Laut statistischem Bundesamt versterben in Deutschland jährlich rund 950.000 Menschen, um die unzählige Angehörige, Kollegen oder Freunde trauern. Trauerexpertin Adelheid Reik hat die Erfahrung gemacht, dass Trauer von vielen Arbeitgebern als störend oder unprofessionell empfunden wird: „Wenn im Betriebsalltag nach kurzer Schonfrist nach dem Prinzip ‘Business as usual‘ verfahren wird und die Trauer am Arbeitsplatz keinen Ausdruck finden darf, kann der Trauerprozess verlängert und zu krankheitsbedingten Ausfall oder gar zur Kündigung führen“ (siehe auch das Interview auf Seite 38). Auch Heike von der Fecht, Inhaberin der Trauerakademie Berlin-Brandenburg, hat die Erfahrung gemacht, dass sich Arbeitgeber oftmals für die Situation trauernder Mitarbeiter nicht zuständig fühlen: „Ab dem zweiten Tag nach dem Trauerereignis hat man bitteschön zu funktionieren und wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Das geht aber nicht, denn Trauer ist ein Prozess, der vom Trauernden durchlebt werden muss.“
Keine Vorbereitung auf Trauersituationen
Zwar ist laut der Experten das Ausmaß der individuellen Beeinträchtigung bislang noch nicht ausreichend erforscht, doch ist davon auszugehen, dass sich eine nicht gelungene Trauerarbeit auf das Leistungsvermögen und die Produktivität eines Mitarbeiters negativ auswirken kann. Trotzdem wird das Thema Trauer in Unternehmen oft vernachlässigt. Karin Wurth, Krisen- und Trennungsexpertin, hat die Erfahrung gemacht, dass Unternehmen oft zu wenig auf die Trauersituation im Unternehmen vorbereitet sind, auch weil es dafür keinen vorgefertigten Prozess gibt: „Viele Führungskräfte erleben die Situation als emotional unberechenbar, weil sie zum Beispiel nicht wissen, wie einzelne Mitarbeiter reagieren oder weil sie unsicher sind, welche Art der Behandlung sich der Einzelne wünscht.“ In der akuten Phase kurz nach dem Tod eines Teammitglieds sei es wichtig, die Arbeitslast und- zeit so zu regeln, dass die Betroffenen nicht überfordert werden (siehe Kasten auf Seite 39).
Professionelle Begleitung
Trauer stellt auch für das Unternehmen eine Krise dar. Daher ist es ratsam, einen geschulten Trauerbegleiter zu beauftragen. Dieser kann den betroffenen Personen und Teams zur Seite stehen und dazu beitragen, den Produktivitätsverlust zu minimieren. Adelheid Reik berät Unternehmen unter anderem dabei, was sie ad-hoc für den Betroffenen tun können, zum Beispiel die Arbeitszeit vorrübergehend reduzieren. Denn der Sonderurlaub reiche meist nur aus, um die Bestattungsmodalitäten zu klären. Auch begleitet sie Führungs- und Sicherheitsfachkräfte dabei, wie sie Überlastungen erkennen und diesen entgegenwirken können, wie sie einfühlsame Mitarbeitergespräche führen und wie das Team Anteil und Abschied nehmen kann. Für die Bewältigung der Trauer sind unter anderem Rituale ganz wichtig.
Umgang mit Trauer: Frage der Unternehmenskultur
Wie ein Unternehmen mit einer solchen existentiellen Situation umgeht, spiegelt nach Ansicht der Experten die Unternehmenskultur wider. Werden die Mitarbeiter über den Tod eines Kollegen lediglich informiert, bleiben Abschiedsrituale aus und wird stattdessen das
Büro des Verstorbenen sofort geräumt, kann das zu einer inneren Abkehr vom Unternehmen führen.
Verhält sich das Unternehmen hingegen wertschätzend gegenüber dem Verstorbenen und den trauernden Mitarbeitern, wird das die Belegschaft stärker zusammenschweißen und die Unternehmenskultur positiv prägen.

Foto: Reik
Interview mit Trauerexpertin Adelheid Reik
„Trauer wird in Unternehmen unterschätzt“
In vielen Unternehmen ist Trauer ein Tabu-Thema. Woran liegt das?
In der deutschen Arbeitswelt gibt es eine unausgesprochene Erwartungshaltung, dass starke Gefühle Privatsache sind. Trauer im Arbeitsumfeld zu zeigen, wird von vielen Arbeitgebern, bisweilen auch von Kollegen und Geschäftspartnern, als störend und unprofessionell empfunden. Privates emotionales Gepäck hat sich eindeutig einem gewinnorientierten Geschäftsverhalten unterzuordnen.
Warum kann man Trauer im Job nicht einfach abschalten?
In unserer Gesellschaft wird Trauer oft nicht anerkannt. Es hat nichts mit „mal eben traurig sein“ zu tun. Trauer ist ein Prozess, der vom Trauernden durchlebt werden muss und der viel Zeit und Energie benötigt. Der Begriff: „Trauerarbeit“ bringt dies sehr treffend zum Ausdruck. Es wird in Unternehmen eindeutig unterschätzt, wie sehr der Trauernde sich in diesem Zustand verändert, welche Auswirkungen dies auf seine Arbeit und auf sein Team hat und wie viel Energie der Prozess des Trauerns den Trauernden kostet.
Was passiert, wenn das Problem im betrieblichen Umfeld „unter den Tisch gekehrt“ wird?
Hier muss vorausgeschickt werden, dass Trauer sehr unterschiedlich erlebt und ausgedrückt wird. Das hat mit den unterschiedlichen Temperamenten und Sozialisierungsprozessen von Menschen zu tun. Und natürlich auch mit der Bedeutung, die die verstorbene Person für den Hinterbliebenen hatte. Es gibt durchaus Trauernde, die es gerade gut finden, im Arbeitskontext den Schmerz vorübergehend vergessen zu können. Diese Personen ziehen es dann eher vor, nicht auf den Verlust angesprochen zu werden.
Und für die Menschen, die eine enge Bezugsperson verloren haben… ?
Für die, die einen Partner oder vielleicht sogar ein Kind verloren haben, bricht eine Welt zusammen. Alles wird in Folge in Frage gestellt und es kann Wochen, Monate oder gar Jahre dauern, bis wieder ein neuer, tragfähiger „Selbst- und Weltbezug“ gefunden werden kann. Wenn dies am Arbeitsplatz keinen Ausdruck finden darf, sind diese Personen deutlich häufiger Burnout gefährdet oder erkranken Monate später an schweren Depressionen.
Was ist außer gesundheitlichen Problemen noch zu befürchten?
Ein trauerndes Teammitglied kann die Zusammenarbeit in einem Team deutlich verändern. In den meisten Fällen sind die nichttrauernden Kollegen zunächst sehr betroffen und wollen helfen. Nur wie macht man das? Auch dazu gibt es kaum Handlungsempfehlungen. Unsicherheit ist die Folge, was zu einem Rückzug und oft gar zu verminderter Kommunikation führt. Man versteht sich nicht mehr, versteht die Reaktionen des anderen nicht mehr. Über die Monate gesehen, kann hier eine Entwicklung in Gang kommen, die zu erheblichen Kommunikationsproblemen bis hin zu Mobbing und offenem Streit führt.
Wie können Führungskräfte und Kollegen angemessen in einem Trauerfall reagieren?
Ein angemessenes Verhalten trauernden Mitarbeitern gegenüber zeigt sich zunächst in Anteilnahme und respektvoller Aufmerksamkeit. Es ist wichtig, den Verlust und damit den Schmerz anzuerkennen. Trauernde reagieren sehr unterschiedlich und sollten individuell unterstützt werden. Eine Schulung der Kollegen, wie man mit einem plötzlichen Tränenfluss oder unerwartet heftigen Gefühlsausbrüchen umgehen kann, ist sehr sinnvoll. Völlig weglassen sollte man Formulierungen wie „Ach, das wird schon wieder“ oder „Du findest schon wieder einen Partner“, die den Schmerz des Trauernden nicht ernst nehmen. Ebenso schlimm ist, wenn Kollegen auf Distanz gehen.
Wie können die Unternehmen im Trauerfall unterstützen?
Wichtig ist, das Gespräch mit dem Trauernden zu suchen und individuell auf seine Bedürfnisse einzugehen. Zu klären ist beispielswiese, welche Aufgaben er sich zutraut und welche besser vorrübergehend von anderen übernommen werden sollten. Ansonsten gefährdet man nicht nur die Gesundheit, sondern möglicherweise auch wichtige Projektziele.
Für den Fall eines längerfristigen krankheitsbedingten Ausfalls des Trauernden sollten Unternehmen im Rahmen ihres betrieblichen Gesundheitsmanagements ein Wiedereingliederungsprogramm für Trauerfälle in der Schublade haben. Dieses wird dann von einem professionellen „grief councelor“, einem BEM-Verantwortlichen oder einer geschulten Sicherheitsfachkraft mit dem Trauernden besprochen.
Für die Bewältigung der Trauer sind Rituale wichtig… ?
Ja. Das Team könnte zum Beispiel im Rahmen eines Wochenmeetings des verstorbenen Kollegen für einige Minuten gedenken und sich über eigene Trauergefühle austauschen. Auch ein Foto des Verstorbenen oder eine Wandtafel mit Abschiedsworten an einer zentralen Stelle im Unternehmen halten die Erinnerung aufrecht.
Wenn es sich bei dem Verstorbenen um den Firmenchef handelt, kann auch auf das gemeinsam Geschaffene zurückgeblickt werden. Solche Rituale können den nahestehenden Mitarbeitern helfen, schneller wieder in den Arbeitsalltag zurückzukehren.

Den Abschiedsprozess professionell steuern
Der Umgang mit dem Tod eines Mitarbeiters erfordert Empathie und ein sensibles Vorgehen. Zur professionellen Steuerung des Abschiedsprozesses im Unternehmen zählen die folgenden Aspekte.
1. Krisenmanagement und Umgang mit den Angehörigen
- Professionelle Krisenkommunikation in Zusammenarbeit mit Geschäftsführung, betroffener Führungskraft und Unternehmenskommunikation veranlassen: Wer sollte persönlich durch wen informiert werden?
- Persönlich den Angehörigen kondolieren (je nach Konstellation durch Geschäftsführung, Führungskraft, Kollegen des Verstorbenen) und ehrliche Anteilnahme zeigen.
- Die Kommunikation nach außen möglichst mit den Angehörigen abstimmen.
- Die Kommunikation (Aushang, Intranet, Mail etc.) nach innen abstimmen.
2. Der Trauerprozess
- Einen verantwortlichen Ansprechpartner für betroffene Kollegen benennen (zum Beispiel Betriebsrat, Betrieblicher Gesundheitsmanager und/oder Sicherheitsfachkraft, externer Trauerbegleiter)
- Abschiedsprozess in Zusammenarbeit mit Führungskraft und betroffenen Kollegen organisieren
- Blumen mit Trauerschleife aufstellen, zum Beispiel im Eingangsbereich
- Todesanzeige des Unternehmens formulieren und ebenfalls mit den Angehörigen abstimmen
- Teilnahme an der Beerdigung ermöglichen, in Abstimmung mit den Angehörigen
- Einfache Abschiedsgesten im Unternehmen organisieren (Trauerkarten, Kerze, Blumen, Kondolenzbuch)
- Abschiedsveranstaltung abstimmen: Das kann eine kleine Runde im Team, eine Abteilungsversammlung wie auch eine firmeninterne Abschiedsfeier sein.
- Vorhandene Ressourcen abrufen (Checklisten, zum Beispiel interne und externe Kontaktdaten zur Unterstützung, Bausteine zur schriftlichen Kommunikation, Leitfaden zum weiteren Vorgehen)
3. Angebote für betroffene Mitarbeiter
- Abstimmung der Möglichkeiten zur Entlastung wie Arbeitsreduzierung, Urlaub oder befristeter Wechsel ins Back Office (gemeinsam mit dem Mitarbeiter und gegebenenfalls Betriebsrat besprechen
- Persönliches Gespräch anbieten (fester Ansprechpartner)
Quelle: Karin Wurth, Beraterin für Organisationsentwicklung und Krisenmanagement, Kempten