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Carolin Bleisteiner überquert mit ihrem Klapprad die Alpen

Nachgefragt bei Carolin Bleisteiner
Mit dem Klapprad über die Alpen

Petra Jauch
Die Mannheimerin Car­olin Bleis­tein­er liebt Her­aus­forderun­gen im All­ge­meinen und Klap­präder im Speziellen. Dem coro­n­abe­d­ingten „Auf der Stelle treten“ set­zte sie mit einem höchst eigen­willi­gen Aben­teuer ein Ende: Im Sep­tem­ber 2021 über­querte sie mit ihrem 20 Zoll Klap­prad die Alpen – und zwar auf der nicht aus­geschilderten „Heck­mair-Route“, eigentlich gedacht für ambi­tion­ierte Moun­tain­bik­er. Auf ihrem steini­gen Weg von Ober­st­dorf bis an den Gar­dasee über­wand sie fast 12.000 Höhen­meter – und manch andere Schwierigkeit.

Frau Bleis­tein­er, wie kamen Sie zum Klapprad?

Auf das Klap­prad gekom­men bin ich durch Fre­unde, die mir von einem Klap­pra­dren­nen in der Pfalz erzählten: dem Kalmit-Klap­prad-Cup. Dabei bezwin­gen Hun­derte bunt verklei­de­ter Men­schen mit klap­pri­gen Klap­prädern den höch­sten Berg der Vorderp­falz. Ich habe mich näher informiert, war sofort hel­lauf begeis­tert, begann mit dem Train­ing und schaffte mir mein erstes Klap­prad an. Das war 2017.

Früher waren Klap­präder vor allem eins: klein und klap­prig. Heute erleben sie als ange­sagte Fal­träder ein Revival und sind in hochw­er­ti­gen Aus­führun­gen mit Federung, Gangschal­tung oder gar Elek­troantrieb erhältlich. Ver­fügt Ihr eigenes Rad auch über solche Extras?

Inzwis­chen bin ich beken­nen­der Klap­prad-Mes­si und besitze einige Klap­präder. Keines davon gefed­ert. Alle meine Räder sind Sin­gle Speed Bikes, das heißt, sie ver­fü­gen über keine Gangschal­tung und ich fahre immer im ersten Gang. Somit halte ich das Regle­ment des Pfälz­er Klap­pvere­in streng­stens ein. Ein Klap­prad mit Elek­troantrieb ist für mich aktuell undenkbar. Ich fahre am lieb­sten gegen den beziehungsweise ohne Strom und mit Muskelkraft.

An Klap­prädern liebe ich, dass sie klein, kom­pakt und mobil sind. An den Vin­tage-Rädern gefall­en mir beson­ders die stil­vollen Details wie etwa Aufk­le­ber oder Klin­geln mit inte­gri­ertem Kom­pass. Die ein­fach aus­ges­tat­teten Zweiräder geben mir ein ganz beson­deres Frei­heits­ge­fühl. Sie sind das ulti­ma­tive Reise-Vehikel – sowohl im urba­nen Raum als auch in den Alpen. Die alten Klap­präder sind nicht nur nach­haltige Fort­be­we­gungsmit­tel, sie sind ein Lebensgefühl.

Die Räder von Klap­prädern sind aber nun mal klein. Das bedeutet Mehrar­beit für die Beine und eine eingeschränk­te Gelän­degängigkeit – ist Klap­prad-Fahren eher etwas für Sportliche?

Klap­prad-Fahren ist etwas für jeden, der gern Rad fährt und ein biss­chen beklappt ist: Wer mit dem Klap­prad unter­wegs ist, sollte sich nicht zu ernst nehmen. Beson­ders sportlich muss man dazu nicht sein. Die 20-Zoll-Reifen bedeuten nicht zwangsläu­fig Mehrar­beit für die Beine und tun der Geschwindigkeit keinen Abbruch. Ich kenne einen Klap­prad­fahrer, der mit 100.7 km/h über den Nür­bur­gring geklap­pert ist. Maßge­blich für die Trit­tfre­quenz sind die Über­set­zung und das Streckenprofil.

Natür­lich ist ein Klap­prad weniger gelän­degängig als ein Enduro-Bike. Das ist aber auch mit Kör­perkraft nicht zu ändern. „Ohne Fleiß kein Preis“ gilt jedoch für großen Sport mit kleinem Rad: Wer Ziele wie etwa eine Alpenüber­querung oder den ersten Platz beim Klap­pra­dren­nen ver­fol­gt, sollte fit sein und zur Vor­bere­itung regelmäßig trainieren.

Ihre Alpenüber­querung mit dem Klap­prad klingt spaßig, war aber auch riskant – worin bestanden die größten Gefahren bei dieser außergewöhn­lichen Tour?

Die größte Gefahr war, dass ich die Tour, abge­se­hen von zwei Etap­pen, ganz allein gemacht habe und im Not­fall keine Hil­fe zur Seite gehabt hätte. In den Bergen kön­nen bere­its kleine Zwis­chen­fälle zu ern­sten Not­la­gen führen. In abgele­ge­nen Regio­nen hat man oft keinen Mobil­funkemp­fang. Das macht es unmöglich, die Bergret­tung zu alarmieren. Deswe­gen muss man schlicht Not­fälle ver­mei­den. Für mich galt auf der gesamten Transalp die Devise safe­ty first, Helm inklu­sive. Meine Geschwindigkeit war sekundär.

Mit dem Klap­pi sollte man in den Bergen ohne­hin nicht zu schnell unter­wegs sein, denn das lassen die alten Naben­brem­sen nicht zu: Bei über­mäßiger Beanspruchung erhitzt das Öl in der Nabe und es kann zu Bremsver­sagen kom­men. Das muss man bei der Abfahrt berück­sichti­gen, prüfen und gegebe­nen­falls schieben. Ein gewiss­es Risiko bergen unberechen­bare Para­me­ter wie Stürze, Ver­let­zun­gen, Zeck­en­bisse oder Klap­prad-Pan­nen. Eben­so schlechte Wet­ter­ver­hält­nisse wie plöt­zlich­er Schneeein­bruch, Sturm oder Nebel. Oder schlicht, dass man sich verzettelt, zu viele Foto-Pausen macht und dabei wertvolle Zeit ver­liert. All das kann dazu führen, dass man nicht rechtzeit­ig am Etap­pen­ziel ankommt. Im Dun­klen sollte man mit dem Klap­prad aber defin­i­tiv nicht am Berg sein.

Eine Gefahr, die mir im Vor­feld nicht bewusst war, ging von den Bären im Nation­al­park in Nordi­tal­ien aus. Das habe ich aber erst fest­gestellt, als ich durch das Trenti­no rollte und ein Hin­weiss­child ent­deck­te, auf dem Ver­hal­tensan­weisun­gen für die Begeg­nung mit einem Bären standen.

Kurios war, dass einige Ital­iener mein Geschlecht in Verbindung mit der Tat­sache, dass ich als Frau alleine reiste, als Risiko­fak­tor ein­stuften. Ein älter­er Ital­iener gab mir vor dem Auf­stieg zum Pas­so di Cam­po den Tipp, den bösen Män­nern im Wald mit einem Holzknüp­pel eins überzuziehen. Böse Män­ner habe ich jedoch keine getrof­fen. Und dass es für eine Frau gefährlich­er ist als für einen Mann, die Alpen über die Heck­mair-Route mit dem Klap­prad zu über­queren, ist natür­lich Quatsch. Sta­tis­tisch betra­chtet verun­fall­en Frauen sog­ar sel­tener als Män­ner in den Bergen.

Wie haben Sie sich vorbereitet?

Von der Idee bis zur Umset­zung meines beklappten Transalp-Traums dauerte es vier Jahre. Am zeit­in­ten­sivsten in der Vor­bere­itung war die Begleit­per­so­n­en-Akquise: Ursprünglich wollte ich die Tour nicht allein machen. Aber nach­dem ich den Schro­fen­pass, vor dem ich am meis­ten Respekt hat­te, bei einem Test­lauf zusam­men mit einem Fre­und ken­nen- und einzuschätzen gel­ernt hat­te, entsch­ied ich mich einen Monat vor Abfahrt dazu, die Mis­sion kurz­er­hand allein durchzuziehen.

Vor­bere­it­et habe ich mich in viel­er­lei Hin­sicht: Ich schloss eine Mit­glied­schaft im Deutschen Alpen­vere­in ab, um im Not­fall mit dem Hub­schrauber gerettet wer­den zu kön­nen. Mit Aus­dauer­train­ing, Halb­marathon-Läufen und Berg­touren mit dem Klap­prad und entsprechen­der Ernährung habe ich mich kör­per­lich vor­bere­it­et. Die Anschaf­fung von Trail­run­ning-Schuhen war meine Lebensver­sicherung und sorgte für einen sicheren Tritt auf der gesamten Strecke. Ein Trage­gurt für das Klap­prad musste gebastelt und getestet wer­den. Es wurde eine Pack­liste erstellt und fehlen­des Mate­r­i­al angeschafft. Ich musste entschei­den, mit welchem Klap­prad ich an den Gar­dasee fahren will. Anschließend gab es einen umfassenden Klap­prad-Ser­vice. Um Gewicht zu sparen, musste sich das Klap­prad ein­er Diät unterziehen. Schrauben wur­den abgesägt und zum Beispiel der Fahrrad­stän­der demontiert.

Mit erfahre­nen Rad­sportlern habe ich mich bezüglich Nav­i­ga­tion, Unter­bringung, Pro­viant, Equip­ment, Repara­turen und anderem mehr aus­ge­tauscht und viel im Inter­net recher­chiert. Zudem galt es, die Erfordernisse der aktuellen Pan­demie-Sit­u­a­tion zu berück­sichti­gen. Auch auf men­taler Ebene gab es Vor­bere­itun­gen: Ich habe mir das Worst-Case-Szenario vorgestellt. Wenn man damit leben kann, sollte man loslegen.

Gab es auch Über­raschun­gen – böse oder freudige?

Zu mein­er großen Über­raschung hat­te ich keine einzige richtige Panne. Ein einziges Mal ist mir die Kette abge­sprun­gen, son­st gab es am Rad nichts zu repari­eren. Das gren­zt an ein Wun­der und ist sich­er auch dem Klap­prad-Ser­vice vor­ab und der Wartung zu ver­danken. Freudi­ge Über­raschun­gen gab es hinge­gen täglich: Nach stun­den­lan­gen Auf­stiegen, bei denen ich kein­er Men­schenseele begeg­net bin, war das Zusam­men­tr­e­f­fen mit ein­er Ringel­nat­ter ein schönes Erleb­nis. Oder die vie­len Murmeltiere auf der Strecke und ganz generell die atem­ber­aubend schöne Land­schaft im Engadin. Und auf der Durst­strecke am Pas­so di Cam­po, bei der ich zu wenig Wass­er dabei hat­te, freute ich ich mich über jede einzelne Himbeere.

Eine richtig böse Über­raschung musste ich nicht erleben. Lediglich die Reak­tion einiger weniger Men­schen war erstaunlich neg­a­tiv: Sie haben mich beschimpft und für lebens­müde erk­lärt, statt mir einen Rat zu geben oder mich ein­fach vor schwieri­gen Pas­sagen zu war­nen. Aber diese Miesepeter-Begeg­nun­gen wur­den durch viele schöne Begeg­nun­gen mit gut gelaun­ten Bergsportlern und Bergmen­schen mehr als wettgemacht.

Waren Sie auch mal an einem Punkt, an dem Sie am lieb­sten aufgegeben hätten?

Unter Berück­sich­ti­gung der Devise safe­ty first ist Aufgeben keine Option für mich. Wenn ich mir ein Ziel geset­zt habe, möchte ich es erre­ichen. Da gibt es dann kein Zurück mehr – nur im Not­fall mit dem Bergrettungshelikopter.

Anson­sten kann man den Weg anpassen. Ein Wand­spruch aus dem Speis­esaal der Freiburg­er Hütte, mein­er ersten Her­berge auf der Tour, spricht mir aus der Seele: „If you get tired learn to rest, not to quit“. Heißt „Wenn du müde wirst, lerne auszu­ruhen statt aufzugeben.“ Tat­säch­lich musste ich ein­mal meine geplante Etappe abbrechen. Weniger aus Kon­di­tions- denn aus Ver­nun­ft­grün­den: Nach ein­er Nacht mit zu wenig Schlaf kam ich mor­gens im nordi­tal­ienis­chen Ponte di Leg­no nicht so recht los und zu spät am Fuße des Pas­so di Cam­po an. Unter Ken­nern ist das der zäh­este Auf- und Abstieg der gesamten Heck­mair-Route. Einige Rad­sportler, mit denen ich vor­ab in Kon­takt stand, woll­ten mich davon abbrin­gen, diese Etappe mit dem schw­eren Klap­pi durchzuziehen. Auch Ein­heimis­che aus dem Dorf schüt­tel­ten ungläu­big den Kopf. Wäre ich um 15:30 Uhr dort noch ges­tartet, wäre ich mit­ten in der Nacht auf der anderen Berg­seite angekom­men. So entsch­ied ich mich schw­eren Herzens, die unter Schweißströ­men zurück­gelegte Strecke hin­auf nach Rasega zurück­z­u­fahren und mir eine Unterkun­ft in Cevo zu nehmen. Das hat mich Zeit beziehungsweise eine Nacht gekostet. Doch diese wurde durch wun­der­bare Begeg­nun­gen mit den Dorf­be­wohn­ern und einem entzück­enden Hund ent­lohnt. Und ich kam am näch­sten Tag sich­er in Cimego an.

Pla­nen Sie bere­its neue Aben­teuer mit Klappi?

Aktuell halte ich mich in den win­ter­lichen Alpen auf. Gerne möchte ich die hochalpine Berg­land­schaft mit Schneespikes erkun­den. Einen neuen Fahrradträger als Alter­na­tive zum Trage­gurt habe ich bere­its zur Ver­fü­gung gestellt bekom­men. Zu meinem vol­lkomme­nen Glück fehlt mir hier unter anderem noch ein Klap­prad. Der Mate­ri­al­test im Schnee wird bes­timmt aben­teuer­lich. Außer­dem ste­ht dieses Jahr der World-Klapp an – das zweit­größte Klap­pra­dren­nen der Welt. Das wird sicher­lich auch ein großes Abenteuer.

Doch zunächst möchte ich meine erste Alpenüber­querung in Form eines Bild­ban­des ver­ar­beit­en beziehungsweise abschließen.


Steckbrief

  • geboren 1982 in Mannheim
  • Marathon­läuferin, Snow­board­erin, Radlerin, Unternehmerin
  • studierte Kul­tur­wis­senschaften
  • grün­dete 2014 das Sozialun­ternehmen CAROKISSEN für handgemachte Geschenkartikel
  • ent­deck­te 2017 ihre Lei­den­schaft für Klappräder
  • liebt die Berge, unkon­ven­tionelle Reisen und Herausforderungen

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