Im Rahmen einer Forschungsarbeit mit dem oben genannten Titel sollte im Zeitraum von April bis Mai 2019 durch die Kontaktaufnahme zu mehr als 100 Kommunen bundesweit ein Lagebild zur Gewaltentwicklung im Ordnungsdienst generiert werden. Zudem wurden die von den Kommunen im Rahmen der Gewaltprävention getroffenen Maßnahmen ermittelt, um daraufhin die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen anhand von Statistiken zur Entwicklung der Gewalt zu überprüfen.
Nimmt die Zahl der Gewalttaten gegenüber Ordnungskräften1 tatsächlich zu?
Betrachtet man die vom Bundeskriminalamt erstellte und veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) der Jahre 2016 bis 2018, so lässt sich schnell feststellen, dass die Gewalt gegenüber Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften jeweils zugenommen hat. Die Zunahme der Gewalt beträgt für den Bereich der Feuerwehr mehr als 30 Prozent.
Zunächst überraschend zeichnet sich bei Vollstreckungsbeamten und gleichgestellten Personen, wozu auch Kommunale Ordnungskräfte zählen, ein anderes Bild ab. Die Gewalt gegenüber dieser Zielgruppe reduzierte sich im gleichen Zeitraum um mehr als 4,5 Prozent. Hierbei ist dringend zu beachten, dass in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausschließlich Gewaltkriminalität erfasst wird, die zur Anzeige gebracht wird. „Nicht bekannt werden vor allem solche Straftaten, die von den Opfern oder anderen (aus den verschiedensten Motiven […]) nicht angezeigt werden; denn nur 20% aller registrierten Delikte werden Polizei und Justiz von Amts wegen bekannt.“2 Es handelt sich hierbei um das sogenannte Hellfeld. Beleidigungen werden von den Mitarbeitenden im Kommunalen Ordnungsdienst zum Teil als Bestandteil der Arbeit angesehen und finden keinen Weg in die Statistiken.
Deckt sich die Statistik mit dem Lagebild der befragten Kommunen?
Durch die Kontaktaufnahme zu den Kommunen konnten drei Statistiken, welche inhaltlich nicht miteinander vergleichbar waren, zur Auswertung gewonnen werden. Ursächlich für die geringe Anzahl an gewonnenen Statistiken war die klare Aussage einer Vielzahl von Kommunen, dass diese keine expliziten Statistiken zur Entwicklung von Gewalt führen.
Einzelne Kommunen waren wiederrum nicht bereit deren Statistik zur Auswertung zur Verfügung zu stellen, da diese nur für den Dienstgebrauch seien. Ungeachtet der fehlenden Statistiken äußerten die Befragten wiederholt das subjektive Gefühl, dass sie eine Zunahme der Gewalt und der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft wahrnehmen.
Ursachen für die möglicherweise steigende Gewaltbereitschaft
Als Hauptursache sehen die Befragten, dass der Respekt der Mitmenschen gegenüber Mitarbeitenden im öffentlichen Dienst geringer geworden ist. Für diese mögliche Abnahme an Respekt werden seitens der Kommunen der Einfluss der Medien auf die Bevölkerung, welcher eine Änderung des Wertesystems fördert, sowie die Erziehung im Allgemeinen verantwortlich gemacht. Zudem wurde angegeben, dass die Hemmschwelle, sein Ziel mit Gewalt in einer schneller werdenden und globalisierten Gesellschaft zu erreichen bzw. durchzusetzen, gesunken sei. Ebenso wurden als Gründe die möglicherweise wachsende Unzufriedenheit mit grundsätzlichen politischen Entscheidungen sowie für die Betroffenen nicht nachvollziehbare oder auch zweifelhafte ablehnende Bescheide angeführt. Nicht zuletzt wurden auch wiederholt kulturelle Hintergründe sowie die allgemeine Verrohung der Gesellschaft für die mögliche Zunahme der Gewalt verantwortlich gemacht.
Welche Maßnahmen werden seitens der Kommunen zur Begegnung der Gewalt getroffen
Zunächst wird der Gewalt mit der Einführung von Ausrüstungsgegenständen begegnet. Einige Kommunen in Nordrhein-Westfalen, wie zum Beispiel Köln, Bonn, Münster und seit kurzem Dortmund, haben ihre Mitarbeitenden im Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) mit Multifunktions- oder Einsatzmehrzweckstöcken ausgerüstet. Zu beachten ist hierbei, dass die Mitarbeitenden des KOD den Einsatzmehrzweckstock ausschließlich zur Selbstverteidigung bei sich tragen, um ihn bei Notwehr- oder Notstandsituationen einsetzen zu können.3 Einige Kommunen rüsten ihren Kommunalen Ordnungsdienst zusätzlich mit hieb- und stichsicheren Schutzwesten aus.
Ebenfalls häufig zur Anwendung kommen Reizstoffsprühgeräte. Die Reizstoffsprühgeräte sollen ein milderes Zwangsmittel im Vergleich zum Einsatzmehrzweckstock darstellen. Um zielgerichtet auf die individuellen Einsatzlagen reagieren zu können, werden verschiedene Geräteausführungen verwendet. Sie werden meist aus zwei Komponenten zusammengesetzt: dem Sprühgerät und der Reizgaskartusche, welche mit Pfefferspray oder Tränengas befüllt werden kann. Durch den Einsatz sollen aggressive Personen auf Distanz gehalten und gegebenenfalls in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden.4
Des Weiteren werden vermehrt sogenannte Bodycams in den Einsatz gebracht bzw. deren Einführung geprüft. Bodycams sollen als Beweismittel zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten genutzt werden können. Neben dieser repressiven Verwendung soll die Bodycam vorrangig zur Deeskalation eingesetzt werden5, indem die Anfertigung von Bild- und Tonmaterial eine deeskalierende Wirkung auf potenzielle Angreifer entfalten soll. Die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung soll dem Gegenüber vor Augen geführt werden und dadurch zu einem Umdenken bewegen.6 Denn ein erhöhtes Risiko erwischt und bestraft zu werden führt für betroffene Personen zu erhöhten Kosten im Sinne einer Kosten-Nutzen-Kalkulation.
Kritische Punkte sind hierbei neben der Menschenwürde unter anderem der Eingriff in das Recht auf informelle Selbstbestimmung aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes und die Umsetzung des Bundesdatenschutzgesetzes sowie der Datenschutzgrundverordnung. Eine Untersuchung zu verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Einsatz von Bodycams kommt zu dem Ergebnis, dass die Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen nicht zu einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff führt.7 Durch den Einsatz der Bodycams zeigten die Bürgerinnen und Bürger eine deutlich gestiegene Kooperationsbereitschaft, und die deeskalierende Wirkung war insbesondere bei Personenkontrollen und durch die Verringerung von Solidarisierungseffekten in Kontrollsituationen spürbar.8
Informationen und gute Ausbildung
Wie die Ergebnisse der Befragung darstellen, wird vom überwiegenden Teil der Kommunen die Möglichkeit der zielgerichteten Ausbildung als primäre Maßnahme zur Prävention eingeschätzt. Viele kleinere Kommunen nutzen zur Vermittlung der Schulungsinhalte von Kommunikation bis Selbstverteidigung an ihre Mitarbeitenden Schulungsangebote der Unfallkassen oder von unabhängigen Instituten. Dort werden schwerpunktmäßig die Themen Kommunikation, Eigensicherung, Personalien Feststellung und Folgemaßnahmen, Durchsuchung und Fixierung, Ingewahrsamnahme sowie Wiederholung und Vertiefung der gelernten Inhalte behandelt.
Als gutes Beispiel für getroffene Maßnahmen und Konzepte gilt hier das Sicherheitskonzept Gewaltprävention der Stadt Aachen.9 Es umfasst die vier Bausteine
- Gefahrenbewertung,
- Prävention,
- Nachsorge und
- Deeskalation.
Es beinhaltet eine Grundsatzerklärung gegen Gewalt.10 Des Weiteren beinhaltet es Handlungsanleitungen zur Gefahrenbewertung von Arbeitsbereichen mit Publikumsverkehr. Ebenso enthalten sind verbindliche Sicherheitsstandards für Präventionsmaßnahmen an Büroarbeitsplätzen und im Außendienst.
Die Stadt Karlsruhe führte im Jahr 2018 zum vierten Mal eine Sicherheitsumfrage11 innerhalb ihrer Bevölkerung durch. Hierbei wird das Sicherheitsempfinden zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Wohngegenden und im öffentlichen Personennahverkehr erfragt und verglichen. Die Befragten werden hierbei nach Geschlecht, Alter und Herkunft unterschieden und mit der durchschnittlichen Wohnbevölkerung in Relation gesetzt. Die Veränderungen zu der letzten Umfrage werden verglichen. Innerhalb dieses Vergleichs des Sicherheitsempfindens wird versucht auch nationale, europäische und internationale Entwicklungen, wie zum Beispiel die Flüchtlingssituation der vergangenen Jahre sowie terroristische Anschläge, zu berücksichtigen.
Die Stadt Cottbus hat ergänzend zu ihrem Handbuch Sicherheit und Gewaltprävention in der Stadtverwaltung, welches unter anderem eine Grundsatzerklärung gegen Gewalt und einen Leitfaden zum Verhalten bei Gewalt am Arbeitsplatz enthält, eine Dienstanweisung zum Umgang mit „Problembürgern“ erlassen. Die Dienstanweisung beschreibt zum Beispiel die Gestaltung von Wartezonen, Arbeitsplätzen und Sekretariatsbereichen.
Fazit und Optionen für Kommunen
Die möglicherweise wichtigste Voraussetzung für effektive Präventionsmaßnahmen ist die Kenntnis der Gefahrensituation in den einzelnen Arbeitsbereichen. Um die genaue Kenntnis der Gefahrensituation zu evaluieren, werden zwei Maßnahmen hervorgehoben:
- Eine Erhebung unter Zuhilfenahme von beispielsweise einem Erhebungsbogen, nach dem Stufensystem des Aachener Models. Damit kann ein valides Lagebild geschaffen werden, um die bereits getroffenen Maßnahmen gezielter nutzen zu können und um neue Maßnahmen und Konzepte zielgerichtet entwickeln zu können.
- Zum Abgleich des ermittelten Lagebildes mit dem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung könnte eine Sicherheitsbefragung nach dem Karlsruher Vorbild erfolgen.
Die Kombination der beiden Maßnahmen könnte, im gegenseitigen Abgleich, Rückschlüsse, ob das Personal an den richtigen Orten eingesetzt wird, ermöglichen beziehungsweise dazu beitragen, den Personalkörper gezielter einsetzen zu können.
Des Weiteren sollte den Bürgerinnen und Bürgern die Aufgabe der Kommune, dass sie den Bürgerinnen und Bürgern zum Allgemeinwohl dient, durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit verdeutlicht werden. Ebenso sollte die Einstellung der Kommunen zu Gewalt in öffentlichen Verwaltungen breiter, möglicherweise auch in verschiedenen Sprachen, publiziert werden. Die Konsequenzen bei Fehlverhalten müssen aufgezeigt und im Ernstfall auch umgesetzt werden. Dadurch könnte dem von den Befragten empfundenen Mangel an Respekt begegnet werden.
Fußnoten
1 Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehr und Kommunale Ordnungsdienste
2 Schwind, H.-D. (2016). Kriminologie und Kriminalpolitik. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen. 23. Auflage. Heidelberg: Kriminalistik-Verlag, S. 41, Rn. 34.
3 Stadt Dortmund: Nachrichtenportal; Einsatzmehrzweckstöcke in Dortmund: Antworten auf die häufigsten Fragen, (Stand: 22.01.2019), URL: https://www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/nachrichtenportal/alle_nachrichten/nachricht.jsp?nid=566340, abgerufen am 04.06.2019.
4 Binder, Karin (Hrsg.) (2010): Gutachten, Der Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten durch Polizeikräfte. Gesundheitliche Auswirkungen und Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, Berlin. S. 4.
5 Schmidt, F. (2018). Polizeiliche Videoüberwachung durch den Einsatz von Bodycams. In Zöller M. A. (Hrsg.) (2018). Deutsches und Europäisches Strafprozessrecht und Polizeirecht. Band 6. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. S. 39. (künftig zitiert Zöller, 2018)
6 Zöller (2018), S. 49.
7 Zöller (2018), S. 195.
8 Sachstandsbericht „Auswertung der Pilotprojekte zum Einsatz von Body-Cams“ anlässlich der 59. Sitzung des UA FEK, S. 7
9 Stadt Aachen (2018): Sicherheitskonzept Gewaltprävention der Stadt Aachen, Aachen.
10 Stadt Aachen (2018): Sicherheitskonzept Gewaltprävention der Stadt Aachen, Aachen, Seite 7
11 Stadt Karlsruhe (2018): Sicherheitsempfinden der Bevölkerung 4. Sachstandsbericht zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung 2018, Karlsruhe