Zuerst einmal: Was sind die Aufgaben einer Schwerbehindertenvertretung?
Die Aufgaben sind sehr vielfältig. Ich kann hier nur die wichtigsten aufführen. Vor Ort betreuen wir die schwerbehinderten und gleichgestellten Kolleginnen und Kollegen bei allen Fragen zur Gesundheit, beraten sie unter anderem auch bei Anträgen an Behörden. Außerdem unterstützen wir sie, für sie passende Arbeitsplätze im Betrieb zu bekommen. Wir sprechen aber ebenso mit den Vorgesetzten, wenn diese Fragen haben. Sofern die Betroffenen dies wünschen, sind wir bei Personalgesprächen dabei. Und wir sind beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement, abgekürzt BEM, natürlich eine Größe, denn neben dem Werksarzt und der Sozialberatung haben auch meine Kollegen und ich sehr viel Wissen, zum Beispiel über gute Ärzte, Kliniken oder Rehakliniken. Darüber hinaus steht es uns vom Gesetz her zu bei jeder Sitzung des Betriebsrats dabei zu sein.
Arbeiten Sie noch mit weiteren Stellen im Betrieb zusammen?
Mit dem Arbeitsschutz, dem Werksarzt, der Sozialberatung wie auch der Unternehmensleitung tauschen wir uns regelmäßig aus, zum Wohl der betroffenen Menschen.
Gibt es eine bestimmte Anzahl Schwerbehindertenvertreter pro Schwerbehinderte im Betrieb?
Früher nicht. Als Sprecher des Arbeitskreises der Schwerbehindertenvertretungen der Automobilindustrie habe ich vier Jahre an der Entstehung des Bundesteilhabegesetzes, BTHG, mitgearbeitet, das seit Ende 2016 in Kraft ist. Es legt fest, dass pro 100 Mitarbeiter ein Stellvertreter gewählt werden kann. Das heißt, bei uns hier am Standort Bremen mit 960 Schwerbehinderten könnte ich den Wahlvorstand bitten, neun Stellvertreter aufzustellen. Der Wahlvorstand trifft dann natürlich nach wie vor die Entscheidung über die Anzahl der zu wählenden Stellvertreter. Eine Schwerbehindertenvertretung muss es laut Sozialgesetzbuch in Betrieben und Dienststellen mit mindestens fünf beschäftigten schwerbehinderten Menschen geben.
Also war die Einführung des Bundesteilhabegesetzes ein Erfolg?
Für uns und unsere Arbeit ja. Die Schwerbehindertenvertretung, abgekürzt SBV, hat seit Inkrafttreten des Gesetzes zum Beispiel erweiterten Anspruch auf Schulungen. Auch die Tatsache, dass die Kündigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen jetzt ungültig ist, wenn die SBV nicht beteiligt wurde, ist sehr positiv. Sie hat zudem die Aufmerksamkeit der Unternehmen mehr auf die Schwerbehindertenvertretung gerichtet.
War es früher nicht auch schon schwierig, Schwerbehinderten zu kündigen?
Es musste auch schon früher die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt werden. Aber es hatte keine Rechtsfolge, wenn der Arbeitgeber die SBV am Verfahren nicht beteiligt hat. Wir wissen aber in der Regel sehr gut über die Menschen, die wir betreuen, und ihr Gesundheitsbild Bescheid, weil sie sich uns gegenüber sehr öffnen. Deshalb ist es immer für alle Seiten von Vorteil, die SBV zu beteiligen. In großen Unternehmen passiert das meiner Einschätzung nach schon lange. Ich weiß aber, dass sich kleinere und mittelständische Unternehmen noch sehr schwer tun, der SBV die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihr eigentlich zukommen sollte.
Hat die Zahl der schwerbehinderten Menschen am Daimler-Standort Bremen eigentlich zugenommen?
Ja, aber nicht, weil übermäßig viele Schwerbehinderte eingestellt wurden, sondern weil die Belegschaften immer älter werden und damit nicht gesünder. Als ich im Jahr 1994 in die SBV hier am Standort als Stellvertreter gewählt wurde, hatten wir bei einer Belegschaftsgröße von rund 18.500 etwa 200 schwerbehinderte Menschen. Heute sind es bei einer Belegschaft von circa 14.000 etwa 960, also fast acht Prozent.
Was sind deren häufigste Probleme?
Früher waren Muskel-Skelett-Erkrankungen der häufigste Grund, warum Kolleginnen und Kollegen nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz arbeiten konnten. Leider, wie in der Gesellschaft überhaupt, gibt es immer mehr psychische Auffälligkeiten. Dazu kommen natürlich Erkrankungen wie Krebs usw.
Sie sind zusätzlich zu ihrem Amt in Bremen bei der Daimler AG Konzern- und Gesamtschwerbehindertenvertreter. Wofür engagieren Sie sich dort?
Wir versuchen im gesamten Unternehmen bestimmte Dinge vorzubereiten, zu fordern und mit dem Unternehmen zusammen umzusetzen, wie jetzt zum Beispiel das Thema Barrierefreiheit und schon seit vielen Jahren die Ausbildung von jungen schwerbehinderten Menschen. Da sind wir sehr erfolgreich. Seit dem Jahr 2006 wurden bei Daimler gesamt über 320 junge Menschen, das sind etwa 24 pro Jahr, ausgebildet und nach der Ausbildung in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Das ist, bezogen auf ein Wirtschafts- Dax- Unternehmen, einzigartig in Deutschland.
Was sehen Sie in der Zukunft als größte Herausforderung?
Auch einfachere Tätigkeiten in den Unternehmen zu erhalten und ausführen zu lassen. Wenn wir immer mehr Schwerbehinderte beschäftigen wollen und müssen, brauchen wir auch entsprechende Arbeitsplätze.
Was ist Ihnen besonders wichtig?
Die Ausbildung von schwerbehinderten Menschen. Ich wünsche mir, dass es auch für sie einen leichteren Übergang von der Schule in Arbeit gibt, und zwar auf dem ersten Arbeitsmarkt. Für mich hat jeder eine reelle Chance verdient. Es ist auch wichtig, dass man Menschen hat, auf die man sich verlassen kann. Schwerbehinderte, die eine Ausbildung bekommen, wissen das sehr zu schätzen und sind dem Arbeitgeber treu. Der muss dann im Gegenzug das ein oder andere berücksichtigen.
Steckbrief:
Alfons Adam ist seit 1981 bei Mercedes in Bremen tätig. Dort war er zunächst Stellvertreter, ab 2000 Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen. 2007 wurde er Gesamt- und 2011 auch Konzernvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Daimler AG. Als Sprecher des Vorstandes des Arbeitskreises der Schwerbehindertenvertretungen der deutschen Automobilindustrie war er an vielen Projekten der Branche beteiligt, unter anderem zur Inklusionsvereinbarung, zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM), zur Ausbildung ohne Barrieren sowie an PINA, einem Demografie-Projekt. Ebenso an verschiedenen Gremien, Initiativen und Gesetzen, wie der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Bundesteilhabegesetz (BTHG).
Wahl der Schwerbehindertenvertretung
Wahlberechtigt sind alle Schwerbehinderten im Betrieb. Ausführliche Informationen dazu gibt es unter anderem auf