Dass wir uns in Deutschland auf häufigere und heftigere Wetterextreme einstellen müssen, hatte eine gemeinsame Studie des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und führender Klimaforscher bereits 2011 prognostiziert. Dies betrifft nicht mehr nur Rhein und Donau, Oder und Elbe oder eine plötzliche Schneeschmelze. Starkregen mit Sturzfluten und Erdrutschen können überall auftreten und die Folgen verheerend sein.
Hochwasser sind natürlich, ihre Folgen menschengemacht
Hochwasser sind natürliche Phänomene. Problematisch werden sie, wenn Wasserläufe begradigt, Überschwemmungsflächen trockengelegt und Auenlandschaften überbaut wurden. All dies verstärkt die Folgen eines Hochwassers für den Menschen. Was früher als „Flussregulierung“ beschönigt wurde, gilt heute als Fehlentwicklung und Mitursache für Hochwasserschäden. Denn einem Wasserlauf im Korsett fehlen natürliche Rückhaltesysteme. Dazu kommen die Auswirkungen des Klimawandels mit häufigeren Extremwetterlagen wie Starkregen, Stürmen und Sturzfluten. Auch Hitzewellen können Hochwasserfolgen verstärken, weil durchgetrocknete Böden weniger schnell Wasser aufnehmen.
An vielen Standorten müssen Unternehmen sich die Frage stellen, inwiefern es genügt, sich auf einen überbetrieblichen Hochwasserschutz durch Dämme und Deiche zu verlassen. Der technisch-bauliche Hochwasserschutz gewinnt an Bedeutung, ob durch mobile Schutzwände, wasserbeständige Baustoffe oder das Verlegen technischer Einrichtungen in höher gelegene Räume. Dazu kommen – analog zum klassischen Arbeitsschutz – organisatorische Maßnahmen wie Notfallpläne sowie eine Verhaltensvorsorge durch Aufklärung und Übungen.
Vorsorgepflicht für Unternehmen
Rechtshintergrund der Hochwasservorsorge ist die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (HWRM-RL) der EU, in Deutschland umgesetzt durch das Wasserhaushaltsgesetz. Dazu kommen die Wassergesetze der Bundesländer. Auf dieser Basis werden Hochwasserrisiken ermittelt, Überschwemmungsgebiete und Risikogebiete definiert und in Hochwasserkarten dokumentiert. Risikomanagementpläne unter Einbezug der Kommunen und Wasserverbände legen Sorgfaltspflichten auch für Unternehmen fest, zum Beispiel dass ein Betrieb in einem Überschwemmungsgebiet nicht mehr neu bauen oder sich vergrößern darf.
Dazu kommen Vorgaben für Unternehmen mit immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen, bei denen die Gefahr besteht, dass ein Hochwasser gefährliche Stoffe freisetzt. Unternehmen, die
- unter die Regelungen der Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen (IE-Richtlinie) fallen,
- in den Geltungsbereich der Störfallverordnung (StöV = 12. BImSchV) fallen oder
- die mit wassergefährdenden Stoffen umgehen
sind verpflichtet, Vorsorge zu treffen, dass bei Hochwasser keine zusätzlichen Risiken für Menschen und Umwelt entstehen.
Die Technische Regel für Anlagensicherheit 310 (TRAS 310) beschreibt den Stand der Sicherheitstechnik in Bezug auf Starkniederschläge und Hochwasser. Sie konkretisiert die Eigenverantwortung der Betreiber von Anlagen, die unter die Störfall-Verordnung (12. BImSchV) beziehungsweise das BImSchG fallen. Diese Technische Regel gilt für Überflutungen, durch zum Beispiel Hochwasser, Sturmfluten oder Starkregen, Rückstau aus der Kanalisation oder aufsteigendes Grundwasser. Auf weitere mit Niederschlag verbundene Gefahren wie Hagelschlag, Steinschlag oder Erdrutsch geht diese TRAS nicht ein. Betreiber müssen diese Risiken gleichwohl berücksichtigen. Erst Ende 2020 wurde ein neuer Entwurf der TRAS 310 veröffentlicht. Nach den jüngsten Hochwasserereignissen ist mit weiteren Anpassungen des Textes zu rechnen.
Davon abgesehen werden Hochwasservorsorge und ‑nachsorge auch für viele andere Unternehmen immer relevanter und unabhängig davon, ob ein Betrieb unter die Störfall-Verordnung fällt und welche Anlagen er betreibt. Die jüngsten Katastrophen an Ahr und Mosel haben gezeigt, dass es nicht ausreicht, sich allein auf Risikokarten und Warn-Apps zu verlassen, eine eigenständige unternehmensinterne Vorsorge ist gefragt.
Vorbeugung gemäß Risikoanalyse
Analog zur Gefährdungsbeurteilung eines Arbeitsplatzes beginnt auch beim Hochwasser die Prävention zur Schadensverhütung damit, Risiken zu ermitteln und einzuschätzen. Vor dem Auftreten von Extremwetter kann sich das einzelne Unternehmen nicht schützen, aber durch gezielte Vorsorge die Folgeschäden in Grenzen halten. Die folgenden Fragen geben erste Anhaltspunkte, die Hochwasserrisiken für einen Standort einzuschätzen:
- Wie weit ist der nächste Bach, Fluss, See, Graben, Staudamm oder größere Abhang von ihrem Betriebsgelände entfernt?
- Wo liegen die tiefsten Punkte, wo sammeln sich größere Wassermengen an?
- Wo traten in Ihrer Region bereits Hochwasser auf, was sagen die Hochwasserkarten?
- An welchen Stellen besteht die Gefahr, dass Wasser in eine Gebäude eintritt?
- Welche betrieblichen Prozesse wären von Starkregen, aufsteigendem Grundwasser oder Rückstau der Kanalisation betroffen, zum Beispiel Zufahrt zu Toren und Rampen für Kunden und Lieferanten usw.?
- Welche benachbarte oder benötigte Verkehrsinfrastruktur (Zufahrtsstraßen, Bahntrasse, Kanal, Fußweg) könnte betroffen sein und welche Lieferketten bedroht?
- Wie wird Ihr Grundstück entwässert und in welchem Zustand sind Rohre und Kanäle bis zur Sammelleitung?
- Wie haben Sie die Kontrolle aller hochwasserrelevanten Einrichtungen wie Sickerschächte, Vorfluter, Schlammfänge (z. B. vor Ölabscheidern), usw. geregelt, wann wurden zum Beispiel Gitter und Fangrechen zuletzt gereinigt, Schlammsammler entleert usw.?
- Sind alle Abwasser- und Entwässerungssysteme mit Rückschlagklappen versehen?
- Ist eine Notstromversorgung gesichert für alle Entwässerungssysteme, die von elektrisch angetriebenen Pumpen abhängen?
- Wo gibt es ggf. aufschwimmende Objekte wie Öltanks oder Abfallbehälter?
- Werden wassergefährdende Stoffe hochwassersicher gelagert?
- Lassen sich empfindliche und hochwertige Anlagen hochwasserangepasst aufstellen?
- Wo könnten im Ernstfall Anreize für Plünderer bestehen und wie sichern Sie Ihren Betrieb auch während des Notfalls und bei den Aufräumarbeiten vor unbefugtem Betreten?
Offene Fragen sollten frühzeitig mit den Behörden, der Feuerwehr, Wasserverband usw. geklärt werden. Zu klären ist auch, ob die Gebäudeversicherung Elementarschäden abdeckt.
Der Hochwasser-Notfallplan
Bei drohendem Hochwasser ist schnelles und gezieltes Handeln gefragt. Ein sorgsam erstellter betrieblicher Notfallplan liefert dafür die Voraussetzung und dient als Grundlage für Unterweisungen und jährliche Notfallübungen. Er sollte folgende Punkte enthalten beziehungsweise berücksichtigen:
- Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Notfall, von der Betriebsschließung über Zugangsregelungen bis zur Wiederinbetriebnahme
- Kontaktdaten zu Behörden, Versorgungsunternehmen, Lieferanten, Schadensanierern, Versicherern usw.
- Informationswege, z. B. wer Kontakt mit den Behörden hält, wer in kritischen Zeiten die Hochwasserprognosen verfolgt, wer auf welche Weise die Mitarbeiter informiert usw.
- die Erreichbarkeit auch bei Ausfall der Mobilfunknetze
- eine Auflistung der Maschinen, Anlagen, Fahrzeuge und Einrichtungen samt den Herstellern für Rückfragen zur Trocknung, Reinigung und sicheren Wiederinbetriebnahme
- alternative Stellplätze und (höher gelegene) Standorte für wichtige Dokumente und Materialien, hochwertige Geräte und Produkte usw.
- Umleitungen und alternative Zufahrten und Zugänge bei Hochwasser
- Alternativen bei vollständigem oder teilweisem Ausfall der Produktion, zum Beispiel Ausweichen auf andere Standorte oder externe Dienstleister, Lohnfertigung
Wo es möglich und sinnvoll ist, sollte der Plan konkrete Handlungsvorgaben für den Ernstfall enthalten, etwa
- Welche Räume sind als Erstes zu räumen?
- Was wird auf Paletten gestellt?
- Was gilt für Einrichtungen im Außenbereich wie Lager, Rampen, Abstellflächen?
- Wo werden Sandsäcke geschichtet?
- Welche Fahrzeuge werden wohin umgeparkt?
- Wo und auf welche Weise werden Güter, Materialien, Ausrüstungen usw. zwischengelagert und getrocknet?
Aus Sicht des Arbeitsschutzes extrem wichtig ist, eindeutig festzulegen, wer nach einem Hochwasser anhand welcher Kriterien die Versorgung mit Strom, Gas, Wasser, Druckluft, Wärme, Kälte, Lüftung, Dampf etc. wiederherstellt.
Denken Sie daran, dass ein Hochwasser-Notfallplan auch verfügbar sein muss, wenn das Büro nicht erreichbar ist, Server abgeschaltet werden mussten oder der Strom ausgefallen ist.
Im Ernstfall: Menschenleben gehen vor Sachschäden!
Zur Notfallvorsorge gehört selbstverständlich auch, für gefährdete – und bei Hochwasser ggf. nicht mehr erreichbare – Betriebsbereiche benötigte Ausrüstungen vor Ort bereitzustellen. Das können Pumpen und Schläuche sein sowie Sandsäcke, Abdeckplanen, Stellwände, Dammbalken für Türen und Fenster, Material zum Hochbocken usw., aber auch im Ernstfall benötigte Hilfsmittel wie Wischlumpen, Batterien und Akkus für Lampen und Werkzeuge, Kraftstoffe usw.
Auch die gegebenenfalls erforderliche PSA darf nicht vergessen werden. Grundsätzlich gilt auch in außergewöhnlichen Notsituationen eine Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers, er muss während des Hochwassers sowie bei den Aufräumarbeiten Vorkehrungen zum Schutz von Leben und Gesundheit seiner Mitarbeiter treffen.
Der Schutz der Mitarbeiter muss stets Vorrang haben vor dem Retten von Sachwerten. Es ist daher vorab zu klären, welche Ausrüstung betriebseigene Notfallteams für Bergung, Aufräumen und Reinigen benötigen. Das reicht von Gummistiefeln mit Stahlkappe bis zu Hautschutzcremes.
Ist eine Überflutung akut absehbar, gilt:
- gefährdete Türen, Fenster, Kellereingänge usw. abdichten
- wassergefährdende Stoffe in Sicherheit bringen
- Maschinen und Anlagen herunterfahren
- die Stromversorgung unterbrechen
- den Haupthahn für Wasser absperren
- Versorgungssysteme für brennbare Gase und Flüssigkeiten sperren bzw. schließen und zwar möglichst nahe der Quelle, um auch bei Beschädigungen von Rohren und Zuleitungen größere Leckagen zu vermeiden
Risiken auch nach dem Hochwasser
Einer der am häufigsten gehörten Begriffe bei der jüngsten Katastrophe an Ahr und Mosel war „Chaos“. Um dem vorzubeugen, sollten gefährdete Betriebe sich schon im Voraus mit den Schritten nach einem Hochwasser befassen. Vor dem Einsatz von Mitarbeitern zum Aufräumen, Reinigen und Wiederinbetriebnehmen müssen die Unfall- und Gesundheitsrisiken geklärt und Schutzmaßnahmen festgelegt sein. Auch wenn keine unmittelbare Gefahr durch Ertrinken mehr besteht, bleiben zahlreiche Verletzungsrisiken, zum Beispiel durch Treibgut, offene Kanaldeckel oder unterspülte Böschungen. Verhaltensregeln müssen festgelegt und kommuniziert werden, zum Beispiel:
- Gebäude nur betreten, wenn die Standsicherheit gewährleistet ist.
- Bei Gasgeruch die Feuerwehr und den Versorger informieren.
- Bei Explosionsrisiken Schneid- und Schweißerlaubnisse strikt beachten sowie Rauchverbote einhalten. Höchste Vorsicht bei losgerissenen Gastanks, die zu schwimmenden Bomben werden.
- Infektionsschutz beachten, wenn Schlamm und Wasser mit Schmutz und Fäkalien verunreinigt sind. Wasserdichte Handschuhe, Schutzbrille und wasserfestes Schuhwerk sind Mindeststandard.
- Sind Schadstoffe ausgetreten (Heizöl, Schmiermittel, Farben, Pestizide o. ä.) die Feuerwehr und die Umweltbehörde informieren, nur durch oder in Absprache mit deren Fachleuten beseitigen und fachgerecht entsorgen.
- Lüftung und Trocknung sicherstellen, um Schimmelpilzbefall zu vermeiden, aber Vorsicht mit dem Einsatz von Hitze.
- Überflutete Räume erst nach Abfließen des Hochwassers und gesunkenem Grundwasserspiegel leer pumpen.
- Schlamm möglichst rasch beseitigen; einmal angetrocknet, wird das Entfernen schwieriger.
- Verkleidungen von Wänden und Decken sowie Bodenbeläge entfernen.
- Fallrohre, Ablaufrinnen, Bodeneinläufe, Auffangbecken usw. reinigen, kontrollieren, ggf. instandsetzen.
Last, but not least müssen Mitarbeiter und Helfer wissen, dass sie – bei allem Engagement – die Anweisungen der Einsatzkräfte zu beachten haben.
Wasser + Strom = Lebensgefahr
Bei überfluteten Räumen müssen Sicherheitsverantwortliche stets die Stromschlagrisiken im Blick haben. Stehen Hausanschlusskasten, Hauptverteiler, Zählerschrank und elektrische Anlagen unter Wasser, besteht Lebensgefahr. Niemand darf einen Kellerraum betreten, in den Wasser eingedrungen ist. Der elektrische Strom muss zuvor sicher abgestellt und sollte auch vor einem Wiedereinschalten gesichert sein. Darüber hinaus besteht durch die Kombination von Wasser und Strom stets die Gefahr von Kurzschlüssen und dadurch ausgelösten Bränden.
Alle vom Hochwasser betroffenen elektrischen Geräte und Anlagen müssen vor der Wiederinbetriebnahme von einer Elektrofachkraft überprüft und freigegeben worden sein. Diese Regel ist strikt einzuhalten, auch wenn Strom dringend benötigt wird, um möglichst schnell Pumpen oder Trockner anzuschließen. Eine elektrische Anlage darf nur nach gründlicher Prüfung durch einen Fachmann wieder in Betrieb genommen werden. Nur eine Elektrofachkraft kann entscheiden, ob durchnässte Leitungen wieder verwendet werden dürfen und welches Gerät nach Reinigung und Trocknung auf welche Weise zu prüfen ist.
Besondere Vorsicht ist bei Photovoltaik-Anlagen geboten. Denn sobald Wechselrichter, Batteriespeicher oder der Anschluss ans Stromnetz sich innerhalb eines überfluteten Bereichs befinden, besteht ein Risiko für Stromschlag auch dann, wenn das Gebäude vom Energieversorger von der öffentlichen Stromversorgung getrennt wurde!
Fazit
Vor dem Auftreten extremer Wetterlagen kann sich kein Unternehmen schützen. Aber jeder Betrieb kann Vorsorge treffen, um Schäden und Folgen für Menschen, Gebäude und Einrichtungen zu begrenzen. Aus Sicht des Arbeitsschutzes sind insbesondere das sichere Verhalten während einer solchen Notfallsituation und die Arbeiten bis zur Wiederaufnahme des betrieblichen Alltags eine nicht geringe Herausforderung.