Schulungen und Seminare müssen nicht zwangsläufig stets vor Ort und im persönlichen Kontakt stattfinden. Immer öfter kommen elektronische Helfer zum Einsatz, nicht nur bei Arbeitern im Homeoffice. Auch für Sicherheitsunterweisungen im Arbeitsschutz werden diverse Tools angeboten, ob als Software für den PC oder als Online-Portal. Doch wo liegen die Grenzen der digitalen Unterweisung, was ist erlaubt? Und worauf sollte man bei der Auswahl eines digitalen Unterweisungshelfers achten? Der folgende Beitrag klärt auf.
- Selbststudium am PC statt Vortrag im Seminarraum
- Ist das digitale Unterweisen – auch für Arbeiter im Homeoffice – erlaubt?
- Hier ist mündliches Unterweisen gefordert
- Unterweisen zu PSA der Kategorie III nur „mit Übungen“
- Dies fordert die DGUV
- Diese Unterweisungen sollten Sie in Präsenz durchführen
- Unterweisungspflicht auch in Pandemiezeiten
Die Pflicht zum Unterweisen der Mitarbeiter ist sowohl im staatlichen Arbeitsschutzrecht wie im berufsgenossenschaftlichen Regelwerkt tief verankert. Der Arbeitgeber oder von ihm beauftrage Akteure, ob Vorgesetzte, Meister, Schichtleiter oder externe Dienstleister, sollen die Mitarbeiter über Verletzungsrisiken und Gesundheitsgefährdungen beim Arbeiten aufklären und die notwendigen Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln erläutern. Gefordert wird dies in vielen für den Arbeitsschutz relevanten Rechtstexten, angefangen vom Arbeitsschutzgesetz bis zu Betriebssicherheitsverordnung, Gefahrstoffverordnung, Lärm- und Vibrationsarbeitsschutzverordnung, Strahlenschutzverordnung, Röntgenverordnung oder Lastenhandhabungsverordnung.
Selbststudium am PC statt Vortrag im Seminarraum
Gemäß DGUV Vorschrift 1 muss das Unterweisen mindestens jährlich erfolgen und es muss dokumentiert werden. Für Beschäftigte unter 18 Jahren fordert das Jugendarbeitsschutzgesetz ein mindestens halbjährliches Wiederholen der Unterweisung. Neue Aufgaben, neue Maschinen, veränderte Arbeitsabläufe oder Arbeitsunfälle sind Anlässe für zusätzliche Unterweisungstermine. All diese Vorgaben sind weitestgehend bekannt. Unklar bleibt jedoch oft die Frage, in welcher Form Unterweisungen ablaufen sollen. Typischerweise erfolgte das Unterweisen bislang oft wie ein schulischer Präsenzunterricht. Der unterweisende Referent steht vor den Teilnehmern in einem Seminarraum und erläutert die Sicherheitsregeln.
Doch die technologische Entwicklung bei Schulungsformaten hat sich in den letzten Jahren rapide weiterentwickelt. Konzepte wie E‑Learning, Computer Based Training (CBT) oder Blended Learning haben längst auch die Arbeitssicherheit erreicht, Arbeitgeber und Arbeitsschützer erhalten Angebote für elektronische oder digitale Unterweisungsmöglichkeiten. Mal ist es eine PC-Software, mal eine App, mal eine Online-Plattform, die den mit Sicherheitsunterweisungen befassten Akteuren Unterstützung anbietet. Die Versprechen klingen verlockend. Aufwendiges Vorbereiten und das Abstimmen von Terminen entfallen, weil jeder Mitarbeiter sich flexibel und je nach Bedarf hochwertige Unterweisungsinhalte eigenständig erarbeitet. Das Organisieren und Dokumentieren von Unterweisungen inklusive automatisch erstellter Unterweisungsnachweise soll Arbeitgeber, Vorgesetzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit somit massiv entlasten.
Ist das digitale Unterweisen – auch für Arbeiter im Homeoffice – erlaubt?
Bei der Frage, inwiefern ein Wechsel von mündlichen Präsenz-Unterweisungen zu diesen neuen Unterweisungsformen rechtssicher möglich ist, muss man sich darüber im Klaren werden, über was genau man redet. Die Anbieter der Produkte und Anwendungen nennen es digitales Unterweisen oder interaktive Lernplattform zum Arbeitsschutz, andere bieten Unterweisungsmanager oder Compliance-Management-Software an. Doch diese Begriffe sind nicht eindeutig definiert und schon gar nicht im Arbeitsschutzrecht.
Schaut man genauer hin, stellt man fest, dass das Spektrum an Unterweisungshelfern sehr heterogen ist. Mal werden fertige PowerPoint-Präsentationen angeboten, mal bietet ein Online-Portal Zugang zu Schulungsvideos, mal handelt es sich um komplexe Softwarelösungen, in denen das Unterweisen nur eines von mehreren Modulen darstellt. Dieser Markt ist sehr dynamisch, ständig kommen neue Produkte dazu und eine systematische Übersicht oder Bewertung durch eine neutrale Stelle ist nicht zu finden.
Wenn im Folgenden von digitalen Unterweisungen die Rede ist, umfasst dies daher alle Formen von Mitarbeiterunterweisungen, die digitale Medien und elektronische Kommunikationsformen nutzen und diese als Alternative oder Ergänzung zu den klassischen mündlichen Präsenz-Unterweisungen einsetzen. Auf dieser Basis lohnt es sich, genauer hinzuschauen, was das Arbeitsschutzrecht dazu sagt.
Hier ist mündliches Unterweisen gefordert
Das Arbeitsschutzgesetz selbst äußert sich nicht zur „Mündlichkeit“ von Unterweisungen. Doch das nachgeschaltete Regelwerk enthält an mehreren Stellen Hinweise zur Frage, inwiefern ein digitales und somit nicht-mündliches Unterweisen erlaubt ist.
„Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass die Beschäftigten anhand der Betriebsanweisung nach Absatz 1 über alle auftretenden Gefährdungen und entsprechende Schutzmaßnahmen mündlich unterwiesen werden. Teil dieser Unterweisung ist ferner eine allgemeine arbeitsmedizinisch-toxikologische Beratung.“ (GefStoffV § 14 (2))
Die Gefahrstoffverordnung fordert eindeutig ein mündliches Unterweisen auf Basis der Betriebsanweisungen. Auch die arbeitsmedizinisch-toxikologische Beratung durch den Betriebsarzt soll mündlich erfolgen. Sobald es um Gefahrstoffe geht, darf die Unterweisung somit nicht an eine Software delegiert werden. Sich digitale Unterstützung zu holen ist damit jedoch keineswegs verboten. Es ist jedoch durchaus möglich, z. B. online angebotene Betriebsanweisungen zu Gefahrstoffen für ein mündliches Unterweisen zu nutzen. Inwiefern das mündliche Unterweisen auch per Videokonferenz, d. h. mündlich aber ohne Präsenz, erlaubt ist, lässt sich aus der Formulierung in der GefStoffV nicht ablesen.
Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass die Beschäftigten anhand der Betriebsanweisung über alle auftretenden Gefährdungen und entsprechenden Schutzmaßnahmen, vor Aufnahme der Beschäftigung und danach mindestens einmal jährlich arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogen mündlich unterwiesen werden. (TRGS 555, Abschnitt 5.1)
Analog zur Gefahrstoffverordnung fordert auch die TRGS 555 „Betriebsanweisung und Information der Beschäftigten“ ein mündliches Unterweisen. Doch auch außerhalb des Gefahrstoffrechts finden sich Hinweise zu den Unterweisungsanforderungen für bestimmte Risiken.
„Zugänge (z.B. Dachausstiege, Luken) zu nicht durchtrittsicheren Dächern (siehe Punkt 3.11) müssen unter Verschluss stehen, der nur von besonders unterwiesenen und beauftragten Personen geöffnet werden kann. Diese Unterweisung ist ggf. vor Ort durchzuführen.“ (ASR A2.1, Abschnitt 7.1 (1))
Laut ASR A2.1 „Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen, Betreten von Gefahrenbereichen“ muss das Unterweisen zum Thema „Zugänge zu nicht durchtrittsicheren Dächern“ vor Ort durchgeführt werden. Für eine Unterweisung zur Absturzsicherung dürfen selbstverständlich auch Schulungsvideos, Power-Point-Präsentationen oder Online-Anwendungen ergänzend eingesetzt werden. Konkrete sicherheitskritische Regeln und Abläufe sollten jedoch vor Ort, d. h. in Präsenz unterwiesen werden. Auch wenn die ASR hier lediglich das Beispiel der nicht durchtrittsichereren Dachflächen nennt, ist dringend empfohlen, im Rahmen der konkreten Gefährdungsbeurteilungen jeweils festzulegen, welche Aspekte unbedingt mündlich bzw. in Präsenz zu unterweisen sind.
Unterweisen zu PSA der Kategorie III nur „mit Übungen“
Bei Absturzgefahren ist noch aus einem weiteren Grund das rein digitale Unterweisen unzulässig. Denn PSA zum Schutz gegen Absturz (PSAgA) fällt laut der europäischen PSA-Verordnung (2016/425/EU) in die Risikokategorie III. Diese Kategorie umfasst alle Risiken, die „zu sehr schwerwiegenden Folgen wie Tod oder irreversiblen Gesundheitsschäden“ führen können. Darunter fallen u. a. auch das Arbeiten unter Spannung, Arbeiten mit der Gefahr des Ertrinkens oder Arbeiten bei schädlichem Lärm. Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich in der DGUV-Vorschrift 1.
„Für persönliche Schutzausrüstungen, die gegen tödliche Gefahren oder bleibende Gesundheitsschäden schützen sollen, hat der Unternehmer die nach §3 Absatz 2 der PSA-Benutzungsverordnung bereitzuhaltende Benutzungsinformation den Versicherten im Rahmen von Unterweisungen mit Übungen zu vermitteln.“ (DUGV Vorschrift 1)
In § 31 dieser zentralen Vorschrift fordert die DGUV für PSA, die „gegen tödliche Gefahren oder bleibende Gesundheitsschäden schützen“ soll, explizit Unterweisungen „mit Übungen“. Diese Übungen sind als praktisches Training zu verstehen. Das korrekte Benutzen einer PSAgA oder das Verwenden einer Störlichtbogen-Schutzausrüstung ist somit niemals allein durch digitale Tools vermittelbar, sondern muss stets auch vor Ort praktisch eingeübt werden. Dies gilt auch für auf den ersten Blick weniger lebensbedrohliche Risiken wie etwa Lärm. Auch das Unterweisen zum Verwenden von Gehörschutz erfordert Übungen wie alle anderen Unterweisungen zu PSA der Kategorie III.
Dies fordert die DGUV
Etwas ausführlicher zum elektronischen Unterweisen äußert sich die DGUV in ihrer Regel 100–001.
„Die Unterweisung ist ein wichtiges Instrument, um Versicherten zu ermöglichen, sich sicherheits- und gesundheitsgerecht zu verhalten. Ein ausschließliches Selbststudium der Versicherten ist zur Unterweisung in der Regel nicht ausreichend. Die mündliche Unterweisung hat in verständlicher Form und Sprache stattzufinden.“ (DGUV Regel 100–001)
Nach Auffassung der DGUV sind Unterweisungen grundsätzlich in einer Form durchzuführen, die über das „ausschließliche Selbststudium“ hinaus geht. Das heißt, der Arbeitgeber darf die von ihm zu unterweisenden Beschäftigten nicht mit einer Software oder einem Online-Tool allein lassen. Elektronische Hilfsmittel und Medien sind lediglich als Hilfsmittel zu betrachten. Will ein Betrieb solche Hilfsmittel einsetzen, dann müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Spezifität: Die Unterweisungsinhalte müssen arbeitsplatzspezifisch aufbereitet werden.
- Kontrolle: Es muss eine Verständnisprüfung stattfinden.
- Kommunikation: Gespräche zwischen den Mitarbeitern und der unterweisenden Person müssen jederzeit möglich sein, z. B. bei Fragen
Wo diese Kriterien erfüllt werden, steht dem Unterweisen mit Hilfe elektronischer Medien nichts entgegen.
Bewusst bleiben sollten sich Sicherheitsverantwortliche jedoch stets, dass Unterweisen mehr bedeutet als lediglich das Vermitteln von Informationen. Denn dann würde genügen, jedem neu eingestellten Mitarbeiter eine Mappe mit ein paar Broschüren der Berufsgenossenschaft und den ihn betreffenden Betriebsanweisungen auszuhändigen, und der ganze Aufwand mit Unterweisungsterminen und Präsenzveranstaltungen wäre überflüssig.
Last, but not least sei die frühere BGI 527 erwähnt, darin heißt es:
„Die Unterstützung mit elektronischen Hilfsmitteln soll und kann nicht die persönliche Unterweisung und das Mitarbeitergespräch durch den jeweiligen Vorgesetzten vor Ort ersetzen.“
Dieses Dokument heißt inzwischen DGUV Information 211–005 „Unterweisung – Bestandteil des betrieblichen Arbeitsschutzes“, gilt jedoch als nicht mehr aktuell und wurde zurückgezogen. Die DGUV hat angekündigt, diese Broschüre „zu gegebener Zeit“ neu zu veröffentlichen. Man darf gespannt sein, in welcher Weise sich das Nachfolge-Dokument angesichts der technologischen Entwicklungen der modernen Lernformen hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen digitaler Unterweisungen äußern wird.
Die derzeitige Antwort auf die Frage der Zulässigkeit digitaler Sicherheitsunterweisungen im Arbeitsschutz lautet daher:
Ja, elektronische Hilfsmittel sind erlaubt, sie können mündliche Unterweisungen vor Ort und in Präsenz ergänzen und unterstützen, sie sind jedoch kein vollwertiger Ersatz für eine klassische Unterweisung.
Diese Unterweisungen sollten Sie in Präsenz durchführen
Abgesehen von den oben bereits genannten Einschränkungen digitaler Unterweisungen durch die Regelwerke empfiehlt es sich, sich beim Zuordnen von mündlichen und digitalen Unterweisungsteilen nach klaren Grundsätzen zu richten. Auf ein persönliches und mündliches Vorgehen kann immer dann kaum verzichtet werden, wenn
- ein hoher und sehr konkreter Erklärungsbedarf besteht, z. B. beim Einweisen in die Bedienung und die Sicherheitsfunktionen einer neuen Maschine.
- es um sehr spezielle Sicherheitsaspekte geht, bei denen Tools und Softwarelösungen zwangsläufig zu allgemein bleiben müssen.
- Unterweisungsinhalte nicht nur gezeigt, sondern von den Teilnehmern aktiv eingeübt werden müssen. Dies ist etwa für das Verwenden von PSA der Kategorie III vorgeschrieben, aber auch für viele andere Inhalte höchst sinnvoll, z. B. das Bedienen eines Feuerlöschers.
- eine Vorschrift mündliches Unterweisen oder Präsenz vor Ort explizit einfordert (s. o.).
In vielen Fällen dürfte ein Kombinieren mündlichen und elektronischer Unterweisungen eine geeignete Lösung sein. Grundlegende Unterweisungsinhalte, die unverändert gleich bleiben, aber regelmäßig aufgefrischt werden sollten, können weitgehend in digitale Tools ausgelagert werden. Das betrifft etwa die Sicherheitskennzeichnung einer Arbeitsstätte, das ergonomisch korrekte Heben und Tragen von Lasten oder die Grundregeln zur Ersten Hilfe.
Immer dann, wenn sich Arbeitssituationen, Werkstoffe oder Maschinen schnell ändern und Sicherheitsaspekte vor Ort und in den konkreten Details gelernt werden müssen, führt kein Weg an Präsenzterminen vorbei.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Brandschutz. Hier könnten Grundlagen des betrieblichen Brandschutzes per Video vermittelt werden, das aktive Benutzen eines Feuerlöschers sollte jedoch jeder auch selbst mal aktiv erlebt haben. Das Verhalten im Brandfall kann digital geschult werden, ersetzt aber nicht das Abgehen von Fluchtwegen und Notausgängen vor Ort. Insbesondere in komplexen Gebäudestrukturen kann keine Software das Verhalten im Notfall abbilden oder gar Evakuierungsübungen ersetzen. Lernformen, die PC- oder Tablet-gestütztes Lernen mit einem Präsenzlernen kombinieren, werden häufig als Blended-Learning bezeichnet.
Klar unterscheiden sollte man im eigenen Betrieb das digitale Unterweisen vom Nutzen anderer Tools wie etwa den vielen Apps zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, die u.a. von Berufsgenossenschaften oder Krankenkassen angeboten werden. Es muss stets klar sein, dass Unterweisungen – auch im digitalen Format – verbindlicher Teil der Arbeitsschutzorganisation sind. Ebenso ist eine Teilnahme stets verbindlich für die Mitarbeiter und kein Angebot, das man nach Lust und Laune nutzt oder wie eine Smartphone-App jederzeit wieder deinstallieren kann.
Unterweisungspflicht auch in Pandemiezeiten
Die Corona-Pandemie ist auch für das Organisieren und sichere Durchführen von Unterweisungen eine Herausforderung. Dazu kommt, dass in vielen Branchen die Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten und gemeinsame Unterweisungstermine schwierig zu finden sind. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass Unterweisungen ausbleiben oder in Nach-Corona-Zeiten verschoben werden. Die SARS-CoV‑2 Arbeitsschutzregel fordert explizit in Abschnitt 4.2.14 (1), dass Arbeitsschutzunterweisungen auch während einer Epidemie durchgeführt werden müssen. Das Durchführen von Unterweisungen über elektronische Kommunikationsmittel ist in der Epidemiesituation möglich. Es soll jedoch „eine Verständnisprüfung zwischen den Beschäftigten und dem Unterweisenden“ erfolgen und Rückfragen müssen möglich sein.
Wie finde ich die für meinen Betrieb geeignete digitale Unterweisungslösung?
Wer für seinen Betrieb, Behörde oder Einrichtung eine digitale Unterstützung bei Unterweisungsaufgaben sucht, steht vor der Qual der Wahl. Denn das Angebot ist riesig und die Praxistauglichkeit der Produkte lässt sich kaum anhand von Prospekten oder Internetwerbung beurteilen. Folgende Kriterien bieten je nach Unternehmensgröße, Branche und bereits vorhandener Softwareumgebung eine Orientierung:
Inhalt
- Erfassen die im Tool vorhandenen Themen die für den eigenen Betrieb relevanten Sicherheits- und Gesundheitsaspekte?
- Entspricht die Darstellung der Themen dem Verständnisniveau unserer Mitarbeiter?
- Sind Sprache, Stil, Terminologie und Wortwahl unserem Unternehmen und unserer Belegschaft angemessen? Wird der Nutzer mit Sie oder per Du angesprochen? Werden Fremdworte erläutert und Abkürzungen aufgelöst?
- Bauen die einzelnen Themen oder Module aufeinander auf oder lassen sie sich unabhängig nutzen?
- Sind die Inhalte erkennbar aktuell? Wie wird eine Aktualisierung gewährleistet?
Last, but not least ist in Bezug auf die Unterweisungsinhalte kritisch zu hinterfragen, woher diese stammen und wer für deren Wertigkeit verantwortlich ist. Gibt es ein Expertenteam, Praktiker und ausgewiesene Fachautoren, die Korrektheit erwarten lassen, Inhalte vor Veröffentlichung begutachten und ein gewisses Qualitätsniveau sichern? Oder wurden „irgendwelche“ Unterweisungsinhalte „irgendwo“ eingekauft und lediglich digital aufbereitet?
Technik
- Auf welcher Hardware soll das Tool laufen: PC, Tablet, Smartphone? Ist eine geräteübergreifende Nutzung unabhängig von der Bildschirmgröße möglich (responsive Design)?
- In welcher Form kommt das Tool? Auf CD, auf eine Webseite, per Download, in der Cloud?
- Wie einfach oder kompliziert sind Installation und Einrichtung?
- Ist das Einbinden in vorhandene Betriebssystemumgebungen problemlos möglich?
- Wie ist das Tool bedienbar (Maus, Touchpad, Tastatur, Wischgesten, Sprachsteuerung)?
- Welche Dateiformate werden verwendet und gibt es Schnittstellen zu den bereits im Unternehmen verwendeten Formaten und Datenbanken?
- Kann das Tool die benötigten Daten, z. B. Namen und Tätigkeitsbereiche der zu unterweisenden Mitarbeiter, aus den im Unternehmen bereits vorhandenen Datensätzen generieren oder müssen zunächst händisch Namenslisten o. ä. abgetippt werden?
- In welchen Sprachversionen steht das Tool zur Verfügung? Gibt es für Mitarbeiter mit nicht-deutscher Muttersprache eine mehrsprachige Benutzeroberfläche?
- Stehen kostenlose Testversionen zur Verfügung, eine Online-Demo oder gibt es die Möglichkeit zu – einer ggf. zeitlich oder inhaltlich begrenzten – unverbindlichen Probenutzung?
Neben diesen technischen Kriterien sollte man auf Qualitätsstandards, Zertifizierungen, Gütesiegel oder offizielle Empfehlungen achten. Das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) fungiert als Prüf- und Zertifizierungsstelle für Blended-Learning-Programme im Arbeitsschutz und vergibt ein eigenes Prüfzeichen.
Usability
Es empfiehlt sich, auf einer Arbeitsschutzmesse oder über eine Testversion ein Programm nicht zur anzuschauen, sondern selbst aus Sicht eines zu unterweisenden Mitarbeiters zu bedienen. Dabei sollte auf Folgendes geachtet werden:
- Komme ich als Unterweisender schnell mit dem Programm zurecht oder benötigt man eine lange Einarbeitung?
- Ist das Tool für unsere Mitarbeiter unmittelbar und intuitiv bedienbar? Sind z. B. Eingabefelder sinnvoll geordnet, ist die Navigation klar strukturiert, können Tastenkombinationen genutzt werden, werden vertraute Symbole wie Zahnrad oder Lupe verwendet?
- Ist der Fortschritt einer Unterweisungseinheit für den Nutzer erkennbar, z. B. über einen sich stets aktualisierenden Balken?
- Ist das Tool von unterschiedlichen Arbeitsplätzen (PC, mobil, Homeoffice) aus bedienbar oder bin ich man an bestimmte Hardware oder Betriebsumgebungen gebunden?
- Wie reagiert das Tool auf Fehlbedienungen? Gibt es Hinweise für den Nutzer oder eine Hilfefunktion? Sind die Fehlermeldungen verständlich?
- Wie barrierefrei ist die Software? Kann sie auch von Mitarbeitern mit körperlichen Besonderheiten wie Sehschwächen genutzt werden? Sind für gehörschwache Mitarbeiter Videos mit Untertiteln versehen? Soll und kann das Tool auch von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen genutzt werden?
- Lässt sich eine Unterweisungseinheit nach einer ungeplanten Unterbrechung später an gleicher Stelle fortsetzen?
- Kann ich davon ausgehen, dass das Tool ständig weiterentwickelt wird? Gibt es Updates zu Funktionen und Inhalten? Erfolgten diese automatisch über ein Abo-Modell oder muss ich mich selbst darum kümmern?
- Auf welche Weise erfolgt ein Support und zu welchen Konditionen?
Je komplexer die Software ist, desto wichtiger wird auch die Frage, ob das Tool die Anforderungen an eine Softwareergonomie laut DGUV Information 215–450 (neue Version von April 2021!) erfüllt.
Anpassbarkeit
Die Inhalte einer Unterweisung sollen sich aus der konkreten Gefährdungsbeurteilung vor Ort ableiten. Das heißt, sie müssen aktuell sein und jederzeit an betriebliche Veränderungen angepasst werden können.
Hat der Unterweiser die Möglichkeit,
- eigene Inhalte und Dokumente einzubinden, z. B. bereits vorhandene PowerPoint-Folien oder Fotos von Arbeitssituationen aus dem eigenen Unternehmen?
- vorhandene Inhalte zu bearbeiten, um sie an betriebsspezifische Besonderheiten anzupassen oder Ergänzungen vorzunehmen, z. B. für den eigenen Betrieb typische Arbeitsabläufe einzubinden oder bestimmte Gefährdungen stärker zu gewichten?
- die Unterweisungsinhalte spezifisch, detailliert und individuell einzelnen Unternehmensabteilungen, Mitarbeitergruppen (z. B. Auszubildenden) oder Personen zuzuordnen?
- in einer abgestuften Hierarchie zuzuordnen, welche Akteure des Betriebs welche Unterweisungsinhalte verändern und ergänzen dürfen?
Kritisch zu betrachten wäre auch, inwiefern man den Unterweisungsinhalten zuordnen kann, wer im Betrieb der Verantwortliche für die jeweilige Unterweisung und somit der Ansprechpartner für Fragen ist.
Interaktivität
Das eigenständige, interaktive Arbeiten mit einem Tool, welches gezieltes und individuelles Feedback auf die eigenen Eingaben gibt, ist eine zentrale Eigenschaft digitaler Lernformen.
Bietet das Tool den Teilnehmern die Möglichkeit
- zu jedem gezeigten Sachverhalt, Risiko oder Gefährdungssituation gezielt Fragen zu stellen?
- sich zu einem Punkt eigene Notizen zu machen und diese zu speichern oder auszudrucken?
- Sachverhalte zu kommentieren und dem Unterweiser Feedback zu geben?
Funktionalität
Rein technisch lässt sich ein digitales Tool mit jeder Menge Funktionen ausstatten. Diese sollten jedoch zu den eigenen Anforderungen passen und das Tool nicht überfrachten.
- Benötigen Sie lediglich Unterweisungshinhalte oder wünschen Sie eine enge Anbindung zu weiteren Funktionen, etwa die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung, vorhandene Betriebsanweisungen, Unfallstatistiken, Musterformulare usw.
- Umfasst das Tool eine Terminüberwachungsfunktion? Erinnert es die betroffenen Mitarbeiter selbstständig an jeweils fällige Schulungstermine, z. B. per E‑Mail?
- Haben der Unterweisende und die Vorgesetzten der unterwiesenen Mitarbeiter jederzeit die Möglichkeit, den aktuellen Schulungsstand abzurufen? Ist stets klar ersichtlich, wo noch Unterweisungsdefizite bestehen und wer „dran“ ist? Wird dabei der Datenschutz gewahrt?
- Lassen sich die Unterweisungsnachweise auf die Schnelle generieren bzw. einsehen, z. B. wenn eine Behörde oder ein Unfallversicherungsträger bei Begehungen oder nach einem Arbeitsunfall diese Nachweise einfordern?
- Wie wird das Absolvieren der Unterweisungen erfasst und ausgewertet. Gibt es Selbsttests für die Teilnehmer? Bietet das das Tool eine Verständnisprüfung? Erfolgt deren Auswertung automatisch oder durch den Unterweiser?
- Lassen sich nicht benötigte Funktionen abschalten, um die Nutzung zu erleichtern und Ablenkungen zu verhindern?
Wer diese Punkte kritisch durchgeht, wird seinen Blick schärfen. Bei allen Unklarheiten sollte man konsequent beim Anbieter nachfragen. Nur so findet man die für den eigenen Betrieb am besten geeignete Lösung und vermeidet Fehlinvestitionen.
Die Kriterien zur Findung der für Ihren Betrieb passenden Unterweisungslösung können Sie hier kompakt zusammengefasst als pdf herunterladen.
Fazit: Digitale Unterweisungshilfen sind eine willkommene und vielerorts sinnvolle Ergänzung, aber kein vollständiger Ersatz herkömmlicher Unterweisungen.
Kein Arbeitsschützer muss zwangsläufig gleichbleibende Inhalte Jahr für Jahr herunterleiern, hier kann ein Tool, ein Film, eine Software Abwechslung bieten, Neugier erzeugen und motivieren. Viele betriebsspezifische sicherheitsrelevante Aspekte und besondere Gefährdungssituationen bedürfen jedoch der Unterweisung von Mensch zu Mensch. Als Arbeitgeber, Vorgesetzter oder Arbeitsschützer auf der Suche nach Unterstützung beim Unterweisen sollten Sie sich nicht von Prospekten, Werbefilmchen oder schon anzusehenden Musterdokumenten blenden lassen. Schauen Sie genau hin und fragen Sie sich, was Sie von dem digitalen Unterweisungshelfer erwarten. Entscheidend ist nicht, was ein Programm theoretisch alles kann, sondern ob das Tool genau das effizient und sicher leistet, was Sie bei Ihren Unterweisungsaufgaben vor Ort unterstützt.
Autor: Friedhelm Kring