Der demografische Wandel wirkt sich aus: Unternehmen meistern heute die wirtschaftlichen Herausforderungen mit durchschnittlich älteren Belegschaften. Beschäftigte sollen und können länger aktiv im Erwerbsleben stehen. Wenn sie aber nicht nur bis zur späteren Rente „durchhalten“, sondern länger gut, gern und wohlbehalten zum Unternehmenserfolg beitragen sollen, dann muss dafür, rechtzeitig und kontinuierlich, gesorgt werden.
Arbeitsbewältigung ist nämlich kein stabiles menschliches Vermögen. Mit Blick auf das Altern wird deutlich, dass das körperliche Bewältigungspotenzial eines jungen Erwerbstätigen das eines dreißig Jahre älteren Beschäftigten übersteigen kann. Hingegen punktet ein Beschäftigter im höheren Lebens- oder Berufsalter mit Erfahrungswissen, sozialer Kompetenz, beruflicher Routine und/oder Handlungssicherheit. Im Laufe von vierzig Erwerbsjahren wandeln sich eben persönliche Leistungskapazitäten.
Arbeitsbewältigung ist auch keine Persönlichkeitseigenschaft, die ausschließlich die Beschäftigten zum Arbeitsort mitbringen könnten. Mehrere Faktoren – in der Persönlichkeit des Beschäftigten und im Betrieb – sind mitverantwortlich, wie Arbeitsbewältigung aktuell gelingt beziehungsweise sich künftig entwickelt. Beschäftigte können Arbeit anhaltend meistern, wenn die Anforderungen einerseits und persönliche Leistungskapazitäten andererseits zusammenpassen. Jede Überforderung, aber auch jede Unterforderung, stellt auf Dauer ein Risiko für die Arbeitsbewältigung und übrigens auch für die Gesundheit dar. Folgende Faktoren spielen für die Arbeitsbewältigung eine wichtige Rolle:
- Biopsychosoziale Gesundheit
- Kompetenz aus Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrung
- Zufriedenheit mit gelebten und erlebten sozialen Werten
- Arbeits- und Organisationsbedingungen
- Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und privaten Verbindlichkeiten
- Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Diese Faktoren sind die Bausteine des „Hauses der Arbeitsbewältigung“ — das der Wissenschaftler Juhani Ilmarinen entwickelt hat. Gleichzeitig beeinflusst ein Baustein die anderen in ihrer Belastbarkeit. Ein Übermaß an Arbeitsanforderungen drückt auf Dauer auf die gesundheitlichen Kapazitäten. Gut ausgeprägte Kompetenzen ohne berufliche Einsatzmöglichkeit gefährden die Statik des Hauses an der Etage „Werte-Zufriedenheit“. Verändert sich die Etage „Gesundheit“ durch unvorhergesehene Ereignisse (zum Beispiel einen Unfall) oder durch lebens- beziehungsweise altersbedingten Wandel, dann ist dies nicht das Ende der Arbeitsbewältigung. Vielmehr ist dies ein Auftrag für die oder den Beschäftigten und Personalverantwortliche ausgehend vom gewandelten Baustein eine neue, ideale Passung zum gemeinsamen Wohl zu finden.
Selbstredend trägt jede vorsorgliche Stärkung beziehungsweise Vorbeugen eines Verschleißes der Bausteine dazu bei, Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit in einem längeren Erwerbsleben zu erhalten.
Es wird in Zukunft verstärkt Aufgabe für betriebliche Verantwortungsträger und für Beschäftigte sein, die Arbeitsbewältigung nicht dem Zufall zu überlassen, sondern kontinuierlich bedarfsgerechte Passungen herzustellen. Diese Anstrengungen versprechen Nutzen für Gesundheit und Produktivität. Sie beugen individuellen Arbeitsbewältigungskrisen vor und reduzieren Personalrisiken im Unternehmen. Das Arbeitsbewältigungs-Coaching (ab‑c®) hilft dabei mit einem fachlich begleiteten Betriebs- und Personalpflegeprozess, der Beschäftigte jeden Alters und auch das Unternehmen beziehungsweise die betrieblichen Verantwortungsträger anregt, vorsorglich für den Erhalt und die Entwicklung der Arbeitsbewältigung zu handeln.
Beim ab‑c® handelt es sich um ein Prozessberatungswerkzeug. Es zielt darauf, die Selbstbeobachtung und Selbstregulation der Beschäftigten wie auch der betrieblichen Verantwortungsträger zu mobilisieren. Der Weg führt über offen-vertrauensvolle, ergebnis- und lösungsorientierte Förderdialoge im Betrieb. Diese organisiert das ab‑c® in einem zweistufigen Beratungsprozess:
Im ersten Schritt wird allen Beschäftigten ein einstündiges persönlich-vertrauliches Arbeitsbewältigungs-Gespräch mit ausgebildeten und vertrauensgebundenen Beratern angeboten. Es beginnt mit der Ermittlung der aktuellen Arbeitsbewältigung mittels „Work Ability Index“ (Tuomi 2001). Durch die fachliche Begleitung werden dem Beschäftigten seine Arbeitsbewältigung und die Konsequenzen für die Zukunft greifbar. Die anschließenden Leitfragen a) Was können Sie tun, um Ihre Arbeitsbewältigung zu erhalten bzw. zu fördern? und b) Was brauchen Sie dafür vom Betrieb? werden für jede „Etage des Hauses der Arbeitsbewältigung“ (Gesundheit, Entwicklungsmöglichkeiten, Führung/Arbeitsorganisation, Arbeitsbedingungen) gestellt. Aktivierendes Nachfragen soll den Gesprächspartner ermuntern, möglichst konkrete Maßnahmen und erste Realisierungsschritte zu finden. So entsteht ein individueller, bedarfs- und umsetzungsnaher Erhaltungs- und Förderplan.
ab‑c® beginnt beim Einzelnen, aber bleibt dort nicht stehen. Beschäftigte werden nicht allein gelassen. Der ab‑c Berater unterstützt im zweiten Schritt die betrieblichen Verantwortungsträger (Leitungskräfte, Belegschaftsvertretung, Präventionskräfte), sich auf die Fördererfordernis vorzubereiten. In dem etwa vierstündigen Arbeitsbewältigungs-Workshop entsteht ein betrieblicher Aktionsplan als Antwort auf die von der ab-c-Beratung gestellte Leitfrage: Was kann der Betrieb tun / Was können Sie als Verantwortungsträger des Betriebes tun, um die Arbeitsbewältigung der Belegschaft zu fördern? Angestrebtes Ergebnis ist die Konsens-orientierte Vereinbarung einer Maßnahme auf jeder der vier Handlungsetagen. Gestaltungshinweise liefert der Arbeitsbewältigungsbericht. Dieser enthält den anonymisierten, zusammengefassten Arbeitsbewältigungsstatus der ab-c-Teilnehmenden und die freigegebenen Förderthemen.
Da sich Arbeit und Menschen fortwährend ändern, wird geraten, die Arbeitsbewältigung regelmäßig (in einem zwei- bis dreijährigen Rhythmus) zu beobachten und kontinuierlich Passungs-Maßnahmen zu finden und umzusetzen.
Literatur:
Gruber, Brigitta/Frevel, Alexander (2012): Arbeitsbewältigungs-Coaching®. Der Leitfaden zur Anwendung im Betrieb. Hrsg. von BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, INQA-Bericht 38, Berlin.
Ilmarinen, Juhani / European Agency for Safety and Health at Work (2012): Förderung des aktiven Alterns am Arbeitsplatz. Download (14.9.2017): https://osha.europa.eu/de/tools-and-publications/
Tuomi, K./Ilmarinen, J./Jahkola, A./Katajarinne, L. & Tulkki, A. (2001): Arbeitsbewältigungsindex. Work Ability Index. Dortmund/Berlin 2001 (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Übersetzung Ü14).
Kompetenz zur Anwendung des ab‑c®
ab‑c® wird in einem zweitägigen Seminar vermittelt. Voraussetzung für die Teilnahme sind gesundheits- und arbeitswissenschaftliche Grundkenntnisse und Erfahrungen in der Betriebsberatung. Es gilt die Ethik-Regel, dass ausgebildete ab‑c Berater diese Prozesse nie in dem Betriebsbereich durchführen, in dem sie durch kollegiale und/oder disziplinarische Beziehungen die Vertrauens-Voraussetzung nicht einhalten können.