Frau Bleisteiner, wie kamen Sie zum Klapprad?
Auf das Klapprad gekommen bin ich durch Freunde, die mir von einem Klappradrennen in der Pfalz erzählten: dem Kalmit-Klapprad-Cup. Dabei bezwingen Hunderte bunt verkleideter Menschen mit klapprigen Klapprädern den höchsten Berg der Vorderpfalz. Ich habe mich näher informiert, war sofort hellauf begeistert, begann mit dem Training und schaffte mir mein erstes Klapprad an. Das war 2017.
Früher waren Klappräder vor allem eins: klein und klapprig. Heute erleben sie als angesagte Falträder ein Revival und sind in hochwertigen Ausführungen mit Federung, Gangschaltung oder gar Elektroantrieb erhältlich. Verfügt Ihr eigenes Rad auch über solche Extras?
Inzwischen bin ich bekennender Klapprad-Messi und besitze einige Klappräder. Keines davon gefedert. Alle meine Räder sind Single Speed Bikes, das heißt, sie verfügen über keine Gangschaltung und ich fahre immer im ersten Gang. Somit halte ich das Reglement des Pfälzer Klappverein strengstens ein. Ein Klapprad mit Elektroantrieb ist für mich aktuell undenkbar. Ich fahre am liebsten gegen den beziehungsweise ohne Strom und mit Muskelkraft.
An Klapprädern liebe ich, dass sie klein, kompakt und mobil sind. An den Vintage-Rädern gefallen mir besonders die stilvollen Details wie etwa Aufkleber oder Klingeln mit integriertem Kompass. Die einfach ausgestatteten Zweiräder geben mir ein ganz besonderes Freiheitsgefühl. Sie sind das ultimative Reise-Vehikel – sowohl im urbanen Raum als auch in den Alpen. Die alten Klappräder sind nicht nur nachhaltige Fortbewegungsmittel, sie sind ein Lebensgefühl.
Die Räder von Klapprädern sind aber nun mal klein. Das bedeutet Mehrarbeit für die Beine und eine eingeschränkte Geländegängigkeit – ist Klapprad-Fahren eher etwas für Sportliche?
Klapprad-Fahren ist etwas für jeden, der gern Rad fährt und ein bisschen beklappt ist: Wer mit dem Klapprad unterwegs ist, sollte sich nicht zu ernst nehmen. Besonders sportlich muss man dazu nicht sein. Die 20-Zoll-Reifen bedeuten nicht zwangsläufig Mehrarbeit für die Beine und tun der Geschwindigkeit keinen Abbruch. Ich kenne einen Klappradfahrer, der mit 100.7 km/h über den Nürburgring geklappert ist. Maßgeblich für die Trittfrequenz sind die Übersetzung und das Streckenprofil.
Natürlich ist ein Klapprad weniger geländegängig als ein Enduro-Bike. Das ist aber auch mit Körperkraft nicht zu ändern. „Ohne Fleiß kein Preis“ gilt jedoch für großen Sport mit kleinem Rad: Wer Ziele wie etwa eine Alpenüberquerung oder den ersten Platz beim Klappradrennen verfolgt, sollte fit sein und zur Vorbereitung regelmäßig trainieren.
Ihre Alpenüberquerung mit dem Klapprad klingt spaßig, war aber auch riskant – worin bestanden die größten Gefahren bei dieser außergewöhnlichen Tour?
Die größte Gefahr war, dass ich die Tour, abgesehen von zwei Etappen, ganz allein gemacht habe und im Notfall keine Hilfe zur Seite gehabt hätte. In den Bergen können bereits kleine Zwischenfälle zu ernsten Notlagen führen. In abgelegenen Regionen hat man oft keinen Mobilfunkempfang. Das macht es unmöglich, die Bergrettung zu alarmieren. Deswegen muss man schlicht Notfälle vermeiden. Für mich galt auf der gesamten Transalp die Devise safety first, Helm inklusive. Meine Geschwindigkeit war sekundär.
Mit dem Klappi sollte man in den Bergen ohnehin nicht zu schnell unterwegs sein, denn das lassen die alten Nabenbremsen nicht zu: Bei übermäßiger Beanspruchung erhitzt das Öl in der Nabe und es kann zu Bremsversagen kommen. Das muss man bei der Abfahrt berücksichtigen, prüfen und gegebenenfalls schieben. Ein gewisses Risiko bergen unberechenbare Parameter wie Stürze, Verletzungen, Zeckenbisse oder Klapprad-Pannen. Ebenso schlechte Wetterverhältnisse wie plötzlicher Schneeeinbruch, Sturm oder Nebel. Oder schlicht, dass man sich verzettelt, zu viele Foto-Pausen macht und dabei wertvolle Zeit verliert. All das kann dazu führen, dass man nicht rechtzeitig am Etappenziel ankommt. Im Dunklen sollte man mit dem Klapprad aber definitiv nicht am Berg sein.
Eine Gefahr, die mir im Vorfeld nicht bewusst war, ging von den Bären im Nationalpark in Norditalien aus. Das habe ich aber erst festgestellt, als ich durch das Trentino rollte und ein Hinweisschild entdeckte, auf dem Verhaltensanweisungen für die Begegnung mit einem Bären standen.
Kurios war, dass einige Italiener mein Geschlecht in Verbindung mit der Tatsache, dass ich als Frau alleine reiste, als Risikofaktor einstuften. Ein älterer Italiener gab mir vor dem Aufstieg zum Passo di Campo den Tipp, den bösen Männern im Wald mit einem Holzknüppel eins überzuziehen. Böse Männer habe ich jedoch keine getroffen. Und dass es für eine Frau gefährlicher ist als für einen Mann, die Alpen über die Heckmair-Route mit dem Klapprad zu überqueren, ist natürlich Quatsch. Statistisch betrachtet verunfallen Frauen sogar seltener als Männer in den Bergen.
Wie haben Sie sich vorbereitet?
Von der Idee bis zur Umsetzung meines beklappten Transalp-Traums dauerte es vier Jahre. Am zeitintensivsten in der Vorbereitung war die Begleitpersonen-Akquise: Ursprünglich wollte ich die Tour nicht allein machen. Aber nachdem ich den Schrofenpass, vor dem ich am meisten Respekt hatte, bei einem Testlauf zusammen mit einem Freund kennen- und einzuschätzen gelernt hatte, entschied ich mich einen Monat vor Abfahrt dazu, die Mission kurzerhand allein durchzuziehen.
Vorbereitet habe ich mich in vielerlei Hinsicht: Ich schloss eine Mitgliedschaft im Deutschen Alpenverein ab, um im Notfall mit dem Hubschrauber gerettet werden zu können. Mit Ausdauertraining, Halbmarathon-Läufen und Bergtouren mit dem Klapprad und entsprechender Ernährung habe ich mich körperlich vorbereitet. Die Anschaffung von Trailrunning-Schuhen war meine Lebensversicherung und sorgte für einen sicheren Tritt auf der gesamten Strecke. Ein Tragegurt für das Klapprad musste gebastelt und getestet werden. Es wurde eine Packliste erstellt und fehlendes Material angeschafft. Ich musste entscheiden, mit welchem Klapprad ich an den Gardasee fahren will. Anschließend gab es einen umfassenden Klapprad-Service. Um Gewicht zu sparen, musste sich das Klapprad einer Diät unterziehen. Schrauben wurden abgesägt und zum Beispiel der Fahrradständer demontiert.
Mit erfahrenen Radsportlern habe ich mich bezüglich Navigation, Unterbringung, Proviant, Equipment, Reparaturen und anderem mehr ausgetauscht und viel im Internet recherchiert. Zudem galt es, die Erfordernisse der aktuellen Pandemie-Situation zu berücksichtigen. Auch auf mentaler Ebene gab es Vorbereitungen: Ich habe mir das Worst-Case-Szenario vorgestellt. Wenn man damit leben kann, sollte man loslegen.
Gab es auch Überraschungen – böse oder freudige?
Zu meiner großen Überraschung hatte ich keine einzige richtige Panne. Ein einziges Mal ist mir die Kette abgesprungen, sonst gab es am Rad nichts zu reparieren. Das grenzt an ein Wunder und ist sicher auch dem Klapprad-Service vorab und der Wartung zu verdanken. Freudige Überraschungen gab es hingegen täglich: Nach stundenlangen Aufstiegen, bei denen ich keiner Menschenseele begegnet bin, war das Zusammentreffen mit einer Ringelnatter ein schönes Erlebnis. Oder die vielen Murmeltiere auf der Strecke und ganz generell die atemberaubend schöne Landschaft im Engadin. Und auf der Durststrecke am Passo di Campo, bei der ich zu wenig Wasser dabei hatte, freute ich ich mich über jede einzelne Himbeere.
Eine richtig böse Überraschung musste ich nicht erleben. Lediglich die Reaktion einiger weniger Menschen war erstaunlich negativ: Sie haben mich beschimpft und für lebensmüde erklärt, statt mir einen Rat zu geben oder mich einfach vor schwierigen Passagen zu warnen. Aber diese Miesepeter-Begegnungen wurden durch viele schöne Begegnungen mit gut gelaunten Bergsportlern und Bergmenschen mehr als wettgemacht.
Waren Sie auch mal an einem Punkt, an dem Sie am liebsten aufgegeben hätten?
Unter Berücksichtigung der Devise safety first ist Aufgeben keine Option für mich. Wenn ich mir ein Ziel gesetzt habe, möchte ich es erreichen. Da gibt es dann kein Zurück mehr – nur im Notfall mit dem Bergrettungshelikopter.
Ansonsten kann man den Weg anpassen. Ein Wandspruch aus dem Speisesaal der Freiburger Hütte, meiner ersten Herberge auf der Tour, spricht mir aus der Seele: „If you get tired learn to rest, not to quit“. Heißt „Wenn du müde wirst, lerne auszuruhen statt aufzugeben.“ Tatsächlich musste ich einmal meine geplante Etappe abbrechen. Weniger aus Konditions- denn aus Vernunftgründen: Nach einer Nacht mit zu wenig Schlaf kam ich morgens im norditalienischen Ponte di Legno nicht so recht los und zu spät am Fuße des Passo di Campo an. Unter Kennern ist das der zäheste Auf- und Abstieg der gesamten Heckmair-Route. Einige Radsportler, mit denen ich vorab in Kontakt stand, wollten mich davon abbringen, diese Etappe mit dem schweren Klappi durchzuziehen. Auch Einheimische aus dem Dorf schüttelten ungläubig den Kopf. Wäre ich um 15:30 Uhr dort noch gestartet, wäre ich mitten in der Nacht auf der anderen Bergseite angekommen. So entschied ich mich schweren Herzens, die unter Schweißströmen zurückgelegte Strecke hinauf nach Rasega zurückzufahren und mir eine Unterkunft in Cevo zu nehmen. Das hat mich Zeit beziehungsweise eine Nacht gekostet. Doch diese wurde durch wunderbare Begegnungen mit den Dorfbewohnern und einem entzückenden Hund entlohnt. Und ich kam am nächsten Tag sicher in Cimego an.
Planen Sie bereits neue Abenteuer mit Klappi?
Aktuell halte ich mich in den winterlichen Alpen auf. Gerne möchte ich die hochalpine Berglandschaft mit Schneespikes erkunden. Einen neuen Fahrradträger als Alternative zum Tragegurt habe ich bereits zur Verfügung gestellt bekommen. Zu meinem vollkommenen Glück fehlt mir hier unter anderem noch ein Klapprad. Der Materialtest im Schnee wird bestimmt abenteuerlich. Außerdem steht dieses Jahr der World-Klapp an – das zweitgrößte Klappradrennen der Welt. Das wird sicherlich auch ein großes Abenteuer.
Doch zunächst möchte ich meine erste Alpenüberquerung in Form eines Bildbandes verarbeiten beziehungsweise abschließen.
Steckbrief
- geboren 1982 in Mannheim
- Marathonläuferin, Snowboarderin, Radlerin, Unternehmerin
- studierte Kulturwissenschaften
- gründete 2014 das Sozialunternehmen CAROKISSEN für handgemachte Geschenkartikel
- entdeckte 2017 ihre Leidenschaft für Klappräder
- liebt die Berge, unkonventionelle Reisen und Herausforderungen
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