Es liegt fast dreißig Jahre zurück und doch ist Elke Rothenbacher das Geschehen noch unmittelbar präsent: „Ich war damals noch in einem anderen Unternehmen tätig. Dort rutschte mir einmal ein schweres Filterelement aus der Hand. Es fiel direkt auf meinen Fuß und brach mir den großen Zeh – denn leider waren mir keine Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt worden.“ Den Vorfall bei ihren Vorgesetzen anzusprechen, das traute sich die junge Pharmazeutisch-Technische Assistentin (PTA) damals nicht. „Ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht, wäre vielleicht nicht richtig mit dem Filterelement umgegangen.“ Noch heute spürt sie dieses Schuldgefühl in der Erinnerung, obwohl ihr inzwischen bewusst ist, dass ihr Arbeitgeber den Arbeitsschutz vernachlässigt hatte. „Deswegen ist es mir so wichtig, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wirklich alles ansprechen und Fragen stellen können, ohne Ärger befürchten zu müssen.“ Die 49-Jährige ist heute bei dem Arzneimittelunternehmen Teva tätig. Teva vertreibt Originalmedikamente, Generika – sogenannte Nachahmerpräparate – und frei verkäufliche Arzneimittel. Dabei verfügt das Unternehmen sowohl über eine eigene konventionelle Pharmaproduktion als auch über eine biotechnologische Herstellungsanlage.
In den Arbeitsschutz reingewachsen
Nach ihrer Ausbildung arbeitete Elke Rothenbacher zunächst in einer Apotheke und einem Universitätsklinikum. Sie wechselte in die pharmazeutische Industrie, wo sie ebenfalls als PTA eingesetzt wurde – erst im Labor und dann in der Produktion. Seit mehr als 20 Jahren ist sie nun bei ihrem jetzigen Arbeitgeber – konkret am Standort Ulm, in der Abteilung Produktion/Konfektionierung von halbfest-flüssigen Arzneimitteln, Salben, Cremes, Gelen, Suppositorien und Lösungen. Nach und nach übernahm sie dort auch Aufgaben aus dem Bereich Arbeitsschutz, wurde bei EHS-Projekten miteinbezogen und im Juni 2020 zur Sicherheitsbeauftragten bestellt.
Damit nicht genug: „Weil ich von Anfang an in dieser Abteilung war, kannte ich mich schon gut aus und so setzte sich diese Entwicklung weiter fort.“ Als sie zusammen mit einem neuen Vorgesetzten einen Isolator in Betrieb nahm und die zugehörige Betriebsanweisung mit erstellte, erkannte dieser ihr Potenzial, Ereignisse gut nachverfolgen und Abläufe organisieren zu können. „Er fragte mich daraufhin, ob ich mir vorstellen könnte, in Vollzeit als EHS-Beauftragte zu arbeiten.“ Sie konnte – und ist seit Mai 2020 hauptberuflich für Environment, Health und Safety (EHS) zuständig. Parallel ist sie weiterhin als Sicherheitsbeauftragte Ansprechpartnerin für rund 120 Beschäftigte, teilt sich diese Aufgabe mit drei weiteren Sibe-Kollegen in ihrer Abteilung. Außerdem gibt es in dem Unternehmen eine eigene Abteilung Arbeitssicherheit mit hauptberuflichen Sicherheitsfachkräften (Sifas). Alle kooperieren untereinander und tauschen sich in den ASA-Sitzungen miteinander aus.
Gemeinsam Abläufe optimieren
„Natürlich hatte ich zuvor schon an der BG-Fortbildung zur Sicherheitsbeauftragten teilgenommen und bilde mich seither regelmäßig im Arbeitsschutz weiter“, erklärt Elke Rothenbacher. Erst kürzlich habe sie ein Seminar über Lärmmessungen besucht, um diese auch vor Ort selbst durchführen zu können. „Als nächstes steht ein Seminar zur Erstellung von Betriebsanweisungen für Gefahrstoffe an.“ Mit solchen und etlichen weiteren möglichen Gefährdungen hat sie laufend zu tun, wenn zum Beispiel 2.000 Kilogramm Salbe in großen Tanks aus der Produktion in die Konfektionierung gebracht werden, um dort auf einer großen Prozessanlage in Tuben abgefüllt zu werden. „Oft handelt es sich also um mechanische, physikalische oder chemische Gefährdungen. Wir arbeiten zum Beispiel auch mit Hitze, Druckluft oder Stickstoff und haben einige Ex-geschützte Bereiche.“ Bei ihren Gefährdungsbeurteilungen, die sie zusammen mit den Vorgesetzten durchführt, achtet die Sicherheitsbeauftragte immer auch darauf, wie Abläufe optimiert werden können. Oftmals stellen sich die Schwachstellen in ihren persönlichen Gesprächen mit den Mitarbeitenden heraus. „Wenn zum Beispiel ein Kollege schlecht an sein Werkzeug gelangt, weil die Ablage nicht optimal positioniert ist und er sich den Kopf anschlagen könnte, versuchen wir, eine bauliche Lösung zu finden.
Jeden Morgen begibt sich Elke Rothenbacher für eine Dreiviertelstunde zusammen mit dem Bereichsleiter, dem Teamleiter, weiteren Vorgesetzten und Sicherheitsbeauftragten auf einen Rundgang. Je nach Bedarf wird die Abteilung Arbeitssicherheit einbezogen. „Wir schauen uns bestimmte Abläufe an, gehen dabei auch direkt an die Maschinen und sprechen mit den Mitarbeitenden.“ Gab es gefährliche Situationen oder anderweitige Belastungen? Fühlt ihr euch wohl an eurem Arbeitsplatz oder können wir etwas verbessern? Mit Fragen wie diesen steigt das Arbeitsschutz-Team in die Prävention ein, legt möglichst auch gleich Maßnahmen fest und erarbeitet im Diskurs mit den Beschäftigten Lösungsvorschläge.
Niemandem soll hier so etwas widerfahren, wie Elke Rothenbacher einst mit dem Filterelement. Deshalb legt die Sicherheitsbeauftragte auch ein besonderes Gewicht auf die Auswahl geeigneter Persönlicher Schutzausrüstung (PSA). „Wir hatten zum Beispiel gerade den Fall, dass die Spülhandschuhe einiger Mitarbeiter zu kurz waren. Das Spülwasser lief manchmal am Arm hinein und hätte die Haut belasten können. Also haben wir sofort für längere Modelle gesorgt. Andere wiederum gehen mit Wärme um und benötigen daher Schutzhandschuhe aus speziellem Material.“
Testphase für Schutzbrillenpflicht
Für bestimmte Tätigkeiten in der Abteilung Produktion/Konfektionierung sind zudem Schutzbrillen vorgeschrieben – doch hier stellten die Arbeitsschützer fest, dass dies nicht weit genug ging. „Wenn Lösungen bei uns in Flaschen abgefüllt werden, kann es zu Glasbruch kommen. Außerdem spielen an vielen Arbeitsplätzen verschiedenste Pulver, Reinigungsmittel und andere Gefahrstoffe eine Rolle. Da lassen sich nur schwer Grenzen ziehen“, sagt Elke Rothenbacher. „Deswegen werden wir eine generelle Schutzbrillenpflicht für alle Personen einführen, die sich in diesem Bereich aufhalten, wahrscheinlich ab Jahresbeginn 2022.“
Aktuell läuft noch eine Testphase, in der fehlsichtige Beschäftigte zum Augenoptiker geschickt werden, um eine Schutzbrille mit ihrer individuellen Sehstärke zu bekommen. „Natürlich ist es ein starker Eingriff, immer eine Schutzbrille tragen zu müssen. Daher möchten wir es für unsere Mitarbeitende so angenehm wie möglich machen und keinem Brillenträger zumuten, noch zusätzlich eine Überbrille zu tragen.“ Um die besten Lösungen für alle zu finden, ist Elke Rothenbacher auch selbst mit dem Augenoptiker im Gespräch.
Regeln sind keine Schikane
Dennoch rechnet sie mit dem Unverständnis einiger Kollegen oder Kolleginnen: „Jede Veränderung sorgt auch für Unsicherheit oder Kopfschütteln. Daher versuchen wir, möglichst gut zu erklären, welche Gefährdungen es bei uns gibt und dass wir so etwas nicht aus Schikane beschließen, sondern um alle zu schützen.“ Es sei auch schon vorgekommen, dass einem Mitarbeiter beinahe eine Flüssigkeit ins Auge gelaufen wäre, die irreparable Schäden hätte verursachen können. „Daher ist dies nun eine logische Konsequenz für uns.“ Dennoch hat sie es nicht immer leicht, durch klärende Gespräche und ein offenes Ohr für Akzeptanz zu sorgen. Auch das Argument, ungeschützt die Augen schwer schädigen zu können, überzeugt nicht immer. „Ein Satz, den ich oft höre, ist: ‚Das haben wir doch schon immer so gemacht!‘ Davon muss man irgendwie wegkommen. Denn es ist womöglich 100-mal nichts passiert, aber irgendwann passiert eben doch mal etwas.“
100-mal ist nichts passiert…
Dies bestätigte sich erst kürzlich in ihrer Abteilung: Ein Mitarbeiter verätzte sich mit Lauge, weil er seine PSA – Gummistiefel und Schutzkleidung – nicht trug. „Dabei war dies ganz klar kommuniziert worden. Das hat uns schon ziemlich getroffen, denn es war alles vorhanden und wir haben uns in den Unterweisungen bemüht, den Sinn und Zweck zu vermitteln. Zum Glück wurde der Kollege nicht schwer verletzt.“ Damit so etwas nicht noch einmal passiert, setzt Elke Rothenbacher weiterhin auf Kommunikation in einem angemessenen, respektvollen Ton. „Wir müssen das Bewusstsein für die Gefährdungen schärfen: Auch wenn es nur zwei Minuten sind, in denen ich schnell noch etwas machen möchte und denke, da lohnt es sich doch nicht die PSA anzuziehen – genau dann kann auch etwas passieren.“
Videos drehen für den EHS-Workshop
Um die Belegschaft für Gefährdungen zu sensibilisieren, lässt sich das Arbeitsschutz-Team auch gern mal etwas Kreatives einfallen. Dazu ist die EHS-Abteilung immer im regen Austausch mit der Abteilung Arbeitssicherheit. „Letztes Jahr haben wir bei uns in der Abteilung zum Beispiel einen EHS-Workshop organisiert, für den die Produktion einen Tag stillgelegt wurde“, berichtet Elke Rothenbacher. Es wurden verschiedene Mitmach-Stationen für die Beschäftigten aufgebaut und in einem Workshop selbstgedrehte Videos gezeigt. „In den Filmen haben wir ganz normale Arbeitsabläufe nachgestellt, wie sie bei uns vorkommen, und dabei Fehler beziehungsweise absichtliche Gefahrenstellen eingebaut. Also zum Beispiel eine falsch angelegte Leiter, einen falsch positionierten Tank oder einen Kollegen ohne Schutzbrille.“ Das haben sich dann alle in Kleingruppen angeschaut mit dem Auftrag, die Fehler und Gefahren zu entdecken.
Ein Hintergedanke dabei war, das Thema Unterweisung spannender zu gestalten. Das Feedback zu den Videos liefert dazu gute Ansatzpunkte, wie Elke Rothenbacher feststellt. „Wir möchten nicht einfach sagen, es ist so und so, sondern erreichen, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen es selbst erkennen und sich auch gegenseitig auf Fehler hinweisen.“ Die Botschaft dabei lautet: Keiner braucht es persönlich zu nehmen, wenn er von einer Kollegin oder einem Kollegen auf etwas hingewiesen wird.
Pausen zugunsten der Prävention
Als EHS-Beauftragte ist Elke Rothenbacher auch für das Betriebliche Gesundheitsmanagement unterstützend zuständig. „Wir bieten unseren Beschäftigten Aktionen an wie etwa ein Carotis-Screening, also eine Ultraschalluntersuchung der Halsschlagader, um Schlaganfällen vorzubeugen.“ Etwas problematisch sei das Timing, weil die Beschäftigten in die laufende Produktion eingebunden seien und diese nicht so leicht unterbrechen könnten wie etwa eine Bürotätigkeit. Doch auch dafür finden sich Lösungen. „Letztes Jahr haben die Mitarbeitenden separate Termine bekommen und konnten jeweils für 15 bis 20 Minuten ihre Produktionslinien verlassen, um das Angebot zu nutzen. So möchten wir es im nächsten Jahr wieder organisieren.“
Generell wünscht sich Elke Rothenbacher mehr Zeit für die Kollegen und Kolleginnen, um ihre Aufgaben noch besser wahrnehmen zu können. „Es wäre schön, auch mal alle Beschäftigten an einen Tisch zu bekommen, doch man kann die Linie nicht einfach anhalten, um Gespräche zu führen. Dies wird sich wohl auch weiterhin nicht so leicht umsetzen lassen“, bedauert sie die Produktionszwänge. „Doch wir bemühen uns, dem Miteinander und dem Arbeitsschutz so viel Zeit wie möglich zu widmen.“
Auch nach Feierabend bleibt Elke Rothenbachers Blick für Sicherheit und Gesundheit geschärft. „Natürlich hat sich mein Sicherheitsbewusstsein im Privaten verändert, sehr sogar.“, bestätigt sie. Wenn ihr Vater beispielsweise im Garten werkele und dazu auf einer Leiter turne, könne sie dies kaum noch mit ansehen. „Auf solche Dinge habe ich früher gar nicht geachtet. Jetzt sage ich ihm, das ist aber gefährlich.“
Steckbrief
- Elke Rothenbacher
- 49 Jahre
- Beruf/Qualifikation: Pharmazeutisch-Technische Assistentin (PTA)
- Aktuelle Position: EHS-Beauftragte / LCO am Standort Ulm, Abteilung Produktion/Konfektionierung
- Sicherheitsbeauftragte seit Juni 2020, Brandschutzhelferin
- Branche: Pharmazeutische Industrie
Teva
Deutschland ist der größte und komplexeste Standort im weltweiten Produktionsnetzwerk des Teva Konzerns, einem führenden Anbieter von Generika und Spezialarzneimitteln. Teva in Deutschland bietet eine breite Palette an Behandlungsmöglichkeiten an. Dazu gehören innovative Arzneimittel, Generika und frei verkäufliche Medikamente. Mit ratiopharm zählt auch Deutschlands bekannteste Arzneimittelmarke zu Teva Deutschland.
- Deutschlandsitz und Produktionsstandort Ulm: Neben der Verwaltung,
der Logistik sowie dem Transportmanagement befindet sich dort auch die biotechnologische Herstellung. - Standort Blaubeuren/Weiler: Größte Produktionsanlage zur Herstellung konservierungsmittelfreier Nasensprays in Europa
- Insgesamt rund 2.400 Beschäftigte in Deutschland
- www.teva.de