Für Prof. Dr. Monika Eigenstetter, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Hochschule Niederrhein, erscheint Arbeit mit ihren positiven und negativen Auswirkungen als eine der wesentlichsten Kategorien im Leben eines Menschen. In diesem Sinne führt die Enquete Kommission (2013, S. 671) aus: „Ohne Arbeit könnte der Mensch nicht leben und überleben. Er ist auf die Gestaltung und Umgestaltung seiner natürlichen Umwelt angewiesen. In einer zweiten Dimension ist Arbeit gesellschaftlich und sozial bestimmt, Arbeit gewährt Teilhabe und Integration. Der Mensch arbeitet nicht für sich allein, sondern die Bedingungen und Kontexte der Arbeit sind immer auch gesellschaftlich verhandelt. In dieser gesellschaftlichen Bestimmung der Arbeit spiegeln sich die politisch umstrittenen und gestaltbaren Konzepte der Arbeit. Drittens hat Arbeit eine personale Dimension. Sie ist dort, wo sie auf dem Markt angeboten wird, nicht Ware wie eine andere auf dem Markt gehandelte Ware, sondern an die Person gebunden. Auf der ethischen Ebene hat Arbeit eine eigene Würde, weil der Mensch, der sie verrichtet, Würde hat; deswegen kann die Arbeit nicht vom Menschen abgekoppelt werden. In der Arbeit vollzieht sich die Freiheit des Menschen, durch die Arbeit formt sich seine Identität, sie ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe; ohne Arbeit erfährt der Mensch auch eine deutliche Einschränkung der Anerkennung seiner Person. Schließlich und letztlich hat Arbeit für einige auch eine spirituelle Dimension“.
Prof. Dr. Monika Eigenstetter zu Ethik in der Arbeitssicherheit
Ethik – ein schwergewichtiges Wort, dass in Zeiten der Pandemie und durch neue Gesetze wie das Lieferkettengesetz zunehmend im Unternehmensumfeld an Bedeutung gewonnen hat. Wo sehen Sie die ethischen Ansatzpunkte in der Arbeitssicherheit und wie hat Ihr Unternehmen diese vielleicht bereits aufgegriffen?
Man könnte Investitionen in den Arbeitsschutz als konfliktär zur Gewinnerzielung im Unternehmen sehen, die dann auch wieder der Arbeitsplatzsicherheit für Beschäftigte dient. Es geht um die gute Arbeitssicherheit im eigenen Unternehmen oder in der Lieferkette. Hier tut man sich als Unternehmer schwer, in den Verantwortungsbereich anderer einzugreifen. Das widerspricht dem eigenen Anspruch an freiheitlichem Handeln. Man würde sich das selbst auch verbitten, dass andere als der Staat in das eigene Unternehmertum eingreifen. Es gibt da also ein paar Wertekonflikte.
Mit dem Lieferkettengesetz ändert sich da etwas. Ob meine eigene Hochschule das Lieferkettengesetz ernst nehmen wird? Es ist vor allem eine Bürokratie, die zunächst einmal versucht, sich abzusichern. Proaktives Handeln in Richtung mehr Nachhaltigkeit und Menschenrechte wird vor allem von Einzelpersonen getrieben. Eine konsolidierte Strategie gibt es noch nicht. Natürlich aber wird in unserem direkten Umfeld der Arbeitsschutz weitestgehend eingehalten.
“Das Leben ist schön, solange nichts passiert” – Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nicht zu verunfallen, ist keine Frage des Glücks. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in der Gratwanderung zwischen einer ethischen Umsetzung der Vorschriften in Korrelation mit den Gewinnmaximierung des Unternehmens?
Zunächst gilt es, eine Risikoanalyse vorzunehmen: Wenn man sich erst einmal klar gemacht hat, wieviel ein Brand oder ein Skandal die eigene Organisation kostet, dann wird es leichter, hier Aufwendungen zu finanzieren. Oder man rechnet die Krankheitstage gegen eine Grippeschutzimpfung.
Was mir in meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit auffiel: Der Respekt vor den eigenen Leuten motiviert das meiste Arbeitsschutz-Handeln und gute Führung. Für mich ist die Sorge um die Gesundheit meiner Mitarbeitenden ein wichtiger Teil des allgemeinen Führungshandelns.
Exemplarisch dafür steht folgende Geschichte: „Ein Mann geht über eine Baustelle und fragt einen Steinmetz, was er da tue: „Sie sehen doch, ich bearbeite Steine“, antwortet dieser. Einige Schritte weiter stellt er einem anderen Steinmetz dieselbe Frage. Dieser antwortet: „Wir bauen eine Kathedrale.“ Sinnstiftung, Motive und Werthaltungen in der Arbeitswelt sind Teile werteorientierter Führung und Kulturgestaltung.
Wenn Achtung und Respekt für Beschäftigte formuliert werden, dann erfordert eine Implementierung weit mehr, als eine Hochglanzbroschüre. Es ist schwierig, Mitarbeitenden Werte wie Respekt und Anerkennung zu vermitteln, wenn in den Hallen über 30 Grad Celsius herrscht und kühlende Luft eher für die Serverräume der Großrechner bereitgestellt wird als für die Arbeitenden in einer heißen Fabrikhalle.
Wo sehen Sie die Zusammenhänge zwischen einer Sicherheitskultur im Unternehmen und einer ethischen Umsetzung?
Eine Priorisierung von Sicherheit und Gesundheit vor Gewinn ist eine ethische, wertebasierte Entscheidung. Sie kann, muss aber nicht, sich langfristig positiv auswirken.
Durch die Pandemie waren viele Unternehmen dazu gezwungen das Arbeitsumfeld der Mitarbeitenden von einem Tag auf den anderen vollständig umzukrempeln. Plötzlich sah man sich der Herausforderung gegenübergestellt, dass beispielsweise alle Büro-Mitarbeitenden im Home Office arbeiten mussten. Inwieweit hat die Pandemie mit seinen vielfältigen Herausforderungen an die Arbeitssicherheit eine Veränderung im Umgang miteinander und in der Umsetzung der Arbeitssicherheitsmaßnahmen bewirkt?
Mich hat geärgert, dass man die Mitarbeitenden ohne entsprechendes Equipment nach Hause beordert hat. Nicht mal die minimalsten Anforderungen an einen ergonomischen Arbeitsplatz waren meist erfüllt.
Viele Führungskräfte meinten, dass die Mitarbeitenden weniger arbeiten. Andere sorgten sich um die Vereinsamung Alleinstehender zuhause, konnten aber wenig unterstützen. Man hätte durchaus mehr professionelle Hilfe für digitale Führung anbieten können. In meinem Team lief es vergleichsweise gut, weil wir die Anzahl der Meetings erhöht haben, um die allgemeine Kommunikation aufrecht zu erhalten.
Unabhängig von den Auswirkungen der Pandemie: Was wäre Ihre Wunschvorstellung zur Berücksichtigung ethischer Komponenten in der Arbeitssicherheit?
Gute Arbeitssicherheit ist das Äquivalent einer gelebten Ethik. Vielleicht sollte man den Arbeitsschutz zunächst richtig ernst nehmen und verstehen, was sich beispielsweise hinter einer psychischen Gefährdungsbeurteilung verbirgt. Da ist alles drin. Zusammenarbeit, Führung, Handlungsspielraum, sinnstiftende Arbeit, Antidiskriminierung…
Das Interview führte Saskia A. Rotterdam