Operationen, bei denen ein Chirurg den Weg zum kranken Organ komplett freilegt (offene Operationen) gelten seit jeher als Hochrisiko-Eingriffe. Daher setzen sich heute zunehmend minimal-invasive Eingriffe durch. Um diese optimal durchführen zu können, reicht die Ausstattung klassischer OP-Säle nicht mehr aus. Die Folgen: Der Arbeitsplatz OP – und damit auch die Arbeitsbedingungen des medizinischen Fachpersonals – verändern sich grundlegend.
HOP: Chance und Herausforderung
Definitionsgemäß handelt es sich bei einem Hybrid-OP (HOP) um einen voll ausgestatteten OP-Saal, der zusätzlich über ein bildgebendes System der neuesten Generation verfügt, ähnlich einem Herzkatheterlabor. Ein HOP bietet bestmögliche räumliche und hygienische Voraussetzungen für minimal-invasive Behandlungen. Er ist allerdings aufgrund der technischen Anforderungen enorm komplex. Oft sind mehr als 100 unterschiedliche medizintechnische Systeme in einem Raum installiert. Was der Patientensicherheit dient, stellt eine große Herausforderung für das OP-Personal dar: In dem zunehmend komplexen Arbeitsumfeld bleibt die Sicherheit und Gesundheit des OP-Personals oft auf der Strecke. Personalmangel durch Abwanderung in andere Klinikbereiche ist ein Dauerthema.
Neue Arbeitsweise im OP
Neben den therapeutischen Vorteilen hat die neue Art der Chirurgie auch große Auswirkungen auf die Arbeitsweise des medizinischen Fachpersonals. Die sichere Anwendung der neuen Technologien wird in der bestehenden medizinischen Ausbildung nicht oder nur unzureichend vermittelt. Berührungsängste und Zurückhaltung des OP-Personals sind häufige Folgen. Zudem kommt der Raumplanung eines HOP besondere Bedeutung zu. Eine weitere Herausforderung liegt darin, die klassischen Fachgrenzen und Hierarchien zu überwinden und interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Oft sind in einem HOP bis zu 15 Personen gleichzeitig beschäftigt. Diese kommen aus unterschiedlichen Disziplinen, wie der Herz-Thorax-Gefäßchirurgie, Kardiologie, Radiologie und der Anästhesie.
Daher spielt der „Faktor Mensch“ (Human Factors) in der minimal-invasiven Chirurgie eine zentrale Rolle. Definitionsgemäß handelt es sich dabei um eine interdisziplinäre Wissenschaftsrichtung, die sich mit der Interaktion „Mensch-Mensch“ und „Mensch-Maschine“ befasst. Ziel ist es, Lösungen zu erarbeiten, wie dieses Zusammenspiel möglichst reibungslos funktionieren und gleichzeitig der größtmögliche Erfolg bei maximaler Sicherheit erreicht werden kann. Insbesondere im HOP gilt der Grundsatz, dass die Technologie dem Menschen assistierend zur Verfügung steht. Technik soll die einzigartigen psychischen, kognitiven und sozioökonomischen Fähigkeiten des Menschen in diesen komplexen sozio-technischen Systemen unterstützen.
Neues Risikomanagement im OP
Um den HOP mit seinen zahlreichen Herausforderungen effektiv und sicher betreiben zu können, muss sich das moderne Risikomanagement mit diesen neuen Gegebenheiten auseinandersetzen: Eine wesentliche Voraussetzung für stabile Arbeitsabläufe, die sowohl für mehr Sicherheit und Gesundheit beim OP-Personal sorgen als auch der Patientensicherheit dienen. Entscheidungen im OP selbst können dann schnell und sicher getroffen werden; dies spart Zeit und Ressourcen.
Alle Beteiligten im OP sollten über ausreichende Fachkenntnisse und Erfahrungen verfügen, um komplexe Abläufe zu koordinieren. Hierbei kann auch die Einrichtung eines Expertengremiums zu den Themen Arbeitssicherheit, Arbeitsmedizin und Patientensicherheit hilfreich sein. Im Bedarfsfall können so grundsätzliche Entscheidungen fachlich vorbereitet und den benannten Fachleuten zur Beurteilung vorgelegt werden. Sind die kritischen Schnittstellen einmal definiert, sollten zuständige Ansprechpartner direkt im HOP benannt werden, um die Zusammenarbeit zu koordinieren und allen beteiligten Akteuren die Bereitstellung von Informationen und Ergebnissen aus dem Risikomanagement zu ermöglichen.
Neue Risikoprozesse im OP
Ausgangspunkt des Risikomanagements ist die Formulierung von quantitativen und/ oder qualitativen Schutzzielen. Dazu gehören zwingend auch Arbeitsschutzziele. Die Beschreibung des geplanten reibungslosen Ablaufs dient als Maßstab oder Bezugspunkt zur Ausgestaltung und Umsetzung von Maßnahmen zur Risikovermeidung, Risikoreduzierung und zur Notfallplanung. Wenn im Verlauf der Zusammenarbeit Erkenntnisse erwachsen, die eine Anpassung der Maßnahmen erfordern, sind diese vorzunehmen.
Der Prozess der Schutzzielfestlegung wird folglich als sich wiederholender (iterativer) Prozess verstanden. Die Ergebnisse der Festlegung werden dem Expertengremium zur Entscheidung vorgelegt. Zu Beginn der Zusammenarbeit erfolgt ferner eine Ermittlung und Festlegung der Risiken, die betrachtet werden sollen. Dies wird zunächst durch die Mitglieder des Gremiums fachlich vorgenommen. Ein besonderes Augenmerk ist auf solche Risiken zu richten, die negative Folgen für die Patientensicherheit sowie für die Sicherheit und Gesundheit des OP-Personals haben können. In die Risikoermittlung können im Sinne einer dezidiert gesamtsystemischen Betrachtung auch Risiken einfließen, die sich aus den gegenseitigen Abhängigkeiten von Mensch und Maschine ergeben.
Stehen die zu betrachtenden Risiken fest, können Szenarien zu diesen Risiken formuliert werden, welche die maßgeblichen Einwirkungen auf das betrachtete System in ausreichender Detailtiefe beschreiben. Sofern im weiteren Verlauf des Risikomanagements die Ursachen der Einwirkungen von Bedeutung sind, müssen diese mit in die Ausarbeitung des Szenarios aufgenommen werden. Die Erarbeitung der Szenarien erfolgt gemeinschaftlich. Im integrierten Risikomanagement werden die für eine Zusammenarbeit relevanten Informationen, Erkenntnisse oder Ergebnisse aus den Risikomanagementverfahren systematisch ausgetauscht.
Neuer Arbeitsschutz im OP
Operateure und OP-Fachkräfte sind hochmotivierte Spezialisten, die für fordernde Aufgaben qualifiziert wurden. Aktuelle Studien zu den Themen Medizin und Medizintechnik zeigen, dass Patientensicherheit höchste Priorität für alle Beschäftigten im HOP hat.
Ein größtmögliches Maß an Sicherheit erfordert sowohl menschliche wie auch technische Kenntnisse und hängt vor allem von der Wirksamkeit, Effizienz und Gewissenhaftigkeit des Verhaltens und der Leistungen des medizinischen Fachpersonals ab. Nach Angaben der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) leiden in der Europäischen Union etwa 22 Prozent der Erwerbstätigen unter arbeitsbedingtem Stress. Dabei ist das OP-Personal nicht nur dauerhaftem Stress ausgesetzt, sondern leidet auch physisch und psychisch unter den Bedingungen am Arbeitsplatz. Nach dem arbeitspsychologischen Stressmodell der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW) ist Stress ein Vorgang, der abhängig von der individuellen Situationsbewertung des Einzelnen ist und durch Stressoren beziehungsweise Risikofaktoren ausgelöst wird.
Aufgabe der verantwortlichen OP-Leitung ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen OP-Fachkräfte mit dem Stress umgehen und so möglichst lange, sicher, gesund und erfolgreich ihrer Berufung nachgehen können. Es gilt, ein System zu schaffen, das Beschäftigte im OP langfristig vor Überforderung schützt und gleichzeitig eine hohe Patientensicherheit schafft. Beispiele aus Kliniken zeigen, dass beispielsweise Physiotherapeuten für das OP-Personal bei der Bewältigung der psychischen und physischen Beanspruchung helfen können.
Um die wesentlichen Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitsfaktoren im HOP zu identifizieren, können unterschiedliche Modelle als Leitfaden herangezogen werden. Grundlage für die meisten Überlegungen ist das so genannte SHELL-Modell nach Edwards1: Es zeigt den Menschen als zentralen Akteur im Zusammenspiel mit dem Arbeitsumfeld. Dieses besteht aus unterschiedlichen Komponenten, wie Richtlinien, Verfahren, Instrumenten, finanziellen Bedingungen und anderen beteiligten Individuen. Basierend auf den wesentlichen Merkmalen des SHELL- und weiterer Modelle haben Carayon und sein Team 2006 das SEIPS-Modell entwickelt.2 SEIPS steht hierbei für „Systems Engineering Initiative for Patient Safety“ und beinhaltet drei Substrukturen, die kausal miteinander verbunden sind. Das soziotechnische Arbeitssystem führt zu Arbeitsprozessen (zum Beispiel Pflege, Reinigung, Wartung, Versorgung), aus denen wiederum die Arbeitsergebnisse (Behandlungserfolg, Personalzufriedenheit und ganz zentral die Patientensicherheit) hervorgehen.3
Neue Kultur im OP
Kultur ist das Ergebnis von Werten, Einstellungen, Führungspraktiken, Wahrnehmungen, Kompetenzen und Tätigkeitsmustern von Beschäftigten und Führungskräften. Eine positive Kultur schafft gegenseitiges Vertrauen und Vertrauen in die Wirksamkeit der Präventions- und Schutzmaßnahmen. Sie ist geprägt von offener Kommunikation bei Vorfällen, Fehlern, Risiken und Chancen.
Während die verschiedenen Managementansätze in der Organisation geeignet sind, die jeweiligen Teilaspekte zu verbessern, gelingt durch einen integralen Ansatz, basierend auf einem Risikomanagementprozess, die Optimierung der Organisation als Ganzes. Synergetische Aspekte der Maßnahmen werden deutlich, die Kommunikation komplexer Entscheidungen wird vereinfacht. Ein HOP stellt eine zukunftsfähige Technologie dar, die für Patienten große Vorteile bringt. Die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten ist allerdings gleichwertig zu gewährleisten.
1 Edwards E (1972) Man and machine: systems for safety.
In: Proceedings of the BALPA Technical Symposium. London.
2 Carayon P, Xie A, Kianfar S (2014) Human factors and ergonomics as a patient safety practice. BMJ Qual Saf 23: 196–205.
3 Euteneier A (2015) Handbuch Klinisches Risikomanagement. ISBN 978–3–662–45150–2
Autoren: Prof. Dr. Udo Weis
Vorsitzender des nationalen Normenausschusses Grundlagen des Risikomanagements, Institutsleiter der
Steinbeis Akademie STI IBRM
Glossar
Hybrid-OP: Voll ausgestatteter OP-Saal, der allen medizinischen Vorsichtsmaßregeln (zum Beispiel Keimfreimachung der medizinischen Instrumente und der Kleidung) entspricht und zusätzlich über ein bildgebendes System der neuesten Generation verfügt. Er bietet einen hervorragenden Rahmen für minimal-invasive Eingriffe.
Minimal-invasive Chirurgie: Durchführung von kathederbasierten oder endoskopischen Eingriffen. Positive Auswirkungen auf OP- und Aufenthaltszeiten im Krankenhaus; Verringerung unerwünschter Komplikationen, Senkung der Mortalitätsrate.
TAVI: Transcatheter Aortic Valve Implantation. Minimal-invasive Operationstechnik, die eine verkalkte Aortenklappe durch eine künstliche Klappe zu ersetzen. Dadurch kann auf Eröffnung des Brustkorbes, Einsatz der Herz-Lungen-Maschine und häufig auch Vollnarkosen verzichtet werden. Schonende OP-Technik für ältere oder mehrfach erkrankte Personen.
Praxistipp: Zehn Handlungsempfehlungen für Fachkräfte für Arbeitssicherheit
- Binden Sie bei der Risikobeurteilung im HOP die verantwortliche Person für Patientensicherheit (sofern vorhanden) ein.
- Bilden Sie Teams: Patientensicherheit, Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin.
- Bearbeiten Sie gemeinsam die Anforderungen für Medizingeräte.
- Beurteilen Sie OP-Arbeitsplätze gemeinsam unter dem Aspekt „Human-Factors“. Tauschen Sie sich über Arbeitsprozesse aus und betrachten Sie die Gestaltung der Arbeitsplätze.
- Legen Sie gemeinsame Standards für das gesamte HOP-Team fest.
- Definieren Sie die Schnittstellen und Verantwortlichkeiten.
- Trainieren Sie die Abläufe nachhaltig.
- Kommunizieren Sie Änderungen in den Abläufen.
- Überprüfen Sie notwendige Anpassungen.
- Gestalten und kommunizieren Sie Erfolge und Verbesserungen.