Zuerst häuften sich grundlose Stürze, hinzu kamen leichte motorische Auffälligkeiten. 2014 folgte dann die Diagnose: Morbus Parkinson. Es ist schwer genug, diese für sich selbst zu verarbeiten, doch auch beruflich kam Gegenwind – aus Unkenntnis. Dass zukünftig Vorgesetzte, Verantwortliche, Kollegen angemessen reagieren können, wenn bei einem Mitarbeitenden Parkinson diagnostiziert wird, dafür setzt sich Rike Sonnenschein heute ein. Wie? Indem sie dazu beiträgt, dass die innerbetrieblichen Akteure alle nötigen Informationen und Hilfestellungen bekommen, die es braucht, um die Arbeitsfähigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Sie ist neben ihrem Job Gründungsmitglied und Vorsitzende des neu gegründeten Vereins „Parkinson und Arbeitswelt e.V.“ (PuA) und arbeitet an der neuen VDSI-Regel „Parkinson und Arbeitswelt“ mit.
Rund 400.000 Betroffene
Im Durchschnitt erkranken Patienten mit etwa 60 Jahren an Parkinson. Doch auch Jüngere sind betroffen, die noch mitten im Erwerbsleben stehen – wie Rike Sonnenschein. Laut VDSI leiden deutschlandweit rund 400.000 Menschen an dieser Erkrankung, jeder Zehnte davon ist noch keine 40 Jahre alt.
Nach der Alzheimer-Krankheit ist Parkinson die zweithäufigste der Erkrankungen, bei denen sich die Nervenzellen verändern. Das Risiko, selbst betroffen zu sein, liegt laut Parkinson-Gesellschaft bei 1,3 bis 2 Prozent. Vor der Diagnose haben vermutlich schon jahrelang Veränderungen im Körper stattgefunden. Danach schreitet die Erkrankung meist schleichend weiter voran. Kein Verlauf ist wie der andere, Geschwindigkeit und Symptome sind fast so vielfältig wie die Zahl der Betroffenen selbst.
Typische Krankheitssymptome
Charakteristisch für Parkinson sind das Zittern, das in Ruhe auftritt, versteifte Muskeln und verlangsamte Bewegungsabläufe bis hin zum „Einfrieren“ (Freezing) von Bewegungen. Viele Erkrankte sind auch mit Gleichgewichtsstörungen, Schwierigkeiten beim Sprechen – so wird etwa die Stimme manchmal leiser und gebrochener – sowie Schluckproblemen konfrontiert. Ebenso können Seele und Geist betroffen sein, denn Depressionen und Angstzustände, Vergesslichkeit und Schlafprobleme oder Störungen der Sinneswahrnehmung gehören auch zu den möglichen Symptomen.
Doch: Richtig eingestellte Medikamente, kombiniert mit Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, einer passenden Gestaltung der Umgebung und der Rahmenbedingungen bewirken oft, dass die Patienten über Jahre hinweg eine gute Lebensqualität haben und auch weiter berufstätig sein können.
On- und Off-Zeiten koordinieren
Wie bei Rike Sonnenschein: Sie, die einen „Schreibtisch-Job“ hat, schaffte es, weiter zu arbeiten. Ihr Arbeitsplatz ist zuhause. Das ist wichtig für sie, denn aufgrund der zyklischen Medikamenten-Einnahmezeiten und ‑Wirksamkeit gibt es „On-“ und „Off-“Zeiten im Tagesverlauf: Zeiten, in denen sie gut arbeiten kann, und Zeiten, in denen die Leistungsfähigkeit reduziert ist – etwa kurz vor der nächsten Medikamenten-Einnahme. Deshalb braucht sie wie andere Betroffene häufigere Pausen, die sie nach Bedarf verteilen kann. Außerdem sind Schlafstörungen typisch für Parkinson-Erkrankte – dann ist es unumgänglich, morgens mal länger im Bett bleiben zu können und die Anfangszeiten flexibel zu halten, um Schlaf nachzuholen und so eine weitere Verstärkung der Symptome zu vermeiden.
Ergotherapeutische Hilfsmittel
Neben der organisatorischen geht es auch um die ergonomische Anpassung des Arbeitsplatzes. Bei Bürojobs gibt es dafür zahlreiche Hilfsmittel. Zentral ist ein höhenverstellbarer Schreibtisch, denn durch den Wechsel der Haltung werden die Motorik gefördert, die muskulären Aktivitäten positiv stimuliert und der drohenden Verkrampfung und Versteifung entgegengearbeitet. Ein Stift mit Griffverstärkung erleichtert das Schreiben, und eine Gewichtsmanschette am Handgelenk reduziert das Zittern und verbessert das Schriftbild. Bei einem Telefon mit großen Ziffernfeldern kann man auch zitternd die richtige Nummer wählen. Eine besondere Tastatur, bei der Hand und Arm auch beim Tippen immer aufgelegt werden kann, ist die richtige Ergänzung bei Bildschirm-Arbeitsplätzen. Mehrere Anbieter haben sich auf solche Arbeitsmittel spezialisiert. „Aber man muss rumspielen, je nach Krankheitsverlauf unterscheiden sich die Bedürfnisse. Rehakliniken bieten oft die Möglichkeit, ergotherapeutische Hilfsmittel auszuprobieren, zum Beispiel, um die Schreibfähigkeit lange zu erhalten“, erläutert Sonnenschein.
Arbeit im betrieblichen Umfeld
Und wie ist es mit Arbeitsplätzen in anderen Bereichen, etwa im Handwerk, im Labor, in der Produktion? Da müsse man genauer hinsehen, sagt Olaf Buschikowski, Leiter des Fachbereichs Gesundheitsmanagement beim Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit e.V. (VDSI). „Bei einer Elektro-Fachkraft, die also mit Strom zu tun hat, ist übermäßiges Zittern sicher grenzwertig, ebenso bei Eingaben an Anlagen und Maschinen. Gleichzeitig ist etwa bei handwerklichen Tätigkeiten auch nach dem Anteil von statischen zu mobilen Arbeiten zu fragen, und, inwieweit sich die Bewegungen positiv auf die Krankheit auswirken.“ Mitunter ließe sich die Arbeitsaufgabe verändern und so im Zusammenhang mit einer neuen Pausenregelung die Weiterbeschäftigung ermöglichen. „Zentral sind die Gefährdungsbeurteilung, die Gesundheitsförderung und die aus beidem resultierenden Maßnahmen.“
VDSI-Regel zeigt Lösungswege auf
Damit dies zukünftig leichter fällt, trägt Buschikowski gemeinsam mit hochkarätigen Experten verschiedener Fachrichtungen derzeit alles Wichtige zusammen, um innerbetrieblichen Akteuren und somit auch Sicherheitsbeauftragten einen Überblick über das Thema Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit bei Morbus Parkinson zu geben. Die neue VDSI-Regel soll noch in diesem Jahr erscheinen.
Es geht darin um Rechte und Pflichten sowohl der Erkrankten als auch des Unternehmers, um das Krankheitsbild selbst, um die individuellen Leistungsvoraussetzungen, die Beurteilung der Gefährdung und der Risiken. Die neue Regel bietet auch eine Übersicht, um Lösungen und Konzepte zu entwickeln, medizinische Maßnahmen einzuleiten und das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) in Gang zu setzen. „Vielen ist beispielsweise nicht bekannt, dass das BEM auch ohne vorangehende Fehlzeiten angeboten werden kann“, betont Buschikowski. Das sei gerade bei der Diagnose Parkinson angebracht, denn je früher man aktiv wird, desto positiver könne die Krankheit verlaufen.
Beratung für Unternehmen
Nicht nur mit der neuen VDSI-Regel unterstützt Buschikowski Betriebe und Organisationen in Sachen Parkinson, sondern auch als Stellvertreter Sonnenscheins im Vorstand von „Parkinson und Arbeitswelt e.V.“. Im Verein, der mit dem Bundesverband der deutschen Parkinson-Vereinigung sowie mit dem VDSI kooperiert, bietet er Beratung auch für Unternehmen an – telefonisch und indoor bei Firmen und Organisationen, die mit dieser Diagnose konfrontiert sind.
Morbus Parkinson / Parkinson-Krankheit
Morbus Parkinson ist eine langsam fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die vor allem bestimmte Gehirnregionen betrifft. Durch das Absterben von Nervenzellen kommt es zu einem Mangel an Dopamin. Dieser wichtige Botenstoff hilft zum Beispiel dabei, Bewegungen zu steuern. Neben dem Gehirn sind auch andere Teile des Nervensystems betroffen, so etwa die Nervenzellen im Magen-Darm-Trakt.
- Die Erkrankung setzt meist zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr ein, oft finden aber schon lange zuvor Veränderungen im Körper statt.
- Das Risiko einer Erkrankung liegt für Männer bei 2,0, für Frauen bei
1,3 Prozent. - Bisher ist keine Heilung oder ein vollständiges Aufhalten möglich.
- Bei einer gezielten Behandlung mit Medikamenten und aktivierenden Therapieformen können viele Patienten oft jahrelang ein fast unbehindertes Leben führen.
- Charakteristische Symptome sind Tremor (Zittern) und Rigor (Steifheit) der Muskeln, verlangsamte Bewegungen und Gleichgewichtsstörungen.
- Zu den möglichen zusätzlichen Symptomen zählen: Freezing („Einfrieren“ von Bewegungen), Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken, Störungen vegetativer Funktionen, Depressionen sowie Riechstörungen, Schlafstörungen, Verstopfung.
- Die Krankheit ist benannt nach dem Arzt James Parkinson, der sie 1817 erstmals beschrieb. Zu seinem Geburtstag am 11. April macht der Welt-Parkinson-Tag jährlich auf die Erkrankung aufmerksam.
Weitere Informationen und Beratung
Der Verein „Parkinson und Arbeitswelt e.V.“ mit Sitz in Saarlouis
- bietet telefonische sowie technische Beratung und Betreuung am Arbeitsplatz
- informiert klein- und mittelständische Unternehmen über Förderprogramme zur finanziellen Unterstützung
- hält auf seiner Website www.pua-ev.de unter der Rubrik „Öffentlichkeitsarbeit“ Veröffentlichungen zum Download bereit
- kooperiert mit VDSI und Deutscher Parkinson Vereinigung e.V. – Bundesverband
- Mitgliedschaft für Arbeitgeber, innerbetriebliche Akteure, Betroffene, Angehörige möglich
Die VDSI-Regel
- bietet umfassende Informationen und Checklisten für Arbeitgeber und betriebliche Verantwortliche
- wird unter anderem veröffentlicht auf https://vdsi.de sowie www.pua-ev.de