Es klingelt an der Wohnungstür. Davor steht der Paketbote, in der Hand hält er ein Paket mit der Aufschrift „Amazon“. Spätestens in der Corona-Pandemie haben die meisten den Online-Versandhandel als bequeme Bezugsquelle genutzt. Hinter dem scheinbar einfachen Bestellvorgang verbirgt sich aber ein komplexer Logistikprozess. Das zeigt ein Blick in das Logistikzentrum von Amazon in Pforzheim. Damit die Pakete ihre Ziele erreichen, sind gut funktionierende Arbeitsabläufe gefragt. Dafür setzt sich die Versandmitarbeiterin Elvira Seidl seit rund zehn Jahren ein. Doch ihr Engagement reicht noch weiter: nach ihrer Teilnahme am Grundkurs zur Sicherheitsbeauftragten bei der zuständigen Berufsgenossenschaft und dem internen Sicherheitsbeauftragten-Training wurde sie vor rund drei Jahren zur Sicherheitsbeauftragten ernannt. Seitdem übernimmt sie Aufgaben in der Arbeitsschutzabteilung. „Ich wollte mich weiterbilden. Da mir die Sicherheit am Herzen liegt, fiel schnell die Wahl auf das Ehrenamt der Sicherheitsbeauftragten. Denn ich habe schon einzelne Unfälle miterlebt, die vermeidbar gewesen wären“, erinnert sie sich.
Ansprache ohne Hemmungen
Am Anfang plagten Seidl Selbstzweifel. Sie fragte sich, wie sie ankommt und ob die Kolleginnen und Kollegen sie als Sicherheitsbeauftragte akzeptieren: „Für mich war es die größte Herausforderung, auf die anderen zuzugehen.“ Doch mit der fachlichen Unterstützung der Mitarbeitenden der Safety-Abteilung hat sie diese Sorgen schnell über Bord werfen können. „Elvira ist für uns ein wertvolles Sprachrohr. Wenn irgendwo der Schuh drückt, dann suchen die Beschäftigten häufig den Kontakt zu ihr“, berichtet Tim Schwenke zufrieden, der als Leiter des Arbeitssicherheitsteams in Pforzheim eng mit Elvira Seidl zusammenarbeitet.
Vielen fällt es leichter, sich direkt an Sicherheitsbeauftragte wie Elvira Seidl zu wenden, als an ihre Vorgesetzten: „Ich bin eine von denen, ich arbeite mit ihnen auf einer Ebene. Das wissen die Kolleginnen und Kollegen und haben so keine Hemmungen auf mich zuzukommen.“ Sie vermittelt die jeweiligen Anliegen an die Führungspersonen und gibt den Ratsuchenden entsprechende Rückmeldung. „Vieles weiß ich selbst nicht. Aber dann gehe ich los und erkundige mich. So sorge ich dafür, dass das Wissen weitergegeben wird“, beschreibt Seidl. Feedback können die Beschäftigten aber nicht nur an die Sicherheitsbeauftragten herantragen, sondern auf Wunsch auch anonym auf den sogenannten Safety-Save-Zetteln übermitteln. Diese werden sorgfältig ausgewertet und schon häufig haben sich daraus kleine oder größere Verbesserungen ergeben.
Viele Augen sehen mehr
Elvira Seidl ist nicht die einzige Sicherheitsbeauftragte am Standort. Mit ihren Sicherheitsbeauftragten-Kolleginnen und ‑Kollegen, den Abteilungsleitungen und der Arbeitsschutzabteilung trifft sie sich regelmäßig. Der unbürokratische und schnelle Austausch erfolgt entweder in Präsenz oder digital über das amazoneigene Kommunikationstool „Chime“. Einmal pro Woche begeht Seidl gemeinsam mit Vorarbeiterinnen und Vorarbeitern oder Schichtleiterinnen und Schichtleitern eine Abteilung. Bei den Begehungen setzt Amazon auf das Vier-Augen-Prinzip. Die Sicherheitsbeauftragten überprüfen die Sicherheitsstandards jeweils zu zweit anhand von Checklisten, die auf die Abteilungen zugeschnitten sind. „Bei den Sitzungen werten wir die Checklisten gemeinsam aus und ergreifen bei Missständen umgehend Maßnahmen im engen Schulterschluss mit den operativen Kolleginnen und Kollegen“, beschreibt Seidl das Procedere. Doch die Sicherheitsbeauftragten sind nicht nur zu zweit unterwegs, sondern besuchen auch verschiedene Abteilungen im Wechsel.
Das vermeidet Betriebsblindheit und potenzielle Gefahrenstellen fallen früher auf. Schließlich geht es nicht nur um Unfallvermeidung, sondern auch um Prävention und Gesundheitsförderung. Also auch darum, Verbesserungspotenziale aktiv anzugehen.
Auch wenn Seidl nicht offiziell in ihrem Ehrenamt unterwegs ist, hat sie die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit stets im Blick: „Ich laufe immer mit offenen Augen durch den Betrieb, spreche Kolleginnen und Kollegen an und melde auch abteilungsübergreifend Punkte, die mir auffallen. Wenn zum Beispiel eine Palette hochkant abgestellt wurde.“
Anderen Blickwinkel einnehmen
Um die Sicherheit zu erhöhen, setzt Amazon darüber hinaus auf Perspektivwechsel. Beschäftigte haben einen anderen Blick auf die Dinge als Führungskräfte. Ein Gabelstaplerfahrer nimmt die Verkehrswege anders wahr als eine Fußgängerin. „Deswegen legen wir die Wege auf unterschiedliche Weise zurück. Einmal gehend, einmal fahrend. So merken wir schnell, wo Sicherheitslücken sind, für alle Beteiligten“, erklärt Schwenke. Was die innerbetriebliche Verkehrssicherheit mit Flurförderfahrzeugen (FFZ) gefährdet, sind aber nicht nur andere FFZ oder Beschäftigte, die zu Fuß unterwegs sind, sondern auch nicht ordnungsgemäß abgestellte Paletten. Seidl berichtet von einem Fall, an dem eine Palette auf der Fahrbahn und nicht in der vorgesehenen markierten Abstellfläche stand. „Das haben wir angesprochen. Der Mitarbeiter hat seinen Fehler eingesehen und die Palette neu abgestellt“, erinnert sich Seidl. Aber in der Folgezeit standen immer wieder an derselben Stelle Paletten. „Da haben wir gemerkt, dass es hier ein grundsätzliches Prozessproblem gibt und eine neue Abstellfläche für Paletten geschaffen. Seitdem wurde an dieser Stelle kein einziges Mal mehr eine Palette deponiert.“ Dass die Paletten ausschließlich in den markierten Flächen abgestellt werden, ist immens wichtig. Sonst weichen die Fahrenden auf die Gegenfahrbahn aus, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes mit dem Gegenverkehr erhöht.
Kontinuierlich dranbleiben
Zu Seidls eigentlicher Tätigkeit gehört auch das Schulen von Beschäftigten in der Handhabung von FFZ. Dabei steht für Seidl die Begründung im Mittelpunkt: „Nur wenn ich das Warum erklären kann, verstehen die Beschäftigten die Maßnahmen und setzen sie auch um“, erklärt sie, warum diese so wichtig ist. Die FFZ im Logistikzentrum fahren wie in allen europäischen Standorten beispielsweise nur 6 km/h. Warum das so ist? Weil es in der Vergangenheit Geschwindigkeitsüberschreitungen und damit Gefahrenpotenziale gab. „Ganz oft sagen mir die Kolleginnen und Kollegen, dass sie bestimmte Regeln gar nicht gekannt oder die Sicherheitsmaßnahmen nicht verstanden haben. Da ist eine Erklärung ganz wichtig. Aber eine einmalige Erklärung oder Schulung reicht da nicht. Gerade am Anfang hat man einen Informations-Overload. Da muss man dranbleiben, kontinuierlich unterweisen, Sicherheitsregeln erklären und an die Maßnahmen erinnern.“ Deswegen wiederholt Seidl die Regeln immer wieder, stellt Fragen und zeigt, wie Arbeitsabläufe optimal laufen sollten.
Doch Seidl schult nicht nur, sondern nimmt auch selbst regelmäßig an Weiterbildungen teil. „Eigentlich wollte ich 2021 den Aufbaukurs für Sicherheitsbeauftragte besuchen. Der Kurs fiel wegen Corona aber leider flach“, erzählt sie enttäuscht. Ihr Arbeitgeber steht ihr dabei keinesfalls im Weg, im Gegenteil: Immer da, wo es nötig ist und sinnvoll erscheint, ermöglicht Amazon den Beschäftigten entsprechende weiterbildende Maßnahmen. „Wir arbeiten in einem speziellen Umfeld. Deswegen haben wir unser eigenes internes Schulungsprojekt Safety Ambassadors entwickelt. Mit sogenannten Learning Nuggets, sprich Sicherheitsimpulsen, investieren wir in die Arbeitssicherheit“, führt Schwenke aus. Es wird ein lernender Arbeitsschutz gelebt, der sich stetig weiterentwickelt und sich an die momentane Arbeitssituation anpasst.
Schon immer ehrenamtlich engagiert
Elvira Seidl hat sich immer schon ehrenamtlich engagiert, auch vor ihrer Zeit als Sicherheitsbeauftragte. „Ich hatte keine einfache Kindheit, bin im Heim groß geworden und mir wurden viele Steine in den Weg gelegt. Aber ich habe nie den Mut verloren. Ich wollte immer etwas Sinnvolles tun, wollte etwas bewegen.“ Und so möchte Seidl sich auch weiter bei Amazon einbringen und einsetzen: „Seit Antritt meiner Tätigkeit fühle ich mich hier gut unterstützt. Am Anfang musste ich zum Beispiel immer wieder spontan nach Hause, um mich um meinen behinderten Sohn zu kümmern. Das war nie ein Problem.“ Auch wenn Amazon wegen vorherrschender Arbeitsbedingungen des Öfteren in der Negativpresse stand, so kann Seidl diese Eindrücke nicht teilen. Sie hat immer Unterstützung bekommen. Sobald die Corona-Pandemie es zulässt, hat Seidl auch schon einen konkreten Plan: „Ich möchte mich im Bereich Gefahrstoffe fortbilden. Wir haben zwei große Hallen, in denen wir Gefahrstoffprodukte für unsere Kunden einlagern. Da brauche ich mehr Hintergrundwissen, um die Sicherheitsmaßnahmen gut vermitteln zu können.“
Amazon Logistikzentrum in Pforzheim
- Das Amazon Logistikzentrum in Pforzheim wurde 2012 eröffnet.
- Die erste Bestellung verließ das Logistikzentrum
am 26. September 2012. - Es hat die Größe von 15 Fußballfeldern (110.000 m²).
- In Pforzheim hat Amazon rund
1.600 Mitarbeiter:innen. - Der Standort ist das Referenzwerk im Amazon NonSort-Netzwerk, das sich auf große Artikel wie Fernseher und Gartengeräte spezialisiert.
- Durch die Spezialisierung auf größere Artikel, verfügt der Standort über weitere Hochregallagerflächen