Die Diskussion um Arbeiten 4.0, Digitalisierung und Globalisierung hat dem Thema Arbeitszeitgestaltung neuen Auftrieb verliehen – bis hin zu dem Ruf nach einer Anpassung des Arbeitszeitgesetzes. So gibt es beispielsweise Vorschläge, die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche zu ersetzen, die Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen zu kürzen und die Arbeit ohne Zeiterfassung auf breiter Ebene zu etablieren. Unternehmen versprechen sich davon ein höheres Engagement der Beschäftigten sowie eine Anpassung an die moderne Arbeitswelt. Aber ….
… was wollen die Mitarbeiter?
Im Fokus der Beschäftigten stehen Arbeitszeitmodelle, mit denen sich private und berufliche Anforderungen vereinen lassen. Dabei gehen die Erwartungen auseinander: Während sich die einen regelmäßige Arbeitszeiten wünschen – zum Beispiel weil sie sich nach Betreuungszeiten für ihre Kinder richten müssen –, möchten die anderen maximale Flexibilität, um zum Beispiel Beruf, Ehrenamt und Hobby nachgehen zu können. Durch Smartphone und Tablets ist es möglich, sowohl tagsüber Privates als auch abends Geschäftliches zu erledigen. Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und privater Zeit verschwinden.
Unfallrisiko und Arbeitszeit
Auch wenn Wirtschaft und Lebensstil sich ändern: Der menschliche Biorhythmus mit seinem uralten Wechsel von Leistung und Regeneration bleibt.
Zahlreiche Studien belegen den Nutzen der Acht-Stunden-Faustregel für einen regelmäßigen Arbeitstag. Nach etwa acht Stunden Arbeitszeit nimmt die Effektivität deutlich ab, Ermüdung und Unfallgefahr steigen. Aktuelle Studien legen nahe, dass eine ständige Unterbrechung der Ruhezeiten zwischen zwei Arbeitstagen, zum Beispiel durch abendliches „E‑Mail-Checken“ oder Telefonkonferenzen mit Übersee, den Regenerationsprozess signifikant stört.
Weiterhin belegen Untersuchungen: Je fremdbestimmter die Arbeitszeit, desto höher ist das Unfallrisiko.
Gestaltbarkeit ist Trumpf
Sinnvoll sind daher alle Modelle, die auf eine möglichst hohe Gestaltungsfreiheit der Beschäftigten setzen. Bewährt haben sich relativ einfache Modelle wie Gleitzeit oder Arbeitszeitkonten. Häufig anzutreffen sind auch Variationen der Vertrauensarbeitszeit. Hier liegt die Arbeitszeiteinteilung komplett beim Beschäftigten, selbstverständlich unter Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Es liegt auf der Hand, dass dieses Modell nicht überall umsetzbar ist: Im Einzelhandel geben beispielsweise die Öffnungszeiten die Arbeitszeiten vor. Geeignet ist das Modell daher für Berufe, die ohne direkten Kundenkontakt und enge Abhängigkeit mit anderen Unternehmensbereichen erfolgreich arbeiten können. Leider wird das Modell oft fehlinterpretiert und mit dem Verzicht auf eine Arbeitszeitdokumentation gleichgesetzt. De facto ist diese Variante nicht konform mit dem Arbeitszeitgesetz und führt fast immer zu längeren Arbeitszeiten.
Eine weitere Alternative ist die Funktionszeit: Hier erarbeiten Führungskräfte und Beschäftigte für jeden Arbeitsbereich, welche Besetzungsstärke an welchem Wochentag zu welcher Uhrzeit erforderlich ist, damit der Bereich seine betriebliche Funktion möglichst kundengerecht ausüben kann. Darauf aufbauend können die Beschäftigten ihre Arbeitszeiten flexibel aufeinander abstimmen. Zunehmend nachgefragt werden außerdem Modelle wie Homeoffice oder Sabbaticals.
Was taugt welches Modell?
Die Güte eines Arbeitszeitmodells misst sich an der Erfüllung der folgenden vier Aspekte (vgl. auch Linktipp):
- Rechtssicherheit: Entspricht das Modell den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes und den tariflichen Vereinbarungen?
- Gesundheitsorientierung: Unterstützt das Modell die Gesunderhaltung der Beschäftigten?
- Wirtschaftlichkeit: Unterstützt das Modell den wirtschaftlichen Betrieb des Unternehmens? Werden „leere“ Arbeitsstunden oder Überstunden vermieden?
- Beschäftigtenorientierung: Wird der Arbeitgeber mit dem Arbeitszeitmodell als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen?
Die Rechtssicherheit stellt eine Muss-Anforderung dar. Zwischen den weiteren Güteparametern bestehen vielmals Interessenskonflikte. Hier hat es sich bewährt, mehrere Alternativen zu entwickeln, deren Stärken-Schwächen-Profil mit allen Interessensvertretern im Unternehmen zu diskutieren und nach tragbaren Kompromissen zu suchen.
Neue Arbeitszeitmodelle
Zur Entwicklung eines Arbeitszeitmodells haben sich Arbeitsgruppen bewährt, an der mindestens die Geschäftsführungsebene, der Personalbereich sowie Betriebsrat oder Mitarbeitervertreter des betroffenen Bereichs beteiligt sind, idealerweise aber auch Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Diese Gruppe erarbeitet ein Anforderungsprofil für das Arbeitszeitmodell, entwickelt Alternativen, diskutiert Vor- und Nachteile und priorisiert daraufhin alle Möglichkeiten. Bei sehr umfassenden Neuerungen empfiehlt sich eine frühzeitige Einbindung der Beschäftigten. Das attraktivste Modell wird dann im Detail ausgearbeitet und in einer Testphase geprüft, bevor eine Betriebsvereinbarung in Kraft tritt.
Insbesondere die Gefährdungsbeurteilung bietet den betrieblichen Akteuren des Arbeitsschutzes einen idealen Rahmen, um das Arbeitszeitregime des Unternehmens auf den Prüfstand zu stellen:
- Wie passen inhaltliche Anforderungen und Arbeitszeitmodell zusammen?
- Führt eine starre oder zu weite Arbeitszeitregelung zu Stress?
- Werden Homeoffice-Regelungen auch im Hinblick auf ihre Arbeitssicherheit betrachtet?
Betriebsräte und Betriebsärzte können als Partner für dieses Thema gewonnen werden. Bei sichtbarem Handlungsbedarf können über die Geschäftsführung oder über den Betriebsrat, der nach Betriebsverfassungsgesetz ein Mitbestimmungsrecht für die Arbeitszeitgestaltung besitzt, externe Experten für Arbeitszeitgestaltung eingebunden werden, die dem Unternehmen die nötige Expertise für gute Lösungen zur Verfügung stellen.
Literaturtipps zum Thema Arbeitszeit:
A. Wirtz, F. Nachreiner, B. Beermann, F. Brenscheidt, A. Siefer: Lange Arbeitszeiten und Gesundheit, 2009. Download unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fokus/artikel20.html
A. Wirtz: Gesundheitliche und soziale Auswirkungen langer Arbeitszeiten.
1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2010. Downlaod unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Gd59.html
D. Janßen, F. Nachreiner: Flexible Arbeitszeiten, Dortmund, Berlin, Dresden 2004. Download unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Schriftenreihe/Forschungsberichte/2004/Fb1025.html
R. Rau: Zum Stellenwert von Erholung in der Welt der Arbeit 4.0. Onlinepublikation, 2017.
https://www.metropolis-verlag.de/Zum-Stellenwert-von-Erholung-in-der-Welt-der-Arbeit‑4.0/13896/book.do; jsessionid=A260D68CABD355961A13096257AD3EC0 (kostenpflichtig)
Hassler, M. & Rau, R. (2016). Ständige Erreichbarkeit: Flexibilisierungsanforderung oder Flexibilisierungsmöglichkeit? Wirtschaftspsychologie, 2–2016, 24–35. Download unter
https://www.researchgate.net/publication/304626867_Standige_Erreichbarkeit_Flexibilisierungsanforderung_ oder_
Flexibilisierungsmoeglichkeit
H. Strobel: Auswirkungen von ständiger Erreichbarkeit und Präventionsmöglichkeiten. iga-Report 23, 2013. Download unter: https://www.iga-info.de/veroeffentlichungen/igareporte/igareport-23-teil‑2/
Autorin: Simone Back
Arbeitszeitexpertin
RKW Hessen GmbH
E‑Mail: S.Back@rkw-hessen.de
Linktipp
Informationen zu flexiblen Modellen, Wechselwirkungen zwischen Arbeitszeit und Gesundheit sowie Praxisbeispiele bietet die Wissensplattform
www.arbeitszeit-klug-gestalten.de
Unter der Rubrik „Selbst checken“ ist ein Tool kostenfrei abrufbar, mit dem die Qualität eines Arbeitszeitmodells geprüft werden kann. Neben Einschätzungen zu Rechtssicherheit, Gesundheit, Wirtschaftlichkeit und Beschäftigtenorientierung gibt das Tool auch Hinweise zu Stärken und Verbesserungspotenzialen eines Arbeitszeitmodells.