Ob Arbeitsunfall, Naturkatastrophe oder Hackerangriff – in jedem Unternehmen können Extremsituationen eintreten, in denen es auf ein schnelles und gezieltes Handeln ankommt. Fatal ist, wenn sich eine Rettung oder Schritte zur Gefahrenabwehr verzögern, weil Alarmierung und Informationsweitergabe gestört sind. Damit die Kommunikation nicht zum Nadelöhr wird, sollten Unternehmen jedoch nicht nur in die Sicherheitstechnik investieren, sondern auch beim menschlichen Handeln ansetzen.
Fehler aufgrund misslungener Kommunikation
Laut Studien geht jeder dritte Fehler in der Intensivmedizin auf eine misslungene Kommunikation der beteiligten Ärzte und des OP-Personals zurück. Dass auch in anderen Branchen und Berufen Kommunikationsmängel nicht selten Fehler und Schäden nach sich ziehen, wird niemand bestreiten. Dies gilt umso mehr in Extremsituationen. Der von der Leiter gestürzte Kollege, das plötzliche Aufflackern eines Feuers, aber auch eine Maschinenstörung oder ein Stromausfall haben eines gemeinsam: Es kommt nicht nur auf das rasche Handeln an, etwa Erste Hilfe zu leisten oder den Feueralarm auszulösen. Ebenso wichtig ist, dass die betroffenen Beschäftigten möglichst souverän kommunizieren, um die Situation zu bewältigen. Psychische wie auch technische Aspekte können dies erschweren.
Psyche unter Druck: Wenn uns die Worte fehlen
Notfallsituationen erfordern eine hohe Kommunikationsdichte und eine schnelle Kommunikationsgeschwindigkeit. Bei einem Unfall ist wichtig, dass der Rettungsdienst unverzüglich erreicht wird. Doch ebenso gilt: Je gezielter und korrekter die Informationen sind, desto angemessener kann das Unfallopfer versorgt und Spätfolgen vorgebeugt werden.
Doch gerade, wenn es darauf ankommt, versagen allzu leicht unsere kommunikativen Fähigkeiten. Die Redewendung, dass es uns „die Sprache verschlägt“ macht dies deutlich. Jeder Notfall erzeugt einen hohen Stresspegel, der uns regelrecht blockieren kann. Das kann so weit führen, dass uns die Notrufnummer nicht mehr einfällt oder die Hausnummer unseres Betriebs. Niemand ist davor gefeit, unter Druck zu stammeln, zu stottern, sich zu versprechen und somit die Rettungskette zu verzögern. In diesem Moment können Fehler sich jedoch fatal auswirken und die Folgen irreversibel sein.
Jeder sollte daher in seinem Arbeitsumfeld darauf achten, dass Notfallrufnummern aushängen, dass diese Aushänge aktuell sind oder dass in Unterweisungen die 5 W‑Fragen der Notfallmeldung eingeprägt werden. Betriebsanweisungen von Maschinen und Anlagen sollten Hinweise auf das Verhalten bei einer Störung enthalten. Bei sicherheitsrelevanten Anlagen, Überwachungseinrichtungen oder anderen komplexen Systemen können weitere Informationen notwendig sein, etwa ein Aushang, wer bei Ausfall, Störung, Warnmeldungen et cetera auf welche Weise zu informieren ist. Auch in Notfallplanungen zu Naturgefahren sind die Informationswege einzubinden. Im Fall der Fälle sollte klar sein, wer wen auf welche Weise informiert, betriebsintern wie nach außen zu Behörden, Feuerwehr, Versicherungen.
Tücken und Grenzen technischer Lösungen
Mobilfunknetze und Smartphones für jedermann erleichtern zweifellos das Alarmieren in einem Notfall. Auch in der Überwachung von Prozessen und von sicherheitskritischen Parametern haben Digitalisierung, Automatisierung und smarte Sensorik die Sicherheitslösungen vorangebracht. Doch die Frage muss erlaubt sein, wann und wo der Mensch zu sehr Verantwortung an eine Technik abgibt und dadurch wiederum unselbstständiger und hilfloser wird.
Jeder hat bereits über kuriose Fälle geschmunzelt, in denen Autofahrer vom Navi geleitet ihr Fahrzeug auf eine Skipiste, eine Fußgänger-Treppe oder in einen Fluss steuern. Oder man amüsiert sich über den Familienvater, der mit einem Störsender verhindern wollte, dass seine Kinder im Internet surfen, und damit das komplette Mobilfunknetz an seinem Wohnort lahmlegte. Doch könnten vergleichbare Vorfälle nicht auch den eigenen Betrieb betreffen? Blindes Vertrauen auf digitale Helfer kann fatal sein, insbesondere wenn die Tools und Technologien sicherheitsrelevant sind.
Abhängigkeit ausloten und kritisch hinterfragen
Auch in der eigenen Arbeitsumgebung ist es daher eine gute Idee, einmal selbstkritisch zu hinterfragen, wie sehr man beim Bewältigen einer Notfallsituation von technischen Voraussetzungen abhängig geworden ist. Wie nützlich ist zum Beispiel die tolle Erste-Hilfe-App, wenn im Ernstfall der Handy-Akku gerade leer ist, Verbandszeug fehlt oder einem bewusst wird, dass man die Herz-Lungen-Wiederbelebung nie aktiv geübt hat? Welche Kommunikations- und Informationswege bleiben, wenn – etwa bei Hochwasser oder Sturm – Telefonnetze und Online-Verbindungen ausfallen? Welche Maschinen und Anlagen werden durch Mobilgeräte gesteuert und was passiert, wenn einem dabei das Tablet aus der Hand fällt? Wie reagieren die Alarmierungs‑, Überwachungs- oder Zutrittskontrollsysteme des Betriebs bei Stromausfall, einer Netzstörung oder einem Hackerangriff und wann wurde dies zuletzt simuliert und kritisch geprüft?
Souverän Kommunizieren
Unternehmen investieren oft viel in Sicherheitstechnik und hochwertige Gerätschaften, doch im Fall der Fälle kommt es dennoch auf die handelnden Personen an. Strategien zum Sicherstellen einer effizienten Kommunikation bei Notfällen sollten auf beiden Ebenen ansetzen, bei der Technik wie beim Menschen. Notfallsituationen sind nur bedingt voraussehbar, zudem entwickeln sie leicht eine Eigendynamik. Dennoch lassen sich durch Rettungs- und Evakuierungsübungen Verhaltensweisen trainieren und einprägen. Dabei ist auch das Kommunikationsverhalten kritisch zu beobachten und auszuwerten. Hier geht es nicht nur um ein möglichst rasches und zielführendes Alarmieren, sondern auch um das souveräne Kommunizieren untereinander und vor allem mit den Unfallopfern. Wird beruhigt, Sicherheit vermittelt oder Panik verbreitet? Erfahren Verletzte, dass der Arzt unterwegs ist, sie gleich versorgt werden und solange nicht allein bleiben?
Genauso wichtig ist in einer solchen Situation neben dem Reden das Zuhören, etwa wenn das Unfallopfer darum bittet, Angehörige zu informieren. Je mehr man sich auf solche Situationen mental vorbereitet und dies in Übungen erlebbar macht, desto eher wird man im Ernstfall in der Lage sein, angemessen zu reagieren und zu kommunizieren.
Eine Notfallsituation kann extrem belastend sein. Alarmrufe, Schmerzensschreie, Sirenengeheul und andere Wahrnehmungen strömen gleichzeitig auf uns ein und die Gefahr ist groß, den Überblick zu verlieren. Nicht immer ist automatisch klar, was nun genau zu tun ist. Hier setzt das 10-für-10-Prinzip an: Zehn Sekunden für zehn Minuten oder anders formuliert: Besser zehn Sekunden innehalten und überlegen als zehn Minuten in die falsche Richtung rennen. Schnelles Handeln ja, aber gezielt und ohne Aktionismus. Auch dies lässt sich (in Grenzen) simulieren und einüben, um im Fall der Fälle mit der Situation vertrauter zu sein und einem Kontrollverlust vorzubeugen.
Erhöhtes Risiko durch falsches Sicherheitsgefühl?
Die Bergwacht warnt, dass das allgegenwärtige Handy viele Wanderer leichtsinniger werden lässt. Wer kann noch eine Landkarte lesen oder die Himmelsrichtung bestimmen, wenn das Navi ausfällt und das Smartphone kein Netz findet? Solche Überschätzungen einerseits und Schwächen andererseits können auch im Betrieb lauern. Gerade Sicherheitsbeauftragte sollten ein sensibles Auge dafür haben, wo Kollegen unnötig hohe Risiken eingehen, weil sie sich zu sehr auf technische Unterstützung verlassen. Besonders für kommunikativ anspruchsvolle Situationen wie etwa bei Alleinarbeit oder in lärmenden Umgebungen sollten klare Regeln gelten.