Entwicklungsprognosen zufolge werden bis zum Jahr 2060 insgesamt 43 Millionen Menschen 65 Jahre oder älter sein. Im Jahr 2010 waren es noch 26 Millionen. Unternehmen müssen sich von daher mehr auf älter werdende Beschäftigte einstellen. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist die Ergonomie. Eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung kommt dabei nicht nur älteren, sondern grundsätzlich allen Beschäftigten zugute. Das heißt, auch Betriebe mit vergleichsweise junger Belegschaft profitieren von ergonomischen Transportgeräten in der Intralogistik.
Wie das Alter Fähigkeiten beeinflusst
Ältere Beschäftigte sind nicht grundsätzlich weniger leistungsfähig als jüngere: Die physischen Fähigkeiten unterliegen zwar einem Alterungsprozess, doch verläuft dieser stets individuell und kann durch die Person selbst sowie durch eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung beeinflusst werden – im positiven wie im negativen Sinn. Unternehmen, die Alterung nicht als Abbau- sondern Umbauprozess verstehen und behandeln, können ihre Beschäftigten auf lange Sicht im Betrieb halten und haben in der Regel eine positivere Einstellung gegenüber älteren Arbeitskräften.
Manche Fähigkeiten wie das Sehen, das Hören und der Tastsinn verschlechtern sich mit zunehmendem Alter. Andere Fähigkeiten können sich verbessern: Hierzu gehören betriebsspezifisches Wissen und Berufserfahrung, aber auch sogenannte Softskills wie Sozialkompetenz, Durchhaltevermögen und Verantwortungsbewusstsein. Sprachkompetenz, die generelle Fähigkeit zur Informationsaufnahme und ‑verarbeitung und das Konzentrationsvermögen bleiben zumeist erhalten.
Ungünstige Verhältnisse können Belastungen und damit verbundene Beanspruchungen durch die Arbeitsaufgabe verstärken. Ein Beispiel hierfür ist eine starke Beanspruchung des Sehvermögens, die zu Augenreizungen, Sehbeschwerden, Kopfschmerzen und Ermüdungserscheinungen führen kann – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Produktivität. Hervorgerufen oder verstärkt werden kann die Beanspruchung durch einen ergonomisch ungünstig gestalteten Arbeitsplatz, so zum Beispiel durch schlecht ausgewählte Textgrößen, ungünstige Farben oder ungenügende Lichtstärke.
Auf welche Art und wie lange Beschäftigte einer Belastung ausgesetzt sind, spielt eine große Rolle für die Erfüllung der Arbeitsaufgaben. Außerdem haben diese Faktoren großen Einfluss auf krankheitsbedingte Arbeitsausfälle und die Motivation.
Die Intralogistik – Überbegriff für die innerbetrieblichen, logistischen Abläufe eines Unternehmens – beinhaltet nach wie vor körperlich schwere Tätigkeiten. Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung haben die Arbeitsflüsse in den Lagern signifikant verändert. Gerade hier gewinnen Ergonomie und eine demografisch sensible Gestaltung der Arbeit an Bedeutung.
Anforderungen an ergonomische Transportwagen
„Richtig angewandt, optimiert die Ergonomie die Leistung und Effizienz des Arbeitssystems einschließlich der Arbeitenden ohne nachteilige Wirkungen für deren Gesundheit, Wohlbefinden oder Sicherheit“. So steht es in der EN ISO 6385:2014 mit dem Titel „Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen.“ Dieser Gestaltungsprozess sollte idealerweise automatisch erfolgen. Wie das in der Praxis aussehen kann, wird im Folgenden am Beispiel eines sensorgesteuerten Transportwagens gezeigt. Nach den Vorgaben der Norm sind dazu die wesentlichen Wechselwirkungen zwischen den beteiligten Personen einerseits und den Bestandteilen des Arbeitssystems andererseits zu beachten.
Versuche im Alterssimulationsanzug
Eine Möglichkeit, sich in die Wahrnehmung und Befindlichkeit älterer Personen hineinzuversetzen, bietet der Gerontologische Alterssimulationsanzug GERT. Damit werden die typischen Einschränkungen älterer Menschen auch für Jüngere erlebbar. Diese altersbedingten Einschränkungen sind:
- Eintrübung der Augenlinse
- Einengung des Gesichtsfeldes
- Hochtonschwerhörigkeit
- Einschränkung der Kopfbeweglichkeit
- Gelenkversteifung
- Kraftverlust
- Einschränkung des Greifvermögens
- Einschränkung des Koordinationsvermögens
Studierende aus dem Studiengang Technisches Logistikmanagement der Hochschule Heilbronn haben mit Hilfe von GERT einige Arbeitssituationen in der Logistik und den Einsatz eines Transportwagens mit dem sensorgesteuerten elektrischen Antriebssystem ErgoMove 1000 der Firma Blickle Räder+Rollen getestet.
Alterssensible Gestaltung
Bei der ergonomischen Gestaltung eines Transportwagens spielen demnach folgende Aspekte eine Rolle:
1. Konstruktion des Wagens
Bei der Entwicklung beziehungsweise Auswahl eines Transportwagens gilt es, auf die körperlichen Gegebenheiten zu achten. Nicht nur die Bein- und Fußfreiheit, sondern auch die Höhe und Breite des Wagens spielen für die Anwenderfreundlichkeit eine große Rolle.
2. Fahrverhalten und Gebrauchstauglichkeit
Hier ist das Verhalten in unterschiedlichsten Fahrsituationen zu berücksichtigen. Ein harmonisches Zusammenspiel von Antrieb und Rollen ist Grundvoraussetzung für die Gebrauchstauglichkeit.
3. Bedienelemente in der Mensch-Maschine-Schnittstelle
Die Bedienelemente müssen unabhängig von der Sprache mit Farben und Symbolen gut erkennbar und leicht bedienbar sein. Die Anordnung, Gestaltung, Größe und Eindeutigkeit der Bedienelemente spielt hier eine sehr große Rolle und kann die Arbeit stark beeinflussen.
Die Checkliste auf der linken Seite fasst die wichtigsten Anforderungen an einen ergonomischen Transportwagen zusammen. Arbeitsumgebungseinflüsse wie zum Beispiel die Beleuchtung im Lager sind ebenfalls zu beachten. Bei all diesen Punkten ist eine umfassende Schulung der Beschäftigten, die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen sowie das Vorhandensein von Betriebsanweisungen unverzichtbar.
In den Auswahlprozess integrieren
Bei Berücksichtigung der beschriebenen Kriterien ist es möglich, für alle Beschäftigten Arbeitsgeräte bereitzustellen, die demographisch sensibel gestaltet sind. Ein ergonomischer Transportwagen, welcher altersgerecht entwickelt wurde, ist für alle Anwender, ob jung oder alt, von Vorteil.
Der Gedanke an eine demographisch sensible und anwenderorientierte Gestaltung sollte in allen Bereichen der Logistik weiter in den Vordergrund rücken und auch schon in den Auswahlprozess der Transport- und Transporthilfsmittel einfließen. Dies gilt grundsätzlich für alle Entwicklungsphasen von Arbeitsgeräten und ‑prozessen. Auf diese Weise ist es möglich, Arbeit unter Berücksichtigung der menschlichen Leistungsgrenzen zu gestalten und die Arbeitskraft und Gesundheit von Beschäftigten bis ins Alter zu erhalten.
Prof. Dr.-Ing.
Annett Großmann
Studiengang Technisches Logistikmanagement
Hochschule Heilbronn
Darauf ist bei einem Transportwagen zu achten
- Beinfreiheit: Ist ein Anstoßen mit den Beinen ausgeschlossen?
- Beträgt die Höhe des Fußfreiraumes über dem Boden mehr als 22 Zentimeter?
- Ist eine Feststellbremse vorhanden und lässt sich diese mit Sicherheitsschuhen gut bedienen?
- Gibt es einen Fußschutz (zum Beispiel in Form einer Radabdeckung)? Dies gilt vor allem dann, wenn Rollen oder Räder aus der Fahrzeugkontur herausragen. Der Rollen- oder Raddurchmesser sollte mindestens 15 Zentimeter betragen.
- Ist mindestens ein Griff zum Ziehen, Schieben oder Lenken montiert? Der Abstand zwischen Griffen und Boden sollte 1 bis 1,25 Meter betragen.
- Lassen sich die einzelnen Bedienelemente gut auseinanderhalten (zum Beispiel durch Abstand und Farben)? Bei den Bedienelementen sollte möglichst wenig Text stehen. Der Text sollte gut lesbar sein.
- Ist ein Not-Aus vorhanden und gut zu erkennen?
- Hat die Fahrzeugbatterie einen Isolationsschalter oder eine Schnellkupplung? Ist eine Akku-Statusanzeige vorhanden und gut sichtbar?
- Sind scharfe Kanten oder Ecken an der Oberfläche des Transportwagens zu beseitigen?
Eigens überprüft werden muss das Fahrverhalten des Transportwagens:
- Wie verhält sich der Wagen beim Bremsen, in den Kurven?
- Ist das Kippen ausgeschlossen?
Weitere Informationen
- Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung BiB; www.bib.bund.de
- Alterssimulationsanzug GERT; www.produktundprojekt.de/alterssimulationsanzug