An einem der Kantinentische stecken zwei Kollegen ihre Köpfe zusammen.* Ihre Tabletts haben sie beiseitegeschoben, der Mund-Nasen-Schutz liegt noch daneben. Nun nutzen die beiden SAP-Mitarbeiter ihre Mittagspause, um sich etwas auf dem Smartphone zu zeigen. Corona haben sie gerade wohl vergessen. Auf Momente wie diesen ist Ute Hardt vorbereitet. Sie trägt ein gelbes T‑Shirt mit der Aufschrift „Safety & Fire Agent“ und wollte sich eigentlich selbst gerade ein Mittagessen holen. Doch zunächst einmal ist Handeln angesagt: Die Sicherheitsbeauftragte zieht zwei sorgfältig gefaltete Flyer aus ihrer Tasche und geht auf die beiden zu. Weil ihr Mund unter der Maske nicht zu erkennen ist, bemüht sie sich mit den Augen zu lächeln und besonders freundlich zu sprechen. „Hallo zusammen, ich habe hier etwas für euch. Bitte schaut euch das doch gleich einmal an.“
T‑Shirts mit Signalwirkung
Der stylisch gestaltete Flyer macht auf die Risiken von Covid-19 aufmerksam und fasst die bei SAP geltenden Corona-Regeln kurz und eingängig zusammen. Ein Blick darauf, schon haben die beiden Kollegen die Botschaft verstanden. Schuldbewusst rücken sie auseinander und greifen zu ihren Masken. „Wir haben uns so lange nicht gesehen und wollten nur mal eben ein paar Fotos zusammen angucken…“ Ute Hardt ist erleichtert. „Zum Glück waren die Kollegen einsichtig“, erklärt sie später im Interview. „Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen halten sich zuverlässig an die Regeln.“ Doch sie weiß auch von einem externen Kollegen, der beim Hinweis auf die Coronaregeln negativ reagiert hat nach dem Motto: Was willst Du denn? „Darum haben wir auch unsere T‑Shirts, die zeigen, dass wir auch für den Arbeitsschutz zuständig sind. Das verschafft einem schon mehr Respekt.“
„Freundlichkeit ist besser als Schelte“
Ute Hardt ist hauptberuflich Senior Support Engineer am SAP-Standort St. Leon-Rot. Schon seit über zehn Jahren engagiert sie sich im Betriebsrat – ursprünglich als Nachrückerin, dann als festes Betriebsratsmitglied, mit dem Thema Gefährdungsbeurteilung als Steckenpferd. Dabei entdeckte sie ihr Faible für den Arbeitsschutz. „Als Mitglied des Betriebsratsausschusses für Gesundheit und Soziales war ich auch zuvor schon oft bei Sicherheitsbegehungen dabei.“ Bei den Begehungen erfuhr sie auch von der Rolle der Sicherheitsbeauftragten. „Ich war ganz überrascht, dass es außer uns Ersthelfern auch noch diese ehrenamtliche Funktion gibt. Da dachte ich mir, warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?“ Sie erkundigte sich nach den Voraussetzungen, absolvierte die Sibe-Schulung bei der VBG und ist seit 2018 auch in dieser Funktion mit zuständig für das Wohlergehen der Belegschaft.
Ein Flyer statt mahnender Worte
Auch an der Entwicklung des Corona-Flyers war der SAP SE Betriebsrat beteiligt. „Die Idee kam bei einer der wöchentlichen Sitzungen unseres Gesundheitsausschusses auf. Da wurde berichtet, dass immer wieder Kollegen zu dicht zusammensitzen oder keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Also wurde überlegt, wie wir darauf hinweisen könnten.“ Der Gedanke dabei war, dass die Leute besser selbst darauf kommen und nicht vor anderen Kollegen ermahnt werden sollten. Wie wäre es also mit einem Flyer, auf dem steht, worauf jeder achten sollte? Das kam gut an.
Bewusst verzichten die Sicherheitsbeauftragten auf den erhobenen Zeigefinger und mahnende Worte, obwohl überall Schilder unmissverständlich auf die derzeit geltenden Regeln hinweisen – schon am Kantinen-Eingang. Auch drinnen ist an alles gedacht: Abstandsmarkierungen, Einbahnstraßen-Systeme bis hin zur Kaffee-Ecke, Plexiglasscheiben an der Essensausgabe und immer frisch desinfizierte Tabletts sorgen dafür, dass zumindest ein Teil der Beschäftigten bedarfsweise aus dem Homeoffice an seinen Standort zurückkehren kann. „Weil es nicht zu voll werden darf, funktioniert dies per Tagesticket, mit dem wir unsere Anwesenheit im Büro beantragen.“, erklärt die 48-Jährige. „Doch natürlich müssen sich auch alle an die Schutzmaßnahmen halten, damit diese Freiheiten bestehen bleiben können.“ Für Leute, die es trotzdem gern mal „vergessen“, hat sie dennoch ein gewisses Verständnis. „Wir sind hier sehr kollegial, befreundete Mitarbeiter begrüßen sich schon mal mit Wangenküsschen und man nimmt sich auch mal in den Arm. Das fehlt uns jetzt natürlich.“ Weil die Pandemie ohnehin schon allen zu schaffen macht, setzt sie auf Freundlichkeit anstelle von Schelte.
Umsetzung des Pandemie-Plans
Ähnlich sieht es ihr Kollege André Beckert vom SAP-Standort Berlin. Als Demo Solutions Expert hat er hauptberuflich sowohl organisatorische als auch programmiertechnische Aufgaben, entwickelt Demo-Szenarien für die Präsentation von Softwareprodukten bei Kunden. Bereits seit zehn Jahren ist er zudem als einer von insgesamt vier Sicherheitsbeauftragten am Standort im Einsatz. Durch die Pandemie haben sich auch seine Aufgaben ziemlich verändert. „Wir müssen nun insbesondere danach schauen, ob wirklich alles coronakonform ist und die Kollegen zum Beispiel ihren Mund-Nasen-Schutz tragen“, berichtet der Betriebswirt. „Klar bekomme ich dann auch mal einen schrägen Blick zugeworfen, doch die meisten sind freundlich und kollegial. Es kommt eben auch darauf an, in welchem Ton man etwas sagt.“ Der Hauptfokus liege derzeit für die Sicherheitsbeauftragten darauf, die Global Pandemic Task Force (GPTF) von SAP zu unterstützen – eine weltweite Einheit, die mit lokalen Krisenteams und Gesundheitsbehörden zusammenarbeitet. Sie besteht aus Vertretern der Bereiche Sicherheit, Gesundheitswesen, Gebäudeverwaltung, Human Resources, Finanzen, Kommunikation und Reisewesen.
Mängelbeseitigung mittels QR-Code
Genauso wie Ute Hardt ist also auch André Beckert bei seinen Rundgängen im Auftrag von Safety Germany unterwegs. „Wir kontrollieren zum Beispiel, ob alle Spender mit Seife oder Desinfektionsmittel gefüllt sind“, sagt der 48-Jährige. „Dabei helfen uns Hinweise von Kollegen, die uns über einen QR-Code in den Sanitärräumen per Handy ein Ticket schicken können, wenn sie irgendwo Mängel beobachten – genauso wie übrigens auch bei anderen Themen des Arbeitsschutzes.“ Einmal habe er selbst festgestellt, dass Aufkleber mit den Covid-Hinweisen fehlten. „Da haben wir dann sofort welche in Walldorf angefordert und auch erhalten.“ Eine eigens erarbeitete Checkliste zeigt den Sicherheitsbeauftragten an, was alles gegeben sein muss. „Wir haken ab, was zutrifft oder nicht, und geben die Liste dann an den Bereich Safety zurück, sodass Mängel auch umgehend behoben werden können.“
Einen hohen zusätzlichen Zeitaufwand bedeuten die erweiterten Aufgaben im Arbeitsschutz für beide dennoch nicht, denn sie lassen sich mit ihrem regulären Tagesablauf gut verbinden. „Ich bin dafür nun aus dem Homeoffice an den Unternehmensstandort zurückgekehrt und lege mir meine Termine möglichst so, dass ich auch mal wieder in der Kantine essen gehen kann – wo ich dann bedarfsweise den Flyer verteile“, sagt Ute Hardt. Bei ihren Wegen durch die Bürogebäude achtet sie zugleich darauf, ob auch ansonsten der Arbeitsschutz stimmt, von möglichen Stolperfallen bis hin zur Erste Hilfe-Ausstattung. „Dazu gehört zum Beispiel auch die Kontrolle der Notrufsäulen und Notausgänge.“
Corona immer im Hinterkopf
Auch andere mögliche Gefährdungen, wie sie in Büros auftreten können, haben die beiden stets im Blick. An den SAP-Standorten gibt es große Office-Bereiche, kleinere Büros und Bereiche, wo sich Mitarbeiter, die auch oft im Außendienst bei Kunden sind, die Plätze teilen. „Wir achten vor allem darauf, ob die Bildschirmarbeitsplätze gesundheitskonform ausgestattet sind und keine privaten elektrischen Geräte wie zum Beispiel Lampen mitgebracht werden“, sagt André Beckert. „Schließlich dürfen am Arbeitsplatz aus Brandschutzgründen nur offiziell geprüfte elektrische Betriebsmittel vorhanden sein.“
Nicht zugelassen wurde im Sommer 2020 zudem der Betrieb der Ventilatoren, die SAP üblicherweise den Mitarbeitenden bei hohen Außentemperaturen zur Verfügung stellt. „Weil diese Geräte durch starke Luftverwirbelungen Aerosole erst recht im geschlossenen Raum verteilen, sollten sie vorsichtshalber hier am Standort erst einmal nicht mehr verwendet werden.“ Hier kam es wieder darauf an, die passenden Worte für die hitzegeplagten Kollegen und Kolleginnen zu finden.
„Der Kurs zum Safety and Fire Agent war das I‑Tüpfelchen“
Um alles zu erfassen, richtet der Sicherheitsbeauftragte seine Rundgänge immer wieder anders aus. „Wenn ich in der Geschäftsstelle ankomme, nehme ich auch mal einen anderen Weg aus der Tiefgarage durch das Gebäude.“ Vieles sei während der regulären Arbeitszeit machbar, in der auch die regelmäßigen Evakuierungsübungen erfolgen. „On Top sind aber die üblichen Sicherheitsbegehungen und weitere Schulungen oder Auffrischungen einzuplanen.“
I‑Tüpfelchen Brandschutzkursus
Wie Ute Hardt, hat sich auch André Beckert damals selbst für die Sibe-Rolle beworben. „Es wurde angeboten, weil am Standort Berlin noch jemand fehlte. Das klang für mich interessant, also habe ich mich für die Schulung bei der VBG registriert und bin dann da so mit reingerutscht.“ Ergänzend hat André Beckert eine interne Schulung absolviert, die SAP zusammen mit der Berufsgenossenschaft konzipiert hat: Den Kurs zum Safety and Fire Agent (SAFI). „Hierbei wurde das Thema Brandschutz noch vertieft und alles SAP-spezifisch aufbereitet, um zum Beispiel zu wissen, wie wir uns bei einem Kabelbrand verhalten sollten“, erläutert André Beckert. „Das war das I‑Tüpfelchen. Die SAFI Ausbildung beinhaltet also die Ausbildung zum Sicherheitsbeauftragten“
Die Safety Toolbox – auch als App
Für die Wahrung der Sicherheit der Mitarbeiter steht bei der SAP intern auch die eigens entwickelte „Safety Toolbox“ zur Verfügung. Dabei handelt es sich um eine Wissensdatenbank zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, die im internen SAP-Portal bereitsteht. Sie enthält unter anderem Checklisten und ist auch als App verfügbar. „Das ist ein ganz tolles Tool und unterstützt die Eigenverantwortung der Mitarbeiter und die Fürsorgepflicht der Manager enorm“, findet Ute Hardt. „Es wurde zunächst an einem kompletten SAP-Standort getestet und dann von uns evaluiert.“ Verbesserungswünsche wurden gemeinsam mit dem Bereich Safety umgesetzt. „Beate Hinze, unsere leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit, war dabei super kooperativ.“ Noch mehr Unterstützung wünscht sich die Sicherheitsbeauftragte auch von anderen Führungskräften, wenn es etwa darum geht, die Mitarbeiter an die Corona-Regeln zu erinnern.
Kleine Fehler – große Wirkung
Immer wieder tragen die Sicherheitsbeauftragten dazu bei, Mängel zu beseitigen. Ute Hardt gibt ein Beispiel: „Bei einem Rundgang haben wir in einem Abstellraum einen Rollstuhl entdeckt, der eigentlich im Empfangsbereich oder Erste Hilfe-Raum hätte stehen müssen. Daraufhin haben wir den zuständigen Ansprechpartner angeschrieben und so kam der Rollstuhl an den richtigen Platz. Das sind zwar scheinbar Kleinigkeiten, aber wenn wirklich mal etwas passiert, können solche Versäumnisse gravierende Folgen haben – zum Beispiel bei der Evakuierung von Kollegen mit einer Behinderung.“
Der antrainierte Blick über den Tellerrand macht sich bei den beiden SAP-Sibe auch im Privatleben bemerkbar. Beide haben jeweils zwei Jungs im Alter zwischen 10 und 13 Jahren. „Meine Kinder habe ich nach dem ersten Tag an der neuen Schule mal gefragt, ob sie dort den Fluchtweg nach draußen finden würden, falls es mal brennen sollte“, berichtet Ute Hardt. „Da kam erst keine Antwort, doch zwei Tage später wussten sie es.“ Bei André Beckert war es gerade das Thema Ergonomie am Schreibtisch. „Jungs in dem Alter zocken auch gern mal. Daher habe ich meine darauf hingewiesen, dass es doch sinnvoll wäre, den Monitor besser einzustellen. Das haben sie gemacht, denn einen krummen Rücken möchten sie dann später doch nicht haben.“
* Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der aktuellen Lage und dem harten Lockdown ist die SAP-Kantine derzeit geschlossen. Sobald es die Situation wieder zulässt, soll den Beschäftigten die vorsichtige Nutzung unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen wieder ermöglicht werden.
Global Pandemic Task Force
Die Global Pandemic Task Force koordiniert weltweit alle Maßnahmen rund um die Covid-19-Situation und gibt den Beschäftigten bei SAP interne Leitlinien vor. Dieser Pandemie-Plan war bereits in den Jahren zuvor schon für den Ernstfall konzipiert wurden. Nachdem sich abzeichnete, was das neuartige Coronavirus für die Welt bedeuten könnte, wurde er am 27. Januar 2020 aktiviert. Da gab es in China gerade einmal 37 Infektionsfälle.
SAP
Die SAP SE mit Sitz in Walldorf / Baden-Württemberg ist nach Umsatz eines der weltweit größten börsennotierten Softwareunternehmen und Marktführer in Europa.
- Der Konzern entwickelt schwerpunktmäßig Software zur Abwicklung sämtlicher Geschäftsprozesse eines Unternehmens: Buchführung, Controlling, Vertrieb, Einkauf, Produktion, Lagerhaltung, Transport und Personalwesen.
- SAP ist international durch circa 120 Tochtergesellschaften vertreten.
- Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 101.450 Mitarbeiter, davon rund 21.000 in Deutschland (Stand September 2020).
- www.sap.com
Steckbrief
- Ute Hardt
- 48 Jahre
- Betriebswirtin
- Aktuelle Position: Senior Support Engineer am SAP Standort St. Leon-Rot
- Mitglied im Betriebsrat
- Sicherheitsbeauftragte
- Ersthelferin
Steckbrief
- André Beckert
- 48 Jahre
- Betriebswirt
- Aktuelle Position: Demo Solutions Expert am SAP-Standort Berlin
- Sicherheitsbeauftragter / Safety & Fire Agent seit 2010
- Ersthelfer