Arbeit­splatz mit ihrer Trauer allein gelassen.
Für Trauernde rück­en die Unternehmens- oder Pro­duk­tion­sziele in den Hin­ter­grund, weil im Trauer­fall Emo­tio­nen im Vorder­grund ste­hen. Führungskräfte sehen sich dann in solchen Extrem­si­t­u­a­tio­nen oft mit der Wut, Erschöp­fung und Unkonzen­tri­ertheit von Trauern­den kon­fron­tiert. Missver­ständ­nisse, Kon­flik­te im Team, Pro­duk­tionsverzögerun-gen und im schlimm­sten Fall zusät­zliche Arbeit­sun­fälle kön­nen die Folge sein. Sprechen Sicher­heits­fachkräfte über psy­chis­che Gefährdungs­fak­toren, soll­ten daher auch The­men wie Tod und Trauer berück­sichtigt wer­den. In Trauer­fällen gilt es, Gefährdungs­beurteilun­gen neu zu bew­erten. Denn unkonzen­tri­erte Mitar­beit­er kön­nen zu einem Sicher­heit­srisiko für sich und andere werden.
Entschei­dend wie schw­er­stkranke und trauernde Mitar­beit­er ihren Ver­lust und ihr Leben bewälti­gen, ist auch die Art und Weise, wie sich das beru­fliche Umfeld ver­hält. Deshalb ist es sin­nvoll Führungskräfte zu befähi­gen, Men­schen im Umgang mit Krankheit, Tod und Trauer am Arbeit­splatz zu begleiten.
Aber Achtung: Führungs- oder Sicher­heits­fachkräfte sollen nicht zu Ther­a­peuten wer­den! Mitar­beit­er der Per­son­al­abteilung, des betrieblichen Eingliederungs­man­age­ments, Betrieb­särzte, Betrieb­sräte, Sicher­heits­fachkräfte und direk­te Vorge­set­zte kön­nen eine unter­stützende Funk­tion ein­nehmen – mehr aber auch nicht. Sin­nvoll ist es, wenn in diesen Sit­u­a­tio­nen externe Kräfte hinzuge­zo­gen wer­den, weil diese emo­tion­al Abstand haben.
Prinzip­iell ist es sin­nvoll, eine Betrieb­skul­tur zu schaf­fen, die Men­schen dazu ermutigt, befähigt und stärkt, sich men­schlich und empathisch zu verhalten.
Mit fol­gen­den Reak­tio­nen soll­ten Führungskräfte rech­nen, wenn Mitar­beit­er trauern:
  • Denken/Fühlen: In der Schock­phase kön­nen Unglaube, deprim­ierende Gedanken, Konzen­tra­tionsprob­leme und das ver­har­ren in der Opfer­rolle an der Tage­sor­d­nung sein.
  • Kör­per­liche Symp­tome: Das Spek­trum der kör­per­lichen Symp­tome und Erkrankun­gen ist vielfältig. Beispiel­sweise kön­nen Kopf- und Muskelschmerzen, Müdigkeit, erhöhter Blut­druck, Angst davor, ver­rückt zu wer­den oder Ent­per­sön­lichung auftreten.
  • Ver­hal­ten: Das Ver­hal­ten kann geprägt sein von geistiger Abwe­sen­heit bis hin zur Hyper­ak­tiv­ität. Unruhe, über­mäßiger Genuss von Alko­hol, Dro­gen, Nikotin und Medika­menten oder Ver­mei­dung all dessen, was an den Ver­lust erin­nert, kann zu Tage treten. Wenn es einen Arbeit­sun­fall mit Todes­folge gab, der auf­grund schlechter Arbeits­be­din­gun­gen und ‑organ­i­sa­tion ent­standen ist, und wo die Schuld beim Arbeit­ge­ber zu suchen ist, sind Sicher­heits­fachkräfte oft mit Aggres­sio­nen von Betrof­fe­nen konfrontiert.
Beson­ders Fehlge­burten, Kind­stod oder Selb­st­tö­tun­gen im famil­iären Umfeld kön­nen zu sozialer Iso­la­tion von direkt Betrof­fe­nen führen. Alltägliche Vorgänge wie die gemein­same Fahrt zur Arbeit, das Zusam­men­tr­e­f­fen in der Umk­lei­dek­abine oder die Raucher­pause kön­nen für bei­de Seit­en sehr anstren­gend sein. „Der Kol­lege bog in meinen Arbeits­gang ein, sah mich und ging einen anderen Weg zur Mas­chine“ sagt ein trauern­der Vater, dessen Sohn beim Autoun­fall ums Leben kam. Dieses Ver­hal­ten löst bei Betrof­fe­nen oft Ent­täuschung aus. Im Falle von Selb­st­tö­tun­gen kom­men neben der Trauer oft Schuld- und Schamge­füh­le wie auch Selb­stvor­würfe hinzu.
„Jeden Tag haben meine Kol­le­gen mich gefragt wie es mein­er Frau nach dem plöt­zlichen Kind­stod unser­er Tochter geht. Kein­er hat mich gefragt. Aber ich als Vater trauere doch auch!“ sagt Jür­gen B. unter Trä­nen dem extern hinzuge­zo­ge­nen Spezialisten.

Wie lange darf Trauer dauern?

„Sie haben eine harte Zeit hin­ter sich, das wird schon wieder“ sagt der Pro­duk­tion­sleit­er dem Trauern­den, der drei Wochen nach einem Todes­fall in sein­er Fam­i­lie an seinen Arbeit­splatz zurück­ehrt. Doch wie lange getrauert wird, bes­timmt der Betrof­fene. Bei Vorver­ster­ben, zum Beispiel bei Kind­stod oder wenn erwach­sene Kinder vor den Eltern ver­ster­ben, ist mit lan­gen, manch­mal auch mit sehr lan­gen Trauerzeit­en von über 20, 30 Jahren zu rech­nen. Beson­ders an den Geburt­sta­gen, Todesta­gen oder Wei­h­nacht­en kommt die Trauer ver­stärkt auf.

Vorgehen im Todesfall

Ver­stirbt ein Mitar­beit­er im Unternehmen, soll­ten die präven­tiv erar­beit­eten Meldeket­ten in Gang geset­zt wer­den. Wichtig bei der Kom­mu­nika­tion nach Außen: Mit nur ein­er Stimme sprechen!
Die Geschäft­sleitung sollte die Ange­höri­gen per­sön­lich informieren, sich Zeit nehmen und Unter­stützung anbi­eten. Die übri­gen Mitar­beit­er soll­ten vor der Presse informiert wer­den. Nichts ist für Mitar­beit­er schlim­mer, als wenn sie vom Tod des Kol­le­gen aus der Presse erfahren.
Bei Großschadensereignis­sen ste­hen Kris­en­in­ter­ven­tion­steams (K.I.T) der Beruf­sgenossen­schaften, Unfal­lka­ssen und kirch­lichen Träger für durch­schnit­tlich 123 Minuten zur Ver­fü­gung. Danach ste­hen Unternehmensleitung und Führungskräfte alleine da. Unternehmen soll­ten präven­tiv ein betrieblich­es Not­fall­man­age­ment auf­bauen, das Lösun­gen zur Trauer­be­wäl­ti­gung mit einbezieht.

Interne Rituale

Der Trauer einen Raum zu geben ist sehr wichtig für die Kol­le­gen wie für die Ange­höri­gen. Das Gedenken an den Ver­stor­be­nen kann das am Arbeit­splatz aufgestellte Foto, ein klein­er Strauß Blu­men, eine bren­nende Kerze (als Alter­na­tive gibt es LED-Kerzen) und ein Kon­dolenzbuch sein. Abschied­srituale zeu­gen von Wertschätzung, die von vie­len Mitar­beit­ern und Ange­höri­gen pos­i­tiv aufgenom­men wird. Im Not­fall­man­age­ment sollte fest­gelegt sein, wer für diesen Bere­ich als Pate ernan­nt wird und wie lange die Möglichkeit zum Abschied­nehmen öffentlich sicht­bar bleibt.

Geschäftliche Kondolenz

Die schriftliche Kon­dolenz ist das Stiefkind der deutschen Unternehmen­skul­tur. Trauerkarten gel­ten im beru­flichen Umfeld als ein­fach, schnell und unper­sön­lich. Wer als Unternehmens‑, Abteilungs‑, oder Team­leitung kon­doliert, sollte fol­gende sin­nvolle Gliederung nutzen:
  • Angemessene Anrede
  • Beginn und Einleitung
  • Trös­tende Worte
  • Per­sön­liche Würdigung
  • Ehrlich gemeintes Beileid
  • Unter­stützung und Hilfsangebot
  • Aufrichti­gen Abschied
Wer einen neu­tralen Brief­bo­gen, mit einem dezent zurückgenomme­nen Fir­men­l­o­go nutzt, liegt richtig. Der mit Füller geschriebene Kon­dolenzbrief sollte frei von Floskeln und Heuchelei sein. Statt der Frankier­mas­chine sollte das neu­trale Kuvert mit ein­er Brief­marke verse­hen werden!

Persönliche Kondolenz

Als eine der größten Her­aus­forderun­gen für Führungskräfte gilt die per­sön­liche Kon­dolenz. Es ver­langt ein hohes Maß an Empathie diese Sit­u­a­tion zu meis­tern. Für sicheres Auftreten bei ein­er Trauerrede ist eine sehr gute Vor­bere­itung wichtig. Der Kon­dolierende sollte vorher wis­sen, was er inhaltlich, in welchem Ton­fall sagen will.

Beerdigung

Für jeden Mitar­beit­er sollte es eine Selb­stver­ständlichkeit sein, auf die Trauer­feier gehen zu dür­fen. Führungskräfte und Team­leitun­gen ste­hen sog­ar in der Pflicht, da auch gese­hen wird, wer nicht bei der Beerdi­gung dabei war.

Trauer einen Raum geben

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) und Trauer

Ist ein Mitar­beit­er im Jahr länger als sechs Wochen erkrankt, hat er einen geset­zlichen Anspruch auf BEM. Die Konzen­tra­tion des BEM liegt in der Ermit­tlung, wie die Arbeit­sun­fähigkeit über­wun­den und Fehlzeit­en reduziert wer­den kön­nen. 2013 wurde das Arbeitss­chutzge­setz geän­dert. Im Rah­men der betrieblichen Gefährdungs­beurteilung gilt es expliz­it, die Gefährdun­gen, die sich durch psy­chis­che Belas­tun­gen bei der Arbeit ergeben, zu ermit­teln und zu beurteilen (§ 5 ArbSchG).
Da es im BEM kein Mod­ul betrieblich­es Trauer­man­age­ment (BTM) gibt, emp­fiehlt es sich, präven­tiv Maß­nah­men zu entwick­eln, beziehungsweise das BEM dahinge­hend zu erweit­ern. Ein­mal gemacht und for­muliert, was zu tun und zu bedenken ist, hil­ft dann im konkreten Fall enorm.

Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

Zur Für­sorgepflicht des Arbeit­ge­bers gehört es, akut und stark trauernde Mitar­beit­er dort einzuset­zen, wo eine Selb­st-und Fremdge­fährdung aus­geschlossen ist.
Neben den bekan­nten inter­nen Lösun­gen haben sich in der Ver­gan­gen­heit externe Ange­bote zur Trauer­be­wäl­ti­gung als sin­nvoll erwiesen.
Wichtige arbeits­be­zo­gene Entschei­dun­gen soll­ten ver­schoben wer­den, weil es Trauern­den oft schw­er fällt, Entschei­dun­gen zu tre­f­fen. Trauernde Mitar­beit­er erholen sich langsamer.

Perfekte Gesprächsvorbereitung

Kom­mu­nika­tion
BEM-Gespräche, die Trauer zur Grund­lage haben, soll­ten von der Führungskraft per­fekt vor­bere­it­et sein. Wichtig sind die Auswahl des Ortes sowie des Raumes, die Anzahl der Teil­nehmer und ein angemessen­er Gespräch­se­in­stieg. Wertschätzende Kom­mu­nika­tion bedeutet in diesem Fall mit aller Aufmerk­samkeit, ern­st­ge­mein­ter Anteil­nahme und ein­er inneren Bere­itschaft zum Dia­log teilzunehmen. Kör­per­sprache, Stimme, Gestik und Mimik sind wichtige Para­me­ter, auf die zu acht­en ist. Es kann sin­nvoll sein, das Erst­ge­spräch anfangs unter vier Augen zu führen und weit­ere Per­so­n­en später hinzuzuziehen. Die Leitung durch einen exter­nen Mod­er­a­tor emp­fiehlt sich, wenn damit gerech­net wer­den muss, dass es mas­sive Vor­würfe in Rich­tung Unternehmensleitung geben kann.

Fazit

Ignori­erte Trauer, fehlende Unter­stützung und man­gel­nde Wertschätzung bei der Wiedere­ingliederung trauern­der Mitar­beit­er führen oft zu Missver­ständ­nis­sen, Kon­flik­ten im Team und sog­ar zu Kündi­gun­gen. Um eine Wiedere­ingliederung pos­i­tiv zu fördern hat es sich bewährt, wenn die Unternehmensleitung den Kon­takt zum Betrof­fe­nen hält.
Ist abse­hbar, dass ein länger trauern­der Mitar­beit­er zurück ins Unternehmen, in die Abteilung oder das Team kommt, hat es sich als sin­nvoll erwiesen, das eng­ste Team im Umgang mit dem Betrof­fe­nen kom­mu­nika­tiv vorzubereiten.
Die Punk­te soll­ten im Kon­text mit Trauer und auch in einem BEM-Gespräch berück­sichtigt werde:
  • Trauer ist indi­vidu­ell, einzi­gar­tig und vielfältig,
  • Bew­erten Sie nichts! Sie wis­sen nichts! Fra­gen Sie!
  • Schriftliche Kon­dolenz optimieren,
  • Gesprächs­führung mit Wertschätzung und Empathie,
  • Schaf­fen Sie eine Atmo­sphäre von Hil­fs­bere­itschaft und Vertrauen,
  • Bieten Sie verän­derte Arbeit­szeit­mod­elle an,
  • Unter­stützen Sie Ihre Mitar­beit­er und deren Familie,
  • Hal­ten Sie den Kon­takt zu den Betroffenen,
  • Über­wälti­gende Emo­tio­nen soll­ten zu allen Zeit­en und an allen Orten möglich sein.
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