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Abgerutscht in die virtuelle Welt

Medienabhängigkeit: Warnsignale beachten
Abgerutscht in die virtuelle Welt

Abgerutscht in die virtuelle Welt
© WavebreakMediaMicro – stock.adobe.com
Lena Markmann

Vor rund zwei Jahren beschloss die Bun­desregierung, das gesellschaftliche Leben herun­terz­u­fahren, um die Ver­bre­itung des Coro­na-Virus einzudäm­men. Schnell mussten dig­i­tale Alter­na­tiv­en her: Arbeitsmeet­ings wur­den in virtuelle Räume ver­legt, über Face­time fan­den gemein­same Kochabende statt und der Arztbe­such hieß auf ein­mal Videosprech­stunde. Dig­i­tale Wel­ten bieten viele Möglichkeit­en, aber ein eben­so hohes und nicht zu unter­schätzen­des Poten­zial für eine Medienabhängigkeit.

Anerkannte internetbezogene Verhaltenssucht

Com­put­er­spielab­hängigkeit (gam­ing dis­or­der) ist die einzige von der World Health Orga­ni­za­tion (WHO) anerkan­nte inter­net­be­zo­gene Ver­hal­tenssucht. „Bei anderen spez­i­fis­chen Inter­net­nutzungsstörun­gen muss die wis­senschaftliche Grund­lage noch weit­er aus­ge­baut wer­den, um diese als Ver­hal­tenssucht an‧zuerkennen“, erk­lärt Lau­ra Bot­tel, Fachref­er­entin für Inter­netab­hängigkeit und Press­esprecherin des Fachver­bands Medi­en­ab­hängigkeit e. V.. Das bedeutet aber keineswegs, dass es keine anderen Inter­net­nutzungsstörun­gen gibt: Pornografie, Online-Kauf­sucht oder Social-Net­work-Sucht sind nur einige von vie­len Beispie­len. Und wie oft haben wir schon Men­schen beobachtet, die gemein­sam an ‧einem Cafétisch sitzen, sich aber lieber in ihr Handy als in ein Gespräch mit ihrem Gegenüber ver­tiefen? Das Bild gehört schon fast zur Nor­mal­ität, lässt aber eine gewisse Form der Abhängigkeit vermuten.

Unter Menschen – aber doch für sich

„Sozialer Rück­zug ist ein wesentlich­es Kennze­ichen für eine Inter­netab­hängigkeit. Das kann auch bedeuten, dass sich Per­so­n­en zwar in Gesellschaft begeben, aber nicht mit den Men­schen in Inter­ak­tion treten“, weiß Bot­tel. Als wis­senschaftliche Mitar­bei­t­erin in der Klinik für Psy­cho­so­ma­tis­che Medi­zin und Psy­chother­a­pie des LWL Uni­ver­sität­sklinikums der Ruhr Uni­ver­sität Bochum ist sie mit der Konzep­tion und Koor­di­na­tion von Ver­sorgung­spro­jek­ten für Inter­netab­hängige sowie der Erforschung der zugrun­deliegen­den Mech­a­nis­men und ver­schiede­nen Facetten ein­er Inter­netab­hängigkeit befasst. „Da muss man dann hin­ter­fra­gen, warum die betrof­fene Per­son so stark zurück­tritt: Was hat das Smart­phone für einen Mehrwert?“

Pandemie als Treiber für Medienabhängigkeit

In ein­er Zeit, in der die Medi­en­nutzung ohne­hin schon hoch ist, sorgt eine gesellschaftliche Iso­la­tion für eine schnelle Steigerung. Das zeigt eine im Auf­trag von ZDF und ARD durchge­führte Befra­gung des Forschungsin­sti­tuts „GIM – Gesellschaft für Inno­v­a­tive Mark­t­forschung mbH“. Dem­nach haben im Jahr 2021 Inter­netme­di­en weit­er an Bedeu­tung gewon­nen: Rund 136 Minuten pro Tag nutzten die Men­schen in Deutsch­land Medi­en im Inter­net, das ist ein Zuwachs von 16 Minuten pro Tag. Zudem bewe­gen sich mit 67 Mil­lio­nen rund eine Mil­lion mehr Men­schen im Inter­net als 2020. Aufgeschlüs­selt nach Alters­grup­pen nutzen 100 Prozent der unter 50-Jähri­gen, 95 Prozent der Gruppe zwis­chen 50 und 69 Jahren und 77 Prozent der 70-Jähri­gen das Internet.

Die halbe Nacht im Internet unterwegs

Gründe für diese Steigerung liegen auf der Hand, schließlich ist der Men­sch ein soziales Wesen. Wenn er sein Bedürf­nis nach sozialer Inter­ak­tion nicht mehr real ausleben kann, dann ist die virtuelle Vari­ante bess­er als der gän­zliche Verzicht. Doch diese Ver­lagerung in virtuelle Wel­ten, der dauernde Kon­sum von Medi­en – seien es Social-Media-Plat­tfor­men, dig­i­tale Infor­ma­tions­di­en­ste, Online-Shops oder ‑Spiele – ist hoch sucht­ge­fährdend. „Betrof­fene ver­brin­gen oft die halbe Nacht im Inter­net und sind am näch­sten Mor­gen entsprechend müde und unkonzen­tri­ert“, beschreibt Bot­tel. Das kann sich auf die Arbeitssicher­heit auswirken, wenn beispiel­sweise ein Dachdeck­er, der zu nachtschlafen­er Stunde noch ins neue Com­put­er­spiel ver­tieft war und sich beim Hin­ab­steigen der Leit­er neue Spielzüge über­legt, eine Sprosse ver­fehlt und abrutscht. Oder wenn eine ‧Büroangestellte alle zehn Minuten rou­tiniert zum Smart­phone greift, um per­sön­liche und all­ge­meine News zu check­en, unter­bricht sie jedes Mal den Arbeits­flow. Der Fokus liegt dann nicht auf ihrer Tätigkeit, son­dern auf dem Medi­um. Das kann zu Stress, Kon­flik­ten in der Belegschaft und ein­er sink­enden Arbeit­squal­ität führen.

Warnsignale für Medienabhängigkeit

Alle kon­sum­ieren Medi­en, wann aber geht das Nutzungsver­hal­ten in eine Abhängigkeit über? „Es gibt ver­schiedene starke Warnsignale. Wenn Per­so­n­en merken, dass ihr Kon­sum außer Kon­trolle gerät, sie sich sozial zurückziehen und die Pri­or­isierung klar auf der Inter­net­nutzung liegt, dann lässt das auf eine Abhängigkeit schließen“, beschreibt Bot­tel. Sobald der­ar­tige Sig­nale auf­fall­en, emp­fiehlt es sich, Betrof­fene anzus­prechen. Sicher­heits­beauf­tragte bekom­men der­ar­tige Entwick­lun­gen häu­fig früher mit als Vorge­set­zte oder Führungskräfte, da sie näher am Arbeits­geschehen dran sind. „Wenn Sicher­heits­beauf­tragte Warnsignale bei Kol­legin­nen oder Kol­le­gen beobacht­en, soll­ten sie diejeni­gen ohne Druck und Vor­würfe ansprechen. Sie soll­ten ihre Beobach­tun­gen mit­teilen und ihre Sorge äußern“, erk­lärt Bot­tel. „Darüber hin­aus soll­ten sie Hil­fe anbi­eten, indem sie beispiel­sweise auf externe Hil­f­sange­bote verweisen.“

Herausforderung Homeoffice

Diese Beobach­tun­gen von Kol­legin­nen und Kol­le­gen ent­fall­en aber an vie­len Arbeit­splätzen, seit­dem sie pan­demiebe­d­ingt über­gangsweise oder auch dauer­haft ins Home­of­fice ver­lagert wur­den. Hier sind viel Selb­st­diszi­plin und Eigen­ver­ant­wor­tung gefragt. „Den einen fällt das leicht, andere haben damit immense Prob­leme. Diejeni­gen, die bere­its vorher eine Ten­denz zur Medi­en­ab­hängigkeit hat­ten und für die der Arbeit­splatz eine feste Kon­stante war, laufen Gefahr, im Home­of­fice in die virtuelle Welt abzu­driften“, schildert Bot­tel. Dem kön­nen Arbeit­ge­ber präven­tiv begeg­nen: „Hier ist Aufk­lärung entschei­dend. Dadurch sind die Beschäftigten für das The­ma sen­si­bil­isiert und ken­nen Wege, die im Falle ein­er Abhängigkeit gegan­gen wer­den kön­nen. Zudem empfehlen sich Schu­lungsange­bote zur Selb­stor­gan­i­sa­tion, damit sich die Beschäftigten auch im Home­of­fice auf die Arbeit fokussieren.“

Schulung der Medienkompetenz

Ein weit­er­er Aspekt, der spätestens im Zuge der um sich greifend­en Fake-News immer wieder auf­taucht, ist die Medi­enkom­pe­tenz. Kaum jemand aus der arbei­t­en­den Bevölkerung hat gel­ernt, mit dem Medi­um „Inter­net“ umzuge­hen. Kinder wer­den mit­tler­weile ide­al­er­weise in der Schule im richti­gen Umgang unter­richtet. „Da die arbei­t­ende Bevölkerung dem Inter­net erst im fort­geschrit­te­nen Alter begeg­net ist, sind die meis­ten in diese Welt hineingerutscht. Den Umgang haben sie sich vielfach selb­st angeeignet“, ver­weist Bot­tel auf einen möglichen Grund, warum es ger­ade Älteren an Kom­pe­tenz im richti­gen Nutzungsver­hal­ten man­geln kön­nte. Diesem Prob­lem lässt sich durch Schu­lun­gen, Work­shops und Fort­bil­dun­gen begeg­nen Arbeit­ge­ber kön­nten dazu Anstoß geben, indem sie ihrer Belegschaft die Teil­nahme ermöglichen.


Ohne Smartphone? Ohne mich!

Die Ergeb­nisse der bevölkerungsrepräsen­ta­tiv­en Studie „Die Süchte der ‧Deutschen“ der prono­va BKK aus dem Jahr 2021 zeigen, dass die Hälfte der Deutschen sich ein Leben ohne Smart­phone nicht mehr vorstellen kann. Zum Ver­gle­ich: Bei der Befra­gung vor vier Jahren war es erst ein Drit­tel. Bei den unter 30-Jähri­gen sind es heute sog­ar drei Vier­tel der Befragten, die ihr Handy als unverzicht­bar anse­hen. Diese Zahlen bele­gen, dass der Gebrauch des Smart­phones zur Gewohn­heit gewor­den ist. 43 Prozent erwis­chen sich dabei, wie sie nach ein­er gewis­sen Zeit automa­tisch auf das Smart­phone schauen. Doch nicht nur über den Tag verteilt gilt die Aufmerk­samkeit dem smarten Begleit­er, son­dern 41 Prozent schenken ihrem Smart­phone mor­gens den ersten und abends den let­zten Blick. Und auch bei der Arbeit wird das Smart­phone immer wieder gezückt: 37 Prozent check­en auch während der Arbeit­szeit regelmäßig ihre Nachrichten.


Hilfe finden bei Medienabhängigkeit

Auf der Web­site des Fachver­bands Medi­en­ab­hängigkeit e. V. sind Beratungs- und Anlauf­stellen für Betrof­fene und Ange­hörige aufge­führt, die auf das The­ma Medi­en­ab­hängigkeit spezial­isiert sind. Zudem sind regionale und bun­desweite Ansprech­part­ner­in­nen und Ansprech­part­ner aufge­lis­tet, die Hil­fe und Infor­ma­tio­nen ver­mit­teln kön­nen. Über die Postleitzahlsuche lassen sich Ange­bote in der jew­eili­gen Region find­en. Darüber hin­aus stellt der Fachver­band eine voll­ständi­ge Liste der verze­ich­neten Ange­bote in Deutsch­land sowie Hil­f­sange­bote in Öster­re­ich, der Schweiz und Lux­em­burg zur Verfügung.

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