Jedes Licht hat nicht-visuelle Wirkungen auf den menschlichen Körper, aber nicht jedes Licht wirkt gleich. Die nicht-visuellen Lichtwirkungen sind von verschiedenen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel der spektralen Zusammensetzung. So reagieren die entsprechenden Rezeptoren auf der Netzhaut besonders stark auf Licht im Bereich des blauen Spektrums. Licht mit 6.000 Kelvin hat beispielsweise eine besonders hohe Farbtemperatur (= Maß für den Farbeindruck einer Lichtquelle) und damit tendenziell einen höheren Blauanteil. Ein weiterer entscheidender Faktor ist, zu welchem Zeitpunkt ein Mensch dem Licht ausgesetzt ist.
Faktor Zeit spielt eine Rolle
Blauangereichertes Licht, das morgens eingesetzt wird, wirkt aktivierend, macht wach und synchronisiert die innere Uhr mit dem Tag-Nacht-Rhythmus. Das gleiche Licht abends eingesetzt kann ebenfalls aktivieren; es besteht allerdings die Gefahr, dass es die innere Uhr durcheinanderbringt und das Einschlafen verzögert. Je nachdem, zu welcher Zeit und mit welcher Stärke Licht wirkt, kann es sein, dass die innere Uhr langsamer oder schneller läuft. Auch zu wenig Licht kann eine Wirkung haben: Dieser Lichtmangel macht sich oft im Winter oder bei Arbeiten in geschlossenen Räumen mit wenig Tageslicht bemerkbar.
Dazu kommen individuelle Unterschiede wie die persönliche Lichthistorie: Hat man über mehrere Tage vor allem vormittags viel Licht getankt, so ist die innere Uhr weniger anfällig gegenüber abendlichem, blauangereichertem [1] Licht. Dieses tritt unter anderem bei einer abendlichen Smartphone-Nutzung auf. Hier befindet sich die Lichtquelle sehr nah am Auge und kann einen hohen Blauanteil enthalten. Das gleiche Licht zur gleichen Tageszeitzeit kann bei unterschiedlichen Chronotypen anders wirken: Bekannt sind vor allem die „Lerchen“, die früh wach sind und früh schlafen gehen und die „Eulen“, die spät aufstehen und auch spät schlafen gehen.
Licht als Thema für den Arbeitsschutz
Licht wirkt per se und an jedem Arbeitsplatz. Auch jede Beleuchtungsanlage kann nicht-visuelle Wirkungen hervorrufen – ob beabsichtigt oder nicht. Diese nicht-visuellen Wirkungen von Licht können sich auf die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit auswirken. So kann Licht zum Beispiel über den Schlaf-Wach-Rhythmus auf die Aufmerksamkeit und Wachheit von Beschäftigten wirken, was wiederum Konsequenzen für das Unfallgeschehen haben kann. Weiterhin kann Licht den Hormonhaushalt und das Herzkreislaufsystem beeinflussen. Es werden sogar verschiedene Krankheitsbilder – vor allem im Zusammenhang mit Licht in der Nacht – diskutiert. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Licht in der Nacht die Ausschüttung des Hormons Melatonin unterdrückt. Eine geringere Melatoninkonzentration im Blut kann sich wiederum auf verschiedene andere physiologische Prozesse auswirken. [2]
Auf dem Markt sind bereits Beleuchtungssysteme erhältlich, die nicht-visuelle Wirkungen von Licht gezielt auslösen sollen. Tageslicht muss bei der Planung von Arbeitsstätten Vorrang haben. Da nicht an jedem Arbeitsplatz ausreichend Tageslicht vorhanden ist, könnten die neuen Beleuchtungssysteme eine Ergänzung zu einer unzureichenden Tageslichtversorgung darstellen. Nach einem Positionspapier des Zentralverbands der Elektroindustrie (ZVEI) [3] kann diese Ergänzung des Tageslichts „im Normalfall erreicht werden, indem sich die Beleuchtung am natürlichen Tageslicht orientiert: am Tag ‚weißes‘ Licht mit hohen Blauanteilen und in der Nacht Licht mit niedrigen Blauanteilen.“ Die neuen Beleuchtungssysteme werden bereits in Altenheimen oder versuchsweise in Schulen, im Einzelhandel sowie in der Produktion eingesetzt.
Dabei bergen die nicht-visuellen Wirkungen von künstlicher Beleuchtung sowohl Chancen als auch Risiken [4]: Die neuen Beleuchtungssysteme könnten einem Tageslichtmangel entgegenwirken und so die innere Uhr stabilisieren sowie die Arbeitsfähigkeit steigern. Es wäre aber auch möglich, die Beschäftigten darüber hinaus gezielt zu beeinflussen, indem beispielsweise gegen Abend blauangereichertes Licht eingesetzt wird, um einen Leistungsabfall abzufangen. Auch eine falsche Bedienung durch die Beschäftigten aufgrund unzureichender Information oder falscher Selbsteinschätzung ist nicht ausgeschlossen. Dies kann zu einer akuten Erhöhung der Wachheit der Beschäftigten führen, erschwert ihnen aber das anschließende Einschlafen. Werden die Beleuchtungssysteme nicht angemessen eingesetzt, können die nicht-visuellen Wirkungen von Licht die Gesundheit von Beschäftigten beeinträchtigen.
Viele Akteure, viele Interessen
Bekannt ist, dass Licht wirkt – aber noch nicht, wie Betriebe mit den nicht-visuellen Wirkungen von Licht umgehen sollen. Genau hier treffen verschiedene Interessen aufeinander: Arbeitgeber, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und auch Planer brauchen Hinweise, wie sie mit den nicht-visuellen Wirkungen von Licht umgehen sollen. Damit der Arbeitsschutz hierfür entsprechende Regelungen erarbeiten kann, müssen allerdings zunächst abgesicherte Erkenntnisse vorhanden sein. Geforscht wurde schon viel zu dem Thema, aber die Studien sind oft nur schwer vergleichbar. Diese scheinbar vorhandene Regelungslücke wollte die Normung füllen. Dabei ist sie aus Sicht des Arbeitsschutzes in Bereiche vorgedrungen, für die ihr das Mandat fehlt – nämlich in den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes. Dieser liegt in der Verantwortung des Staates und der Unfallversicherungsträger. Arbeitnehmervertreter möchten die Beschäftigten vor einer gezielten Manipulation schützen. Hersteller brauchen eine Grundlage, auf der sie ihre Produkte ausrichten und auf dem Markt etablieren können.
So sind viele interessierte Kreise beteiligt. Es gilt, die unterschiedlichen Interessen und Positionen fachlich fundiert zu berücksichtigen und zusammenzuführen.
Handlungsdruck für den Arbeitsschutz steigt
Wie und welches Licht besonders starke Wirkungen hervorrufen kann, wird erst seit dem Jahr 2001 immer deutlicher: In diesem Jahr wurden die entsprechenden Rezeptoren im Auge entdeckt. Die nicht-visuellen Wirkungen von Licht rücken immer mehr in den Vordergrund, und stehen verstärkt im Fokus der Medien; Hersteller von Beleuchtungsanlagen werben für ihre innovativen Produkte. Hinzu kommt, dass viele Gebäude, darunter auch zahlreiche Schulen, renovierungsbedürftig sind: Bei der Renovierung müssen häufig auch die Beleuchtungsanlagen erneuert werden. Auch bei der Planung neuer Einrichtungen und Gebäude wird über den Einbau neuerer Beleuchtungssysteme nachgedacht. Arbeitgeber, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Planer brauchen die Informationen, wie Lichtwirkungen aus Arbeitsschutzsicht berücksichtigt werden sollten, auch für die Gefährdungsbeurteilung. Im Regelwerk des Arbeitsschutzes gibt es bisher keine expliziten Anforderungen, wie mit den nicht-visuellen Wirkungen künstlicher Beleuchtung umzugehen ist.
Die Normung hat, trotz wiederholter Einwände der Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN), den DIN SPEC (Fachbericht) 67600 veröffentlicht, welcher Planungsempfehlungen für biologisch wirksame Beleuchtung für Arbeitsplätze beinhaltet. Diese Normungsarbeiten haben zu einem KAN-Positionspapier geführt. [5] Hauptkritikpunkt der KAN ist, dass Planungsempfehlungen zur Beleuchtung an Arbeitsplätzen im Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes liegen und Normung hier vom Grundsatz her nicht vorgesehen ist. [6] Ein anderer Kritikpunkt der KAN ist die unzureichende Erkenntnislage zu den nicht-visuellen Wirkungen von Licht, auf der die – teilweise sehr konkreten – Planungsempfehlungen der DIN SPEC 67600 (Fachbericht) fußen.
Was macht der Arbeitsschutz?
Die KAN hat 2016 und 2018 Workshops zum Thema der nicht-visuellen Wirkungen von Licht veranstaltet. Ziel war es, alle beteiligten Kreise an einen Tisch zu holen und das weitere Vorgehen zu diskutieren. Die an den Workshops beteiligten Fachleute beschlossen, den Austausch weiter zu führen, um gemeinsam offene Fragen zu klären und mögliche Anpassungen der Regelsetzung zu diskutieren und zu kommunizieren. Aufgrund der unübersichtlichen Studienlage hat die KAN eine Literaturrecherche in Auftrag gegeben. Ziel ist es, die arbeitsschutzrelevanten Erkenntnisse zu identifizieren und den Bedarf für weitere Forschung zu beschreiben.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) sind in der Forschung zu diesem Thema sehr aktiv. So untersucht das IPA die Blaulichtexposition von Krankenschwestern; die BAuA hat bereits eine Studie zur Verschiebung der inneren Uhr durch eine Lichtexposition am Morgen oder am Abend veröffentlicht.1 Der Ausschuss für Arbeitsstätten (AStA) prüft zurzeit, ob Anforderungen an die Beleuchtung, welche die nicht-visuellen Wirkungen betreffen, in das staatliche technische Regelwerk einfließen sollen. Das Sachgebiet „Beleuchtung“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) erarbeitet aktuell eine DGUV-Information. Diese wird über die nicht-visuellen Wirkungen informieren und Hinweise für die betriebliche Umsetzung geben. Damit will die DGUV Betrieben praktische Informationen bereitstellen, auf deren Grundlage diese arbeiten und die Beschäftigten informieren können.
Hinweis d. Red.: Das Thema “Nicht-visuelle Wirkungen von Licht auf den Menschen” wird ein Schwerpunktthema in “Sicherheitsingenieur 5/2019” werden. Für Nicht-Abonnenten: hier können Sie zwei kostenlose Probeexemplare von Sicherheitsingenieur bestellen.
Lesen Sie auch das kritisch-konstruktive Interview mit dem bekannten Chronobiologen Dr. Thomas Kantermann zum Thema “Licht und Schatten — Tagsüber raus — abends Licht aus!”
Literatur/Quellen:
1 Kunz, Dieter (2015) Circadiane Wirksamkeit AmI-basierter Beleuchtungssysteme: Wirkungsfragen circadianer Desynchronisation. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg).
2 Behrens, Thomas; Jöckel, Karl-Heinz; Brüning, Thomas (2017) Schichtarbeit und Prostatakrebs Untersuchungen auf Basis der Heinz Nixdorf Racall Kohorte. IPA Journal 03/2017: S. 20–22
3 Positionspapier ZVEI (2016) Der Einsatz von Human Centric Lighting (HCL) ermöglicht das richtige Licht für jede Tageszeit.
4 Krüger, Jan (2017) Chancen und Risiken beim Einsatz künstlicher, biologisch wirksamer Beleuchtung am Arbeitsplatz. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg).
5 KAN, Kommission Arbeitsschutz und Normung (2017) KAN-Positionspapier zum Thema künstliche, biologisch wirksame Beleuchtung und Normung.
6 BMAS, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015) Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz.
Wie wirkt Licht?
Licht ermöglicht das Sehen (visuelle Wirkung). Es hat darüber hinaus nicht-visuelle Wirkungen. Andere in diesem Zusammenhang häufig verwendete Begriffe sind „biologisch wirksame Beleuchtung“, „melanopische Lichtwirkungen“ oder „Human Centric Lighting“. Im Körper laufen jeden Tag tageszeitabhängige Rhythmen ab. Der offensichtlichste Rhythmus ist der Schlaf-Wach-Rhythmus, aber auch die Konzentration verschiedener Hormone und Enzyme verändert sich tageszeitabhängig. Doch wie werden diese verschiedenen inneren Rhythmen koordiniert? Das Licht trifft in unserem Auge auf spezielle Sinneszellen. Diese wandeln Lichtsignale in Nervensignale und geben diese an eine bestimmte Region im Gehirn weiter: Die zentrale „innere Uhr“. Tageslicht ist ein wichtiger Taktgeber für diese innere Uhr.
Rechtlicher Rahmen
Die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) fordert für Arbeitsstätten „ausreichend Tageslicht“ und eine „Sichtverbindung nach außen“. Künstliche Beleuchtung kann hier allenfalls das Tageslicht ergänzen. Die Anforderungen an die klassischen Gütemerkmale wie die Beleuchtungsstärke oder die Begrenzung von Blendung konkretisiert die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A 3.4 „Beleuchtung“. Die Inhalte der DIN SPEC 67600 „Biologisch wirksame Beleuchtung – Planungsempfehlungen“ sind keine Grundlage für die Umsetzung der ASR A 3.4 „Beleuchtung“ in Bezug auf die nicht-visuellen Wirkungen von Licht im Betrieb. Die künftige DGUV-Information 215–220 (Anm. d. Red: erschienen im September 2018, hier Link zur Broschüre) “Nicht-visuelle Wirkungen von Licht auf den Menschen” wird ein wichtiges Dokument für die Praxis darstellen.