Solange es Maschinen gibt, existieren Bedenken, dass sie Jobs vernichten und den Menschen ihre Existenzgrundlage nehmen. Bislang hat sich diese Annahme jedoch nicht bewahrheitet – das belegt der anhaltende Arbeitskräftemangel. Es gibt kaum eine Branche, die nicht händeringend nach Personal sucht – obwohl in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr Aufgaben automatisiert wurden. Während in großen Unternehmen vorwiegend hochspezialisierte, schwere Industrieroboter zum Einsatz kommen, eignen sich für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kollaborierende Roboter, sogenannte Cobots. Die Leichtbauroboter sind echte Teamplayer, die speziell dafür entwickelt wurden, ihre menschlichen Kollegen zu entlasten. Ihre Stärken spielen sie besonders bei Aufgaben aus, die so monoton, unergonomisch oder gefährlich sind, dass sich Mitarbeitende kaum dafür begeistern lassen. Sie palettieren, beladen oder polieren beispielsweise unermüdlich, ohne dass ihre Kraft oder Konzentration nachlässt. Doch bei der Integration von Cobots gibt es einiges zu beachten.
Der Mensch ist und bleibt in der Schlüsselposition
Cobots sind nicht nur ausdauernd, sie werden dank KI auch immer schlauer und kommen in mehr und mehr Branchen und Anwendungen zum Einsatz. Ein Beispiel: Mithilfe von ausgefeilten Bildverarbeitungssystemen und Datenverarbeitung durch intelligente Algorithmen sind die Roboter in der Lage, Aufgaben in der Qualitätsprüfung zu übernehmen, indem sie kleinste Abweichungen von der Norm identifizieren. Sogar die komplizierte Hand-Augen-Koordination gelingt den Maschinen heute. Das erlaubt ihnen zum Beispiel, einer Kiste chaotisch bereitgestellte Teile zu entnehmen, die sich in Form und Größe unterscheiden. So erledigen sie lästige Sortierarbeit, während den Menschen Zeit für wertschöpfendere Tätigkeiten bleibt.
Trotz dieser Fähigkeiten sind Roboter von selbstdenkenden Maschinen wie sie in Hollywood-Produktionen zu sehen sind, weit entfernt. Das ist auch gar nicht Ziel der Entwicklung, denn KI befähigt Cobots lediglich, Menschen immer effizienter zu unterstützen. Menschliche Qualitäten wie Kreativität, Teamfähigkeit und Führungskompetenz kann eine KI nicht ersetzen. Wichtige Entscheidungen werden daher auch angesichts zunehmend intelligenter Robotik-Lösungen stets beim Menschen verbleiben.
Arbeitssicherheit ist das A und O
Auch, wenn die Maschinen durch den Einsatz von KI immer intelligenter werden – selbstständiges Handeln, das gefährliche Situationen verursacht, müssen Mitarbeitende von ihnen nicht befürchten. Cobots werden sogar zunehmend in Schulen eingesetzt, um das Programmieren und die Entwicklung von Roboteranwendungen zu lehren. Anders als beim Einsatz klassischer Industrieroboter müssen Mensch und Maschine hierbei nicht durch Sicherheitszäune voneinander getrennt werden. Es gilt jedoch, ein gefahrloses Arbeitsumfeld für die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) zu schaffen. Alle seriösen Roboterhersteller und ‑integratoren statten dazu ihre Roboter mit umfangreichen Sicherheitsfunktionen wie Kraft‑, Leistungs- oder Geschwindigkeitsbegrenzungen aus.
Risikobeurteilung
Zentrale Voraussetzung für den sicheren Einsatz kollaborierender Roboter ist eine erfolgreich abgeschlossene Risikobeurteilung auf Basis der Kraft- und Leistungsbegrenzung und der Validierung aller möglichen Kollisionsszenarien. Bei der Durchführung der Risikobeurteilung muss immer die Applikation als Ganzes, also der Roboterarm inklusive Endeffektor, das Programm, software-seitige Sicherheitseinstellungen und das eventuelle Werkstück betrachtet werden. Zur einfacheren Beurteilung des Risikos im Umgang mit den Cobots hilft es, einen Bereich für den „normalen“ Betrieb sowie einen sogenannten „Kollaborationsraum“ festzulegen. Mithilfe dieser Unterteilung ist ein effizienter Mixbetrieb realisierbar. Das heißt, dass es einen Bereich gibt, in dem nur der Roboter agiert und einen anderen, in dem Mensch und Roboter zusammenarbeiten. Für die einzelnen Arbeitsräume gelten wiederum verschiedene Sicherheitsstandards.
Der „normale“ Bereich
Für den „normalen“ Bereich, in dem Mensch und Roboter getrennt voneinander arbeiten, gilt:
- Der Cobot kann mit hoher Geschwindigkeit agieren und kurze Taktzeiten erzielen.
- Da kein Kontakt zwischen Mensch und Roboter stattfindet, ist bei der Risikobeurteilung keine Kraft- und Druckmessung zur Gewährleistung der Sicherheit notwendig, sondern es gelten die gängigen Sicherheitsparameter.
- Dennoch ist der Bereich durch den sofortigen Halt des Roboters bei Eingriff durch den Menschen gesichert (zum Beispiel über Sicherheitslichtgitter).
Der Kollaborationsraum
Im Kollaborationsraum können sich Mensch und Roboter zur gleichen Zeit bewegen und miteinander interagieren.
- In diesem Bereich muss nachgewiesen werden, dass im Rahmen der Zusammenarbeit keine Gefahren für den Menschen auftreten können. Um den Verifizierungsaufwand zu reduzieren, sollte der Maßstab „so klein wie möglich, so groß wie nötig“ für den geteilten Arbeitsraum gelten.
- Zur Gewährleistung der menschlichen Sicherheit werden im Kollaborationsraum die Werte der Sicherheitsparameter (Geschwindigkeit, Kraft, Leistung usw.) reduziert. Der Roboter arbeitet dadurch mit reduzierter Geschwindigkeit und seine Abschaltung erfolgt hochsensibel, sobald er eine Kollision erkennt.
Die Trennung der beiden Bereiche kann entweder durch externe Sensoren, wie zum Beispiel einen Lichtvorhang, oder durch die Definition von Sicherheitsebenen erfolgen. So kann der Roboter von einem Modus in den nächsten wechseln: Bewegt er sich durch diese Ebenen, wird die Umschaltung ausgelöst.
Schulungen schaffen Vertrauen
Obwohl Entlastung im Produktionsalltag dringend erforderlich ist, scheuen gerade kleine und mittlere Unternehmen oft davor zurück, die entscheidenden Schritte in Richtung Automatisierung zu gehen. Roboter sind für KMU zu groß, zu teuer, zu kompliziert bei der Implementierung und Handhabung, lauten gängige Bedenken. Was auf herkömmliche Industrieroboter zutrifft, gilt jedoch nicht für Cobots. Sie sind platzsparend, amortisieren sich rasch und lassen sich vor allem ohne Spezialkenntnisse programmieren und bedienen. Der dänische Cobot-Hersteller Universal Robots (UR) beispielsweise verfolgt dabei ein klares Ziel: Automatisierung soll kein Geheimwissen speziell ausgebildeter Programmierer erfordern, sondern jedem Mitarbeitenden einfach zugänglich sein. Um selbst einen Beitrag zur Entwicklung von Kompetenzen in der Anwendung mit kollaborierenden Robotern zu leisten, hat UR ein zertifiziertes Schulungsprogramm entwickelt: Die UR Academy bietet zielgruppenspezifische, interaktive Trainings, in denen der Umgang mit Cobots vermittelt wird. Denn um ihm vertrauen zu können, müssen Menschen verstehen, wie ein Roboter agiert und was seine Aufgabe ist. Am Ende einer erfolgreich absolvierten Schulung erhalten die Teilnehmenden ein Zertifikat, das ihren Lernerfolg dokumentiert.
Nur keine Hemmungen!
Dass Unternehmen nicht auf Experten bei der Integration von Cobots angewiesen sind, zeigt das Beispiel Vema: Der Zulieferer ist auf die Herstellung technisch anspruchsvoller Spritzgusswerkzeuge und die Fertigung technischer und optischer Kunststoffteile spezialisiert. Das Unternehmen hatte für seine Fertigung gezielt „nach einer kosteneffizienten Robotik-Lösung, die wir selbst integrieren und programmieren können“ gesucht, so Geschäftsführer Christian Veser. Ziel war es, das nötige Know-how intern aufzubauen – auch, um künftig nicht auf externe Hilfe angewiesen zu sein.
Spielerische Implementierung
Vema erwarb einen ersten Cobot des Typs UR5e, ließ Mitarbeitende von Universal Robots schulen und dann erstmal mit dem Neukauf spielen. Ganz so, wie Kinder sich etwa einem Tablet nähern: mit Neugier und Spaß am Experimentieren. Der UR5e wurde vom Automatisierungs-Team mit Endeffektoren ergänzt und selbst programmiert. Und schon bald erledigte Elfriede – so taufte die Belegschaft den Cobot – problemlos und selbstständig erste einfache Pick-and-Place-Aufgaben. Derzeit sind sechs UR5e-Cobots an sieben Tagen pro Woche bei dem schwäbischen Mittelständler im Einsatz: Elfriede, Bruno, Günter, Jürgen, Elsa und Edith genießen in der Vema-Belegschaft so etwas wie Kollegenstatus. Aufgrund der hohen Akzeptanz schlagen inzwischen viele Mitarbeitende selbst immer wieder neue Einsatzmöglichkeiten für die Cobots vor. Das Beispiel zeigt, dass auch Laien in der Lage sind, Cobots zu programmieren. Möchten Unternehmen komplexe Anwendungen realisieren, können sie Integratoren hinzuziehen.
Probieren geht über Studieren
Kollaborierende Roboter können Entlastung schaffen und dabei helfen, den Arbeitskräftemangel zu meistern. Wichtig ist, die Mitarbeitenden bei ihrer Integration mitzunehmen. Schulungen, die Wissen über die Handhabung und Möglichkeiten, aber auch über die Grenzen des Robotereinsatzes vermitteln, sind dabei ein wichtiger Aspekt. Vor allem aber gilt: Probieren geht über Studieren – das schafft Vertrauen in die Technik und ihre Sicherheit.
Fünf Tipps für die erfolgreiche Integration von Cobots
Vor allem, wenn die Wahl auf einen kollaborierenden Roboter gefallen ist, sollten die Mitarbeitenden keine Zuschauer am Rande, sondern vielmehr Teil des Projekts sein – denn sie arbeiten schließlich im Betrieb Seite an Seite mit dem Cobot.
1. Transparent kommunizieren
Roboter sind keine Jobkiller. Vielmehr entlasten sie die Belegschaft, erhöhen die Produktivität, ermöglichen Unternehmenswachstum und sorgen oftmals sogar für Neueinstellungen. Es ist wichtig, diese Ziele von Beginn an klar und transparent an die Mitarbeitenden zu kommunizieren.
2. Vertrauen aufbauen
Menschen stehen allem Unbekannten zunächst oft skeptisch gegenüber. Im Idealfall lernen die Mitarbeitenden den neuen Roboter-Kollegen vor dem ersten gemeinsamen Arbeitstag kennen – beispielsweise bei einem Firmenevent.
3. Mitarbeitende einbinden
Die Belegschaft sollte in den Installationsprozess integriert sein, indem sie dem Roboter beibringen, welche Arbeitsschritte dieser ausführen muss. Das zeigt einerseits Wertschätzung und andererseits entwickeln sich die Beschäftigten im Umgang mit Robotern weiter.
4. Nähe schaffen
Ein einfacher, aber wirkungsvoller Weg, um der neuen Technologie etwas Leben und Wärme zu verleihen, ist es, dem neuen Roboter-Kollegen einen Namen zu geben – am besten trifft die Belegschaft die Wahl.
5. Zusammenarbeit leben
Cobots arbeiten nicht isoliert – weder räumlich noch hinsichtlich ihrer Aufgaben. Daher müssen sie vom Menschen lernen und gesteuert werden, um für ihn arbeiten zu können. Wird dieses Miteinander von der Belegschaft vermittelt, wirkt sich das positiv auf Motivation und Stimmung aus.
Deutliches Wachstum prognostiziert
Der Markt für kollaborative Robotik wächst und wird auch in den kommenden Jahren zulegen. Das zeigt ein Bericht des globalen Beratungsunternehmens ABI Research. Schon im Jahr 2023 werden demnach die Umsätze der Cobot-Branche die Marke von einer Milliarde US-Dollar knacken. Bis 2030, so die Prognose, wird das Marktvolumen sogar auf bis zu acht Milliarden US-Dollar steigen, bei einem jährlichen Wachstum von 32,5 Prozent. 2020 lag der Umsatz bei knapp einer halben Million US-Dollar. Der Anteil von Cobots an allen abgesetzten Industrierobotern lag 2021 bei circa fünf Prozent. Doch die jährliche Absatzzahl kollaborierender Roboter steigt. Mit dem Trend hin zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter – auch und gerade in KMU – ist hier mit einem deutlichen Wachstum in den kommenden Jahren zu rechnen.