Für viele Beschäftigte gehört Schichtarbeit zum Alltag – entweder im klassischen Vollkonti-Betrieb, in dem rund um die Uhr an allen Tagen der Woche nonstop gearbeitet wird, oder in anderer Form ohne durchgehende Betriebslaufzeit. Welche Belastungen damit verbunden sind, hängt nicht zuletzt von der Gestaltung der Schichtpläne ab. Die folgenden Empfehlungen für die Praxis basieren auf aktuellen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen.
So wenig Nachtarbeit wie möglich
Da die Nachtarbeit eine große körperliche Belastung darstellt, sollte sie so selten wie möglich stattfinden. Manchmal lassen sich Tätigkeiten aus der Nacht in den Tag verlegen – zum Beispiel Materialvorbereitung oder Dokumentation müssen meist nicht zwingend nachts stattfinden. So kann der Anteil von erforderlichen Nachtschichten verringert und die Belastung für die Belegschaft gesenkt werden.
Ist dies nicht möglich, sollten nur wenige Nachtschichten in Folge geplant werden. Empfohlen werden maximal zwei bis drei Nachtschichten nacheinander, auf die dann eine Ruhephase von mindestens 36 oder besser 48 Stunden folgen sollte, um eine ausreichende Erholung zu ermöglichen. Lange Nachtschichtblöcke mit fünf oder mehr Nachtschichten hintereinander ebenso wie Dauernachtarbeit (Arbeit ausschließlich in der Nacht) sind dagegen biologisch und sozial sehr ungünstig.
Vorwärts rotierende Schichtpläne
Unter kurz vorwärts rotierenden Plänen werden Wechsel mit höchstens drei gleichen Schichttypen in Folge in der Reihenfolge von Früh (F) – Spät (S) – Nacht (N) verstanden. Beispiele für solche Schichtpläne sind in den Abbildungen 1 bis 2 dargestellt (die Schichtfolge ist FFSSNNN – – FFSSSNN – – FFFSSNN – – -). Es werden immer maximal drei gleiche Schichten in Folge gearbeitet. Die Pläne unterscheiden sich in der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit, der Anzahl benötigter Schichtgruppen und der Länge der Arbeitsblöcke: Je nach Wochenarbeitszeit dauern die Arbeitsblöcke zwischen sechs (Abbildung 2) und sieben Tage (Abbildung 1), und die Ruhephasen zwischen zwei Schichtblöcken zwei (Abbildung 1) und vier Tage (Abbildung 2).
Lange Arbeitsblöcke vermeiden
Eine kurz vorwärts rotierende Schichtfolge ist biologisch günstig, da der Vorwärtswechsel immer 24 Stunden Ruhezeit zwischen zwei Schichttypen ermöglicht. Für das Sozialleben sind immer mindestens zwei freie Abende pro Woche eingeplant. Im Gegensatz dazu sind soziale Aktivitäten bei einer kompletten Woche Spätschicht kaum möglich. Verkürzte Ruhezeiten wie sie bei Rückwärtsrotation entstehen (zum Beispiel von der Nacht- in die Spätschicht oder von Spät- zur Frühschicht) sollten vermieden werden. Ideal sind fünf bis sechs, jedoch nicht mehr als sieben Tage Arbeit in Folge. Denn die hohe Belastung durch solch lange Arbeitsblöcke wird auch durch längere Freizeit danach nicht aufgewogen.
Kürzere Arbeit bei schweren Tätigkeiten
Ist die Arbeitsbelastung besonders hoch – zum Beispiel bei schwerer körperlicher Arbeit, andauernder Aufmerksamkeit, hohem Fehlerrisiko – sollten die Arbeitszeiten nicht zu lang sein. Insbesondere Zwölf-Stunden-Schichten sind unter derartigen Bedingungen mit einem hohen Unfallrisiko verbunden.
Pausen können Belastung senken
Arbeitspausen sind ein wichtiges Mittel, um die Arbeitsbelastung zu senken. Fallen Arbeitspausen hingegen komplett aus, steigt das Risiko für Arbeitsunfälle und gesundheitliche Beeinträchtigungen. Häufige, kurze Pausen zusätzlich zur Essenspause (zum Beispiel jede Stunde oder alle 90 Minuten fünf Minuten Pause) verbessern das körperliche Befinden und erhöhen die Produktivität bei der Arbeit. Die Produktivitätssteigerung kann dabei die durch die Pausen verlorene Arbeitszeit ausgleichen.
Einflussmöglichkeiten erhöhen Zufriedenheit
Arbeitszeiten an die eigenen Bedürfnisse anpassen zu können, kann die Zufriedenheit mit der Arbeitszeit deutlich erhöhen und sich positiv auf die Gesundheit und Work-Life-Balance auswirken. Einflussmöglichkeiten sind zum Beispiel: Schichten tauschen, Einsatzwünsche äußern, Zusatz- oder Einbringschichten selbst legen oder zwischen mehreren Arbeitszeitmodellen (oder Schichtplänen) wählen können.
Auch bei Schichtarbeit kann Gleitzeit möglich sein. Besonders bei Aufgaben mit Dienstleistungscharakter wie zum Beispiel Logistik, Reinigung oder Programmierung können Arbeitsabläufe in gewissem Rahmen flexibel gestaltet werden. Beispiele sind:
- eine Kernzeit für bestimmte zeitkritische Aufgaben mit ansonsten freier Zeiteinteilung
- ein fester Schichtplan mit einzelnen Tagschichten, die keine festen Anfangs- und Endzeiten haben
- Gruppenarbeit mit Gleitzeit nach Absprache (zum Beispiel kann jemand später kommen oder früher gehen, wenn es die Arbeit erlaubt und das Team einverstanden ist)
Zeit- statt Geldzuschläge
Je höher die wöchentliche Arbeitszeit ist, desto höher ist die Gesamtbelastung und desto schwieriger ist eine gesundheitserhaltende Schichtplangestaltung. Bei 40 Stunden und mehr pro Woche ist es praktisch kaum noch möglich, vollkontinuierliche Schichtpläne nach arbeitswissenschaftlichen Kriterien zu gestalten.
Zusätzliche Freizeit kann helfen, die Belastungen durch Schichtarbeit auszugleichen. In der Regel werden Zuschläge und Zulagen für bestimmte Arbeitszeiten gezahlt, wie etwa für Nacht- und Sonntagsarbeit. Rechnet man diese Geldzuschläge stattdessen in Zeitzuschläge um („Faktorisierung von Zeitzuschlägen“) die auf ein Zeitkonto fließen, lässt sich ein Zeitguthaben aufbauen, das durch ganze freie Tage oder kürzere Wochenarbeitszeiten abgebaut werden kann. So sinkt die Gesamtbelastung und die negativen gesundheitlichen Folgen von Schicht- und Nachtarbeit können verringert werden. Bei diesem Modell ist jedoch eine ausreichende Personaldecke sehr wichtig, um die zusätzliche Freizeit realisieren zu können, ohne für die anwesenden Beschäftigten eine höhere Belastung zu schaffen.
Teilzeitkräfte einbinden
Auch bei Schichtarbeit kann Teilzeit gearbeitet werden. Wenn etwa zu bestimmten Tageszeiten mehr Personen benötigt werden, können Teilzeitkräfte als Ergänzung zum „regulären“ Schichtplan eingesetzt werden, um Spitzen abzudecken. Auch das Teilen eines Vollzeitplans zwischen zwei oder mehr Teilzeitkräften ist recht leicht möglich.
Zeit statt Geld
Die Schichtplangestaltung nach arbeitswissenschaftlichen Empfehlungen kann die gesundheitlichen Risiken und das Unfallrisiko senken und das Sozialleben der Beschäftigten verbessern. Besonders wichtig ist dabei, die Arbeitszeitdauer an die Belastung anzupassen und die Nachtarbeit zu minimieren. Ein Ausgleich der Belastung in Zeit statt Geld kann die Gesundheit und Zufriedenheit weiter erhöhen.
Praxisbeispiel aus der Stahlindustrie
Den direkten Zusammenhang zwischen Schichtplangestaltung, Arbeitszeitdauer und gesundheitlicher Belastung belegt das folgende Praxisbeispiel aus der Stahlindustrie: Durch einen Schichtmodellwechsel bei gleichzeitiger Arbeitszeitreduktion gelang es, den Krankenstand zu senken.
Bei einem Stahlproduzenten wurde das Schichtmodell verändert und die langfristigen Auswirkungen auf den Krankenstand untersucht. Statt eines Schichtplans mit neun Arbeitstagen gefolgt von drei freien Tagen (Schichtfolge: FFFSSSNNN – – -) mit durchschnittlich 38,5 Wochenstunden wurde ein neues Schichtmodell mit kürzeren Arbeits- und längeren Frei-Blöcken (Schichtfolge: FFSSNN – – – -) mit durchschnittlich 34,4 Wochenstunden eingeführt. Der Einkommensverlust durch die reduzierte Arbeitszeit wurde teilweise durch staatliche Förderung ausgeglichen und durch Auslassen der tariflichen Lohnerhöhungen in den folgenden Jahren auf den tatsächlichen Teilzeitlohn angepasst.
Die Krankenstände im neuen Schichtmodell senkten sich um circa zehn Prozent im Vergleich mit dem alten Schichtmodell über einen Zeitraum von sechs Jahren. Darüber hinaus war die Zufriedenheit der Beschäftigten im neuen System sehr hoch, vor allem mit der längeren Freizeit nach einem Schichtblock. Die Möglichkeit, freiwillig wieder in das Vollzeitmodell zurück zu wechseln, wurde trotz des etwas verringerten Einkommens nur sehr vereinzelt wahrgenommen.
Warum ist Schichtarbeit belastend?
Als tagaktives Wesen ist der Mensch darauf eingestellt, nachts zu schlafen. Nachtarbeit bedeutet Aktivität zu Zeiten, an denen der Körper auf Ruhe programmiert ist, und stört so den Schlaf-Wach-Rhythmus. Während und nach der Nachtschicht kann es daher zu Schlafstörungen, verminderter Leistungsfähigkeit und einem erhöhten Unfallrisiko kommen.
Arbeit an Abenden und Wochenenden beeinträchtigt besonders das Sozialleben der Schichtarbeitenden, denn zu diesen Zeiten finden viele soziale Aktivtäten mit Freunden und Familie statt. Unregelmäßige und schlecht planbare Arbeitszeiten sind für die Gesundheit und das Sozialleben belastend, da Schlaf und Erholung nicht regelmäßig stattfinden können und kurzfristige Veränderungen ungünstig für das Privatleben sind.
Demgegenüber wirken eigene Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten auf ihre Arbeitszeiten grundsätzlich sehr positiv. Denn die Arbeitszeit an die individuellen Bedürfnisse anpassen zu können – sei es an den Schlafrhythmus oder an das Privatleben – verbessert das Wohlbefinden und die Zufriedenheit.